Donnerstag, 25. April 2024

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Attraktivität in Partnerschaft und Beruf
Warum gutes Aussehen zu Ungerechtigkeiten führt

Wer gut aussieht, hat es leichter, denn unser Gehirn spricht Attraktiven automatisch positivere Eigenschaften zu, auch wenn die gar nicht nachweisbar sind. Was bei der Partnersuche harmlos sein mag, führt im Beruf zu massiver Ungerechtigkeit – und zwar mit deutlichen Unterschieden bei Männern und Frauen.

Von Matthias Hennies | 21.07.2022
Leonardo Di Caprio als hochstapelnder vermeintlicher Pilot umringt von Stewardessen im Film "CATCH ME IF YOU CAN" von 2002
Gutes Aussehen ist hilfreich in Beruf und Privatleben, Status signalisierende Kleidung verstärkt die Attraktivität noch weiter - mit der tatsächlichen Qualifikation hat das aber nichts zu tun (imago/Everett Collection)
„Das ist gruselig, dass es da auch funktioniert. Ich glaube, niemand würde ernsthaft verlangen, dass Attraktivität auf dem Partnermarkt keine Rolle spielen sollte – egal ob heterosexuell, homosexuell oder irgendwas dazwischen. Aber wir erleben eben auch, dass die Attraktivität eines Menschen auch auf Gebieten, die nichts damit zu tun haben, seine oder ihre Lebenschancen nachhaltig beeinträchtigt.“
Aber wer ist sich dessen bewusst? Fachleute wie der Soziologe Ulrich Rosar, Professor an der Universität Düsseldorf, kennen den immensen Einfluss, den die Attraktivität auf unser Leben hat. Das liegt vielleicht wohl daran, so sein Wuppertaler Kollege Reinhard Schunck: „Dass die physische Attraktivität als eine Eigenschaft, die vielleicht für soziale Ungleichheit relevant sein könnte, immer noch als relativ randständig wahrgenommen wird.“

Dabei kann das Urteil über die Attraktivität eines Menschen höchst ungerecht sein, weil unser Hirn es in Sekunden-Bruchteilen fällt, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Für viele Wissenschaftler zählt Attraktivität daher zu den stärksten Verursachern von Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Obendrein können die Auswirkungen bei Männern und Frauen auch noch sehr unterschiedlich sein.

Das Hauptkriterium bei der Partnerwahl

Große Übereinstimmung herrscht jedoch da, wo jeder weiß: Je attraktiver ich rüberkomme, desto besser sind meine Chancen! Ein markantes Kinn bei Männern, hohe Wangenknochen bei Frauen, eine reine Haut und der Eindruck von Fitness und Gesundheit sind auf dem Partner-Markt entscheidende Kriterien. „Wir legen, egal, ob wir als Mann oder als Frau auf eine Frau oder einen Mann gucken, in etwa dieselben Maßstäbe an, Frauen sind wohl etwas kritischer. Aber ich würde dem nicht zu viel Gewicht beimessen, die Übereinstimmungen in den Attraktivitätsurteilen sind immens.“

Der kleine Unterschied zwischen Männern und Frauen ist aber bezeichnend: Während Männer sich meist an der Physis orientieren, achten Frauen eher darauf, ob ein Mann Krawatte trägt, stellte Martin Gründl, Professor an der Hochschule Harz, fest: „Wenn Sie Frauen solche Männergesichter zeigen, die eben auch durch die Kleidung einen höheren Status signalisieren, dann beurteilen sie das auch als physisch attraktiver.“

Die Folge: Fühlt sich ein Mann etwa wegen seiner übergroßen Nase benachteiligt wie der literarisch verewigte Cyrano de Bergerac, kann er den physischen Mangel vielleicht durch feine Kleidung ausgleichen. Bei Frauen gilt das Gegenteil: Hohe Wangenknochen und ein zierliches Kinn machen einen schlechteren sozialen Status wett: Da kommen sie wieder zum Vorschein, die alten Rollenbilder vom männlichen Ernährer und seiner hübschen Hausfrau!

Attraktivität erhöht die Beziehungs-Zufriedenheit

Bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gelten ähnlich Merkmale als attraktiv wie bei heterosexuellen, berichtet Ulrich Rosar. Die Datenlage ist allerdings deutlich dünner.
Und welche Rolle spielt die Attraktivität, wenn sich bereits eine Beziehung entwickelt hat? Ältere Erkenntnisse der Paar- und Familiensoziologie deuten darauf hin, dass sie dann stark an Bedeutung verliert.
Rosar hat weitergeforscht: „Am Ende spielt es offensichtlich gar keine Rolle, am Anfang spielt es nicht die alles entscheidende, aber doch sehr zentrale Rolle – und wir haben uns junge Paare angeguckt in der so genannten Stabilisierungsphase, von dem Zeitpunkt, wo klar ist, man ist jetzt ein Paar, bis zum ‚man ist auf Dauer zusammen‘ und wollten wissen, wo die Attraktivität an Bedeutung verliert – sie hat nicht an Bedeutung verloren!“

Auch nach zweieinhalb Jahren hingen Beziehungszufriedenheit und -stabilität noch davon ab, dass die Partner sich attraktiv fanden, ergab Rosars Studie.

Wie attraktiv wirken Migranten?

Die große Übereinstimmung endet jedoch an den Grenzen des eigenen Kulturkreises. Martin Gründl, der anhand von Fotos erforscht, was als physisch attraktiv wahrgenommen wird, stellt fest: „Dass wir solche Gesichter oder Menschen attraktiv finden, die ähnlich sind wie wir selber, das heißt, Personen, die derselben ethnischen Gruppe angehören wie wir selber – egal in welche Kultur wir reingehen.“

Hinzu kommt, so Rosar: „Sie merken das ja gerade mit Blick auf die Ukraine im Vergleich zu den arabischen Flüchtlingen: Da spielen auch kulturelle Vorurteile oder wahrgenommene kulturelle Nähe oder Distanz eine viel größere Rolle als die reine äußere Erscheinung wahrscheinlich.“

Wenn Menschen aus fremden Kulturkreisen automatisch weniger attraktiv wirken als Deutsche ohne Migrationsgeschichte*, hat das große gesellschaftliche Brisanz: Denn weiterhin werden Migranten und Flüchtlinge nach Deutschland kommen und wir brauchen auch dringend Arbeitskräfte aus fremden Ländern. Reinhard Schunck sammelt deshalb empirische Daten darüber, wie die Attraktivität von Menschen bewertet wird, deren Wurzeln in anderen Kulturen liegen.

„Das machen wir, indem wir Versuchspersonen Fotos vorlegen, das sind dann Personen, die entweder als ‚typisch deutsch‘ oder als typisch für einen Migrationshintergrund eingeschätzt werden oder auch ambivalente Personen. Und dann schauen wir, wie weit diese Personen als attraktiv oder weniger attraktiv bewertet werden. Und dann variieren wir die Beschreibung: Wir nehmen dasselbe Foto und einmal wird die Person als Angehörige einer ethnischen Minderheit und einmal als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft beschrieben.“

Attraktivität erzeugt Ungerechtigkeit im Berufsleben

Ergebnisse liegen dem Wuppertaler Professor noch nicht vor, aber er plant schon eine Anschluss-Studie: Mithilfe der Fotos will er auch ermitteln, wie groß die Chancen der Migranten sind, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Ein entscheidender Punkt, denn: Obwohl Attraktivität nichts über die Leistungsfähigkeit eines Menschen aussagt, haben Attraktive berufliche Vorteile. Das ist empirisch bereits belegt, berichtet Reinhard Schunck: „Schon im ersten Schritt, also bei der Bewerbung an sich, stellen wir fest, wenn Sie also attraktiver sind, haben Sie eine 2 bis 7% bessere Chance, als wenn Sie weniger attraktiv sind – und das bei gleicher Qualifikation.“

Wie viel in der Folge beruflicher Erfolg, etwa der Aufstieg auf der Karriereleiter, mit Attraktivität zu tun hat, ist schwer zu untersuchen, bedauert der Soziologe. Beim Einkommen ist immerhin ein Zusammenhang gemessen worden: „Da gibt es eine ganze Reihe von Studien, die davon ausgehen, dass attraktive Personen von 50 Cent bis 2 Euro mehr verdienen pro Stunde in Deutschland.“ Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten, schränkt Schunck ein, weil die Forscher vermutlich nicht alle beruflichen Einflüsse kontrollieren konnten.
Ulrich Rosar hat den Zusammenhang mit seinem Team an der Uni Düsseldorf ebenfalls dokumentiert. „Wir haben selbst begonnen mit Studien in Schulen und konnten auch nachweisen, dass Leistung im Beruf in Abhängigkeit von der Attraktivität unterschiedlich beeinflusst wird, dass sich das Einkommen unterscheidet. Das sind diskriminierende Effekte, die manchmal sogar stärker sein können als die, die wir fürs Geschlecht kennen oder beim gender-pay-gap; oder eben auch noch damit interagieren.“
Eine attraktive junge Frau sitzt bei einem Bewerbungsgespräch einem kahlköpfigen Personaler gegenüber, der in ihre Bewerbungsmappe schaut (Stockfoto/Symbolfoto)
Bei der Bewerbung mag Attraktivität einer Frau vielleicht helfen - beim späteren Fortkommen nicht unbedingt (imago/Manja Elsässer)

„Beauty is beastly!“

Wenn die Faktoren Attraktivität und Geschlecht zusammentreffen, kann der Effekt besonders gemein sein. Vor allem für Frauen, die bei Einkommen und Aufstiegschancen ohnehin meist benachteiligt sind: „Frauen werden in bestimmten Berufsfeldern für ihr Geschlecht abgestraft beim Einkommen und wenn sie attraktiv sind, werden sie noch mal stärker abgestraft. Das ist vorzugsweise in männlich konnotierten Feldern wie Top-Management, Militär, Universitäten.“

Dahinter steckt das fatale Attraktivitäts-Stereotyp, das in unserem Gehirn wirkt: Attraktiven sprechen wir automatisch günstigere Eigenschaften zu – aber die sind vom Geschlecht abhängig: Attraktiven Frauen unterstellen wir besonders stark ausgeprägte, vermeintlich weibliche Eigenschaften: Dass sie vielleicht verständnisvoll und einfühlsam seien, aber nicht durchsetzungsfähig.
Folglich werden Frauen in traditionellen Männerberufen systematisch benachteiligt: Die gut aussehende Managerin gilt als nicht tough genug, der schicken Professorin wird ein Mangel an Rationalität angedichtet. Umgekehrt trifft es auch attraktive Männer in Berufen, die als weibliche Domäne gelten.

„Das ist das Attraktivitäts-Stereotyp, das zwar grundsätzlich dazu führt, dass wir diesen Menschen positive Eigenschaften zuschreiben, aber auch, je attraktiver sie sind, desto mehr geschlechtsbezogene Eigenschaften. Es gibt gar keine empirischen Korrelationen, dass das wirklich so ist, aber das sind unsere Vorurteile, die mit einem Fingerschnipp in unserem Hirn aktiviert werden.“ Und dann massive Ungerechtigkeit bewirken.

Bewerbungen ohne Fotos könnten helfen - zunächst

Was kann man dagegen tun? Ulrich Rosar konzentriert sich vor allem auf die Bewerbungssituation. Als erstes sollte man auf Fotos der Bewerber verzichten: eine deutsche Besonderheit, die in kaum einem anderen Land üblich ist. Dann wäre es wichtig: „Dass möglichst viel im Blindverfahren durchführen. Also zum Beispiel keine personalisierten Bewerbungen mehr den Entscheidern vorlegen, sondern eine unbeteiligte Person überträgt die Kriterien in den Bewerbungen in eine Excel-Datei und diese Excel-Datei wird dann den Entscheidern vorgelegt und die wählen dann erst mal auf der Grundlage aus.“

„Trotzdem wird Attraktivität im Bewerbungsprozess weiterhin eine Rolle spielen, weil ja dann spätestens beim Bewerbungsgepräch, da lässt es sich ja schwer verhindern, dass die Personen einander sehen“, gibt Reinhard Schunck zu bedenken. Am Ende hilft wohl nur, sich bewusst zu machen, dass wir unser Gegenüber auf den ersten Blick aufgrund unbewusster Abläufe im Gehirn bewerten – und nicht auf der Basis unserer Menschenkenntnis.
*An dieser Stelle haben wir einen Begriff präzisiert