Samstag, 20. April 2024

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Generaldebatte im Bundestag
Es fehlt der Politik an konsistenten Rezepten

Die Generaldebatte im Bundestag habe gezeigt, dass die Politik keine tragfähigen Konzepte besitze, um der sogenannten Zeitenwende angemessen zu begegnen, kommentiert Ann-Kathrin Büüsker. Wirtschaftswachstum und baldige Rückkehr zur Schuldenbremse seien angesichts der Lage unrealistische Rezepte.

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Büüsker | 01.06.2022
Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht in der Generaldebatte der Haushaltswoche im Bundestag.
Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Generaldebatte im Bundestag am 1. Juni 2022 (Michael Kappeler/dpa)
In der Politikbeobachtung gibt es die durchaus problematische Tendenz, politische Auseinandersetzung nach dem Schema eines Pferderennens zu bewerten. Wer ist als erster durchs Ziel gekommen? Wer hat sich durchgesetzt? Wer hat die Nummer gewonnen? Politische Auseinandersetzung wird auf einzelne Personen zugespitzt, häufig gar ein Zweikampf inszeniert.
Würde ich diesen Maßstab anlegen, könnte ich aus der vierstündigen Generaldebatte ein Duell konstruieren. Oppositionsführer Friedrich Merz gegen Bundeskanzler Olaf Scholz. In dem Friedrich Merz sich des rhetorischen Mittels der Frage bediente und den Bundeskanzler so in gleich mehreren Themenbereichen zu Positionierungen zu zwingen versuchte – während Merz sich selbst geschickt davor drückte, irgendwo Farbe zu bekennen.

Komplexität der Debatte - und der Lage

Ich würde außerdem beschreiben, wie Olaf Scholz sich endlich mal von seinem Redemanuskript löste, den Scholzomat beiseiteließ und sich ausnahmsweise zur freien Rede und echten Antworten entschied. Eine gelungene Parade gegen seinen Konkurrenten – und so würde ich, dem Erklärungsmodell des Wettbewerbs folgend, zu dem Schluss kommen, dass der Bundeskanzler dieses Duell knapp gewonnen hat.
Das würde der Komplexität der langen Debatte allerdings nicht gerecht – und schon gar nicht der Komplexität unserer derzeitigen Realität –, die sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fundamental verändert hat. Die Verfasstheit unseres noch immer fossil aufgestellten Wirtschaftssystems gerät ins Wanken, der Motor unseres Wohlstands erleidet nach der Coronapandemie bereits die zweite Fehlzündung – die steigende Inflationsrate ist einer der sichtbaren Indikatoren des dadurch entstehenden Drucks.

Die Realität fordert mehr als Waffen und Bundeswehr-Milliarden

Doch die Politik hat weiterhin keine tragfähigen Konzepte, dieser Zeitenwende angemessen zu begegnen, das hat auch die heutige Debatte gezeigt. Ja, Deutschland liefert jetzt Waffen an die Ukraine, ja, die Bundesregierung investiert in den kommenden Jahren Milliarden in den Zustand der Bundeswehr. Aber sich der neuen Realität anzupassen, wird noch so viel mehr erfordern.
Und hier scheinen Bundesregierung wie Opposition weiterhin ratlos zu sein oder nach Konzepten der Vergangenheit zu greifen. Dringend nötig wäre es etwa, darüber nachzudenken, ob uns angesichts dieser Lage kräftiges Wirtschaftswachstum allein aus der Misere helfen wird. Auch angesichts der Inflation und anhaltender Lieferkettenprobleme scheint hier ein Umdenken notwendig. Auch in der Finanzpolitik wäre es an der Zeit, sich ehrlich zu machen. Dieses Jahr kräftige Verschuldung, damit im kommenden Jahr aber definitiv auf jeden Fall und unter allen Umständen wieder die Schuldenbremse gelten soll – das scheint angesichts der Lage unrealistisch. Stets weiter darauf zu beharren, wie es vor allem die FDP tut, wird zunehmend unglaubwürdig.
All das zeigt: Es fehlt der Politik an konsistenten Konzepten – und das sind keine guten Aussichten.