Archiv

Krieg in der Ukraine
Jurist Gerd Hankel über mögliche Verfolgung von Kriegsverbrechen

Kann man die Kriegsverbrechen in der Ukraine ahnden? Kann man den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Verantwortung ziehen? Das versucht der Jurist Gerd Hankel zu klären, indem er in seinem Buch auf die Geschichte des Völkerrechts schaut.

Von Annette Wilmes |
Ein Portrait des Autors Gerd Hankel und das Buchcover „Putin vor Gericht? Möglichkeiten und Grenzen internationaler Strafjustiz“
Der Internationale Strafgerichtshof sei der Ort, um Russlands Präsidenten Putin zur Rechenschaft zu ziehen, meint Gerd Hankel. (Cover Zu Klampen Verlag / Portrait (c) Dorothea Hankel)
Die Forderung, Putin vor Gericht zu stellen, hält Gerd Hankel nicht für falsch. Das Fragezeichen im Titel des Buches - „Putin vor Gericht? Möglichkeiten und Grenzen internationaler Strafjustiz“ - bedeutet viel mehr, dass nicht klar ist, wie das geschehen kann. Hankel schreibt in der Einleitung seines Buches:
„Welches Recht kommt überhaupt zur Anwendung, um die in der Ukraine begangenen Verbrechen ahnden zu können? Vor welchem Gericht können diese Verbrechen zur Anklage gebracht werden? Schließlich – und da Gegeneinwände zu erwarten sind: Wie steht es um Legitimation und Geltungskraft der internationalen Strafjustiz in Bezug auf die Ukraine und darüber hinaus?“
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, blickt Gerd Hankel zunächst auf die Anfänge des humanitären Völkerrechts. Erst im 19. Jahrhundert wurden die Verwundeten auf dem Schlachtfeld als Menschen wahrgenommen, die der Hilfe bedurften. Florence Nightingale organisierte Hilfe für verletzte Soldaten im Krimkrieg, Henry Dunant gründete das Internationale Komitee vom roten Kreuz.

Von den Anfängen bis zum Internationalen Strafgerichtshof

1899 und 1907 wurden auf den beiden Haager Friedenskonferenzen unzulässige Methoden der Kriegführung, die Behandlung von Kriegsgefangenen und der Schutz von Kriegsopfern in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen festgeschrieben.
„Ich wollte darstellen, wie ist überhaupt der Gedanke, dass so jemand wie Putin angeklagt werden muss, begründet, wie ist diese Idee rechtlich verankert? Wann kam die Vorstellung auf, dass in einem Krieg nicht jede Schweinerei erlaubt ist, dass man also auch der menschlichen Destruktivität Grenzen setzen muss. Wann tauchte zum Beispiel der Begriff des Opfers auf, um das man sich kümmern muss? Das wollte ich darstellen.“
Die Kriegsverbrecher-Prozesse nach dem Ersten Weltkrieg in Leipzig und der Hauptkriegsverbrecher-Prozess nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg waren Meilensteine auf dem langen Weg, an dessen vorläufigem Ende die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs stand, der 2002 seine Arbeit aufnahm. Das sei auch die geeignete Strafinstanz für Putin, meint Gerd Hankel:
„Der Internationale Strafgerichtshof, das wäre die ideale Adresse. Der hat sich ja auch schon mit anderen hochrangigen Angeklagten beschäftigt. Das wäre die ideale Adresse für Putin und für Putins Straftaten.“
Es geht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zum Beispiel Folter, vorsätzliche Tötung, Ausrottung und Vertreibung der Bevölkerung. Taten, die zweifellos auch im Ukraine-Krieg begangen wurden. Gerd Hankel schreibt:
„Russische Soldaten, die entgegenkommende Radfahrer erschießen, die Passanten beiläufig per Kopfschuss töten oder zerstörerische sexualisierte Gewalt praktizieren, nicht einmal, sondern mehrfach, bei jeder sich bietenden Gelegenheit und an vielen Orten; diese Soldaten begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ebenso auch diejenigen neuen Bürgermeister und Polizeichefs, die Menschen aus besetzten Gebieten deportieren lassen, in nicht wenigen Fällen spurlos.“
Taten, die in einem Strafprozess bewiesen werden müssen. NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch ermitteln bereits, aber auch der Internationale Strafgerichtshof hat Experten in die Ukraine geschickt, um Beweise zu sichern. Wichtig sei, dass nicht einseitig ermittelt werde, im laufenden Krieg gebe es Verbrechen auf beiden Seiten.

Die Suche nach den Hauptverantwortlichen

Auch ein Staatsoberhaupt kann bestraft werden. Gerd Hankel schreibt von der Vorgesetztenverantwortlichkeit und dem „Täter hinter dem Täter“. Nicht nur Soldaten, sondern auch Befehlshaber müssen belangt werden können.
„Eigentlich ist dieses Völkerrecht ja auch ein Recht, was die ganz oben ins Visier nimmt. Die sollen bestraft werden können. An deren Adresse soll dieses Völkerstrafrecht abschreckend wirken. Es geht nicht um den kleinen Mitläufer. Es geht nicht um den kleinen Fisch, nein, man möchte die großen Fische fangen und bestrafen können. Und das ist sehr wichtig.“
Gerd Hankel beschreibt eindrucksvoll die komplizierte und sehr langwierige Entwicklung des humanitären Völkerrechts. Er verschweigt auch nicht die Kritik, die mitunter am Internationalen Strafgerichtshof geäußert wird, dass die überwiegende Mehrheit der Verfahren sich mit Tätern aus schwachen afrikanischen Staaten befasst.
Trotz aller Schwierigkeiten, die Gerd Hankel in allen Facetten darstellt und mit zahlreichen Beispielen von Menschenrechtsverletzungen in Kriegen belegt, setzt er Hoffnungen in das Internationale Strafrecht, auch im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen in der Ukraine.
„Denn die Unerträglichkeit des Gedankens, dass man diese Schrecken, die menschengemachten Katastrophen, tatenlos hinnehmen muss, ist sehr groß. Und das wiederum befördert den Willen vieler Menschen, diesen Gedanken, dass also dem eine Grenze gezogen werden muss und dass die Mächtigen für das, was sie verbrochen haben, bestraft werden müssen, dass dieser Gedanke immer stärker wird.“
Gerd Hankel: „Putin vor Gericht? Möglichkeiten und Grenzen internationaler Strafjustiz“, Verlag zu Klampen, 134 Seiten, 14 Euro.