Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Tolle Idee! Was wurde daraus?
Vulkankrater als Klimaarchiv

Das Hochwasser von 2021 gilt als Jahrhundertereignis. Ob es derartige Extremwetter nur alle 100 Jahre gibt oder häufiger, können natürliche Klimaarchive beantworten – zum Beispiel die Sedimentschichten am Grund erloschener Vulkane in der Eifel. Seit 1998 rekonstruiert ein Team der Universität Mainz mit ihrer Hilfe das Klima der vergangenen Jahrtausende.

Von Michael Stang | 04.01.2022
Laacher See in Rheinland-Pfalz
Die Vulkanseen der Eifel bergen ein reichhaltiges Umwelt- und Klimaarchiv (imago / blickwinkel)
Der Name Vulkaneifel deutet darauf hin, dass in diesem deutschen Mittelgebirge früher – zumindest geologisch betrachtet – deutlich mehr los war als heute. Heftige Vulkaneruptionen hinterließen dort die sogenannten Maare: kilometergroße schüssel- oder trichterförmige Mulden, die mit Wasser gefüllt waren oder sind. In der Eifel sind mehr als 70 solcher Maarvulkane bekannt, in zwölf der Krater befinden sich bis heute Seen. An ihrem Grund befindet sich ein einzigartiges Klimaarchiv, das Frank Sirocko seit über 20 Jahren fasziniert. 
„Sie sind sehr tief, viele haben keinen Zufluss und keinen Abfluss. Das Wasser steht in diesem Krater und wird dadurch im Bodenwasser sauerstofffrei. Und dadurch gibt es keine Organismen, die das Sediment durchwühlen, sondern wenn da ein Millimeter reinfällt, dann bleibt dieser eine Millimeter auch als schöne, saubere Schicht liegen. Und so können sie Jahr für Jahr, Millimeter für Millimeter, die Sedimentationsgeschichte ablesen. Und das ist wirklich etwas Einmaliges. Das gibt so in dieser Form eigentlich in ganz Mitteleuropa nur in der Eifel.“

In der Eifel sind mehr als 70 Maarvulkane bekannt

Frank Sirocko ist Professor für Geowissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1998 leitet er in der Eifel das Projekt ELSA, bei dem sein Team systematisch alle Maarseen und Trockenmaare erforscht - mithilfe von Sedimentbohrkernen. Das Ziel: die Rekonstruktion der Klimageschichte der vergangenen 60.000 Jahre.
„Wenn wir auf den Maarseen arbeiten, wird eine Schwimmplattform aufgebaut, da drauf steht ein Dreibein. Am Seil wird ein Kerngerät runtergelassen und dann so zehn 15 Meter tief in das Sediment hineingedrückt, dann kommt ein Kern hoch, der hat etwa zehn Zentimeter Durchmesser.“
In ausgetrockneten Maar-Seen haben die Forschenden sogar mehrfach über 100 Meter lange Bohrkerne gezogen. Die Abfolge der Sedimentschichten darin ist enorm präzise: Ein streifenförmiges Muster verschiedener Grau- und Brauntöne, das aussieht, als wäre es mit dem Lineal gezogen, und eine Zeitreise über zehntausende Jahre in die Vergangenheit ermöglicht. Exakte Zeitmarken wie etwa das Tschernobyl-Unglück 1986 lassen sich anhand des Cäsium 137 Niederschlags genauso nachweisen wie bestimmte Warm- und Kaltphasen der Erdgeschichte.
Mittlerweile hat Frank Sirockos Team über 60 Bohrkerne gezogen, präzise datiert und die Klimakurve der vergangenen 60.000 Jahre vollständig rekonstruiert. Weil die Bohrungen teuer sind, Zeit brauchen und die Technik für Probennahme und Analyse sukzessive verfeinert werden musste, gingen dafür über 20 Jahre ins Land. Die Sedimentschichten werden datiert, darin befindlicher Pollen analysiert, genetisches Material sequenziert. Mit jedem neuen Bohrkern wurde das Bild der Vergangenheit klarer und vollständiger. 

Bohrkerne sind präzise Klimaarchive

Frank Sirocko: „Das wichtigste Ergebnis war eigentlich, dass wir eine Struktur in dem Klimasignal sehen, was exakt so aussieht wie das, was wir vom Nordatlantik und den Eiskernen in Grönland kennen. Das heißt, die Schlussfolgerung ist wirklich, was immer im Nordatlantik geschieht, im gleichen Jahr spüren wir das hier in Mitteleuropa. Und wenn der Nordatlantik in der Vergangenheit in zehn Jahren wärmer geworden ist oder abrupt kälter geworden ist, dann sehen sie es exakt genau gleich, im gleichen Herbst hier in unseren Niederschlägen.“
Damit ist klar: Das Wetter in Mitteleuropa war auch in grauer Vorzeit schon abhängig von den Klimaverhältnissen im Nordatlantik. Die Bohrkerne verraten aber noch mehr: „In Auel ist die Situation so, dass ein Bach das Maar durchfließt, den sehen sie auch heute noch in der Landschaft. Aber den gab es eben halt auch früher, als dieses Trockenmaar noch wirklich ein See war und wann immer in diesem Bach ein Hochwasser war und viel Schlamm transportiert wurde, werden diese Partikel in das Maar eingetragen, sinken dort zu Boden. Und wir sehen dann in unserer jahresgeschichteten Abfolge plötzlich eine drei Zentimeter mächtige Lage von ganz einförmigem Sediment. Und dann sehen wir schon optisch: Das hier ist eine Hochwasserlage.“
Denn binnen kurzer Zeit wurde ungewöhnlich viel Sediment in den See geschwemmt. An den Bohrkernen können die Forschenden exakt ablesen, wann es Hochwasser gegeben hat und wie oft sie auftraten. Vor allem interessierten das Team dabei die vergangenen 1.000 Jahre: „Und da sehen wir dann, dass Hochwasserlagen im statistischen Mittel alle 20 Jahre kommen.“
Also im Schnitt fünfmal pro Jahrhundert. Extreme Sommerhochwasser wie 2021 oder 1342 seien dagegen selten. So selten, dass der Begriff Jahrhunderthochwasser durchaus gerechtfertigt ist. Spannend sei auch, dass die meisten Hochwasserlagen im Mittelalter auftraten. Schuld daran war aber nicht das Wetter, sondern der Mensch.

Der Nordatlantik bestimmt das Wetter in Deutschland

„Im Mittelalter war die Eifel weitgehend entwaldet, weil man dort Holz eingeschlagen hat für den Städtebau in Köln und Mainz und anderen großen Städten. Und so war die ganze Landschaft wirklich verwüstet. Und ein normaler Regen hat viel, viel stärkere Erosionen gehabt als der gleiche Regen, solange wir einen schönen Wald hatten oder Grasbewuchs in den Tälern.“
Ähnlich wie bei der Jahrhundert-Flut im Ahrtal spielte die landwirtschaftliche Nutzung also auch schon früher eine große Rolle dabei, wie verheerend die Folgen eines Hochwassers waren. Die Daten aus den Maar-Sedimenten zeigen auch, dass das Klima in Kaltzeiten etwas weniger schwankte, damit waren Wetterextreme gedämpfter. In Warmzeiten hingegen gab es häufiger extreme Niederschlagsereignisse. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass sich Mitteleuropa mit dem menschengemachten Klimawandel künftig auf mehr Extremwetterereignisse einstellen muss. Die vor über 20 Jahren gestarteten Bohrungen in den Vulkanmaaren der Eifel untermauern damit die Prognosen der Klimamodellierer.