Sonntag, 28. April 2024

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Helge Braun kandidiert für Parteivorsitz
"Um Wahlen zu gewinnen, muss die CDU klar in der Mitte stehen"

Der bisherige Kanzleramtschef Helge Braun bewirbt sich um den CDU-Parteivorsitz. Die CDU brauche pointierte Oppositionspolitik, eine Reform der internen Organisation und sie müsse sich zu Zukunftsfragen inhaltlich neu ordnen, sagte er im Dlf. Von einem Rechtsschwenk rät er seiner Partei ab.

Helge Braun im Gespräch mit Josephine Schulz | 13.11.2021
Helge Braun (CDU) kommt am Abend des 12.11.2021 zu einer Sitzung des CDU-Kreisverbandes Gießen. Er steht vor einer geöffneten Autotür.
Helge Braun, kurz nachdem er seine Kandidatur bekannt gegeben hat (picture alliance/dpa)
Im Januar wählt die CDU einen neuen Parteichef. Aktuell führt Armin Laschet die Partei noch, er wird sich aber nicht erneut zur Wahl stellen. Bisher haben zwei Politiker ihre Kandidatur erklärt: der Außenpolitiker Norbert Röttgen und Noch-Kanzleramtsminister Helge Braun. Beobachter erwarten, dass außerdem der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus sowie Friedrich Merz kandidieren werden.
Aus Sicht von Helge Braun warten auf den neuen Vorsitzenden und die Partei drei zentrale Aufgaben: Es brauche eine klare und pointierte Oppositionspolitik, eine Reform der Organisation der Partei und einen inhaltlichen Prozess zu den Zukunftsfragen, sagte Braun im Deutschlandfunk.
Braun ist aktuell Kanzleramtsminister und damit für die Organisation der Regierungsarbeit zuständig. Die CDU könne Stolz auf alle bisherigen Kanzlerinnen und Kanzler sein, betonte er, aber: "Es gibt kein Weiter so". Durch die Rolle in der Opposition werde sich die Arbeit der Partei fundamental verändern.


Eine seiner zentralen Stärken sieht Braun in der Einbindung der Mitglieder. Durch seine 18-jährige Erfahrung als Kreisvorsitzender der CDU sei er mit den Strukturen gut vertraut. Er wolle dafür sorgen, dass "jedes Neumitglied sich gleich aufgehoben fühlt". Das sei zentral, um neue Mitglieder anzuwerben.
Braun betonte, um auch junge Menschen an die CDU zu binden, müsse man das Thema Klimawandel besser kommunizieren. Die CDU habe eine gute Programmatik dazu, doch diese sei oft falsch wahrgenommen worden. Es sei der Eindruck entstanden, dass die Partei die Problematik des Klimawandels relativiere. Man müsse zeigen, dass man die beste Strategie habe, die auch Arbeitsplätze in Deutschland erhalten werde.
Zudem habe die CDU bei der vergangenen Wahl viele Stimmen in Richtung der Grünen und der SPD verloren. Die CDU müsse als Volkspartei in der ganzen Breite der Gesellschaft Zuspruch bekommen, sagte Braun. Das sicherzustellen, sei das oberste Ziel. Und um das zu erreichen, müsse die CDU "klar in der Mitte stehen".
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kanzleramtsminister Helge Braun bei einem Besuch im Liebig Museum und Mathematikum in Giessen
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) (imago images/Political-Moments)

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Josephine Schulz: Ihre Bewerbung kam ja relativ überraschend. Wie kam’s, war das eher so eine spontane Eingebung?
Helge Braun: Nein, wir hatten ja vor einiger Zeit eine Kreisvorsitzendenkonferenz der CDU, wo wir uns entschieden haben, dass wir die Mitglieder befragen wollen, und da war auch die Stimmung sehr eindeutig, dass man ein interessantes Kandidatenportfolio haben will, damit die Mitglieder die Auswahl haben. Deshalb hab ich mich entschieden, auch anzutreten, um ein Angebot zu machen für einen kooperativen Führungsstil, der sehr vielen auch die Möglichkeit gibt, das Gesicht der CDU der Zukunft zu prägen und für eine inhaltliche und organisatorische Erneuerung, die uns sehr schnell wieder stark macht.
Schulz: Hat da vielleicht auch der Gedanke eine Rolle gespielt, oh Gott, wenn sich jetzt nicht noch wer meldet, dann wird’s am Ende noch Friedrich Merz?
Braun: Nein. Also oh Gott braucht man nicht sagen, wir sind eine Partei, deshalb suchen wir den Gegner nicht in der eigenen Partei. Wir konkurrieren mit unterschiedlichen Ideen, wie wir diesen Aufbruch gestalten, aber egal, wer es wird, der wird am Ende unterstützt.
Schulz: Hat Angela Merkel Sie um die Kandidatur gebeten oder Ihnen zumindest dazu geraten?
Braun: Angela Merkel weiß das natürlich, und für sie war wichtig und sie hat zu mir gesagt: Wir sind auch in einer schwierigen Lage, meine Arbeit als Kanzleramtsminister muss ich, solange wir noch im Amt sind, natürlich gut auch während dieses Wahlkampfs machen. Das habe ich ihr versprochen.

Pointierte Oppositionspolitik, Organisationsreform, inhaltlicher Prozess

Schulz: Im Marketing, da spricht man immer vom Unique Selling Point, also dem einen Merkmal, was jemanden oder etwas von den anderen abhebt. Was ist Ihr Unique Selling Point?
Braun: Ich glaube, was wichtig ist, ist, ich bin jetzt seit 18 Jahren Kreisvorsitzender meiner Partei, und deshalb ist die Frage, welche Erfahrung und Kenntnis man auch hat, eine, die Mitglieder zusammenzuführen und unsere Organisationsstrukturen wieder so aufzubauen, dass jedes Neumitglied sich gleich aufgehoben fühlt, dass jeder, der zur CDU kommt, auch gleich merkt, dass ist mein Mehrwert, das müssen wir tun, damit wir wieder neue Mitglieder bekommen. Und ich glaube, da bringe ich eine besondere Erfahrung mit.
Helge Braun (CDU) spricht bei der Befragung der Bundesregierung im Plenum im Bundestag.
Helge Braun (CDU) (picture alliance/dpa)
Schulz: Also da geht’s um Parteimanagement. Sie haben ja gestern auch in Anspielung auf Ihren Beruf als Arzt gesagt, Sie wollen jetzt der Notarzt für die Partei sein. Könnte man das auch so interpretieren, Sie sind der, der nach dem Unfall die ersten Wunden flickt und dann kommt ein anderer, also ist es denkbar, dass Sie eher ein Übergangschef werden könnten, so Sie es denn werden?
Braun: Ich glaube, das, was in zwei Jahren ist, ist ja doch jetzt nicht die Aufgabe. Ich kämpfe jetzt dafür, erst mal CDU-Vorsitzender zu werden, und die Aufgabe, die dann vor uns liegt, ist dreierlei: eine klare und pointierte Oppositionspolitik. Das alleine ist aber noch zu wenig, sondern es braucht diese Organisationsreform, und wir müssen auf all die großen Zukunftsfragen auch einen inhaltlichen Prozess machen. Das haben wir zum Beispiel im Wahlkampf gemerkt. Ich finde, wir haben eine gute Programmatik, wenn es um die Bewältigung des Klimawandels und den Erhalt unserer Arbeitsplätze in Deutschland geht, aber viele haben das so wahrgenommen, als würden wir dadurch Klimawandelproblematiken relativieren. Und wenn wir junge Leute an die CDU binden wollen, dann müssen wir das so erklären können, dass wirklich jeder sagt, das ist die beste Strategie.

"Es gibt kein Weiter so"

Schulz: Aber so ein Kurs der Mitte, auch Klimaschutz als wichtiges Thema, das klingt jetzt auch sehr nach dem, was Norbert Röttgen gestern gesagt hat. Also braucht es da Ihre Kandidatur neben der von Norbert Röttgen, oder klauen Sie sich da eher gegenseitig Stimmen?
Braun: Zunächst mal ist es ja so, dass wenn es dazu kommt, dass verschiedene Wähler unsicher sind, es am Ende auch zu einer Stichwahl kommen kann, aber das Entscheidende ist doch, dass es drei Faktoren gibt. Die Mitglieder schauen sich die Kandidaten an, und sie fragen sich, welchen Führungsstil möchte ich haben, wer kann die organisatorische Erneuerung am besten und wer die inhaltliche, und wenn das alles drei gut zusammenfällt, dann kriegt man eine Stimme.
Schulz: Sie sprechen jetzt viel von Erneuerung, da stellt sich natürlich die Frage, jemand, der so eng mit Angela Merkel verbunden ist und mit der bisherigen Regierung, kann der wirklich für einen Neuanfang stehen? Es klingt eher nach „Weiter so“.
Braun: Es gibt kein „Weiter so“, sondern wir müssen als CDU und können als CDU stolz sein auf unsere Kanzlerin, unsere Kanzler, was sie in der Vergangenheit für Deutschland geleistet haben. Aber schon jetzt ist unsere Rolle eine andere. Wir sind jetzt in der Opposition, und deshalb verändert sich die Art, wie wir arbeiten, fundamental, und ich kann beides.
Schulz: Was heißt das denn, also was würden Sie konkret, was wäre der größte Punkt, der völlig anders wird als unter Angela Merkel?
Braun: Ich glaube, zunächst mal ist es so, dass wir bei den großen Themen jetzt eine intensive Parteiarbeit brauchen. In Regierungszeiten richtet sich die Partei natürlich darauf aus, die Regierung einschließlich Kompromisse zu unterstützen, und diese Kompromisse sind jetzt nicht mehr erforderlich. Das heißt, das Entscheidende ist, es kommt jetzt nur noch, aber auch sehr präzise darauf an, dass wir unsere unterschiedlichen Überzeugungen in der CDU so bündeln, dass daraus eine überzeugende Botschaft wird.

"Sehr viel Richtung SPD und Grüne verloren"

Schulz: Friedrich Merz hat letztes Mal bei der Vorsitzendenwahl bei den Regionalkonferenzen extrem viel Zuspruch von der Parteibasis bekommen, auch für seinen Kurs, wieder klarer erkennbar konservativer zu werden. Wie wollen Sie diese vielen Mitglieder überzeugen?
Braun: Ich glaube, wo wir uns alle einig sind, ist, dass klarer, erkennbarer die absolute Aufgabe der Zeit ist. Die andere Frage ist, wo steht die CDU. Und wenn man sich die Wählerwanderung jetzt bei der letzten Bundestagswahl anguckt, dann haben wir sehr viel Richtung SPD und Grüne verloren. Und deshalb, glaube ich, ist wichtig, die CDU steht in der Mitte, sie hat sozusagen ein weites Spektrum, was sie als Volkspartei mit abdeckt.
Schulz: Aber die allgemeine Wählerschaft ist ja nicht unbedingt deckungsgleich mit Ihrer Parteibasis, und die wünschen sich ja offenbar schon einen klareren Kurs, vielleicht auch ein bisschen einen Rechtsschwenk.
Braun: Das ist genau eine der Fragen, die man mit den Mitgliedern diskutieren muss, weil das oberste Ziel aus meiner Sicht ist, dass die CDU sehr bald in der Lage ist, wieder in der ganzen Breite der Gesellschaft Zuspruch zu bekommen und Wahlen zu gewinnen. Und dazu – bin ich überzeugt – muss die CDU klar in der Mitte stehen.

"Keine Spekulationen über Bouffier-Nachfolge anstellen"

Schulz: Anderes Thema: Es wird auch immer wieder darüber geredet, Sie könnten möglicherweise Nachfolger von Volker Bouffier in Hessen werden. Möchten Sie das gerne?
Braun: Ich finde, wir sind eine bürgerliche Partei, Volker Bouffier hat mit keinem Wort gesagt, dass er aufhört, und insofern sind all diese Spekulationen über seine Nachfolge, glaube ich, nichts, was man anstellen sollte.
Schulz: Dennoch wird Ihnen jetzt der Vorwurf gemacht, Sie würden sich eventuell durch diese Kandidatur profilieren wollen innerhalb der CDU, um dann irgendwann Volker Bouffier zu beerben. Das ist quatsch, sagen Sie?
Braun: Das ist quatsch, sondern mir geht es jetzt darum, wir alle haben im Oktober durch dieses historisch schlechte Ergebnis der CDU eine wirklich herbe Niederlage erlitten, und jetzt ist die große Frage, wie machen wir eine grundlegende Erneuerung. Und grundlegende Erneuerung heißt wirklich, sich mit Inhalten und mit Parteiarbeit noch mal anders zu beschäftigen. Alleine eine profilierte Oppositionsarbeit, also man verbündet sich gegen einen Dritten, das ist noch nicht die Erneuerung, die ich mir vorstelle, und deshalb kandidiere ich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.