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Neue Zoonosen
Brasilien als Inkubator für die nächste Pandemie?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Krankheitserreger können aus dem Tierreich auf Menschen überspringen - mit fatalen Folgen. Die nächste Zoonose könnte aus Brasilien kommen, erklärt nun ein Forschungsteam im Fachjournal "Science Advances".

Von Volker Mrasek | 30.06.2022
Rauch steigt aus dem Regenwald im Amazonas bei einem Brand.
Das Vordringen des Menschen in den brasilianischen Regenwald könnte neue Zoonosen hervorbringen (dpa-Bildfunk / AP / Leo Correa)
Brasilien sei „ein potenzieller Brutkasten für die nächste Pandemie“. Das schreibt das brasilianisch-portugiesische Forschungsteam wortwörtlich in seiner neuen Studie. Das Land stecke in einer schweren politischen und ökologischen Krise. Teile der Bevölkerung verarmten immer mehr und ernährten sich zunehmend von Buschfleisch, also von wildlebenden Säugetieren. Dadurch wächst die Gefahr für Zoonosen - dafür, dass Krankheitserreger von ihren natürlichen Wirtstieren auf den Menschen überspringen.
Darunter könnten auch die Auslöser einer neuen Pandemie sein, warnt die Ökologin Cecilia Andreazzi aus dem Oswaldo-Cruz-Institut in Rio de Janeiro: “Wenn die Leute das Fleisch verarbeiten, kommen sie in Kontakt mit Blut oder vielleicht auch mit Fäkalien. Sie können verschiedene Viren enthalten, die in den Tieren vorkommen und beim Menschen hämorrhagisches Fieber auslösen würden. Nur eine kleine Wunde an der Hand, und es kommt zum direkten Kontakt mit den Erregern und möglicherweise auch zu ihrer Übertragung!“       

Mücken und Zecken als Überträger

Nicht nur die zunehmende Armut ist ein Problem, sondern auch das weitere Vordringen des Menschen in den Regenwald am Amazonas. Unter der gegenwärtigen rechtspopulistischen Regierung wird nun sogar in Gebieten gerodet, die bisher gänzlich unberührt waren.
Dort ist nicht nur die Artenvielfalt unter Tieren und Pflanzen hoch, sondern auch unter Viren und Bakterien, sagt die Wissenschaftlerin: “Wenn wir an Krankheitserreger denken, die das Potenzial haben, epidemisch zu werden, dann handelt sich um leicht übertragbare. Arboviren sind hier eine wichtige Gruppe. Sie werden von Mücken und Zecken übertragen. Es gibt eine Vielzahl von Arboviren in Brasilien und Studien, die zeigen, dass sie auch schon auf Bauarbeiter in gerodeten Regenwaldgebieten übertragen wurden. Leider kennen wir aber längst nicht alle Arboviren und wissen auch nicht, wo sie zirkulieren.“                                                          

Laxe Umweltauflagen, schlechte medizinische Versorgung

Laut der brasilianischen Forscherin sind es kleine, entlegene Siedlungen im Amazonas-Regenwald, in denen eine Epidemie am ehesten ihren Ausgang nehmen und vielleicht sogar zu einer Pandemie werden könnte. Nicht nur, weil die Zahl möglicher Zoonose-Erreger mitten im Regenwald am höchsten sei. Sondern auch, weil sich ein Krankheitskeim nach dem Überspringen auf den Menschen schnell ausbreiten würde.
Cecilia Andreazzi: “In den entlegenen Regenwaldgebieten sind die Umweltauflagen am laxesten, jedenfalls in Brasilien. Vor allem dort gibt es illegalen Bergbau, illegale Jagd und illegale Entwaldung – aber keine richtige medizinische Versorgung! Wer sich in einem entlegenen Ort infiziert und an einer Zoonose erkrankt, müsste über weite Strecken in größere Städte transportiert werden. Das würde die Ausbreitung der Krankheit zusätzlich begünstigen.“                                                                   

Ähnliche Situation auch in anderen Staaten

In Sao Paulo kam es vor über 25 Jahren zu Todesfällen durch das Saba-Virus. Es löste hämorrhagisches Fieber und innere Blutungen aus. Wahrscheinlich war der Erreger von Nagetieren auf den Menschen übergesprungen. Die Gesundheitsbehörden reagierten schnell, kontrollierten das Geschehen und erstickten die Zoonose so gewissermaßen im Keim.
Um das auch in Zukunft verhindern zu können, müssten Forschung und Überwachung in diesem Feld auf jeden Fall verstärkt werden, schreiben Cecilia Andreazzi und ihre Fachkollegen in der neuen Studie. Nötig sei es auch, die Bevölkerung darüber aufzuklären, wie man Fleisch von Wildtieren hygienisch verarbeitet. Brasilien sei im Übrigen nicht das einzige Land, in dem eine neue Pandemie entstehen könne. Dieses Risiko bestehe auch in anderen arten- und waldreichen Tropenländern.