Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und den daraus folgenden Sanktionen des Westens wird auch die russische Wissenschaft getroffen. Alle großen deutschen Wissenschaftsorganisationen haben reagiert und angekündigt, wenn möglich alle Kooperationen mit russischen Institutionen zu beenden oder zumindest ruhen zu lassen.
Dabei ist Russland an mehreren großen Wissenschaftsmaschinen in Deutschland erheblich beteiligt, zum Beispiel am Europäischen Röntgenlaser XFEL in Hamburg. XFEL ist der stärkste Röntgenlaser der Welt, mit dem sich z.B. Moleküle regelrecht filmen lassen. Die Maschine ist ein europäisches Projekt, läuft seit 2017 und hat mehr als 1,2 Milliarden Euro gekostet. Deutschland trägt gut die Hälfte der Kosten, aber der mit Abstand wichtigste ausländische Partner ist Russland mit einem Anteil von 27 Prozent. Russland hat bis jetzt mehr als 300 Mio. Euro in den Röntgenlaser XFEL investiert.
Russland hat aber auch für Forschende aus Deutschland durchaus einiges zu bieten – zum Beispiel einen brandneuen Forschungsreaktor namens PIK . Der dient nicht etwa der Weiterentwicklung der Kernenergie, sondern fungiert als Neutronenquelle für die Materialforschung. Und hier gibt es seit einiger Zeit ein EU-Programm namens CREMLIN+, dass es europäischen Fachleuten ermöglichen soll, an diesem Reaktor und auch an anderen russischen Großgeräten arbeiten und dort z.B. eigene Messgeräte aufbauen zu können. Das ist ein recht großes Programm, immerhin 25 Mio. Euro, und die Vorbereitungen liefen quasi auf Hochtouren. Aber das ist nun erstmal komplett gestoppt. Da werden also keine deutschen Wissenschaftler nach Russland reisen können, um den Reaktor dort zu nutzen.
Beim Europäischen Röntgenlaser XFEL in Hamburg gibt es eine Theoriegruppe, die der russischstämmige Physiker Alexander Lichtenstein leitet. Seine Mutter musste im Zweiten Weltkrieg vor den Nationalsozialisten aus Kiew nach Jekaterinenburg in Sibirien fliehen. Alexander Lichtenstein kam dort zur Welt und hat lange dort geforscht, bevor er 1989 nach Deutschland kam. Nach wie vor hat er jedoch viele Kontakte und Kooperationspartner in Russland. Dass die internationalen Beziehungen zur russischen Forschung schwieriger werden, beobachtet er daher schon seit längerem.
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Ralf Krauter: Wie wird der politische Konflikt ihre Forschungskooperationen mit Russland verändern?
Alexander Lichtenstein: Ich erwarte drastische Veränderungen. Die Situation hat sich so radikal verändert, dass ich keinen Weg sehe, die normale Kooperation fortzuführen. Auf deutscher Seite gibt es das Statement der Helmholtz-Gemeinschaft, dass sie die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland stoppen will. In Russland gibt es ähnliche Entwicklungen, die aber viel weiter zurückreichen. Seit einigen Jahren schon hatte ich den Eindruck, dass Zusammenarbeit mit dem Ausland dort nicht mehr so willkommen war. Als Forscher aus dem Westen war man zunehmend mit dem Verdacht konfrontiert, ein Spion zu sein. Es gab auf einmal wieder politische Vorgaben, dass keine 1:1 Gespräche mehr unter Forschern stattfinden dürfen, sondern mindestens zwei Russen anwesend sein müssen. Es war wieder wie in der Sowjetunion. Damals musste bei internationalen Treffen auch immer jemand vom KGB dabei sein.
Es zeichnete sich also schon lange ab, dass die Zusammenarbeit schwieriger wird. Und nach dem Start des Krieges jetzt, hat sich die Lage so drastisch verschlechtert, dass ich nicht weiß, ob Kollaborationen künftig überhaupt noch möglich sein werden. Kürzlich rief mich ein deutscher Wissenschaftler an, der nächsten Monat an einem Workshop in Jekaterinenburg im Ural teilnehmen wollte. Ich riet ihm, er solle sich gut überlegen, ob er da jetzt hinreisen will. Nach der Entwicklung der letzten Tage hat sich das Ganze erledigt, es ist unmöglich geworden. Er wäre aber wirklich gern hingefahren, damit der Kontakt zu seinen Kollegen in Russland nicht abbricht.
Einem Professor von der Universität Kiel, der mich kontaktierte, ging es ähnlich: Er sagte, er fühle sich wirklich schlecht, jetzt alle Kollaborationen auf Eis zu legen. Ich antwortete ihm mit dem lateinischen Sprichwort: Inter arma silent musae – wenn die Waffen sprechen, schweigen die Musen. Und auch die Wissenschaft.
Krauter: Was wäre derzeit das optimistischste Szenario?
Lichtenstein: Vermutlich sollten wir versuchen, irgendeine Form der Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten. Um den Forschern in Russland zu zeigen: Ihr seid nicht allein auf der Welt. Ich kann mich noch erinnern, wie schlimm dieses Gefühl damals in der Sowjetunion war. Ich war etwa 15 Jahre lang Teil der Scientific Community dort und weiß noch genau, wie ich darunter gelitten habe, isoliert zu sein. Als die rote Armee 1980 in Afghanistan einmarschierte, kam auch ein Großteil der Wissenschaft zum Erliegen. Das war ein schlimmes Gefühl damals, denn wir waren ja nicht verantwortlich für dieses politische Desaster.
Wahrscheinlich ist die Situation heute ganz ähnlich. Es gibt ja diesen offenen Brief, den hunderte russische Forscher unterzeichnet haben, in dem sie fordern, diesen Krieg zu stoppen. Auch der Nobelpreisträger Kostja Noveselov ist darunter, den ich aus meiner Zeit in den Niederlanden sehr gut kenne. Es sind also richtig berühmte Wissenschaftler, die öffentlich protestieren. Aber noch schweigen die Waffen leider nicht.
Krauter: Fällt die grenzüberschreitende Wissenschaft jetzt also der Politik zum Opfer?
Lichtenstein: Ja, genau. Ich glaube, es gibt keinen Wissenschaftler, der diesen Konflikt will und den Krieg unterstützt. Es mag zwar vielleicht ein paar verrückte Forscher geben, die glauben, dass die USA Russland unter Druck setzen und die Ukraine vom ‚Mütterchen Russland‘ abspalten wollen. Das ist die Standard-Erzählung der russischen Politiker. Aber Wissenschaftler sind klüger als normale Menschen. Ich glaube deshalb nicht, dass irgendein Forscher in Russland für diesen Krieg ist.