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Toxische Gewässer
Rattengifte gefährden Fischotter

In der EU sind acht Wirkstoffe zur Bekämpfung von Ratten zugelassen. Fünf davon sind besonders giftig und schwer abbaubar. In Fischottern fand sich nun eine 30-fach erhöhte Konzentration solcher Rodentizide, die aus Ködern über den Kanal in die Gewässer gelangen. Ein Alarmsignal, sagen Forscher.

Von Volker Mrasek | 25.05.2022
Ein Fischotter schwimmt am 25.11.2017 in Neuhaus im Solling (Niedersachsen) in seinem Gehege durch einen Teich. Foto: Lino Mirgeler/dpa | Verwendung weltweit
Rattengifte verbreiten sich über die Kanalisation in den Gewässern - und schädigen dort Fischotter (dpa)
Fischotter sind sogenannte Spitzen-Prädatoren: Raubtiere, die am Ende der Nahrungskette stehen. Ihre Leibspeise holt sich die flinke Marder-Art aus Gewässern: „Der Fischotter ernährt sich ungefähr zu 80 Prozent von Fisch.“
Beim Verzehr ihrer Lieblingsbeute nehmen die Tiere allerdings hochgiftige Rodentizide mit auf, wie Untersuchungen der Umweltwissenschaftlerin Julia Regnery jetzt zeigen. "Das sind Stoffe, die in Ködern im Kanalnetz von Städten wie auch in der Landwirtschaft eingesetzt werden - zur Bekämpfung von Ratten und Mäusen", erklärt sie. Zur Anreicherung in der Nahrungskette komme es immer dann, wenn die Wirkstoffe aus den Ködern freigesetzt wurden bei Wasserkontakt und dann entsprechend ins Gewässer gelangt sind und von dort in den Fisch.

Rattengift im Fisch

Die Forscherin von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz untersuchte Leber-Proben von über 120 Fischottern. Denn in diesem Organ reichern sich die Rattengifte an. Die Proben stammten überwiegend von Tieren, die überfahren wurden. Im Vergleich zu Fischen wiesen die Fischotter bis zu 30-fach höhere Konzentrationen der Rodentizide auf. Der Spitzenwert bei einem Tier aus Schleswig-Holstein betrug 920 Nanogramm pro Gramm Lebergewebe. Er liegt weit über der Unbedenklichkeitsschwelle für empfindliche Arten:
„Bei sensitiven Arten ist es so, dass die Schwelle vermutlich bei 200 Nanogramm pro Gramm bezogen auf das Nassgewicht liegt, ab wo negative Effekte oder tödliche Effekte zu erwarten sind. Also, es gibt Arten, die sind sensitiver. Und es gibt Arten, die sind etwas weniger sensitiv. Und wo genau wir da den Otter einordnen müssen, das ist Gegenstand der derzeitigen Forschung.“ 

Besonders giftig und schwer abbaubar

In der EU sind insgesamt acht Wirkstoffe zur Bekämpfung von Ratten und Mäusen zugelassen. Fünf von ihnen zählen zu den Rodentiziden der zweiten Generation. Sie sind besonders giftig und schwer abbaubar: „Die Substanzen der zweiten Generation, die halt diese problematischen Umwelteigenschaften haben, die haben wir auch am häufigsten gefunden.“
Den Biozid-Experten Anton Friesen vom Umweltbundesamt beunruhigen die neuen Befunde. Die Fachbehörde hat die Untersuchungen an den Fischottern in Auftrag gegeben:
„Wir sehen, dass die Belastung für Fischotter durchaus sehr hoch ist. Man muss sich klar machen, dass die Wirkweise dieser Stoffe bei der Ratte, bei der Maus, aber eben auch beim Fischotter durchaus vergleichbar ist. Das heißt also, sie wirken sich hemmend auf die Blutgerinnung aus, so dass die Tiere letztendlich – genauso wie die Ratte auch – dann innerlich verbluten. Ab welcher Konzentration tatsächlich dieser Effekt auftritt, ist noch nicht ganz klar. Aber es ist durchaus bei hohen Konzentrationen davon auszugehen, dass sich das nachteilig auf die Gesundheit der Fischotter auswirkt. Definitiv!“    

Fischotter verbluten innerlich                                         

Erst vor Kurzem berichteten Berliner Wildtierforscher über die Vergiftung von Greifvögeln mit Rodentiziden. Bei vier von fünf untersuchten Habichten und Rotmilanen fanden sie Spuren der Rattengifte in der Leber. Und in jedem 6. bis 7. Fall lag die Konzentration über dem kritischen Wert von 200 Nanogramm pro Gramm Gewebe. Jetzt zeigt sich, dass die Giftstoffe auch die aquatische Nahrungskette durchwandern und die Gesundheit von Fischottern gefährden, einer geschützten Art in Deutschland. Das Umweltbundesamt werde darauf sicher reagieren, sagt Anton Friesen:
„Wir können aus den Ergebnissen ganz klar auch erkennen, dass die Rodentizid-Rückstände in der Konzentration, aber auch eben in der Häufigkeit, wie sie jetzt nachgewiesen worden sind, über die Zeit nicht rückläufig sind. Für uns ist das natürlich auch ein ganz klares Signal zu überlegen, ob bestimmte Maßnahmen verschärft werden müssen in die Richtung, dass der Eintrag dieser Stoffe auch speziell in die aquatische Umwelt letztendlich reduziert wird.“                     
Bewirken könnte das zum Beispiel der Einsatz sogenannter Köderschutzstationen in der Kanalisation. Sie sind so konstruiert, dass die Giftstoffe nicht mit dem Abwasser in Berührung kommen und deshalb auch nicht auslaufen können. Eine elegante Lösung! Nur wird sie offenbar immer noch viel zu selten angewandt.