In Deutschland wurden inzwischen fast 180 Millionen Impfdosen gespritzt. Jeder und jede 20. hat sogar schon eine vierte Impfung erhalten. Verglichen damit ist die Impfquote anderswo mickrig. Im Kongo, auf Haiti und im Jemen beträgt sie zum Beispiel nur rund ein Prozent. Von globaler Impfgerechtigkeit kann also keine Rede sein, meint der Virologe und Impfstoffforscher Stephan Becker vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung.
„Das hat noch nicht so gut funktioniert, und da müssen sicherlich neue Maßnahmen ergriffen werden beziehungsweise müssen neue Strategien entwickelt werden, wie man dazu kommt.“
Covax-Initiative ging lange leer aus
Dabei gab es durchaus eine Strategie. Die Weltgesundheitsorganisation hatte schon kurz nach Beginn der Pandemie die Covax-Initiative angestoßen: Das Kürzel steht für "Covid-19 Vaccines Global Access", also für einen globalen Impfstoffzugang. Über 165 Nationen machten mit, aber als die ersten Corona-Impfstoffe zugelassen wurden, sorgten sich die reicheren Länder zunächst um ihre eigene Bevölkerung und sicherten sich hunderte Millionen Dosen. Covax ging deshalb lange leer aus.
Debatte um Impfstoff-Patente
„Wir glauben tatsächlich, dass ein entscheidender Schlüssel auch für künftige Pandemien es ist, dass man möglichst an vielen Standorten lokale Produktionsstätten aufbaut.“
Maike Schwarz hat bei der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen 120 Unternehmen in Afrika, Asien und Lateinamerika identifiziert, die bereit und in der Lage wären, Impfstoffe herzustellen.
Doch das dafür benötigte Wissen ist durch Patente geschützt. Die überwiegende Mehrheit der Nationen bei der Welthandelsorganisation unterstützt zwar eine zeitweise Aussetzung der Patente. Aber einige Länder, darunter auch Deutschland, sind gegen diesen Vorschlag. Auch Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller ist skeptisch.
„Sie brauchen für all diese Entwicklungen immer auch privates Investorengeld. Und wenn Sie als erfinderische Firma einem Investor nicht sagen können ‚Jawohl, was ich hier entwickle, das kann ich auch patentieren‘, dann werden Investoren sagen: Nein danke. Das heißt, mit Patenten ist es leichter, schnell die nötigen Mittel zu haben, was Neues zu entwickeln.“
Lizenzen für Impfstoffherstellung
Außerdem seien Patente ohne das dazugehörige Know-How wenig wert, betont Rolf Hömke. Sein Verband setzt stattdessen auf Lizenzen, also konkrete Partnerschaften. AstraZeneca hat einen Vertrag mit dem indischen Impfstoffhersteller Serum Institute of India, BioNTech kooperiert mit afrikanischen Unternehmen. Aber das sind langfristige Projekte. Ein schnellerer Technologietransfer wäre zum Beispiel über den mRNA-Vaccine Technologie Transfer Hub der Weltgesundheitsorganisation möglich oder über den „Medicines Patent Pool“. Doch lange waren weder Nationen noch Unternehmen bereit, ihre Innovationen hier einzubringen. Das ändert sich allerdings gerade. US-Präsident Joe Biden beim globalen Corona-Gipfel im Mai:
“Heute kündige ich an, dass die USA entscheidende COVID-19-Technologien über die Weltgesundheitsorganisation zur Verfügung stellen, darunter das stabilisierte Spike-Protein, die Basis vieler Impfstoffe.“
Afrikanische Länder müssten Zulassungsbehörden modernisieren
Der US-Impfstoffhersteller Moderna will seinen Patentanspruch im globalen Süden nicht durchsetzen, und auch Patente für wichtige Corona-Medikamente sind inzwischen im Patent-Pool. Bei einer künftigen Pandemie könnte man von Beginn an so vorgehen und erfolgreiche Impfstoffe schnell an vielen Orten produzieren. Das wäre aber nur der erste Schritt zu einer gerechteren globalen Impfstoff-Verteilung, sagt der Virologe Stefan Becker aus Marburg. Die Länder Afrikas müssten außerdem ihre Zulassungsbehörden modernisieren.
„Ein wichtiger Punkt darüber hinaus ist natürlich, dass man auch die Menschen, die dann diesen Impfstoff bekommen sollen und die das akzeptieren müssen, wenn sie das wollen, entsprechend vorbereiten muss.“
Impfstoffverteilung als Herausforderung
Aktuell gibt es zwar genug Impfstoff, aber kaum Nachfrage. Aspen Pharmacare, der Produktionspartner von Johnson&Johnson in Südafrika, kann seine Dosen nicht verkaufen. Das liegt zum einen an Vorbehalten in der Bevölkerung. Aber auch an der Herausforderung der Impfstoffverteilung, so Richard Hatchett von CEPI, einer Organisation, die die Entwicklung von Pandemie-Impfstoffen fördert.
„Die Probleme rühren daher, dass die Länder Bevölkerungsgruppen erreichen müssen, die sie noch nie geimpft haben."
„Klar sind da auch die ärmeren Länder in der Pflicht und müssen da auch investieren, damit sie tatsächlich auch in die Lage versetzt werden, groß angelegte Impfkampagnen auch umzusetzen, tatsächlich auch die Impfstoffe sozusagen in die Arme der Menschen zu bekommen.“
Auch hier sind die Geberländer gefordert, findet Maike Schwarz von Ärzte ohne Grenzen. Damit es bei der nächsten Pandemie überall sowohl Impfstoff gibt, als auch die Strukturen, um ihn schnell in entlegene Regionen und zu benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu bringen.