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Konjunktur
DGB-Chef Hoffmann: "Es gibt genügend Wachstumspotenzial"

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann rechnet mit einer positiven Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland. Es gebe genügend Potenzial für eine Erholung nach der Corona-Pandemie, sagte er im Dlf. Wichtig seien nun Investitionen. In der Infrastruktur und der Digitalisierung gebe es riesige Defizite.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Dirk Müller |
Baustelle in der Hafencity
DGB-Chef Reiner Hoffmann sieht Wachstumspotenzial auf dem deutschen Arbeitsmarkt (picture alliance/dpa/Marcus Brandt)
Die Wirtschaft erhole sich zwar von den Folgen der  Coronavirus-Krise, käme aber dennoch nicht in Fahrt: So lautet die Prognose des Industrieverband BDI. Dieser rechnet 2022 mit einem "Stop-and-Go-Jahr". Die Auftragsbücher seien zwar voll, die Unternehmen kämen aber nicht mit der Produktion hinterher, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm in Berlin. Das Hauptproblem für die Industrie seien momentan fehlende oder zu spät gelieferte Rohstoffe und Vorprodukte. Und ein schnelles Ende sei hier nicht in Sicht.
"Trotz voller Auftragsbücher werden fehlende Mikrochips, Bauteile und Rohstoffe die Produktion noch längere Zeit beeinträchtigen", so Russwurm. Dennoch rechnet er in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent, nachdem es 2021 etwa 2,5 Prozent gewesen sind.

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In die Infrastruktur investieren

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, sagte im Deutschlandfunk, dass die Bundesregierung nun Investitionen tätigen müsse - in die Infrastruktur, in die Schulen und die Digitalisierung. Dort gebe es riesige Defizite. Die Bundesregierung dürfe nicht an der Schuldenbremse festhalten, so Hoffmann. Er bezifferte den Investitionsbedarf auf 45 Milliarden Euro pro Jahr für die nächsten zehn Jahre. Der Staat könne quasi zu Nullzinsen Geld aufnehmen.

Das Interview im Wortlaut:

Dirk Müller: Nahezu 2000 Arbeitsplätze stehen bei den MV-Werften auf dem Spiel. Wussten Sie, dass diese Hiobsbotschaft aus Schwerin kommen wird?
Reiner Hoffmann: Ja, das war absehbar. Das Unternehmen kämpft ja schon seit längerem ums Überleben. Es sind Fehlentscheidungen des Managements, das ja nicht in Deutschland Verantwortung übernimmt, weil die Konzernzentrale nicht in Deutschland liegt. Die IG Metall hat seit Monaten schon für den Erhalt der Arbeitsplätze gekämpft, um Investitionen gekämpft, damit Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Müller: Das hat nichts mit der momentanen aktuellen Gesamtsituation zu tun?
Hoffmann: Nein, das ist schon eine spezifische Situation, die wir in der Werftindustrie haben. Grundsätzlich gibt es ja durchaus auch Perspektiven für die Werftindustrie. In der MV-Werft wurden insbesondere große Passagierschiffe gebaut. Da wird man jetzt sehen, nach der Pandemie, ob es da auch eine Sättigung gibt, ob es diese Geschäftsmodelle auf Dauer noch so geben wird. Aber es gibt natürlich große Alternativen, beispielsweise im Gütertransport werden wir auch zukünftig auf Schifffahrt angewiesen sein. Wenn man umweltfreundliche Schiffe für die Lieferung von Produkten über die Meere hinweg haben will, dann gibt es durchaus Perspektiven, und deshalb ist es auch richtig, dass die IG Metall dort um den Erhalt der Arbeitsplätze und den Erhalt der Werft kämpft.
Bremen, Bremerhaven: Die 140 Meter lange Luxusjacht «Solaris» liegt in einem Dock der Lloyd-Werft Bremerhaven.

Lloyd-Werft meldet Insolvenz an
Lloyd-Werft hat Insolvenz angemeldet (Sina Schuldt/dpa)
Müller: Sind Sie selbst Kreuzfahrer?
Hoffmann: Ich bin kein Kreuzfahrer, nein.
Müller: Als Gewerkschafter können Sie dann sagen, so gut ist das mit den Kreuzfahrtschiffen ja auch nicht, ökologisch gesehen, wirtschaftlich gesehen?
Hoffmann: Es ist ja auch eine Frage, wie wir in der Schifffahrt wie im Verkehr insgesamt den Umbau auf Umweltfreundlichkeit realisieren, und gerade auch für Schiffe gibt es ja durchaus Perspektiven, alternative Antriebe. Das müssen ja nicht Dieselmotoren sein. Die können mit Wasserstoff, mit grüner Energie betrieben werden. Da gibt es auch im Hinblick auf die Bekämpfung des Klimawandels, der Klimakrise durchaus Perspektiven, wenn man denn frühzeitig investiert.

"Da werden positive Effekte entstehen, die ein nachhaltiges Wachstum ermöglichen"

Müller: Tut man das?
Hoffmann: Das ist das Problem in der Werft gewesen. Ich kann das aus der Ferne nur schwer beurteilen, aber das ist das, was mir zumindest die Kollegen der IG Metall sagen. Durch eine verfehlte Unternehmensstrategie, durch fehlende Investitionen ist da vieles versäumt worden, so dass diese Werft jetzt in einer richtigen Schräglage ist.
Müller: Gehen Sie davon, fast 2000 Arbeitsplätze, habe ich zu Beginn gesagt, sind die weg?
Hoffmann: Ich hoffe, dass sie erhalten werden können. Aber, Herr Müller, ich bin nicht nah genug dran. Das können meine Kollegen bei der IG Metall deutlich besser beurteilen.
Müller: Reden wir über die Gesamtsituation. 3,5 Prozent Wachstum, das hat Siegfried Russwurm gestern zumindest prognostiziert. Das sind optimistische Zahlen der deutschen Industrie, der großen deutschen Unternehmen, die das so zusammengetragen haben. Wir hatten vor einigen Wochen auch ein Gespräch mit Professor Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft, auch arbeitgebernah, der das ebenfalls so eingesammelt hat bei seiner Umfrage unter den Unternehmen. Da gibt es keinen Grund, dass Sie nicht optimistisch wären?
Hoffmann: Ja, da liegen wir durchaus beieinander. Es ist ja nicht nur das Institut der deutschen Wirtschaft, Herr Hüther, den Sie zitiert haben, sondern auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung hat eine positive Konjunkturprognose vorhergesagt. Das DIW ist positiv eingestimmt und in der Tat, glaube ich, haben wir genügend Wachstumspotenziale, auch für qualitatives Wachstum, wo es einerseits um die Erholung geht aus der Pandemie heraus, aber es auch völlig neue Perspektiven gibt. Man muss sehen, dass ja auch die neue Bundesregierung in ihren Zielsetzungen das Thema Investitionen ganz hoch auf die Tagesordnung gesetzt hat. Da werden positive Effekte entstehen, die wirklich ein nachhaltiges Wachstum, möglicherweise sogar über die 3,5 Prozent hinaus ermöglichen.
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Reiner Hoffmann ist DGB-Bundesvorsitzender (picture alliance/dpa/M. Matthey)

"Nicht sklavisch an der Schuldenbremse festhalten"

Müller: Investitionen mit Schulden, damit hat ein Gewerkschafter wie Sie kein Problem?
Hoffmann: Es geht ja nicht um den Spaß an Schulden machen, sondern es geht um die Notwendigkeit. Das sehen wir doch, dass wir riesige Defizite in unseren Infrastrukturen haben. Ob es der Schienenverkehr ist, ob es die Brücken in Nordrhein-Westfalen sind, ob es der Zustand unserer Schulen ist und ob es die Digitalisierungslandschaft in Deutschland ist, ob es die neuen Energie-Infrastrukturnetze sind. Wir haben Investitionsbedarfe. Bereits 2019 haben genau das von Ihnen zitierte Institut der deutschen Wirtschaft und das IMK Investitionsbedarfe von 45 Milliarden pro Jahr prognostiziert für die nächsten zehn Jahre. Da kann ich doch nicht sklavisch an der Schuldenbremse festhalten, weil jede nicht getätigte Investition in den nächsten Jahren sind die Schulden für die jungen Menschen in der Zukunft mit einer maroden Infrastruktur. Im Übrigen werden wir die Bekämpfung der Klimakrise dann nicht schaffen. Deshalb muss massiv investiert werden. Ich sage aber auch, es geht nicht nur um öffentliche Investitionen. Es müssen auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass private Investitionen angeschoben werden, und dann sind solche Prognosen für das neu begonnene Jahr durchaus realistisch.
Schülerinnen und Schüler sitzen während des Unterrichts in einer Klasse.
Auch in Schulen müsse investiert werden, so Reiner Hoffmann (picture alliance / dpa / guido Kirchner)
Müller: Durchaus realistisch, sagen Sie. Sie haben auch keine Probleme mit den Schulden, die jetzt zu machen. Die Notwendigkeit haben Sie aus Ihrer Sicht, Herr Hoffmann, gerade geschildert, weil das ja erst die nachfolgende Generation alles bezahlen muss.
Hoffmann: Aber wir haben doch zurzeit ein Zinsniveau – das wissen wir alle, das ist eine ideologische Debatte -, wo der Staat sich quasi zu null Zinsen Geld aufnehmen kann. Die Kosten, die eine nicht getätigte Investition hervorbringen wird, werden in fünf, sechs Jahren, wenn wir dann erst anfangen, Gas zu geben, für die jungen Menschen doch wesentlich teurer werden. Diesen Zusammenhang, glaube ich, muss man immer wieder deutlichmachen. Im Übrigen hat ja auch die Ampel-Koalition sich zum Ziel gesetzt, Investitionen wirklich freizusetzen. Es gibt durchaus Spielräume, es gibt durchaus auch intelligente Maßnahmen, die die Regierung sich vorgenommen hat, um die Investitionen zu ermöglichen. Wir werden gespannt sein, ob das reicht, insbesondere für einen längeren Zeitraum. Jetzt kommt es doch auch darauf an, erst noch mal die Engpässe zu beseitigen, warum Gelder, die ja heute schon vorhanden sind, nicht abfließen, die Frage der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Da gibt es viele Themen, aber die Richtung stimmt.
Müller: … was wir seit Jahrzehnten diskutieren, egal welche Partei, und es hat sich da offenbar nicht viel geändert.
Hoffmann: So ist es.

"Das halte ich für ein ökonomisches Märchen"

Müller: Was ich Sie noch Fragen wollte: Wachstum, 3,5 Prozent hört sich viel an, eine hohe Zahl für die deutschen Verhältnisse. Wachstum gibt es auch bei den Energiepreisen, bei den Stromkosten, bei den Heizkosten, bei den Gaspreisen. Wie schädlich ist das für Arbeitsplätze, für die deutsche Wirtschaft?
Hoffmann: Das ist schädlich insofern, dass wir gegenwärtig wieder eine deutlich höhere Inflation haben. Wir werden im letzten Jahr eine Gesamtinflation übers Jahr verteilt von über drei Prozent haben. Auch hier gehen die Institute davon aus, dass wir im Jahr 2022 wieder deutlich darunter liegen.
Müller: Das hatten die vorher aber auch schon gedacht, dass es bis Ende des Jahres reicht.
Hoffmann: Ja! Aber wir haben auch schon ein paar Sondereffekte und das ist auch pandemiebedingt. Lieferketten sind schon wieder geschlossen. Das sind schon Sonderfaktoren, die auch nicht alle so zu prognostizieren waren. Das muss man berücksichtigen.
Müller: Fressen diese steigenden Strompreise die Einkünfte der Arbeitnehmer auf?
Hoffmann: Ja, natürlich hat das Auswirkungen auf die Einkünfte der Arbeitnehmer. Die Realeinkommen werden dadurch geschwächt, durch die Inflation. Deshalb ist es wichtig, dass wir an der Lohnfront auch in diesem Jahr wieder die Realeinkommenssicherung der Menschen mindestens schützen.
Müller: … um die Inflation noch weiter nach oben zu treiben?
Hoffmann: Das halte ich für ein ökonomisches Märchen. Viele sprechen immer von der sogenannten Lohn-Preis-Spirale. Aber erst mal ist doch die Situation, dass die Preise jetzt gestiegen sind, und als Gewerkschaften werden Sie uns nachsehen, dass wir ein elementares Interesse daran haben, die Realeinkommen der Menschen zu sichern. Die gegenwärtigen Faktoren für die Inflation sind doch nicht die Löhne gewesen, sondern sind Sondereffekte gewesen wie, zurecht von Ihnen darauf hingewiesen, die Energiepreise, aber auch, dass im letzten Jahr die abgesenkte Mehrwertsteuer wieder angehoben wurde. Wir haben Lieferengpässe in anderen Bereichen, insbesondere bei den Rohstoffen, und das wird sich hoffentlich im ersten Halbjahr diesen Jahres wieder normalisieren, so dass viele Ökonomen, im Übrigen auch die EZB davon ausgehen, dass in Deutschland, dass in Europa insgesamt wir wieder ein nah an der sogenannten Zielinflation von zwei Prozent der EZB herankommen.
Müller: Und auf die EZB ist Verlass?
Hoffmann: Auf die EZB war in den letzten Jahren doch viel Verlass gewesen. Da muss man auch anerkennen, dass die EZB in den letzten Jahren – wir haben jetzt 20 Jahre Einführung des Euro – eine Menge richtig gemacht hat, und das darf man dann auch mal sagen.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//