Freitag, 19. April 2024

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Kommentar zum Mobilitätsgipfel
Ampel muss dringend ein paar Streitpunkte klären

Die Kritik an Verkehrsminister Wissing sei berechtigt, kommentiert Nadine Lindner. Denn nach über einem Jahr im Amt bleibe völlig schleierhaft, wie er die Klimaziele für den Verkehrssektor erreichen wolle. Hinzu komme das Gezänk mit den Grünen.

Ein Kommentar von Nadine Lindner | 10.01.2023
Menschen demonstrieren bei einer Campact-Aktion vor "Mobilitätsgipfel" vor dem Bundeskanzleramt. Bei dieser Aktion richtet sich der Protest auch gegen Bundesverkehrsminister Wissing.
Nicht nur bei Demonstranten ist die Politik von Verkehrsminister Wissing umstritten, sondern auch innerhalb der Ampelkoalition (picture alliance / dpa / Carsten Koall)
Gut, dass wir drüber geredet haben. Auf diese simple Formel lassen sich die wenigen Äußerungen, die es von Teilnehmern der Runde im Kanzleramt gibt, bringen. Das mag auch daran liegen, dass nur zwei Stunden für das Treffen angesetzt waren. Es war also absehbar, dass man die vielen komplexen Themen allenfalls streifen konnte.
Als da wären: Die Umstellung auf Elektro-Mobilität beraubt die deutsche Auto-Industrie ihrer bisherigen Bestseller, den hochpreisigen Verbrennern. Und die Lieferketten für Chips, für Halbleiter sind seit Monaten brüchig, eigene Batteriezellfertigungen – ein Bestandteil mit dem bei E-Autos große Wertschöpfung erzielt werden kann – muss aufgebaut werden. Ebenso eine Lade-Infrastruktur, die nicht nur die großen Städte versorgt, sondern auch in die Fläche geht. Das sind allein die Anforderungen der Antriebswende in den Autos.
Der größere Rahmen – und Ziel der Umwelt-Orientierten – ist die Verkehrswende. Das heißt Mobilität ohne eigenes Auto, sondern zu Fuß, mit dem Rad, mit Bus und Bahn. All das soll dazu führen, dass der Verkehrssektor endlich seinen Titel als Schlusslicht des Klimaschutzes los wird. Laut Klimaschutzgesetz müssen sich die CO-Emissionen bis 2030 quasi halbieren im Vergleich zum Jahr 2019.
Was ist jetzt zu tun? Die Industrie muss ihren Teil tun – das heißt, nicht nur hochpreisige E-Autos anbieten, sondern auch solche, die für alle erschwinglich sind. Sie muss in Batterie- und Recycling-Technologien investieren, selbst stärker beim Aufbau der Lade-Infrastruktur aktiv werden. Bei Benzin-Tankstellen ist es ja auch nicht der Staat, der sie betreibt.

Ampel ohne gemeinsame Linie

Eine Milliarde Euro gab es schon  im Jahr 2021 beim letzten Auto-Gipfel unter Angela Merkel in einem Zukunftsfonds. Das Geld muss sinnvoll und transparent verwendet werden, denn es ist Geld der Steuerzahler.
Und die Bundesregierung? Der Mobilitätsgipfel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ampel dringend ein paar Streitpunkte klären muss. Das ewige Gezänk zwischen Grünen und FDP, sei es bei der Beschleunigung der Infrastruktur-Planung oder bei synthetischen Kraftstoffen ist ermüdend.
Hier rächt sich, dass einige Punkte im Koalitionsvertrag schwammig formuliert waren und jetzt Raum für Streit lassen. Die Kritik an FDP-Verkehrsminister Volker Wissing ist berechtigt, nach über einem Jahr im Amt bleibt völlig schleierhaft, wie er die Klimaziele für den Verkehrssektor erreichen will.
Stattdessen verwendet Wissing viel Zeit auf Nebendebatten wie den Einsatz von Atomstrom für E-Autos, die eher den Eindruck erwecken, dass sie die Grünen ärgern sollen, als wirklich zur Lösung beizutragen. Es ist jetzt auch an Bundeskanzler Olaf Scholz hier stärker den Kurs vorzugeben. Er hat sich mit dem Slogan „Klima-Kanzler“ für sich geworben. Dieses Versprechen muss er jetzt einlösen.
Nadine Lindner, Deutschlandradio Hauptstadtstudio, Juli 2019
Nadine Lindner, Deutschlandradio Hauptstadtstudio, Juli 2019
Nadine Lindner, Jahrgang 1980, studierte Politikwissenschaft, Afrikanistik und Journalistik in Leipzig und Lissabon. Nach Stationen beim Ausbildungssender der Universität Leipzig mephisto 97.6, der „FAZ“ und dem MDR folgte ein Volontariat beim Deutschlandradio. Von 2013 bis 2015 war sie Landeskorrespondentin im Studio Sachsen. Heute arbeitet sie als freie Korrespondentin im Hauptstadtstudio und ist für die AfD sowie für die Verkehrspolitik zuständig.