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Szenarien zum Krieg in der Ukraine
Russischer Oppositioneller hält Palastrevolution gegen Putin für wahrscheinlich

Das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin wird den Krieg gegen die Ukraine nach Ansicht von Leonid Wolkow wohl nicht überleben. Der Krieg könne aber noch Jahre dauern, sagte der russische Oppositionelle im Dlf.

Leonid Wolkow im Gespräch mit Moritz Küpper | 24.08.2022
Leonid Wolkow, russischer Oppositionelle und Direktor der von Alexei Nawalny gegründeten Anti-Korruptions-Stiftung, bei einem Besuch im EU-Parlament in Strasbourg am 15. Dezember 2021
Der Anschlag auf die Putin-Unterstützerin Dugina sei „ein wichtiges Signal“ an Russlands Eliten, findet Leonid Wolkow, Direktor der von Alexei Nawalny gegründeten Anti-Korruptions-Stiftung (picture alliance / AP / Jean-Francois Badias)
Der russische Oppositionelle Leonid Wolkow ist politischer Direktor der von Alexei Nawalny gegründeten Anti-Korruptions-Stiftung. Er hält ein rasches Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine für nicht wahrscheinlich - der Krieg werde noch zwei, drei Jahre dauern, sagte er im Deutschlandfunk. Ein Waffenstillstand wäre für die Ukraine nicht akzeptabel. Der russische Präsident Wladimir Putin würde diesen nur als Pause betrachten - vor der nächsten, noch tödlicheren Situation. Wolkow geht aber davon aus, dass ein Ende des Kriegs auch das Ende des Putin-Regimes bedeuten wird.
Die Möglichkeit eines Volksaufstands in Russland stuft er als sehr gering ein - dafür sei die Unterdrückung der Zivilgesellschaft zu massiv. Für möglich hält er aber einen Elitenkonflikt und eine Palastrevolution derer, die Putin nahestehen. Präsident Putin habe den "Lifestyle" der russichen Eliten ruiniert.
Das Bombenattentat auf die russische Kriegsbefürworterin und Tochter des bekannten Nationalisten Alexander Dugin hält er für ein "sehr wichtiges Signal" an die Eliten. Sie könnten sich selbst in Moskau nicht mehr sicher fühlen. "Alle Kriegsverbrecher Putins fühlen sich jetzt sehr unruhig". Wolkow geht davon aus, dass sich solche Terroranschläge wiederholen werden.

Putin leide unter Realitätsverlust

Im Rückblick auf Putins Kriegsbefehl gegen die Ukraine vor sechs Monaten sagte Wolkow, er habe nicht damit gerechnet. Denn der Angriff würde Russland in eine ökonomische Katrastrophe führen. Zudem sei ein militärischer Sieg nicht möglich. Erklären könne er sich das nur durch die Isolation des russischen Präsidenten. Umgeben von einem sehr engen Kreis von Generälen habe Putin seine Entscheidung "auf ganz falschen Informationen" basiert.
Wolkows Buch „Putinland. Der imperiale Wahn, die russische Opposition und die Verblendung des Westens“, erscheint im Oktober. Darin analysiert er die Entwicklung von Putins Aufstieg bis zum Ukraine-Krieg.
Das Interview in voller Länge:
Moritz Küpper: Herr Wolkow, wie überrascht waren Sie, als Putin vor sechs Monaten diesen Kriegsbefehl gab, die ganze Ukraine anzugreifen?
Leonid Wolkow: Ich war eigentlich sehr überrascht. Meine Analyse war, dass das nie passieren soll. Ich habe gedacht, das wäre doch Wahnsinn, weil das zu einer ökonomischen Katastrophe führen wird in Russland, und auch, dass ein militärischer Sieg nicht möglich wäre. Das war eigentlich richtig, ein militärischer Sieg ist nicht passiert und eine ökonomische Katastrophe in Russland ist geschehen.

Putins Kriegsbefehl basierte auf „ganz falschen Informationen“

Küpper: Warum hat Putin dann trotzdem diesen Kriegsbefehl erteilt? Wie erklären Sie sich diesen Schritt dann?
Wolkow: Ich würde das durch seine Isolation erklären. Angela Merkel hat das in 2014 gesagt: "He is not in toutch with the reality". Er hat den Kontakt mit der Realität verloren und in den letzten zwei Covid-Jahren hat sich diese Isolation noch vermehrt. Man kann sagen, wahrscheinlich in den letzten Jahren hat er nur mit einem ganz engen Kreis seiner Generale gesprochen und er hat seine Entscheidungen auf ganz falschen Informationen basiert.
Küpper: Das heißt, Putin ist wirklich isoliert und dieses Bild, er sitzt alleine an diesem langen Tisch, das auch auf Ihrem Buch-Cover ist und was wir alle kennen, das trifft die Realität ziemlich gut?
Wolkow: Ja, genau. Das ist, was passiert ist. Aber das hat uns auch zu einer unheimlichen Tragödie gebracht. Das ist das Problem. Seine Isolation ist leider nicht nur sein Problem, sondern das Problem der ganzen Welt jetzt.
Küpper: Wie gefährlich ist denn diese Lage, wenn Putin so isoliert ist, auch im Hinblick auf das russische Atomwaffen-Arsenal, auch auf die Entwicklung dieses ganzen Krieges?
Wolkow: Er sieht jetzt, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. Also soll er nachdenken, wie eine Exit-Strategie für ihn aussehen könnte, und Gott weiß, auf welche Entscheidungen er dann kommt.

Szenarien für ein Ende des Krieges

Küpper: Was glauben Sie? Welche Szenarien gäbe es für ein Ende dieses Krieges oder, wie Sie schreiben, ein Ende dieses Putin-Landes?
Wolkow: Ich kann sagen, was nicht möglich ist für ein Szenario, nämlich ein Waffenstillstand und eine neue grüne Linie in der Landschaft. Das ist nicht möglich, das ist nicht akzeptabel für die Ukraine und auch hoffentlich nicht akzeptabel für den Westen. Weil wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, dann bedeutet das nur, dass Putin diesen als eine Pause betrachten wird, und die nächste Situation wird dann tödlicher sein als diese. Das versteht man jetzt, glaube ich, ziemlich gut auch im Westen. Ich treffe viele Politiker, ich reise jetzt viel, ich war letzte Woche in Berlin und habe da mit vielen Leuten gesprochen. Das verstehen alle.
Russlands Sieg über die Ukraine, würde ich sagen, ist auch unmöglich. Eine totale Mobilisation gibt es jetzt in Russland nicht. Die Ukraine ist viel stärker geworden und es ist Putin nicht gelungen, in drei oder vier Tagen Kiew zu erobern, und ich glaube, es kann jetzt kaum geschehen. So bleiben wir in einer dritten Möglichkeit und diese dritte Möglichkeit ist ein ukrainischer Sieg, aber das braucht so viel Zeit. Meine Vorhersage ist leider ziemlich pessimistisch im Sinne, dass wir verstehen sollen, dieser Krieg bleibt mit uns für zwei, drei Jahre zumindest.

"Ich hoffe auf einen echten Elitekonflikt in Russland"

Küpper: Und so lange kann Putin sich auch in Russland an der Macht halten, oder wie würden Sie das beschreiben, die Stimmung im Land, auch die Zustimmung oder Nicht-Zustimmung der Bevölkerung für diesen Krieg?
Wolkow: Über die Zustimmung der Bevölkerung können wir nicht viel sagen. Ein normaler Mensch in Russland kann einfach diese Frage nicht beantworten, ob sie diesen Krieg unterstützen oder nicht, weil die Leute wissen auch, dass die falsche Antwort eine 15 Jahre langen Verhaftung bringen kann. Ich kann aber sagen, dass die Unterstützung Putins in seiner Elite jetzt sehr niedrig ist, weil zum Beispiel das ganze Lifestyle für seine Angehörigen jetzt ruiniert ist. Worauf ich eigentlich hoffe, damit dieser Krieg nicht dreieinhalb Jahre dauert, ist ein echter Elitenkonflikt in Russland.
Küpper: Sie beschreiben dieses Putin-System, auch das System der Oligarchen, was Sie gerade skizziert haben, als ein Mafia-System, Aussteigen verboten. Dennoch gibt es jetzt ja auch Oligarchen, die sich im Zuge dieses Krieges abgewandt haben. Ist das die wirklich große Gefahr für Putin?
Wolkow: Das ist die größte Gefahr für ihn und er versteht das auch ganz gut. Was zum Beispiel mit Anatoli Tschubais passiert ist, ob das eine Vergiftung war oder nicht, verstehen alle Oligarchen aus Putins Kreis als eine sehr klare Warnung.

Anschlag auf Putin-Unterstützerin: Signal an Russlands Eliten

Küpper: Es gab jetzt auch in jüngsten Tagen einen Bombenanschlag auf Daria Dugina, eine Kriegsbefürworterin, in der Nähe von Moskau, in einer Gegend, wo die Reichen und Mächtigen wohnen. Wie ungewöhnlich ist das?
Wolkow: Ich bin ein bisschen überrascht, dass das nicht früher passiert ist, weil okay, zirka zwei Millionen ukrainische Staatsangehörige wohnen jetzt auf okkupierten Ländern. Hunderttausende davon haben alles verloren. Ihre Häuser sind zerstört und Verwandte wurden ermordet. Zehntausende davon sollen darüber nachdenken, wie sie eigentlich Rache üben könnten, und es kann auch sein, dass solche Bombenangriffe und Terroranschläge sich wiederholen werden. Und ja, das sendet auch ein sehr wichtiges Signal an die russischen Eliten, weil die können sich nicht sicher fühlen, sogar in Moskau.
Was mit Daria Dugina passiert ist, das wissen wir noch nicht. Wir haben ja keinen Grund, dem FSB, dem Sicherheitsdienst zu trauen. Aber was wir sicher sagen können, dass alle Kriegsverbrecher Putins sich jetzt sehr unruhig fühlen, und das ist auch gut so.

Wahrscheinlichkeit eines Volksaufstandes sei "sehr gering"

Küpper: Wir haben gerade über ein womögliches Szenario für ein Ende dieses Krieges in der Ukraine gesprochen. In Ihrem Buch skizzieren Sie aber auch Szenarien für die Zeit danach in Russland selbst und meinen damit für die Zeit nach Putin. Sie skizzieren unter anderem das Szenario, dass Putin entweder stirbt, eine natürliche Variante, dass es eine Palastrevolution gibt oder einen Volksaufstand von unten. Was halten Sie denn für die Situation in Russland als das wahrscheinlichste Szenario?
Wolkow: Was ich gesagt habe: Ich halte jetzt die Palastrevolution für das möglichste Szenario. Ich bewerte die Wahrscheinlichkeit eines Volksaufstandes sehr gering wegen der Repressionen, wegen dem Druck, welchen Putin jetzt gegen die Zivilgesellschaft ausübt.
Küpper: Gibt es noch Protest in Russland selbst?
Wolkow: Es gibt ihn. Täglich werden doch Leute verhaftet und verurteilt für diesen Protest. Wir sehen jetzt keine größeren Demos mehr, weil auch sehr viele Repressionen gegen die Teilnehmer dieser Demos benutzt wurden, aber die Protestmeinung, die ist natürlich nicht verschwunden. Die Leute können nicht protestieren gegen Putin und gegen seinen Krieg auf den Straßen. Sie machen das, wie man das auch in der Sowjet-Zeit gemacht hat, wahrscheinlich auch in der DDR: in den Küchen mit seinen Verwandten, in kleinen sozialen Gruppen, in kleinen sozialen Netzwerken und so weiter.

Nawalny weiter strategischer Kopf der Anti-Korruptions-Stiftung

Küpper: Wie können Sie denn als Direktor und auch Ihre Stiftung, die von Alexei Nawalny gegründete Anti-Korruptions-Stiftung, wie können Sie noch arbeiten?
Wolkow: Wir arbeiten jetzt aus Vilnius, aus Litauen, und alle unsere Möglichkeiten verwenden wir dazu, um so viel wie möglich in russischer Sprache ohne Zensur über diesen Krieg und über Putins Verbrechen zu erzählen. Wir senden jetzt sechs bis acht Stunden täglich auf YouTube. Wir erreichen zwischen 12 und 15 Millionen Leute in Russland monatlich und das ist eigentlich eine große Anzahl.
Küpper: Welche Rolle spielt dabei eigentlich noch Alexei Nawalny selbst? Der sitzt ja (vergangenen Sonntag jährte sich das Ganze) seit zwei Jahren nun wieder in Haft. Welche Rolle kann er aktuell noch spielen?
Wolkow: Er ist nicht nur ein Symbol, aber er ist auch der Führer unserer Organisation, ein echter Leader. Wir bleiben durch seine Rechtsanwälte mit ihm in Kontakt. Es ist für uns möglich, die Nachrichten aus der Welt zu ihm zu bringen und auch ein Feedback von Alexei zu bekommen. Alle strategischen Entscheidungen stammen von Alexei und seine Rolle ist und bleibt sehr wichtig.

Touristen-Visa würden auch von Journalisten und Aktivisten genutzt

Küpper: Herr Wolkow, aktuell wird ja stark auch über Sanktionen diskutiert. Es ist auch viel immer von Propaganda die Rede und alles wird von der jeweiligen Seite für sich genutzt. In Deutschland, aber auch in Litauen, wo Sie ja aktuell leben, wird über die Visa-Vergabe an Russinnen und Russen diskutiert. Da geht es vor allem um Touristen-Visa, aber es geht auch darum, um in Kontakt mit Informationen zu kommen. Sollten diese Touristen-Visa aus Ihrer Sicht weiter eingeschränkt werden, oder würde Putin das, wie Sie das ja auch selber beschreiben in Ihrem Buch, wiederum propagandistisch nutzen für die Spaltung zwischen Russland und dem Westen?
Wolkow: Na ja. Putin würde alles nutzen für seine Propaganda. Propaganda braucht Nachrichten, um diese Nachrichten als Motoröl für die Propagandamaschine zu benutzen. Diese ganze Debatte, was man Touristen-Visa nennt, sind kurzfristige Visa, und normalerweise benutzen diese Visa nicht nur Touristen. Auch 95 Prozent von allen Journalisten und Aktivisten, die Russland in der letzten Zeit verlassen haben, haben auch diese kurzfristigen Touristen-Visa benutzt. Ein totaler Visa-Bann wäre sehr schlecht für sehr viele Leute, die überhaupt keine Putin-Unterstützer sind.

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Nur noch wenige Putin-Versteher im Westen

Küpper: Herr Wolkow, Sie schreiben in Ihrem Buch klar und deutlich, dass es mitunter schwerfällt in Ihrer Position, der seit Jahrzehnten gegen dieses russische Regime, wie Sie dort schreiben, kämpft, positiv zu bleiben. Aber Sie schreiben dort auch, dieser Krieg, der zeige nun, obwohl er so schrecklich ist, wie er nun eben ist, weltweit klar und deutlich, Putin ist ein Kriegsverbrecher.
Wolkow: Ja! Ich glaube, jetzt gibt es daran keinen Zweifel. Ich sollte auch ein Optimist bleiben. Anders wäre es unmöglich für mich, meinen Job zu machen. Natürlich: Das ist ein schrecklicher Krieg, ein schreckliches Verbrechen, welches jetzt schon sechs Monate dauert und viele Monate mehr dauern wird, mit tausenden von ermordeten Leuten. Es ist sehr schwierig, überhaupt von so positive Seiten zu sprechen. Man darf es wahrscheinlich nicht. Doch es werden jetzt sehr wenige Putin-Versteher im Westen bleiben und das ist wichtig, und es wird auch viel weniger von Putinism bleiben, nachdem Putin endlich weg ist.

"Keine Möglichkeiten für Putins Regime, den Krieg zu überleben“

Küpper: Der lettische Staatspräsident, Egil Levits, hat heute vor sechs Monaten hier im Deutschlandfunk gesagt, das könnte der Beginn des Endes dieses Regimes in Moskau sein. Sechs Monate später – würden Sie sagen, das ist immer noch so?
Wolkow: Ja, das sehe ich auch so. Ich sehe nahezu keine Möglichkeiten für Putin und für Putins Regime, diesen Krieg zu überleben. Das ist kaum vorstellbar. Der Krieg kommt zum Ende und Russland bleibt dasselbe, das ist unvorstellbar. Russland wird sich unheimlich verändern und jetzt sind die Sachen so schlecht, dass jede Veränderung zum Besseren wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.