
Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn Essen oder Nichtessen zu einer Obsession wird? Von Essstörungen liest man normalerweise in Statistiken und Ratgebern. In ihrem schonungslosen Essay seziert Nastasja Penzar in diesen weit verbreiteten Krankheiten die feinen Risse zwischen Selbstkontrolle und Kontrollverlust, zwischen Hunger und Völlerei, zwischen Scham und Revolte.
Schicht um Schicht legt sie in einer Archäologie des Alltags ein Verständnis des Körpers frei, der nicht nur aus Fleisch besteht, sondern aus Blicken, Kommentaren, Erwartungen – und der es ständig mit Dämonen zu tun hat.
Penzar schreibt mit einer unglaublichen Präzision und befreienden Offenheit. Sie tastet sich durch Statistiken, Therapien und Rituale, um am Ende das zu finden, was nicht messbar ist: die Stimme der Sucht.
Dieser Text wurde mit dem Essay-Preis der Zeitschrift Edit ausgezeichnet.
Nastasja Penzar, 1990 in Berlin geboren, lebte in Zagreb, Frankfurt am Main und Guatemala Stadt, bevor sie Romanistik in Leipzig und São Paulo, dann Sprachkunst in Wien studierte. Sie wurde mit einer Arbeit zu post-jugoslawischer Literatur bei Esther Dischereit promoviert. Heute lebt und arbeitet sie in Wien am Institut für Sprachkunst. Ihr Romandebüt Yona erschien bei Matthes & Seitz Berlin.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Ausweichmanövern besteht, um diese herum befindet sich eine weitere, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Scham besteht, darüber eine, die aus Ausweichmanövern besteht, darüber noch eine, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Fressen besteht, darüber eine, die aus Scham besteht, darüber noch eine, die aus Ausweichmanövern besteht, darüber noch eine, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Kontrolle besteht, darüber Fressen, darüber Scham, darüber Ausweichmanöver, darüber Blicke.
Um mich herum bildet sich eine dünne Grenzschicht, die aus Schutz besteht.
Darüber eine dickere, die mein Körper ist.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Ausweichmanövern besteht, um diese herum befindet sich eine weitere, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Scham besteht, darüber eine, die aus Ausweichmanövern besteht, darüber noch eine, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Fressen besteht, darüber eine, die aus Scham besteht, darüber noch eine, die aus Ausweichmanövern besteht, darüber noch eine, die aus Blicken besteht.
Um meinen Körper herum befindet sich eine Grenzschicht, die aus Kontrolle besteht, darüber Fressen, darüber Scham, darüber Ausweichmanöver, darüber Blicke.
Um mich herum bildet sich eine dünne Grenzschicht, die aus Schutz besteht.
Darüber eine dickere, die mein Körper ist.
Vor Jahren sagte meine Therapeutin: Ich wünsche mir für Sie, dass die Themen Essen und Abnehmen einmal schrumpfen. Dass sie nicht mehr so viel Raum in Ihrem Leben einnehmen.
Das Essen ist ein Dämon, der mich auslacht.
In Deutschland gelten 43 Prozent der Frauen als übergewichtig.
In Europa gelten 45,7 Prozent der Frauen als übergewichtig.
Es wird angenommen, dass in westlichen Ländern zwischen 5,5 Prozent und 18 Prozent der jungen Frauen bis zum frühen Erwachsenenalter eine Essstörung entwickeln.
Diese Zahlen liegen weit auseinander.
Dunkelziffern, Vermutungen.
Heißt: Man spricht nicht so gern darüber.
In Europa gelten 45,7 Prozent der Frauen als übergewichtig.
Es wird angenommen, dass in westlichen Ländern zwischen 5,5 Prozent und 18 Prozent der jungen Frauen bis zum frühen Erwachsenenalter eine Essstörung entwickeln.
Diese Zahlen liegen weit auseinander.
Dunkelziffern, Vermutungen.
Heißt: Man spricht nicht so gern darüber.
In einer Broschüre von Overeaters Anonymous heißt es, immer in der Wir-Form: Wir waren in allen anderen Bereichen unseres Lebens erfolgreich, wir hatten gute Karrieren, gute Familien. Waren die besten Schüler*innen in den besten Schulen, waren in allem selbstdiszipliniert. Nur wenn es zum Essen kam, schienen wir uns nicht kontrollieren zu können. Wir waren verzweifelt. Weil wir sonst alles so gut hinbekamen, dachten die Menschen um uns herum, das mit dem Essen, dem Körper, sei uns wohl nicht so wichtig.
Wenn sie wüssten.
Dämonen lachen am liebsten über Menschen.
Mit elf fängt das Fressen an. Ich erinnere mich präzise an den ersten richtigen Kontrollverlust, obwohl ich vorher, ja, schon immer eigentlich, laut den Frauen in der Familie zu gern gegessen hatte, mich nie so richtig zurückhalten konnte, auch wenn sie mir immer wieder auf die Hand schlugen – mit Worten oder in echt.
Auf Fotos von damals sehe ich normal aus, hübsch. Ein Kind.
Mit elf, das weiß ich noch, war es das erste Mal, dass meine Hand sich von meinem Kopf löste.
Freier Fall.
Die Hand ging in den Kühlschrank, nahm die Remoulade, presste sie auf das ungetoastete Toastbrot in der anderen Hand, nahm die Scheibe Salami, das Blatt Salat, legte die andere Scheibe Toastbrot drauf, schob sie rein in mich. Der Kühlschrank blieb offen, als die Hand von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast drauf und rein. Der Kühlschrank blieb weiter offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb offen, als sie hinter mir, von der Küchentheke, kauend, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb weiter, immer weiter offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch eine Scheibe nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast – es klingelte.
Ich erschrak.
Bemerkte erst jetzt die Faust in meinem Hals, in meiner Brust.
Ich schloss die Tür des Kühlschranks.
Ging zur Haustür. Öffnete sie so, dass ich in der linken Hand das angebissene Toastbrot hinter ihr verstecken konnte. Versteckte auch das Kauen des Restes so gut ich konnte. Ein Freund meiner Schwester stand vor der Tür. Nicht ihr Freund, dafür war er zu hässlich. Ich sagte, noch den Toast und die Remoulade und die Salami und den Salat im Mund:
Sie ist nicht da.
Er sagte:
Isst du schon wieder?
Auf Fotos von damals sehe ich normal aus, hübsch. Ein Kind.
Mit elf, das weiß ich noch, war es das erste Mal, dass meine Hand sich von meinem Kopf löste.
Freier Fall.
Die Hand ging in den Kühlschrank, nahm die Remoulade, presste sie auf das ungetoastete Toastbrot in der anderen Hand, nahm die Scheibe Salami, das Blatt Salat, legte die andere Scheibe Toastbrot drauf, schob sie rein in mich. Der Kühlschrank blieb offen, als die Hand von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast drauf und rein. Der Kühlschrank blieb weiter offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb offen, als sie hinter mir, von der Küchentheke, kauend, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb weiter, immer weiter offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch eine Scheibe nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast und rein. Der Kühlschrank blieb offen, als sie von hinten, von der Küchentheke, noch zwei Scheiben nahm, noch Remoulade drauf, eine Scheibe Salami, ein Blatt Salat, die zweite Scheibe Toast – es klingelte.
Ich erschrak.
Bemerkte erst jetzt die Faust in meinem Hals, in meiner Brust.
Ich schloss die Tür des Kühlschranks.
Ging zur Haustür. Öffnete sie so, dass ich in der linken Hand das angebissene Toastbrot hinter ihr verstecken konnte. Versteckte auch das Kauen des Restes so gut ich konnte. Ein Freund meiner Schwester stand vor der Tür. Nicht ihr Freund, dafür war er zu hässlich. Ich sagte, noch den Toast und die Remoulade und die Salami und den Salat im Mund:
Sie ist nicht da.
Er sagte:
Isst du schon wieder?
Heute gibt es Body Positivity. (Yay)
Eine Freundin sagt, Gen Z habe ja zumindest das gecheckt: Die Baggies, die weiten Hoodies, was hätten wir dafür gegeben, dass man das damals hätte tragen dürfen.
Eine Freundin sagt, Gen Z habe ja zumindest das gecheckt: Die Baggies, die weiten Hoodies, was hätten wir dafür gegeben, dass man das damals hätte tragen dürfen.
Natürlich war es bei uns eine schwierige Phase mit elf!
Ich bin genervt.
Alle Therapeuten fragen dasselbe.
Aber das habe ich schon lange austherapiert. Können wir nicht einfach über das Essen reden? Mein Verhalten?
Ich bin genervt.
Alle Therapeuten fragen dasselbe.
Aber das habe ich schon lange austherapiert. Können wir nicht einfach über das Essen reden? Mein Verhalten?
ChatGPT sagt:
„Die Anzahl der Betroffenen mit Bulimie ist in den letzten 20 Jahren deutlich gestiegen. Die Anzahl der Betroffenen mit Anorexie hat in den letzten 20 Jahren leicht zugenommen.“
Ich sitze mit 27 das erste Mal bei OA, Overeaters Anonymous. Als ich ergoogelt habe, dass es das gibt, neben AA (Alcoholics Anonymous) natürlich, aber auch NA (Narcotics Anonymous), SLAA (Sex and Love Addicts Anonymous) und vielen anderen As, fällt mir ein seltsam geformter Stein ab: Sucht.
Der Keller der Kirche ist dunkel. Ich gehe die Räume ab. Hier ist niemand. Ich hoffe, dass keiner gekommen ist. Versuche noch eine letzte Tür. Da sind sie: In diesem schlecht beleuchteten Raum lächeln sie mich herein, halten Smalltalk, ich schwitze.
Dann geht es los.
Eine liest vom Zettel einige Worte. Mein weicher Körper ist angespannt.
Alle vor mir im Kreis:
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Dann ich: Hallo. Ich bin X. Nichts.
Erst im vierten Meeting sage ich es dann doch:
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Alle nicken leicht, verständnisvoll. Ich werde Teil von etwas.
Es ist mir peinlich.
Es ist erlösend.
Dann geht es los.
Eine liest vom Zettel einige Worte. Mein weicher Körper ist angespannt.
Alle vor mir im Kreis:
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Dann ich: Hallo. Ich bin X. Nichts.
Erst im vierten Meeting sage ich es dann doch:
Hallo, ich bin X (anonym), esssüchtig.
Alle nicken leicht, verständnisvoll. Ich werde Teil von etwas.
Es ist mir peinlich.
Es ist erlösend.
Beelzebub gilt seit dem Mittelalter als Höllenfürst und wird der Todsünde Völlerei (auch Fresssucht) zugeordnet.
Er hat einen Namen und lacht.
Er hat einen Namen und lacht.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Übergewicht und Adipositas anhand des Body-Mass-Index (BMI). Für Erwachsene gelten folgende Kategorien:
- Normalgewicht: BMI 18,5–24,9
- Übergewicht (Präadipositas): BMI 25–29,9
- Adipositas Grad I: BMI 30–34,9
- Adipositas Grad II: BMI 35–39,9
- Adipositas Grad III (morbide Adipositas): BMI ≥ 40
Diese Grenzwerte habe ich vor Augen, schon immer. Kämpfe mich hin zur jeweils unteren Kategorie. Der BMI wurde und wird sehr oft kritisiert. Muskelmasse sei schwerer als Fett, so das Hauptargument. Nach diesen Berechnungen sei Brad Pitt übergewichtig, so die unbelegte Clickbait-Schlagzeile. Man solle lieber die Hip‑to‑Waist-Ratio oder gleich die Fettmasse abmessen. Oder nur die Handgelenke. Oder nur die Kleidergrößen. Oder nur –
Mit zwölf fängt die Pubertät an.
Mit zwölf fängt das Hungern an.
Ich koche mir ein Stück Fisch, den weißen quadratischen aus dem Tiefkühlfach im Supermarkt auf dem Heimweg von der Schule.
In Wasser.
Lege manchmal ein wenig Gurke dazu.
Das war’s für den Tag.
Wochenlang so.
Meine Beine werden schnell stelzig.
Die Ballettlehrerin lobt.
Die beste Freundin meiner Mutter freut sich so für mich.
Meine Mutter ist stolz.
Ich nicke.
Mir ist schwindlig.
Mit zwölf fängt das Hungern an.
Ich koche mir ein Stück Fisch, den weißen quadratischen aus dem Tiefkühlfach im Supermarkt auf dem Heimweg von der Schule.
In Wasser.
Lege manchmal ein wenig Gurke dazu.
Das war’s für den Tag.
Wochenlang so.
Meine Beine werden schnell stelzig.
Die Ballettlehrerin lobt.
Die beste Freundin meiner Mutter freut sich so für mich.
Meine Mutter ist stolz.
Ich nicke.
Mir ist schwindlig.
Luise Reddemann, Psychiaterin und Psychoanalytikerin, findet hinter der Schutzschicht aus Fett bei ihren Patient*innen sexuelle und transgenerationale Traumata.
Mit 26, in einer der peinlicheren, alternativen Therapien, weil alles andere nicht hilft, gehe ich auf hypnotische Reise ins Unterbewusste. Wir stoßen auf Schatten. Vielleicht auf einen Mann. Das könnte der Grund sein, weißt du, dass du dir eine Schutzschicht angelegt hast, als die Pubertät losging, weil du nicht attraktiv sein wolltest, weil das bedrohlich sein konnte. So als Grenze.
Ich nicke.
Verdrehe heimlich die Augen. Wieder nichts Neues.
Im Land meiner Familie war immer Krieg.
In der Kindheit meiner Großmütter gab es Männer, die Schatten waren. So weit weg, dass ich beim besten Willen nicht rankommen kann. Egal, wie sehr ich mich bemühe.
Ich nicke.
Verdrehe heimlich die Augen. Wieder nichts Neues.
Im Land meiner Familie war immer Krieg.
In der Kindheit meiner Großmütter gab es Männer, die Schatten waren. So weit weg, dass ich beim besten Willen nicht rankommen kann. Egal, wie sehr ich mich bemühe.
Auch wenn Dämonen übernatürlich erscheinen, sind sie nicht allmächtig, nicht allwissend und nicht allgegenwärtig.
Ich kämpfe weiter.
Ich kämpfe weiter.
In der vierten Klasse haben wir den Gesundheitscheck für alle. Ich trage wie immer ein weites Shirt und eine engere Hose. Hoffe, dass ich den Arzt damit täuschen kann. Meine Mutter sagt, so verstecke ich es am besten.
Ich bin nervös.
Steige auf die Waage.
Der Arzt nickt runzelnd, malt einen Punkt auf den Graphen in dem kleinen Heft.
Der Punkt klebt an der Kurve.
Später holt mich meine Mutter ab, ich sage gleich, fast fröhlich: Er hat gesagt, ich bin ganz oben an der Grenze. An der Grenze, aber noch nicht drüber, Mama!
Meine Mutter runzelt die Stirn. Besorgt.
Kein Grund zur Freude.
Ich bin nervös.
Steige auf die Waage.
Der Arzt nickt runzelnd, malt einen Punkt auf den Graphen in dem kleinen Heft.
Der Punkt klebt an der Kurve.
Später holt mich meine Mutter ab, ich sage gleich, fast fröhlich: Er hat gesagt, ich bin ganz oben an der Grenze. An der Grenze, aber noch nicht drüber, Mama!
Meine Mutter runzelt die Stirn. Besorgt.
Kein Grund zur Freude.
1978 schreibt Susie Orbach Fat is a Feminist Issue. Sie argumentiert, Essstörungen bei Frauen seien oft ein Ausdruck von Protest gegen Rollenbilder und internalisierte patriarchale Normen.
Meine Mutter lebt 1978 im Sozialismus.
Meine Großmütter sind stark und gebildet.
Mein Vater erzog mich wie meinen Bruder.
Ich wollte trotzdem schon immer: einfach nur dünn sein.
Meine Mutter lebt 1978 im Sozialismus.
Meine Großmütter sind stark und gebildet.
Mein Vater erzog mich wie meinen Bruder.
Ich wollte trotzdem schon immer: einfach nur dünn sein.
Eine Pandemie des Übergewichts. Eine Weltplage des Fetts. Ganz schlimm ist das. Die Menschen machen ja nichts mehr.
Bewegen muss man sie!
Informieren muss man sie!
Bewegen muss man sie!
Informieren muss man sie!
Ich kenne die Kalorien von allem: von Äpfeln, von Nudeln, von Fleisch, fett und mager, von Brokkoli, von Müsliriegeln, von Müsli, von Cola, von Cola Zero, von Cola Light. Von Vollkornbrot, von Mehrkornbrot, von Weißbrot, von Brezeln. Von Kinderriegeln, von Kinderschokobons, von Kinder Maxiking. Von 100g Olivenöl, von einem Esslöffel Olivenöl, von einem Teelöffel Olivenöl, von einem Tropfen Olivenöl.
Jojo ist das: Ich stoße an meine Grenze. Kippe. Falle um. Schließe die Augen, nur ein paar Wochen, bitte, Pause von all dem. Öffne sie irgendwann wieder, vorsichtig, ängstlich, und: habe alles wieder drauf, plus einiges mehr.
Das Gebiet zwischen mir und der Außenwelt hat sich wieder erweitert, zwischen dem Kern und der Kälte da draußen ein Wall.
Das Gebiet zwischen mir und der Außenwelt hat sich wieder erweitert, zwischen dem Kern und der Kälte da draußen ein Wall.
Mit zwölf entdecke ich die Schläge für mich.
Das Internet ist neu. Das Modem wählt sich laut ein. Ich finde, was ich brauche: Kalorienverbrauch bei Verletzungen. Ich eile ins Kinderzimmer, hole aus, zögere kurz, bevor meine Stirn die Wand erwischt. Es reicht nicht, das weiß ich. Ich suche mir eine Bettkante, hole diesmal richtig aus und – der Schmerz sticht sich heftig in meinen Schädel hinein.
Zwei Schläge, 200 kcal.
Es blutet nur wenig.
Das Internet ist neu. Das Modem wählt sich laut ein. Ich finde, was ich brauche: Kalorienverbrauch bei Verletzungen. Ich eile ins Kinderzimmer, hole aus, zögere kurz, bevor meine Stirn die Wand erwischt. Es reicht nicht, das weiß ich. Ich suche mir eine Bettkante, hole diesmal richtig aus und – der Schmerz sticht sich heftig in meinen Schädel hinein.
Zwei Schläge, 200 kcal.
Es blutet nur wenig.
Hormonell ist es so: Wenn man einmal ein Höchstgewicht erreicht hat, will der Körper, jede Zelle in ihm, dass er wieder dahin kommt. Alles darunter zu halten bleibt Kampf. Für immer.
In der Studie Changes in Energy Expenditure Resulting from Altered Body Weight wurde gezeigt, dass sowohl bei ehemals adipösen als auch bei nie adipösen Personen eine Gewichtsreduktion zu einem signifikanten Rückgang des Energieverbrauchs führt.
In der Studie Long-term persistence of adaptive thermogenesis in subjects who have maintained a reduced body weight wurde gezeigt, dass der reduzierte Energieverbrauch auch ein Jahr nach erfolgreicher Gewichtsabnahme bestehen bleibt. Dies deutet darauf hin, dass der Körper langfristig gegen die Aufrechterhaltung eines niedrigen Gewichts ankämpft.
In der Studie von Persistent metabolic adaptation 6 years after 'The Biggest Loser' competition wurden Teilnehmer der Reality-Show The Biggest Loser über sechs Jahre begleitet. Obwohl viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Großteil des verlorenen Gewichts wieder zunahmen, blieb ihr Ruheenergieverbrauch deutlich unter dem erwarteten Niveau. Dies weist auf eine anhaltende metabolische Anpassung hin, die das Gewicht langfristig beeinflusst.
Ergo: (fast) hoffnungslos.
Der Slogan der meisten aufgepumpten Fitness-Coaches im Internet: No more excuses!
Der Weg durch die Scham ins Reden dauert 16 Jahre. Bis dahin probiere ich meine Methoden. Nehme ab: Minus 50kg. Zu: plus 40. Ab: minus 20kg. Zu: plus 35. Ab: minus 12. Zu: plus 16. Die Diätphasen werden kürzer. Die Möglichkeiten weniger. Erst, als ich zusammenbreche, vor den anderen weine, nehme ich den Hörer in die Hand, wähle die Nummer der Essstörungsstelle.
Das kann man keiner Dünnen erklären: Dass das Gewicht zu halten, egal wie knapp unter dem Höchstgewicht und in ihren Augen immer noch ein fettes Gewicht, anstrengender ist, als eine Hantel von 5kg waagerecht vor dem Körper. Leicht am Anfang, ja, aber mach das mal ein paar Minuten, Stunden, Tage am Stück, dann reden wir weiter.
Sophia Thiel war Deutschlands erfolgreichste Fitness-Influencerin. Ihr Startkapital: Vorher-Nachher-Bilder des eigenen Körpers. Sie versteht uns! Hat es geschafft, sich überwunden. Sixpack.
Einige Jahre danach taucht sie ab.
Einige Monate danach taucht sie wieder auf: doppelt so breit. Sie lachen, sie haten.
Sophia spricht. Ist gebrochen. Erzählt, was sie ihrem Körper angetan hat. Entschuldigt sich bei ihm, bei uns.
Kämpft.
Kämpft.
Kämpft und bleibt breit im Bild.
Lernt sich vor aller Augen selbst lieben, sagt sie.
Und dass sie sich immer noch schämt.
Einige Jahre danach taucht sie ab.
Einige Monate danach taucht sie wieder auf: doppelt so breit. Sie lachen, sie haten.
Sophia spricht. Ist gebrochen. Erzählt, was sie ihrem Körper angetan hat. Entschuldigt sich bei ihm, bei uns.
Kämpft.
Kämpft.
Kämpft und bleibt breit im Bild.
Lernt sich vor aller Augen selbst lieben, sagt sie.
Und dass sie sich immer noch schämt.
Hausarzt, ayurvedische Therapie in Triest, brasilianische hypnotische Therapie, Hagiotherapie auf dem hessischen Land, Psychotherapie in Berlin, Heilungsgebete, holistische Magnettherapie in Pula, Overeaters Anonymous, Ernährungstherapie, Eating Disorders Anonymous, Diätologie, SMART Recovery-Programme, Endokrinologie, Coaching im Internet, Psychopharmaka beim Psychiater (Höchstdosis), Logotherapie in Wien, stationäre Behandlung in Spezialklinik in Kärnten, Verhaltenstherapie.
Bestimmt habe ich etwas vergessen.
Bestimmt habe ich etwas vergessen.
Ich rede mir ein: Etwas in mir will vielleicht diese Schicht. Etwas in mir braucht vielleicht diesen Schutz. Ich rede. Ich therapiere. Ich hungere. Ich trainiere wie wild. Ich hypnotisiere. Ich menstruiere eine Weile nicht.
Dieses Etwas in mir will vielleicht versteckt bleiben.
In Therapien lernt man, die Stimme der Essstörung zu externalisieren. Die Essstörung will –. Aber ich will –.
Der Dämon flüstert.
Das höchste Gewicht, an das ich mich erinnere, ich muss 16 gewesen sein: 127kg. Danach steige ich sehr lange nicht mehr auf eine Waage.
Meine erste Therapeutin sagt, dass dünne Menschen ihre Grenzen besser kennen, verteidigen. Dass Dicke sie ständig von anderen übertreten lassen, das sei zu beobachten. Dass deshalb die Annahme, dünne Menschen seien die disziplinierteren, besseren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, dumm sei. Dumm von den Arbeitgebern, die statistisch die besseren Jobs lieber den Dünnen geben. Dünne Menschen aber würden viel öfter Nein sagen zu den Aufgaben, sich mit Kollegen, mit Chefinnen streiten.
Dicke nicht.
Ich nicke.
Das müsste man ihnen sagen. In Leitercoachings lehren.
Finden Sie?
Was?
Finden Sie wirklich?
Ich weiß nicht. Also nein, nicht wirklich.
Dicke nicht.
Ich nicke.
Das müsste man ihnen sagen. In Leitercoachings lehren.
Finden Sie?
Was?
Finden Sie wirklich?
Ich weiß nicht. Also nein, nicht wirklich.
Jede kann kämpfen. Eine Runde. Zwei Runden. Manche drei Runden. Eine in Millionen vielleicht vier. Irgendwann fällt auch die Stärkste um.
Weil der Gegner nicht müde wird.
Weil er lacht.
Weil der Gegner nicht müde wird.
Weil er lacht.
Schau, deine Hand ist deine Grenze, sagt die Diätologin, und breitet ihre Handfläche über dem Tisch zwischen uns aus. Darüber hinaus darfst du nichts essen. Es ist easy. So groß wie die ganze Hand Salat oder Gemüse. So groß wie die Handfläche bis zu den Fingern Fleisch oder Fisch oder Linsen, zum Beispiel. So groß wie die Faust die Kohlenhydrate. Alles passt auf einen Teller. Danach ist Schluss.
Ich lächle, aber mein Inneres wirft Giftpfeile nach ihr. Ich wette, sie kennt die Makros ihrer Faust, die Kalorien ihrer Handfläche, den Glykämischen Index ihrer Handballen nicht halb so genau wie ich.
Wissen schützt vor Handeln nicht.
Ich lächle, aber mein Inneres wirft Giftpfeile nach ihr. Ich wette, sie kennt die Makros ihrer Faust, die Kalorien ihrer Handfläche, den Glykämischen Index ihrer Handballen nicht halb so genau wie ich.
Wissen schützt vor Handeln nicht.
Beispiel eines Instagram-Posts, an die Oberfläche gespült vom Algorithmus einer Verzweifelten: Anorectics always say: no. Binge Eaters always say: yes. Bulimics always say: yes, but.
Serifenschrift auf rosafarbenem Hintergrund.
Serifenschrift auf rosafarbenem Hintergrund.
Mein Körper ist ein schwarzes Loch.
2017. Khloé Kardashian produziert die TV-Reality-Show Revenge Body, in der übergewichtige Kandidatinnen und Kandidaten mit ihrer Hilfe durch extremen Sport und Diäten schnell Gewicht verlieren, um ihren Ex-Partnerinnen und Ex-Partnern eins auszuwischen.
Was später aus ihnen wird, wird nicht berichtet.
Was später aus ihnen wird, wird nicht berichtet.
Einmal habe ich Sex mit einem halbberühmten Rapper.
Er sagt dabei: Don’t take it the wrong way, but I`ve always dreamt of having sex with someone of your format.
Ich sage: What do you mean?
Natürlich weiß ich, was er meint.
Er sagt dabei: Don’t take it the wrong way, but I`ve always dreamt of having sex with someone of your format.
Ich sage: What do you mean?
Natürlich weiß ich, was er meint.
Ärzte raten Übergewichtigen immer noch: Sport, gesunde Ernährung. Übergewichtige lächeln und versprechen alles. Übergewichtige wollen dem Arzt ins Gesicht schlagen. Übergewichtige wissen besser als der Arzt, was wann zu essen ist, welches Training wie viele Kalorien verbrennt, dass Muskeln mehr verbrennen als Fett, dass Hormone beeinflusst werden von Schlaf, Essen, Fasten, Licht, Nähe, Ruhe, Stress, Sauerkraut.
Bei den meisten verläuft es so: Ein Tag geht gut. Neuanfang, mal wieder. Alles richtig, Sport, Nahrung, Schlaf, frische Luft. Und dann, irgendwann: der Moment. Der Hebel wird umgelegt (der Dämon lacht). Die Hand greift nach der Packung, in der das mit der höchsten Kaloriendichte sitzt, die Hand schiebt es sich in den Mund, und dann noch, und dann noch, und dann Blackout. Dann Schmerz und Scham. Manche kotzen. Das heißt dann anders. Manche verbringen Stunden im Fitnessstudio. Manche bleiben sitzen und schämen sich, verhalten sich ab morgen wieder richtig.
Der Dämon macht geduldig Liegestütze neben dem Hebel.
Mit 20 kriege ich ein Stipendium für ein Auslandssemester in Brasilien. Brasilien! Fresse mich durch die ersten Nächte in den WGs, stehle die Pizza der vielen Mitbewohner, stopfe sie in mich, passe in nichts mehr. Dann ziehe ich aus, allein. Durchforste das Internet und finde: Atkins’ Ketose. Höre auf, alles zu essen außer: Champignons (manchmal), eine Dose Sardinen am Tag, manchmal eine dünne Scheibe mageres Fleisch. Ansonsten den ganzen Tag: Guaraná Zero, das brasilianische Sprite ohne Kalorien, Diätgelatine, manchmal gefroren, mit Süßstoffen. Mir ist immer kalt. Morgens zwei Stunden Gym. Abends zwei Stunden Gym. Die laute Trainerin schreit mir den Erfolg ins Gesicht. Ich schwitze und rede mit niemanden. Mein Brasilianer gratuliert mir später, weil mein Po schon fast brasilianisch aussieht. Außerdem hebt er mich hoch dabei, um mir zu beweisen, wie leicht ich geworden bin.
Im Internet posten Leidensgenossinnen, es gibt Communities. Sie sagen, was man sich nicht traut zu sagen:
Keiner außer uns versteht, warum man Essen aus dem Mülleimer isst,
Essensreste heimlich von fremden Tellern ist,
Gefrorenes isst,
Verdorbenes isst,
Verbranntes isst,
Essen stiehlt,
Essen ausspuckt, nur, um es dann wieder aus der Mülltonne zu holen und zu essen.
Keiner außer uns versteht, warum man Essen aus dem Mülleimer isst,
Essensreste heimlich von fremden Tellern ist,
Gefrorenes isst,
Verdorbenes isst,
Verbranntes isst,
Essen stiehlt,
Essen ausspuckt, nur, um es dann wieder aus der Mülltonne zu holen und zu essen.
Mit 30 gehe ich zum Psychiater. (Wieder eine Hoffnung – der Dämon lacht mich aus.) Ich will und bekomme Antidepressiva. Nur in der höchsten Dosis helfen sie einigen Binge-Eatern.
Ich fühle mich gut.
Das Binge-Eating geht weiter, aber es ist mir jetzt egal.
Nach einem Jahr setze ich sie ab.
Ich fühle mich gut.
Das Binge-Eating geht weiter, aber es ist mir jetzt egal.
Nach einem Jahr setze ich sie ab.
Laut Overeaters Anonymous gibt es Lebensmittelkategorien, die gemieden werden müssen wie Alkohol von Alkoholikern. Nimmt man einen Biss, hat man das Tor zur Hölle geöffnet, in die Büchse der Pandora geblickt, den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs betreten, in dem nichts, nicht einmal Licht, der Gravitation entkommen kann. Für die meisten ist das: Zucker, Süßes, Weißmehlprodukte.
Das Konzept ist deduktiv, beruht auf Erfahrung.
Die Wissenschaft legt viel später Begriffe drauf: Dysfunktionales dopaminerges System bei BED, Insulinresistenz, Metabolisches Syndrom.
Nach der Rückkehr aus Brasilien suche ich den Rapper auf einer Party auf. Er ist wieder im Land. Ich stehe da. Er erkennt mich nicht. Ich sage: Hey. Er sagt: Oh. I didn’t recognize you! How much have you lost? 40 pounds? Ich sage: 60. Er sagt: Congratulations. Später, als seine Freunde weg sind, sagt er: Your tits are still big. Relatively. Ich sage: I will not sleep with you. Er fragt: Why? Ich sage: I don’t like repetition. Ich lüge. Wir verlassen die Party zusammen. Nach einer Stunde Überredung gibt er auf. Er schläft in meinem Bett. Ich schlafe auf der Couch.
Dafür hat sich alles gelohnt.
Das Konzept ist deduktiv, beruht auf Erfahrung.
Die Wissenschaft legt viel später Begriffe drauf: Dysfunktionales dopaminerges System bei BED, Insulinresistenz, Metabolisches Syndrom.
Nach der Rückkehr aus Brasilien suche ich den Rapper auf einer Party auf. Er ist wieder im Land. Ich stehe da. Er erkennt mich nicht. Ich sage: Hey. Er sagt: Oh. I didn’t recognize you! How much have you lost? 40 pounds? Ich sage: 60. Er sagt: Congratulations. Später, als seine Freunde weg sind, sagt er: Your tits are still big. Relatively. Ich sage: I will not sleep with you. Er fragt: Why? Ich sage: I don’t like repetition. Ich lüge. Wir verlassen die Party zusammen. Nach einer Stunde Überredung gibt er auf. Er schläft in meinem Bett. Ich schlafe auf der Couch.
Dafür hat sich alles gelohnt.
Wenn du dich einmal im Kreis drehst: gut, menschlich.
Beim zweiten Mal wird dir schwindelig.
Beim dritten Mal denkst du, wie dumm bist du.
Beim vierten fünften sechsten Mal, beim 184. Mal, beim 3899. Mal willst du aufgeben, aber deine Hose zwickt und du schämst dich, dich auf eine Bühne zu stellen, auf das Fest zu gehen, zum Arzt, auf ein Date sowieso, also denkst du beim 3900. Mal schon, dass es eigentlich bemerkenswert ist, dass du bisher nicht umgekippt bist vor lauter Drehen.
Du bist nur sehr kurz stolz.
Beim zweiten Mal wird dir schwindelig.
Beim dritten Mal denkst du, wie dumm bist du.
Beim vierten fünften sechsten Mal, beim 184. Mal, beim 3899. Mal willst du aufgeben, aber deine Hose zwickt und du schämst dich, dich auf eine Bühne zu stellen, auf das Fest zu gehen, zum Arzt, auf ein Date sowieso, also denkst du beim 3900. Mal schon, dass es eigentlich bemerkenswert ist, dass du bisher nicht umgekippt bist vor lauter Drehen.
Du bist nur sehr kurz stolz.
Ich stoße an eine neue Grenze. Warte. Mein Kopf schmerzt. Stehe auf. Klettere drüber: Ich gehe in die Klinik. Ich schäme mich. Ich bin älter als die anderen. Ausgebildeter. Beruflich viel weiter. In der Klinik lerne ich: Du darfst dir nichts verbieten. Keine Lebensmittelgruppen, ich nicke, ich lösche alle Ideen von OA. Es läuft gut, für mich und die andere Dicke dort: Wir kontrollieren uns. Werden Freundinnen. Lachen.
Die Anorektischen finden ihn scheiße, unseren Spaß.
Nach sieben Wochen gehen wir raus, voller Elan, Plänen, Zetteln und Zielen.
Nach zwölf Wochen telefonieren wir.
Wir haben beide alles wieder zugenommen, und noch mehr.
Sie macht eine Bypass-OP.
Ich suche weiter.
Die Anorektischen finden ihn scheiße, unseren Spaß.
Nach sieben Wochen gehen wir raus, voller Elan, Plänen, Zetteln und Zielen.
Nach zwölf Wochen telefonieren wir.
Wir haben beide alles wieder zugenommen, und noch mehr.
Sie macht eine Bypass-OP.
Ich suche weiter.
Mit zwei Jahren fange ich an zu tanzen.
Ich will Profi werden.
Ich bin 13 und es ist Oktober, als meine Ballettlehrerin sagt: Iss bis Weihnachten einfach nichts. Dann hat sich das erledigt.
Als die richtigen Kilos anfangen, höre ich auf, hinzugehen. Die Ballettlehrerin ruft immer wieder an. Die Freundinnen auch. Ich melde mich nicht. Bin verschollen. Bis heute habe ich zu niemandem von ihnen Kontakt aufgenommen.
Die Scham sitzt in den abgewetzten Gelenken.
Ich will Profi werden.
Ich bin 13 und es ist Oktober, als meine Ballettlehrerin sagt: Iss bis Weihnachten einfach nichts. Dann hat sich das erledigt.
Als die richtigen Kilos anfangen, höre ich auf, hinzugehen. Die Ballettlehrerin ruft immer wieder an. Die Freundinnen auch. Ich melde mich nicht. Bin verschollen. Bis heute habe ich zu niemandem von ihnen Kontakt aufgenommen.
Die Scham sitzt in den abgewetzten Gelenken.
2025. Die Schauspielerinnen Cynthia und Ariana klappern sich durch mein Social Media. Halten sich an den knochigen Fingern. Ein Aufschrei, weil Heroin Chic wieder In ist. Selbst die Kardashians nehmen ab, auch an den Hintern.
Ich scrolle durch alles und bestreiche dabei ein Erdnussbutterbrot, obwohl es nicht in meinen aktuellen Essplan passt. Mein Bildschirm wird schmierig.
Ich scrolle durch alles und bestreiche dabei ein Erdnussbutterbrot, obwohl es nicht in meinen aktuellen Essplan passt. Mein Bildschirm wird schmierig.
Mit 13 werden bei einer italienischen Ärztin meine Gehirnströme gemessen. Sie gibt mir Tabletten für den Kopf und nickt vielsagend, als ich auf ihre seltsamen Fragen hin berichte, ja, meine Mutter und meine Schwester seien dünn.
Ich weine im Auto zurück.
Will keine Tabletten für meinen Kopf.
Meine Mutter sagt OK, und weint ein wenig mit.
Ich weine im Auto zurück.
Will keine Tabletten für meinen Kopf.
Meine Mutter sagt OK, und weint ein wenig mit.
Diese Hoffnung, diese dumme, naive Hoffnung, nach jedem neuen Detail, das ich lerne, jeder neuen Methode, jeder neuen Therapeutin, Therapieform, die mich retten wird, aus der Misere.
Beelzebub lacht.
Beelzebub lacht.
Die vielen Tipps, ungefragt, von dünnen Frauen: Iss abends nichts. Iss morgens nichts. Iss keine Kohlenhydrate. Trink keine Cola Light. Geh auf nüchternen Magen joggen. Geh auf keinen Fall joggen. Nimm mehrere Mahlzeiten, aber klein. Nimm nur eine Mahlzeit am Tag. Trink Apfelessig. Verlieb dich einfach mal richtig.
Ich lächle und nicke immer, sage nichts.
Ich lächle und nicke immer, sage nichts.
Manchmal träume ich von einer richtigen Krankheit. Einer, die einen monatelang im Krankenhaus hält. Einer, bei der die Menschen dünn werden.
Jedes Mal schiebe ich den Gedanken weg, schäme mich – wie dumm von mir!
Immer wieder neu anfangen.
Montag.
Sabotage.
Silvester.
Irgendwelche Tage.
Fallen.
Aufstehen.
Fallen.
Aufstehen.
Fallen.
Jedes Mal schiebe ich den Gedanken weg, schäme mich – wie dumm von mir!
Immer wieder neu anfangen.
Montag.
Sabotage.
Silvester.
Irgendwelche Tage.
Fallen.
Aufstehen.
Fallen.
Aufstehen.
Fallen.
Ich streite mit Gott.
Wenn man mich kennenlernt, denkt man: Nett, kontrolliert, stabil.
Nur der Dämon, nur das Essen.
Sonst passt alles.
Nur der Dämon, nur das Essen.
Sonst passt alles.
Dann, wieder: die letzte Revolution!
Dieses Mal Chemie, Big Pharma: Ozempic.
Alle im Internet machen es, Elon Musk, Oprah Winfrey, Selena Gomez, und, ja, Khloé Kardashian.
Ich wehre mich erst, weil ich es selbst geschafft haben will.
Weil die Grenze zwischen Hilfsmittel und Suchtmittel sehr, sehr porös ist.
Weil ich zäh bin.
Nicht aufgebe.
Ich weine allein.
Lese.
Google Vorher-Nachher-Fotos.
Sage zu.
Wenn, dann richtig.
Lasse die Einsteigerdosis aus, gehe gleich auf die höhere, 0,5mg.
Kriege Durchfall. Übelkeit.
1mg.
Dann fällt das erste Mal wirklich alles von mir ab: Das Essen ruft nicht, schreit mich nicht an, hat sein Zepter abgegeben.
Jetzt lache ich, wie es seine Macht nach 23 Jahren gegen einen kleinen Piks in mein Bauchfett abgeben muss.
Hahaha!
I`m thriving.
Ich werde dünner.
Fast mühelos.
Kaufe Klamotten.
Ohne Hunger. Ohne Brainfog. Ohne Zittern. Zähnezusammenbeißen.
Ich bin gesund. Mache Sport in normalem Ausmaß.
Kriege Komplimente.
Winke sie ab.
Ich date.
Mein Selbstbewusstsein ist riesig.
Ich heirate.
Mag mein Kleid.
Tanze.
Mag sogar die Fotos.
Will schwanger werden.
Muss Ozempic absetzen.
Scheiße!
Alle im Internet machen es, Elon Musk, Oprah Winfrey, Selena Gomez, und, ja, Khloé Kardashian.
Ich wehre mich erst, weil ich es selbst geschafft haben will.
Weil die Grenze zwischen Hilfsmittel und Suchtmittel sehr, sehr porös ist.
Weil ich zäh bin.
Nicht aufgebe.
Ich weine allein.
Lese.
Google Vorher-Nachher-Fotos.
Sage zu.
Wenn, dann richtig.
Lasse die Einsteigerdosis aus, gehe gleich auf die höhere, 0,5mg.
Kriege Durchfall. Übelkeit.
1mg.
Dann fällt das erste Mal wirklich alles von mir ab: Das Essen ruft nicht, schreit mich nicht an, hat sein Zepter abgegeben.
Jetzt lache ich, wie es seine Macht nach 23 Jahren gegen einen kleinen Piks in mein Bauchfett abgeben muss.
Hahaha!
I`m thriving.
Ich werde dünner.
Fast mühelos.
Kaufe Klamotten.
Ohne Hunger. Ohne Brainfog. Ohne Zittern. Zähnezusammenbeißen.
Ich bin gesund. Mache Sport in normalem Ausmaß.
Kriege Komplimente.
Winke sie ab.
Ich date.
Mein Selbstbewusstsein ist riesig.
Ich heirate.
Mag mein Kleid.
Tanze.
Mag sogar die Fotos.
Will schwanger werden.
Muss Ozempic absetzen.
Scheiße!
Hatte gehofft, mein Gehirn hätte sich verändert. Angepasst. Nichts.
Das Fressen ist ein Dämon, der mich zurückruft.
Mir ins Gesicht lacht.
Mir ins Gesicht lacht.
Ich schwitze im Gym.
Er lacht mich aus.
Verbringe Tage mit Recherche.
Er lacht.
Faste. 16 Stunden. 24 Stunden. Friere. Falle.
Er lacht.
Plane. Schreibe auf. Falle.
Er lacht.
Mein Gewicht steigt.
Er lacht.
Weine vor meinem Mann.
Er lacht.
Lege die kleineren Hosen ins hintere Ende des Schranks.
Er lacht.
Kaufe eine größere, aber nur eine, weil ich noch auf ein Wunder hoffe.
Er lacht.
Trage immer dieselbe.
Er lacht.
Trinke Shakes.
Er lacht.
Suchte Influencer, die es geschafft haben.
Er lacht.
Streichle die Grenzen.
Er lacht.
All die Augen, sie sehen: Wie ich anschwelle.
Er lacht.
ChatGPT spuckt alternative Medikamente aus, die auch bei Schwangeren gehen würden.
Er lacht.
Du schaffst das schon, sagt mein Mann.
Der Dämon lacht weiter.
Ich verstecke das Essen vor ihm.
Er lacht.
Ich rufe eine neue Therapeutin an.
Lacht lacht lacht.
Schreibe darüber.
Hahaha.
Raus aus der Scham.
Hahahahaha.
Werde nicht schwanger, muss warten.
Er lacht.
Die Gynäkologin sagt: Essen Sie weniger, Normalgewicht ist gut für die Fruchtbarkeit.
Hahahaha!!!!
Ich kann nicht mehr kämpfen.
Er lacht.
Stehe auf.
Lacht lacht lacht.
Trotzdem, wieder.
Lacht weiter.
Was soll ich machen.
Wird nicht müde vom Lachen.
Setze mich auf meinen Grenzwall.
Er lacht.
Winke ihm zu von hier oben.
Haha!
Hebe die Hände auf die Ohren.
Hahahahaha.
Lächle ihn an.
Hahihohahahahahihoha, lacht der Dämon.
Er lacht mich aus.
Verbringe Tage mit Recherche.
Er lacht.
Faste. 16 Stunden. 24 Stunden. Friere. Falle.
Er lacht.
Plane. Schreibe auf. Falle.
Er lacht.
Mein Gewicht steigt.
Er lacht.
Weine vor meinem Mann.
Er lacht.
Lege die kleineren Hosen ins hintere Ende des Schranks.
Er lacht.
Kaufe eine größere, aber nur eine, weil ich noch auf ein Wunder hoffe.
Er lacht.
Trage immer dieselbe.
Er lacht.
Trinke Shakes.
Er lacht.
Suchte Influencer, die es geschafft haben.
Er lacht.
Streichle die Grenzen.
Er lacht.
All die Augen, sie sehen: Wie ich anschwelle.
Er lacht.
ChatGPT spuckt alternative Medikamente aus, die auch bei Schwangeren gehen würden.
Er lacht.
Du schaffst das schon, sagt mein Mann.
Der Dämon lacht weiter.
Ich verstecke das Essen vor ihm.
Er lacht.
Ich rufe eine neue Therapeutin an.
Lacht lacht lacht.
Schreibe darüber.
Hahaha.
Raus aus der Scham.
Hahahahaha.
Werde nicht schwanger, muss warten.
Er lacht.
Die Gynäkologin sagt: Essen Sie weniger, Normalgewicht ist gut für die Fruchtbarkeit.
Hahahaha!!!!
Ich kann nicht mehr kämpfen.
Er lacht.
Stehe auf.
Lacht lacht lacht.
Trotzdem, wieder.
Lacht weiter.
Was soll ich machen.
Wird nicht müde vom Lachen.
Setze mich auf meinen Grenzwall.
Er lacht.
Winke ihm zu von hier oben.
Haha!
Hebe die Hände auf die Ohren.
Hahahahaha.
Lächle ihn an.
Hahihohahahahahihoha, lacht der Dämon.
Ich warte.










