Sonntag, 28. April 2024

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Der Streit um Ines Geipel
Die Bedeutung einer unerbittlichen Fehde

Ines Geipel setzte sich jahrelang für die Opfer des DDR-Staatsdopings ein. War sie als Ex-DDR-Leistungssportlerin doch selbst vom Regime missbraucht worden. Doch das Bild von Ines Geipel hat Risse erhalten.

Viola von Cramon und André Keil im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 26.02.2023
Ines Geipel steht vor dunklem Publikum bei einer Rede in Leipzig, 2023.
Die Schriftstellerin und frühere DDR-Leistungssportlerin Ines Geipel sorgt für Diskussionen. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
Ines Geipel, Ex-DDR-Leistungssportlerin und der ehemalige DDR-Leichtathlet und Skilanglauftrainer Henner Misersky waren einst vereint im Kampf um die Aufarbeitung der Dopingvergangenheit im DDR-Sport. Als Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins DOH setzte sich Geipel jahrelang für eine bessere Versorgung der DDR-Dopingopfer ein. 2018 gab sie den Vorsitz an den Sportrechtsanwalt Michael Lehner ab.
In dieser Zeit wurden die einstigen Weggefährten zu erbitterten Gegnern und stritten sich fast dreieinhalb Jahre. Auch vor Gericht. Worum ging es dabei?
Verhandelt wurden sieben Äußerungen von Misersky über Geipel, die ihn mit einer Unterlassungsklage belegt hatte. Misersky hatte sich kritisch zu Veröffentlichungen und Angaben im Zusammenhang mit sportlichen Leistungen von Geipel und zu ihrer vermeintlichen Opferbiografie geäußert. Misersky wirft Geipel vor, sich fälschlicherweise als Dopingopfer dargestellt zu haben.

Misersky gewann den Prozess in zweiter Instanz

Aber auch über Geipels Person hinaus geht der Streit um den Opferbegriff und um die Frage: Waren auch diejenigen Opfer des DDR-Dopingsystems, die nicht mehr minderjährig waren und die wussten, dass sie leistungssteigernde Mittel bekamen? Wie viel Aufklärung hatte es gegeben?
Von verschiedenen Seiten wird Geipel dafür kritisiert, den Skandal zu übertreiben, insbesondere mit zu hohen Fallzahlen zu argumentieren. Hier geht es um die Frage: Sind DDR-Dopinggeschädigte zugleich auch immer Dopingopfer?
Den juristischen Streit zwischen Geipel und Misersky gewann Misersky in zweiter Instanz im Oktober 2021. Das Gericht billigte dem 82-jährigen zu, die sieben strittigen Aussagen weiter tätigen zu dürfen. Allerdings hat das Gericht die Aussagen nicht inhaltlich geprüft, sondern Misersky diese als zulässige Meinungsäußerungen zugebilligt.
"Viele haben mittlerweile gemerkt, dass sie sich getäuscht haben und dass das, was Frau Geipel vorgegeben hat zu sein, nicht den Tatsachen entspricht und das muss man einfach zur Kenntnis nehmen", sagte Viola von Cramon, langjährige Grünen-Sportpolitikerin und Europaparlamentarierin im Dlf-Sportgespräch.
Viola von Cramon-Taubadel, für die Grünen im EU-Parlament
Viola von Cramon-Taubadel, für die Grünen im EU-Parlament (picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt)

Ehrliche Aufarbeitung gefordert

So lauten die Kritikpunkte an Geipel, dass diese zu Zeiten des DDR-Staatsdopings eben nicht minderjährig und auch nicht zwangsgedopt gewesen sei. Es sei eigentlich Zeit, bei Ines Geipel eine ehrliche Aufarbeitung zu betreiben und klarzustellen, dass sie kein Opfer des Systems gewesen sei, forderte von Cramon. Sie habe von der Aufmerksamkeit um ihre Person ihr Profil schärfen können.
Dem widersprach der ARD-Journalist André Keil im Dlf-Sportgespräch: "Wo gibt es eine Aussage von Ines Geipel, dass sie minderjährig gedopt wurde?" Mit Bezug generell auf die Berichterstattung forderte Keil, dass man die Fakten sauber prüfen müsse. So hätte ein vor kurzem ausgestrahlter MDR-Film (MDR-Dokumentation "Doping und Dichtung - Das schwierige Erbe des DDR-Sports) die juristisch gebilligten Meinungsäußerungen von Misersky nicht als Fakten darstellen dürfen. Ebenso dürften Zuschreibungen wie "Weltklassesprinterin" in Talkshows nicht ungeprüft übernommen werden. Der Journalismus sehe in diesen Punkten nicht gut aus. Es stünden inzwischen so viele Punkte in der Welt, die Ines Geipel kaum noch reparieren könne.
Der ARD-Sportjournalist André Keil
Der ARD-Sportjournalist André Keil hat Ines Geipel im Dlf-Sportgespräch verteidigt. (dpa / picture alliance / Gregor Fischer)

Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz dank DOH

2018 war Misersky wegen unüberbrückbarer Differenzen mit der damaligen Vorsitzenden Geipel aus der Doping-Opfer-Hilfe (DOH) ausgetreten. "Es ist wichtig, dass man für die Opfer von Missbrauch und Doping entsprechende Lösungen findet", forderte von Cramon im Dlf.
Nach 2016 habe man die Situation für die Dopingopfer der DDR enorm verbessert. Die Grünen-Politikerin verwies damit auf das zweite Dopingopfer-Hilfegesetz, welches im Juli 2016 die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen hatte, dass DDR-Dopingopfer, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, aber aus dem ersten Fonds keine Zahlung erhalten hatten, dennoch 10.500 Euro als einmalige Hilfe beziehen konnten.
Zum Großteil daran beteiligt war die Doping-Opfer-Hilfe, deren Mitstreiter Geipel und Misersky waren. Inzwischen hat sich die Gruppe entzweit, einige weitere Mitstreiter sind im vergangenen Jahr verstorben. Dass es zum Bruch kam, habe nach Ansicht von Viola von Cramon offenbar mit der Person von Ines Geipel zu tun, wie sie im Dlf sagte.
Die Auseinandersetzung um die Deutung dieses Streits wird auch auf medialer Ebene geführt. Die FAZ sieht die Gefahr, dass die Geschichte des DDR-Dopingssystems an der Person von Ines Geipel neu verhandelt werde. Das Wieder-Infragestellen von bereits gewonnen Erkenntnissen, darunter die Frage des Zwangs im System werde auch durch Zweifel an Geipels persönlicher Geschichte getragen.

Ist Geipel Ziel einer Kampagne?

Der Spiegel wiederum betitelte seinen jüngsten Text dazu mit "Ines Geipel und der schwierige Umgang mit der Wahrheit" und bezeichnet darin zwei FAZ-Redakteure als Geipels Helfer gegen Misersky. Der Ton ist auch auf der Ebene rau. Auch in einer früheren Spiegel-Geschichte aus dem Jahr 2022 kommt die Publizistin und frühere DDR-Leistungssportlerin nicht gut weg. Geipel sieht das alles als Teil einer schon länger laufenden Kampagne gegen sich selbst.
Der Streit hat zuletzt an Fahrt aufgenommen, weil Ines Geipel am 24.02.23 in Leipzig für ihre schriftstellerische Leistung den Erich-Loest-Preis verliehen bekommen hatte und wegen der jüngsten MDR-Dokumentation. Diese hatte Henner Misersky und EX-DDR-Bahnradfahrer Uwe Trömer zu Wort kommen lassen. Der 45-minütige Film ist sehr umstritten, weil er nur die Darstellung Miserskys und Trömers abbildet. Ines Geipel war zwar generell für ein Gespräch angefragt worden, was sie abgelehnt hatte, aber zu den einzelnen Vorwürfen, die erhoben werden, wurde sie dann nicht mehr nochmal konkret befragt.