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Bundeslandwirtschaftsminister
Özdemir wirft Putin Hunger als Kriegsmittel vor

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, Hunger als Kriegsmittel einzusetzen. Özdemir bezeichnete es als klare Strategie, dass der russische Präsident Preissteigerungen und Verknappungen an den Agrarmärkten gezielt provoziere, sagte er im Dlf.

Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft äußert sich auf einer Pressekonferenz beim Sondertreffen der G7-Agrarministerinnen und -minister
Hunger als Kriegsmittel: Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), erhebt Vorwürfe gegen Putin. (picture alliance/dpa - Bernd von Jutrczenka)
Der Krieg in der Ukraine hat auch Auswirkungen auf die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln. Die Ukraine ist einer der wichtigsten Exporteure von Weizen und Mais, aber auch von Raps und Sonnenblumen. Je länger der Krieg andauert, desto größer werden die Sorgen, denn derzeit kann man keine Felder bestellen, was auch Folgen für die Ernte mit sich zieht. In den letzten vier Wochen sind daher die Preise etwa für Weizen explodiert.
Er sei fassungslos darüber, dass in der Ukraine gezielt Getreidespeicher abgebrannt und Produktionsanlagen sowie Transport-Infrastruktur angegriffen würden, so Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im Deutschlandfunk. „Selbst bei einem sofortigen Kriegsende würde die Landwirtschaft ihre Rolle als Wachstumsmotor, als Devisenbringer mindestens für dieses Jahr nicht mehr leisten können.“ Die Ukraine gelte als „ Kornkammer der Menschheit“, ernähre normalerweise weite Teile der Welt und sei jetzt selbst auf Lebensmittelhilfen angewiesen, sagte der Grünen-Politiker im Dlf.

Einigkeit zwischen den Agrarministern der G7-Staaten

Bei einer Konferenz der Agrarminister der G7-Staaten hätten Özdemir und die anderen Agrarminister sich verständigt, dass es derzeit darum gehe, die Märkte zu stabilisieren, offenzuhalten und Landwirte zu unterstützen. „Indem jeder die Märkte schließt, wird die Krise verschärft werden, weil: Die Preise schießen durch die Decke.“ Denn neben einem Versorgungsproblem gebe es auch ein Preisproblem. Die Auswirkungen würde Deutschland schon jetzt zu spüren bekommen, doch gebe es keinen Grund zur Panik, so Özdemir: „Wir haben das bei Corona geschafft, wir werden es hier schaffen.“
Özdemir betonte zudem, dass über die Krise als Auswirkung des Kriegs auf die Ukraine nicht die Klimakrise ignoriert werden dürfe. Deswegen müssten wir in Deutschland „raus aus fossilen Energieträgern, rein in Richtung erneuerbare Energien“, sagte der Minister im Dlf.

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Das Interview im Wortlaut:
Theo Geers: Herr Özdemir, die Ukraine gilt als eine der Kornkammern der Welt, aber nun, wo das Ackerland dort zum Schlachtfeld wird, wie groß sind da Ihre Sorgen?
Cem Özdemir: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, nicht groß – erst mal groß für die Menschen in der Ukraine. Sie haben das vorher schon gesagt, die Ukraine gilt als Kornkammer der Menschheit, sie ernährt normalerweise weite Teile der Welt, jetzt ist sie selber auf Lebensmittelhilfen angewiesen. Mein Haus versucht das mit der Wirtschaft zusammen zu koordinieren für Deutschland, aber solche Bilder vergessen Sie nicht. Gestern hatte ich eine Konferenz mit dem ukrainischen Ministerkollegen Roman Leshchenko. Der sitzt hinter Sandsäcken, muss permanent seinen Amtssitz wechseln, weil er davon ausgehen muss, dass Teil der russischen Strategie ist, solche Menschen wie ihn zu töten, um eben dafür zu sorgen, dass Hunger als Mittel in der Ukraine eingesetzt wird. Ich hätte mir vieles vorstellen können, aber dass im 21. Jahrhundert gezielt Getreidespeicher abgebrannt werden, Produktionsanlagen, Transportinfrastruktur, um den Hunger als Mittel zu benutzen, um uns die Ukraine erst mal, aber natürlich auch uns alle in die Knie zu zwingen, das sollte all diejenigen vielleicht prägen in ihrem Denken, die immer noch glauben, dass man mit autoritären Herrschern besonders nett sein muss, um sie dann wohlgesonnen zu stimmen. Das hat sich als Irrtum erwiesen, und das gilt leider nicht nur für Herrn Putin.

„Der Westen muss jetzt vernünftig agieren und helfen, wo er kann“

Geers: Setzt Herr Putin Preissteigerungen an den Agrarmärkten und Verknappungen ganz gezielt ein?
Özdemir: Natürlich, das ist ganz klare Strategie. Wir müssen davon ausgehen, dass jetzt bereits in der Ukraine eine wesentlich geringere Rente als sicher gilt. Selbst bei einem sofortigen Kriegsende würde die Landwirtschaft ihre Rolle als Wachstumsmotor, als Devisenbringer mindestens für dieses Jahr nicht mehr leisten können. Wir müssen davon ausgehen, dass die Auswirkungen vor allem in den Ländern, die in höchstem Maße abhängen von ukrainischem Getreide, aber auch von russischem Getreide, dramatisch sein werden. Das sind Regionen, die jetzt bereits auch durch die Klimakatastrophe krisengeschüttelt sind. Denken Sie an die Länder Nordafrikas, denken Sie an die Subsahara, viele Länder Asiens sind zum Teil in dramatischer Weise abhängig von der Ukraine. Das World Food Programme (WFP) wird zu 50 Prozent beliefert aus der Ukraine und aus Russland. Stellen Sie sich jetzt mal vor, das fällt weg, was das heißt. Es sind auch wir als Deutschland – bei uns ist die Lebensmittelversorgung in Deutschland Gott sei Dank sicher, auch in Europa aufgrund eines hohen Selbstversorgungsgrades, aber wir müssen helfen. Wir müssen helfen in der Ukraine, wir müssen helfen in der Welt. Deshalb habe ich ja gestern auch die G7-Minister zusammengerufen und bin da sehr dankbar, dass alle teilgenommen haben, damit wir auch unsere Rolle jetzt wahrnehmen. Der Westen muss jetzt zusammenrücken, muss jetzt vernünftig agieren und helfen, wo er kann.
Russlands Präsident Wladimir Putin
Wie kann man Wladimir Putin und seinen Krieg in der Ukraine stoppen? Darüber macht sich die Publizistin Sieglinde Geisel Gedanken. (picture alliance / dpa / Russian Presidential Press and Information Office / TASS / Alexei Druzhinin)

„Jetzt geht’s erst mal darum, die Märkte zu stabilisieren“

Geers: Der Westen muss helfen, wo er kann – das ist das Stichwort. Es gibt aber auch die Gefahr, dass möglicherweise die ein oder andere Regierung die Nerven verlieren könnte und zum Beispiel einen Exportstopp für Getreide verhängen könnte. Wie groß ist diese Gefahr, dass es dann zu einem Dominoeffekt käme?
Özdemir: Das haben wir zum Teil bereits, deshalb haben wir auch in unserer Erklärung gemeinsam gesagt – das sind ja immerhin die sieben größten Wirtschaftsnationen der westlichen Welt, also die USA, Kanada, Japan, Italien, Frankreich, wir und die Kommission –, wir haben gemeinsam gesagt, jetzt geht’s erst mal drum, die Märkte stabilisieren, offenhalten, ganz entscheidend unsere Landwirte unterstützen, damit sie ihre Arbeit machen und natürlich dafür sorgen, Lebensmittel bezahlbar zu halten, Preissteigerungen abzufangen. Da müssen wir auf der nationalen Ebene – das tun wir ja auch in Deutschland – helfen, Stichwort Verkehr. Aber noch mal: Indem jeder die Märkte schließt, wird die Krise verschärft werden, weil die Preise schießen durch die Decke. Wir haben ja nicht nur ein Versorgungsproblem – darum kümmern wir uns –, sondern wir haben auch ein Preisproblem.

„Raus aus fossilen Energieträgern, rein in Richtung erneuerbare Energien“

Geers: Das Preisproblem ist das eine, es gibt aber auch noch ein anderes Problem, Herr Özdemir, und zwar die Forderungen, die jetzt aufkommen nach einem, ja, man kann fast sagen Rollback in der Agrarpolitik. Die Begründung geht in etwa so: Weil es in der Kornkammer Ukraine, also der Kornkammer Europas, brennt, können wir uns eine Agrarwende hin zu mehr Ökologie und Artenschutz, weniger Pestiziden und mehr Bioanbau schlicht nicht leisten. Das sagt zum Beispiel der EU-Agrarkommissar Wojciechowski, er spricht schon davon, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Derartiges sei, und Sachsen-Anhalts Agrarminister Sven Schulze von der CDU sagt sogar: „Ökologische Aspekte sind wichtig, sie müssen aber jetzt für die nötige Zeit ein Stück zurücktreten.“ Was sagt denn der Bundeslandwirtschaftsminister von den Grünen zu dem?
Özdemir: Er nimmt erst mal Herrn Wojciechowski in Schutz, der war nämlich gestern auch mit dabei in meiner Konferenz mit den G7-Ministern, und er hat das mitgetragen, eine Erklärung, die sehr deutlich sagt, dass wir alle Krisen bekämpfen müssen, auch die Klimakrise. Schauen Sie, Klimakrise ist ein wesentlicher Treiber für Hunger in der Welt – haben wir jetzt die Bilder alle vergessen von Dürren, von Ernteausfällen aufgrund der verschärfenden Klimakrise. Die Antwort: Wie ignorieren die andere große Krise, verschärfen sie dadurch und sorgen für die nächsten Hungerkatastrophen von morgen und von übermorgen, das scheint mir keine sehr kluge Antwort zu sein. Ich kann nur noch mal drauf hinweisen, lassen Sie uns das zum Anlass nehmen, die Resilienz zu erhöhen. Wir müssen dafür sorgen, so wie es mein Kollege Wirtschaftsminister und Vizekanzler macht, raus aus fossilen Energieträgern, rein in Richtung erneuerbare Energien, und das gilt natürlich auch für den Agrarsektor. Wir müssen zum Beispiel auch mal schauen, dass unser Fleischkonsum dazu beiträgt, dass weltweit 47 Prozent des Getreides im Futtertrog landet, in Deutschland ist die Zahl bei 60 Prozent. Diese Fleischprodukte, die kommen ja nicht den Menschen in den Krisenregionen zugute. Das heißt, der extensive Futteranbau fördert Entwaldung und verschärft dadurch noch mal die Klimakrise, also auch diese Themen müssen wir natürlich besprechen.
Auch extensiver Futteranbau fördere Entwaldung und verschärfe auch die Klimakrise, sagte Cem Özdemir im Dlf
Die Getreideernte fällt dieses Jahr wetterbedingt schwächer aus. (dpa/John Whitehead Rutherford Institute)

Özdemir: Der Krieg wird für uns wirtschaftliche Konsequenzen haben, aber wir schaffen das

Ich will aber auch sehr ehrlich sagen, weil es nützt ja nichts, in der Krise den Leuten Sand in die Augen zu streuen: Unsere Maßnahmen, die wir treffen, um schlimmste Auswirkungen abzufedern, jetzt im gesamten Volumen von 50 Milliarden, die Entlastungen bei Stromrechnungen, bei existenzsichernden Leistungen, bei der EEG-Umlage, beim Mindestlohn – sie können nicht kompensieren, dass dort ein verbrecherischer Krieg stattfindet. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, es wird Konsequenzen haben, wir spüren die jetzt bereits, aber bitte jetzt nicht in Panik geraten. Was wir jetzt nicht brauchen, das sind Hamsterkäufe, das verschärft die Krise nur. Wir haben das bei Corona geschafft, wir werden es hier schaffen. Wir sind ein gut organisiertes Land, bei uns arbeitet die demokratische Opposition mit der Regierung zusammen. Aber mein Appell jetzt an alle: Bitte holen Sie jetzt nicht die alten Sprechzettel raus! Das ist nicht der Moment, wo man Parteipolitik macht. Jetzt geht es drum, die Menschen in der Ukraine zu retten, Welthunger zu verhindern und uns stabil zu halten. Das ist die beste Antwort, die wir Wladimir Putin geben können.

„Ernährungssicherung bedeutet auch, wir müssen unabhängiger werden von Mineraldünger“

Geers: Ich möchte da noch mal nachhaken, Herr Özdemir: Es gibt offenkundig Agrarpolitiker, die jetzt eine Chance wittern, um das, was ihnen sowieso gegen den Strich geht bei der Agrarwende, jetzt erst recht zu torpedieren, zu verzögern oder vielleicht sogar zu Fall zu bringen. Das kann Sie doch als Minister nicht kalt lassen, zumal die Grünen doch allergrößten Wert darauf gelegt haben, den Agrarminister zu stellen, um eben diese Agrarwende voranzutragen, und Sie haben sogar dafür auf das Verkehrsministerium verzichtet.
Özdemir: Das ist ja richtig, dass es diese Debatte gibt, und ich stelle mich der Debatte. Wissen Sie, ich gehe da so ran: Ich sage, ich bin erst mal für jeden Vorschlag dankbar, der wird auf die Tauglichkeit überprüft, wir machen keine ideologische Politik. Aber ich bin auch sehr dankbar, dass der Präsident des Bauernverbands, Herr Rukwied … Und Herr Rukwied und ich waren jetzt in der Vergangenheit nicht immer die engsten Buddys, aber das sind ja die Praktiker. Der gibt mir doch recht. Der hat zum Beispiel das Maßnahmenpaket, das ich gestern auf den Weg gebracht habe, um meine Bauern zu entlasten, um die Bäuerinnen zu entlasten, ausdrücklich gelobt. Also wir machen das, was sinnvoll ist.
Aber es gibt auch ein paar Vorschläge, da frage ich mich schon, ob die, die sie gemacht haben, sie wirklich durchdacht haben. Sie kennen den Vorschlag beispielsweise, dass man das, was im Rahmen der Greening-Strategie, der in Brüssel auf den Weg gebracht wurde – übrigens von meiner Amtsvorgängerin, von der CDU, nicht von mir will ich mal sagen –, dass nächstes Jahr vier Prozent Flächenstilllegungen kommen sollen. Dazu muss man mal wissen, dass das auch eine Scheindebatte ist. Dazu zählen zum Beispiel Landschaftselemente wie Gehölze und Hecken, die werden gar nicht landwirtschaftlich genutzt. Zudem muss man davon ausgehen, dass die Betriebe obligatorische Pufferstreifen, Gewässer et cetera, wo sowieso Düngung untersagt ist, als nicht produktive Ackerflächen zur Geltung bringen. Das heißt, es geht schon mal gar nicht mehr um vier Prozent, sondern um zwei Prozent, also da wird auch leider manchmal mit gezinkten Karten gearbeitet. Ich will nur mal sagen, Ernährungssicherung bedeutet auch, wir müssen unabhängiger werden von Mineraldünger. Wir müssen dafür sorgen, dass auch der Agrarbereich energieeffizienter wird, autarker wird. Daran arbeite ich, und ich lade alle ein, mit mitzuhelfen. Die Bauern wissen das, und da sprechen manche gerade über die Bauern und leiden nicht so sehr mit den Bauern. Ich spreche mit den Bauern, und die geben mir recht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.