Dienstag, 16. April 2024

CDU-Chef Friedrich Merz
"Die Ampel verbietet und reguliert"

CDU-Chef Merz rügt im Streit um die Wärmewende die FDP: Finanzminister Lindner hätte ein Veto gegen den Regierungsbeschluss einlegen müssen. In der Warburgbank-Affäre bezweifelt der Unions-Fraktionschef erneut die Glaubwürdigkeit von Kanzler Scholz.

Friedrich Merz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.04.2023
Friedrich Merz trägt ein blaues Sacko, ein weißblau gestreiftes Hemd. Er spricht und schaut an der Kamera vorbei.
Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Friedrich Merz (CDU), warnt vor unkalkulierbaren finanziellen Folgen durch den Regierungsbeschluss zum Austausch von Heizungsanlagen. (picture alliance / dpa / Andreas Arnold)
CDU-Chef Friedrich Merz hat nach der Verleihung des höchsten deutschen Verdienstordens an Altkanzlerin Angela Merkel erneut eine direkte öffentliche Gratulation an die frühere CDU-Chefin vermieden. "Der Generalsekretär der CDU Deutschlands hat im Namen der CDU und damit auch in meinem Namen gratuliert. Und ich finde, das ist dann auch gut", sagte der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag im Interview der Woche im Deutschlandfunk.
Merz betonte erneut, die Ordensverleihung sei eine Entscheidung des Bundespräsidenten. Ex-Bundeskanzlerin Merkel hatte in der vergangenen Woche von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue verliehen bekommen. Merz galt und gilt seit vielen Jahren als innerparteilicher Kritiker von Merkels Politik. Im Interview kritisierte er erneut den in Merkels Regierungszeit 2011 erfolgten Ausstieg aus der Atomenergie.

Kritik an Vorgehen der FDP im Heizungs-Streit

Im Streit um das Gebäudeenergiegesetz und den vorgeschriebenen Austausch von Heizungen, die nicht zu einem großen Teil mit erneuerbarer Energie betrieben werden, kritisiert Merz das Vorgehen der Liberalen innerhalb der Ampel-Bundesregierung scharf. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe ein Instrument in der Hand gehabt, das er hätte nutzen können und müssen, sagte der CDU-Vorsitzende.
„Er hätte von der Möglichkeit Gebrauch machen müssen, die ihm die Geschäftsordnung der Bundesregierung gibt, nämlich bei allen ausgabewirksamen Entscheidungen ein Veto einzulegen“, sagte Merz in Richtung Lindner. Die Folgen des Regierungsbeschlusses auf den Bundeshaushalt seien "unkalkulierbar". Es gehe um Milliardenbeträge, die man jetzt den privaten Haushalten zur Verfügung stellen müsse, so Merz weiter, „um diese Entscheidung mit der Brechstange zu finanzieren".

Merz zweifelt an den Angaben von Scholz

Im Zusammenhang mit der Warburg Bank-Affäre, zu der die Unions-Bundestagsfraktion einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragt hat, warf Merz Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Unglaubwürdigkeit vor. "Die gesamte interessierte Fachöffentlichkeit, die sich mit diesem Komplex befasst, geht davon aus, dass der Bundeskanzler bei seiner Befragung in dem Ausschuss in Hamburg nicht die Wahrheit gesagt hat, als er sich auf stundenlange Gedächtnislücken berufen hat über drei intensive Gespräche in seinem Amtszimmer mit diesem Vertreter der Bank", sagte Merz.

Das Interview im Wortlaut:

Dirk-Oliver Heckmann: Herr Merz, zum ersten Thema, vielleicht das Thema, das viele Wellen geschlagen hat jetzt in diesen Tagen und Wochen: die Wärmewende. Da gibt es heftigen Streit. Es gibt eine Menge Post auch, haben Sie mir erzählt, die Sie erhalten. Ab 2024 sollen nur noch neue Heizungen eingebaut werden, wenn sie zumindest zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden. Aber es gibt Übergangsfristen, viele Ausnahmeregeln und auch kräftige Finanzhilfen. Ist es nicht richtig, dass die Ampel endlich den Gebäudebereich anpackt – was die Union ja nie angepackt hat?
Friedrich Merz: Zunächst einmal ist richtig, dass es Streit gibt, vor allen Dingen innerhalb der Koalition. Selbst die FDP hat ja noch bei der Verabschiedung im Bundeskabinett am Mittwoch zu Protokoll gegeben, dass sie damit nicht einverstanden sei, und dass man das noch mal korrigieren müsse.
Und zum Zweiten: Es ist ja keine neue Erfindung dieser Koalition, dass mit den privaten Häusern was verändert werden muss im Hinblick auf Klimaschutz. Es gibt ein Programm aus der letzten Wahlperiode – noch mit der SPD verabschiedet, bis zu einer Förderung von 50 Prozent, auch für den Austausch von alten Heizungen. Und jetzt gibt es zusätzlich eine Entscheidung des Europäischen Parlaments, dass eben auch für den Wohnbereich die Klimainstrumente mit dem Zertifikate-Handel über CO2-Bepreisung eingesetzt werden.
Heckmann: Insofern, was ist jetzt so schlimm an dem Plan der Ampel?
Merz: Na ja, die Ampel verbietet und reguliert. Und Sie haben es ja gerade selber eben mit 65 Prozent gesagt. Technologieoffenheit findet eben nur auf dem Papier statt. Tatsächlich können eben nur noch Wärmepumpen eingebaut werden. Und das ist ja auch das erklärte Ziel der Ampel, insbesondere des Teils der Ampel, der eben nur auf Elektro umstellen will, sowohl was die privaten Haushalte betrifft als auch, was den gesamten Verkehrssektor betrifft. Und das wird eben nicht aufgehen.

Kritik an Habecks Plänen

Heckmann: Es gibt eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten. Wärmepumpen, haben Sie gerade gesagt, kann man einbauen, aber auch Solarthermie ist möglich, Fernwärme, Hybridheizungen, auch Heizungen mit Biomasse sind möglich, mit klimaneutralem Wasserstoff, wenn sich der Ökoanteil nachweisen lässt. Auch Gasheizungen, die H2-ready sind. Reicht Ihnen das nicht an Technologieoffenheit?
Merz: Nehmen wir mal das letzte Beispiel, was Sie gesagt haben – H2-ready, also mit Wasserstoff. Es wird in Deutschland kein paralleles Netz mit Wasserstoff in die privaten Haushalte auf absehbare Zeit geben. Das heißt, man könnte das vorhandene Netz nehmen, um Wasserstoff hinzuzufügen. Und jetzt sagen uns alle Experten, zu dem bestehenden Gasnetz und der Verteilung mit Gas kann man maximal technisch 35 Prozent Wasserstoff zumischen – oder 100 Prozent. Aber 100 Prozent ist nicht verfügbar. Und jetzt kommt ein ganz interessanter Aspekt hinzu. Es gibt nur ein Land in der Europäischen Union, das überhaupt die Wärme in den privaten Haushalten auf der Basis von Wasserstoff plant, und das ist interessanterweise Großbritannien. Warum macht Großbritannien das? Weil Großbritannien praktisch keine Industrie mehr hat, die Wasserstoff braucht. Wir werden den Wasserstoff überhaupt nicht haben, den Herr Habeck und andere sich mit diesen 65 Prozent vorstellen. Es geht technisch nicht. Und deswegen regt sich die Bevölkerung zu Recht auch auf.
Heckmann: Naja, daran wird ja auch gearbeitet, an der Versorgung. Jetzt war Ihre Kritik ja auch, dass die Häuslebauer, die Wohnungseigentümer allein gelassen würden. Aber es ist ja de facto so, dass von der Austauschpflicht befreit sind Bezieher von Transferleistungen – beispielsweise wie Bürgergeld oder Wohngeld, Kinderzuschlag – wer vor 2002 in sein Haus, in seine Wohnung eingezogen ist und wer über 80 ist. Und es gibt erhebliche Zuschüsse. Robert Habeck und Klara Geywitz, die Minister für Wirtschaft und Klima und Bau, die haben gesagt: „Niemand wird alleingelassen. Niemand muss seine Wohnung oder sein Haus verkaufen!“

"Die Preise schießen durch die Decke"

Merz: Herr Heckmann, nehmen Sie es mir nicht übel, aber das klingt ein bisschen nach dem Regierungssprecher, der mir da gerade gegenübersitzt. Die Details sind eben alle noch nicht ausgearbeitet. Die ganzen sozialen Hilfen sind nicht Gegenstand der Kabinettsbefassung aus dieser Woche. Das sind zusätzliche Ankündigungen. Und 50 Prozent Förderung für den Austausch von Heizungen hatten wir bis zu Beginn dieses Jahres. Das hat die Koalition erst auf 40 und dann auf 30 Prozent abgesenkt.
Es ist doch nicht so, als ob das alles eine Erfindung dieser Koalition wäre. Wir hatten ein Programm für den Austausch alter Heizungen in den privaten Gebäuden. Das ist mutwillig von dieser Koalition abgeschafft worden, reduziert worden. Wir wären besser mal bei der alten Lösung geblieben, plus dem, was jetzt in Europa beschlossen worden ist mit der Bepreisung von CO2. Das hätte nämlich dazu geführt, dass wir über einen längeren Zeitraum nicht diese Panik gehabt hätten, nicht diese Aktionen gehabt hätten, bis hin zu den enormen Preissteigerungen.
Reden Sie mal mit Installateuren, die zurzeit private Haushalte betreuen. Wir haben noch nie eine solche Nachfrage nach Gas- und Ölheizungen gehabt wie in diesem Jahr. Die Preise schießen durch die Decke. Wenn ein Staat etwas verbietet – und das ist de facto das Ergebnis dieser Gesetzgebung – dann führt das zu einer massiven Nachfrage und diese Nachfrage treibt die Preise in die Höhe. Die Bundesregierung ist Teil des Problems, zum Beispiel bei der Preisentwicklung, auch mit dieser Politik, die sie gegenwärtig macht.

Merz wirbt für längere AKW-Laufzeiten

Heckmann: Vor genau einer Woche, Herr Merz, da sind die letzten drei laufenden Atomkraftwerke abgeschaltet worden. Sie haben das „überstürzt“ genannt. Dabei setzt die Ampel ja nur das um, was CDU/CSU und SPD 2011 beschlossen hatten, nämlich das Ende der Atomkraft. Olaf Scholz, der Bundeskanzler, hat sogar die Laufzeiten noch mal um dreieinhalb Monate verlängern lassen. Was also daran ist überstürzt?
Merz: Überstürzt ist, dass wir zwischendurch ein Ereignis haben, das fortwirkt und das die größte Energiekrise seit Jahrzehnten ausgelöst hat, nämlich der Krieg in der Ukraine. Und der hat eben viel verändert. Der Bundeskanzler selbst spricht von „Zeitenwende“. Dann muss diese Zeitenwende aber auch gelten für die Energieversorgung unseres Landes. Ja, das stimmt, 2011 hat eine unionsgeführte Bundesregierung den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Ich habe die Entscheidung damals für falsch gehalten. Schon die Reihenfolge war kritikwürdig, erst auszusteigen und dann zu definieren, wo man denn später vielleicht mal einsteigen will.
Aber jetzt die letzten drei abzuschalten, die zehn Millionen Haushalte in Deutschland sicher und CO2-frei mit Strom versorgen, ist einfach eine ideologische Entscheidung der Bundesregierung. Sie hat mit Sachfragen nichts zu tun. Und das ist doch keine Unionsmeinung oder von wildgewordenen Kernenergiebefürwortern.
Das sagen Ihnen alle Fachleute, bis hin zum Sachverständigenrat. Frau Grimm, viele andere haben gesagt, es ist eine Entscheidung zur Unzeit. Wir haben gesagt, lasst sie laufen bis Ende des Jahres 2024. Dann sind wir auch durch den nächsten kritischen Winter durch. Und dann können wir weitersehen. Dann haben wir vielleicht auch den Ausbau der regenerativen Energien soweit voranschreiten sehen, dass man das machen kann. Aber das wollte die Bundesregierung halt nicht.
Heckmann: Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat ja auch gefordert: Reserve statt Rückbau, den Rückbau zu stoppen, Brennelemente zu bestellen und die AKW-Mitarbeiter zu halten. Die SPD wirft Ihnen vor, Sie wollen die Kernkraft eigentlich nur über die Zeit retten.

"Bis zu 50 neue Gaskraftwerke in Deutschland"

Merz: Die offene Frage ist ja: Wo bekommen wir den grundlastfähigen Strom für unsere Volkswirtschaft her? Und da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder über Gaskraftwerke oder über Kernkraftwerke. Jetzt werden wir bis zu 50 neue Gaskraftwerke in Deutschland bauen müssen, um den grundlastfähigen Strom zu bekommen.
Kernkraft ist jedenfalls in dieser Technologie eine Übergangstechnologie. Allerdings sind nicht wir diejenigen, die da an der Spitze des Fortschritts stehen, sondern es sind zurzeit auf der Welt rund 400 Kernkraftwerke in Betrieb. Es werden 60 neue gebaut. Davon eine ganze Reihe auch in Europa. Es gibt modernste Kernkraftwerke der vierten und fünften Generation.
Wir sollten uns zumindest die Option offenhalten. Und deswegen haben wir ja auch in dieser Woche im Deutschen Bundestag gefordert, diese Anlagen jetzt nicht mutwillig abzubrechen, sondern sie zu erhalten, sie auch in die Lage zu versetzen, wieder hochgefahren zu werden und dann bitte auch die Forschung und Entwicklung an der Kernkraft nicht aufzugeben, sondern fortzusetzen. Die findet in Deutschland statt, richtigerweise. Sie sollte nicht aufgegeben werden.
Heckmann: Markus Söder, der bayrische Ministerpräsident, hatte einen Vorschlag parat gehabt, nämlich Isar 2 in Landesregie weiterlaufen zu lassen. Sie haben das „diskussionsfähig“ genannt. Wir wissen allerdings auch: Möglicherweise ist eine Grundgesetzänderung dafür notwendig. Das Atomgesetz müsste geändert werden. Es müsste eine neue Betriebserlaubnis erteilt werden, eine Sicherheitsüberprüfung, auch neue Brennstäbe müssten bestellt werden, die wir vorzugsweise aus Russland bezogen hatten. Und Söder hat auch nicht die Bereitschaft erkennen lassen, in Bayern den Atommüll einlagern zu wollen. Gleichzeitig stehen wir vor Landtagswahlen in Bayern. Also, im Prinzip, ist das nicht reines Wahlkampfgetöse, ohne Grundlage? Und weshalb stimmen Sie in so einen Chor ein?

AKW Isar 2 "mutwillig stillgelegt"

Merz: Isar 2 ist das modernste Kernkraftwerk in ganz Europa. Es gibt kein moderneres Kernkraftwerk als Isar 2 in Bayern. Und das wird von dieser Bundesregierung jetzt mutwillig stillgelegt. Dieses Kernkraftwerk, ich war selber da, ich habe mich mit den Sicherheitsingenieuren dort unterhalten, wird im laufenden Betrieb ständig überprüft auf seine Sicherheit. Ja, natürlich, man hätte jetzt in diesen großen Abständen eine weitere Sicherheitsüberprüfung machen müssen. Das wäre möglich gewesen. Und der Betrieb in der Landesverantwortung ist ein Angebot des Freistaates Bayern.
Heckmann: Ohne Realisierungsmöglichkeit.
Merz: Das sagen Sie. Ich halte es jedenfalls für diskussionswürdig. Es ist ein Angebot an die Bundesrepublik Deutschland, ein solches Kraftwerk im Betrieb zu halten. Aber noch einmal: Die Entscheidung ist ja am letzten Wochenende, jedenfalls vorläufig, getroffen worden.

Verhalten der FDP "voller Widersprüche"

Heckmann: Die FDP, Finanzminister Lindner, Sie haben es gerade eben schon mal erwähnt, hat den Gesetzesentwurf zur Gebäudeenergie nur mit einer Protokollnotiz passieren lassen. Gleichzeitig spricht sich auch die FDP für eine Reservehaltung der Atomkraftwerke aus. Wie bewerten Sie eigentlich das Agieren der FDP? Ist das noch eigentlich Ihr natürlicher Koalitionspartner?
Merz: Das sind zwei Fragen. Ich würde jetzt zunächst einmal erst die erste gerne beantworten. Das Verhalten der FDP in dieser Koalition ist voller Widersprüche. Es hat offensichtlich am Dienstag in der FDP-Bundestagsfraktion eine heftige Diskussion um die Frage gegeben, ob man diesem Gebäudeenergiegesetzentwurf überhaupt zustimmen soll im Kabinett. Der Bundesfinanzminister hat ein Instrument in der Hand, das er hätte nutzen können und wie ich finde, auch nutzen müssen. Nicht nur eine Protokollerklärung abzugeben – die ist ohne jede Bedeutung und ohne jede Relevanz.
Er hätte von einer Möglichkeit Gebrauch machen müssen, wie ich finde, die ihm die Geschäftsordnung der Bundesregierung gibt, nämlich bei allen ausgabewirksamen Entscheidungen ein Veto einzulegen. Das hätte Christian Lindner machen können am Mittwoch. Ich finde: Er hätte es machen müssen. Denn die Folgen dieser Beschlussfassung auf den Bundeshaushalt sind unkalkulierbar. Es werden Milliardenbeträge sein, die man jetzt den privaten Haushalten zur Verfügung stellen muss, um diese Entscheidung mit der Brechstange zu finanzieren. Und deswegen fällt meine Bewertung des Verhaltens der FDP – nicht nur in dieser Frage – sehr ambivalent aus.

Merz lässt seinen Generalsekretär gratulieren

Heckmann: Herr Merz, wir wollen aber auch auf Ihre Partei natürlich schauen. Sie sind jetzt gut ein Jahr im Amt. Am Montag hat Angela Merkel das Bundesverdienstkreuz mit Großkreuz erhalten. Das ist der höchste Orden, den eine Kanzlerin, ein Kanzler bekommen kann. Sie haben das kommentiert mit den Worten, das sei eine souveräne Entscheidung des Bundespräsidenten. Sie kommentieren das nicht. Zum Glückwunsch haben Sie sich nicht durchringen können. Ist das eigentlich ein souveräner Umgang mit Ihrer Vor-Vor-Vorgängerin?
Merz: Der Generalsekretär der CDU Deutschlands hat im Namen der CDU und damit auch in meinem Namen gratuliert. Und ich finde, das ist dann auch gut. Das ist eine Entscheidung auch des Bundespräsidenten, wer den Orden bekommt. Es ist eine Entscheidung der Ordensträgerin, zu entscheiden, wer an der Gratulationsfeier teilnimmt. Das hat sie so entschieden. Wir haben uns so dazu geäußert und damit ist das aus meiner Sicht abgeschlossen.
Heckmann: Und Sie können sich zum Glückwunsch nicht durchringen.
Merz: Noch mal, Generalsekretär Czaja hat im Namen der gesamten CDU und damit auch in meinem Namen gratuliert.

Wie sich die CDU bis zur Europawahl aufstellen will

Heckmann: Sie selbst, Herr Merz, sind als Kandidat der Konservativen angetreten damals, als Sie sich zur Wahl gestellt haben. Sie haben sich selber als Kandidat des Anti-Establishment auch definiert. Die konservative Wende ist bisher in der CDU aber ausgefallen. Was ist denn von der Ankündigung, die Partei neu auszurichten, übriggeblieben? Haben Sie da mehr versprochen, als Sie halten konnten? Und wie viel Enttäuschung haben Sie ausgelöst?
Merz: Da sind nun einige, zumindest überspitze Formulierungen dabei, in Ihrer Frage. Ich bin nie der selbsternannte Kandidat der Konservativen gewesen. Wir haben in der Partei eine intensive Diskussion, natürlich auch über die Ausrichtung, gehabt. Und ich bin auch nie der selbsternannte Kandidat des Anti-Establishments gewesen. Ich habe Teile der Partei heftig kritisiert. Das war aber im Umfeld einer zeitlichen Abfolge, nicht nur der personellen Entscheidung, sondern der ganzen zeitlichen Abfolgen zum Ende des Jahres 2020.
Ich habe es Ende 2020 gesagt, auch sehr deutlich gesagt, dass wir so, wie wir da aufgestellt waren, eine Bundestagswahl nicht führen und gewinnen können. Es hat sich leider alles bewahrheitet. Wir haben damals dann die Parteimitglieder beteiligt beim dritten Mal, als wir ein drittes Mal einen neuen Parteivorsitzenden wählen mussten. Die ganz überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Partei, fast zwei Drittel, waren der Meinung, dass ich das übernehmen sollte. Ich habe das übernommen und ich habe bereits am Tag meiner Wahl gesagt, ich bin hiermit der Parteivorsitzende der gesamten Partei und nicht nur eines Teiles der Partei. Die Partei ist neu ausgerichtet. Sie ist neu aufgestellt.
Für mich gab es zwei Phasen zunächst einmal oder insgesamt drei. Die erste Phase war Konsolidierung der Union in der Opposition. Das war insbesondere nach dieser verlorenen Bundestagswahl nötig. Ich denke, wir haben das gemeinsam ganz gut hinbekommen.
Teil zwei hat dann für mich nach der Niedersachsenwahl begonnen. Sehr viel stärkere Arbeit in der Partei. Das tue ich zurzeit. Ich kümmere mich sehr viel mehr um die Partei, als ich das am Anfang tun konnte. Wir sind dabei, ein neues Grundsatzprogramm zu schreiben. Das geht gut voran. Wir sind nicht nur thematisch, sondern auch zeitlich absolut im Plan. Und der Teil drei wird dann sein, die Europawahl zu gewinnen im nächsten Jahr, nach dem Bundesparteitag, der einen neuen Vorstand wählt und der das Grundsatzprogramm verabschiedet.
Heckmann: In das neue Grundsatzprogramm soll auch ein Steuerkonzept der Union einfließen. Daran wird noch gearbeitet, jetzt auch dieses Wochenende. Sie wollen aber – die Grundzüge sind bekannt – den Soli komplett abschaffen für alle. Sie wollen den Spitzensteuersatz anheben und bei der Erbschaftssteuer, da wollen Sie die Ausnahmen abschaffen und auf 10 Prozent festsetzen. Die FDP freut sich jetzt schon und sagt: Sie ist mittlerweile die einzige Anti-Steuererhöhungspartei.
Merz: Mit Verlaub, die FDP freut sich ein bisschen zu früh, denn die FDP hat nur – und konnte auch nur – kolportierte Auszüge kommentieren.
Heckmann: Sie kennen ja Ihre Pläne.
Merz: Ich kenne das, was diskutiert wird. Es gibt keine abgeschlossene Beschlussfassung. Wir werden das in den nächsten Wochen in Ruhe diskutieren. Und das, was da zum Spitzensteuersatz und zur Erbschaftssteuer veröffentlicht worden ist, sind allenfalls Teile und Auszüge des Programms.
Es geht uns vor allem bei der Gestaltung des Einkommensteuertarifes darum, die mittleren Einkommen zu entlasten. Wir haben einen zu steil ansteigenden Steuertarif für die mittleren Einkommen. Die Frage, wie hoch der Spitzensteuersatz sein wird, ist nachrangig.
Bei der Erbschaftssteuer werden wir ohnehin noch einmal genauer hinschauen müssen, weil erneut jetzt das geltende Erbschaftssteuerrecht vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird und wir erneut damit rechnen müssen, dass das Erbschaftssteuergesetz, das wir heute haben, mit der Verfassung nicht vereinbar ist. Und deswegen werden wir dazu auch Vorschläge machen. Aber die Vorschläge, die jetzt da in die Öffentlichkeit kolportiert worden sind, sind allenfalls Details und Auszüge aus einer Diskussion, die längst noch nicht abgeschlossen ist.

"Nicht einseitig ausländerfeindlich"

Heckmann: Kommen wir zur Flüchtlingspolitik, Herr Merz. Wichtiges Thema auch. 1,1 Millionen Flüchtlinge hat Deutschland aus der Ukraine aufgenommen. Die Innenministerin Nancy Faeser sagt, acht von zehn Flüchtlingen kommen aus der Ukraine. Ihr CDU-Kollege Middelberg und Alexander Dobrindt auch, die sprechen von bewusster Irreführung. Sollte Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen nicht mehr nachkommen?
Merz: Es ist genau so, wie meine Kollegen das gesagt haben. Es ist eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Die Zahlen, die Frau Faeser nennt, sind die Zahlen des gesamten Jahres 2022. Da ist in der Tat der ganz große Teil der Flüchtlinge aus der Ukraine gekommen.
Heckmann: Dann hat sie ja recht!
Merz: Für das Jahr 2022. Wir führen aber eine Diskussion über die ersten drei Monate des Jahres 2023.
Heckmann: Na ja, sie hat gesprochen von den Menschen, die hier sind.
Merz: Wir sprechen über die Menschen, die immer noch zusätzlich hierherkommen. Und die machen ein zunehmend größeres Problem. Und, Herr Heckmann, dass das nicht nur hier eine einseitige Betrachtung der Union ist, das können Sie an den Wortmeldungen der Bürgermeister, der Oberbürgermeister, der Landräte quer durch die gesamte Bundesrepublik Deutschland ablesen. Ich gebe Ihnen die Zahl: Wir haben in den ersten drei Monaten des Jahres 2023 genau 87.700 Asylbewerber gehabt. Darunter war so gut wie kein Ukrainer, denn die Ukrainer brauchen keinen Asylantrag zu stellen.
Es sind ausschließlich Zuwanderer gewesen, Asylbewerber gewesen aus dem Mittleren und Nahen Osten. Es sind überwiegend Asylbewerber, die hier keinen Asylanspruch haben. Es sind fast alles Asylbewerber gewesen, die aus sicheren Drittländern, aus Herkunftsländern kommen im Wege der sogenannten Sekundärmigration, also die schon einmal in einem europäischen Land waren, in dem sie eigentlich den Antrag hätten stellen müssen. Das ganze europäische System funktioniert nicht richtig. Und deswegen haben wir ja auch am 30.03. mit den kommunalen Vertretern, mit Bürgermeistern, Oberbürgermeistern, Landräten, insgesamt 400 an der Zahl, hier eine intensive Diskussion in Berlin geführt. Wir haben sie eingeladen. Wir haben etwas getan, was eigentlich die Bundesregierung längst hätte tun müssen.
Heckmann: Und die Innenministerin nimmt ja auch für sich in Anspruch, wirklich die irreguläre Einwanderung einzudämmen. Ich kann es ja mal aufzählen kurz. Sie sagt, sie hat die Asylverfahren beschleunigt, die Abschiebehaft verlängert, die Grenzkontrollen zu Österreich wurden verlängert. Schleierfahndung zu Tschechien. Die Bundesregierung arbeitet an Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern und in Brüssel an der Stärkung der Außengrenzen. Was wollen Sie mehr?
Merz: Das ist ja wiederum das, was wir vom Regierungssprecher genau so hören. Wir haben in Deutschland mindestens 300.000 vollziehbar ausreisepflichtige ehemalige Asylbewerber. Es passiert so gut wie nichts. Es wird nicht zurückgeführt. Es wird nicht abgeschoben. Und Haftverlängerungen sind nun wirklich keine Option. Es muss zurückgeführt werden.
Heckmann: Sie wissen, dass das mit Problemen verbunden ist, mit denen auch die unionsgeführte Bundesregierung immer konfrontiert gewesen ist.

"Konsequenter bei Rückführungen sein"

Merz: Das ist wahr. Es ist immer mit Problemen verbunden gewesen. Aber je länger diese Menschen hierbleiben, desto größer werden die Probleme mangelnder Integration und größerer Entfremdung natürlich auch von den Herkunftsländern. Wir müssen hier konsequenter sein. Und wir müssen nicht nur konsequent sein bei den Rückführungen. Wir müssen auch konsequenter werden im Schutz der Grenzen.
Und ich bleibe bei meiner festen Überzeugung: Die europäischen Außengrenzen müssen besser geschützt werden. Da muss zum Beispiel Frontex in die Lage versetzt werden, auch den Schutz der Außengrenzen zu gewährleisten. Und wenn das nicht geht, dann müssen wir die europäischen Binnengrenzen wieder besser schützen vor irregulärer Migration.
Herr Heckmann, wenn wir dieses Problem in Deutschland nicht lösen, dann werden hier gesellschaftliche Konflikte noch viel härter ausgetragen. Und deswegen sind wir hier nicht einseitig ausländerfeindlich, sondern wir wollen ein aufnahmebereites, hilfsbereites, humanitäres Land bleiben. Aber das geht nur, wenn diejenigen, die eine Bleibeperspektive haben, hier gut behandelt werden. Und sie werden hier nur gut behandelt, wenn diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, auch konsequent das Land wieder verlassen müssen.

Fachkräfte im Land halten

Heckmann: Die Flüchtlingspolitik ist das eine Thema, der Fachkräftemangel ist das andere. Die Ampel, die führt das modernste Einwanderungsrecht ein, laut eigenem Anspruch jedenfalls. Die Wirtschaft fordert das schon lange. Die Union wirft der Ampel vor, zu vermischen: Arbeitsmigration und Asylpolitik. Wie erklären Sie den Wirtschaftsverbänden, dass ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht notwendig ist?
Merz: Zunächst einmal: Wir haben ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Das gibt es sogar in seiner zweiten Fassung. Verabschiedet von dieser „schrecklichen“ früheren, 16-jährigen Bundesregierung unter Führung der CDU. Das ist doch keine Neuerfindung dieser Regierung, dass wir über Fachkräfteeinwanderung sprechen müssen.
Heckmann: Aber es kommen ja offenbar nicht genug.
Merz: Es kommen in der Tat nicht genug. Und deswegen will ich Ihnen in aller Kürze einmal sagen, wie wir die Lage beurteilen. Zunächst einmal: Es gehen aus Deutschland jedes Jahr geschätzt zwischen 160.000 und 200.000 Fachkräfte aus dem Land heraus. Was tun wir eigentlich, um die zu halten? So, das wäre doch wohl mal das Erste, was wir tun müssten – zu vermeiden, dass Fachkräfte unser Land verlassen.
Zweitens: Wir haben 2,4 Millionen Arbeitslose in Deutschland und zwei Millionen offene Stellen. Was funktioniert denn da eigentlich nicht in unserem Arbeitsmarkt? Dritter Aspekt: Wir haben Freizügigkeit in der Europäischen Union. Millionen von Europäern dürften ohne jede Einschränkung sofort nach Deutschland kommen, hier leben und hier arbeiten. Warum kommen die eigentlich alle nicht?
Und der vierte Aspekt ist, mit Verlaub: Wie soll das denn gehen, in einem Land, das heute schon Wohnungsmangel, zu wenig Kita-Plätze, zu wenig Krankenhausbetten, zu wenig Ärzte hat? Wenn wir jedes Jahr, so – wie einige in dieser Koalition sich das vorstellen – 400.000, 500.000, 600.000 zusätzliche Einwanderer haben: Wo sollen die leben, wo sollen die arbeiten, wo sollen die wohnen?

Hat der Kanzler "nicht die Wahrheit gesagt"?

Heckmann: Blicken wir noch in die nächsten Wochen und Monate. In dieser Woche hat die Unionsfraktion einen Antrag auf einen Untersuchungsausschuss zur Warburg Bank-Affäre beantragt und diskutiert. Es gibt bereits einen Untersuchungsausschuss in Hamburg. Der hat bisher keine Belege für eine politische Einflussnahme durch Bundeskanzler Scholz, den damaligen Ersten Bürgermeister, nachgewiesen. Was versprechen Sie sich von einem Untersuchungsausschuss in Berlin – außer, den Kanzler vor sich herzutreiben?
Merz: Dieser Untersuchungsausschuss ist kein Untersuchungsausschuss zur Warburg-Bank-Affäre. Sondern es ist ein Untersuchungsausschuss zu einer Affäre, die in der Stadt Hamburg nun ohne Zweifel tatsächlich stattgefunden hat, nämlich eine Affäre um den Versuch, eine Steuernachforderung gegen diese Bank verjähren zu lassen. Und die entscheidende Frage ist: Ist darauf politischer Einfluss ausgeübt worden, ja oder nein? Der Untersuchungsausschuss in Hamburg arbeitet nach völlig anderen Regeln. Dort können sie zum Beispiel keine persönlichen Vernehmungen stattfinden lassen. Da werden schriftliche Fragen schriftlich beantwortet und vorgelesen.
Der Untersuchungsausschuss nach Bundesrecht funktioniert anders. Hier werden dann auch tatsächliche Vernehmungen stattfinden. Im Übrigen, es gibt jetzt eine Eröffnung des Strafverfahrens gegen einen der Mitinhaber dieser Bank in Bonn vor dem Landgericht. Wir rechnen damit, dass in diesem Strafverfahren zusätzliche Erkenntnisse zutage treten, die wir bis heute nicht haben.
Und die gesamte interessierte Fachöffentlichkeit, die sich mit diesem Komplex befasst, geht davon aus, dass der Bundeskanzler bei seiner Befragung in dem Ausschuss in Hamburg nicht die Wahrheit gesagt hat, als er sich auf stundenlange Gedächtnislücken berufen hat über drei intensive Gespräche in seinem Amtszimmer mit diesem Vertreter der Bank. Und kurz danach veröffentlicht eine Mitarbeiterin der Finanzbehörde der Hansestadt Hamburg einen Tweet, in dem sie sagt: „Der teuflische Plan ist aufgegangen!“ Wir würden gerne wissen, wer diesen teuflischen Plan hatte, wie er zustande gekommen ist und wer darauf Einfluss ausgeübt hat.
Heckmann: Gehen Sie persönlich davon aus, dass es eine politische Einflussnahme gegeben hat?
Merz: Eindeutig ja.
Heckmann: Durch wen?
Merz: Durch die politische Führung der Freien und Hansestadt Hamburg zu dieser damaligen Zeit. Der Bürgermeister hieß Olaf Scholz und der Finanzminister hieß Tschentscher.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.