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Coronavirus
Welche Omikron-Subtypen könnten bald dominieren?

Neue Omikron-Varianten des Coronavirus sind in der Lage, Antikörpern auszuweichen - zumindest im Labor. Ob sie sich im Winter tatsächlich durchsetzen und wie gefährlich sie sind, lässt sich noch nicht abschätzen.

Von Volkart Wildermuth | 29.09.2022
Ein Mediziner untersucht Covid-19-Proben im Labor auf Mutationen und Gensequenzen.
Ein Mediziner mit Covid-19-Proben im Labor. (picture alliance / Zoonar / Robert Kneschke)
Die Infektionszahlen steigen in Deutschland und auf den Intensivstationen liegen wieder mehr Coronapatienten. Aktuell dominiert in Deutschland und global nach wie vor die Variante BA.5. Das wird sich aber ändern. Viren mutieren, das ist ihre Geschäftsstrategie. Neue Varianten stehen schon in den Startlöchern.

Welche Varianten stehen unter Beobachtung?

Weltweit wächst die Immunität gegen das neue Coronavirus durch Infektionen und durch Impfungen. Deshalb haben neue Varianten einen Vorteil, die dieser Immunität ausweichen können. Auffällig ist ein Abkömmling von BA.2 namens BA.2.75. Global ist diese Variante nur für knapp zwei Prozent der Infektionen verantwortlich, aber gerade in Indien gewinnt sie deutlich an Boden.
Inzwischen gibt es schon eine Unter-Variante BA.2.75.2. In Österreich gibt es BJ.1, ebenfalls ein Ableger von BA.2. Aber auch BA.5 entwickelt sich weiter - etwa zu BQ.1.1, eine Variante, die gerade in England unter Beobachtung steht. Insgesamt beobachtet die Weltgesundheitsorganisation aktuell über 230 Abkömmlinge von Omikron. Bis auf BA.2.75 werden sie aber alle bislang nur vereinzelt nachgewiesen.

Warum wird derzeit auf BA.2.75, BJ.1 und BQ.1.1 geachtet?

All diese Varianten haben viele Mutationen im Spike-Protein. Damit sollten sie dem Immunsystem besser ausweichen und sich leichter ausbreiten können als etwa BA.2 oder BA.5. Diese theoretischen Überlegungen wurden inzwischen auch in mehreren Laboren praktisch geprüft.
Ganz aktuell zeigen zwei Studien aus Köln und Berlin und aus New York, dass geboosterte Personen mit BA.2.75 etwas besser fertig werden als mit BA.5. Noch nicht begutachtete Studien aus China und Schweden berichten dagegen, dass Antikörpermedikamente und Blutseren von infizierten Personen kaum an die Unter-Variante BA.2.75.2 binden und deshalb vermutlich auch weniger vor einer Infektion schützen.
Auffällig ist, dass sich auf verschiedenen Ästen im Stammbaum von Omikron zurzeit ähnliche Mutationen anhäufen, im Grunde sind BA.2.75.2 und zum Beispiel BQ.1.1 also gar nicht so unterschiedlich.

Sind die neuen Varianten aggressiver?

Die Aggressivität der neuen Varianten ist viel schwerer abzuschätzen als ihre Infektiosität. Dazu braucht es Daten zum klinischen Verlauf. Vorläufig kommt es in Indien nicht zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen und Ärzte aus Delhi berichten im indischen Business Portal "Mint", dass die Patienten sich meist schnell von ihrer Infektion erholen.
Die Immunologin Christine Falk von der Medizinischen Hochschule Hannover stimmt optimistisch, dass es kaum Mutationen im hinteren Bereich von Spike gibt. Auch dort greifen Antikörper und insbesondere T-Zellen an. Die verhindern vielleicht nicht die Infektion selbst, aber sie können das Virus im Körper klein halten und so schwere Verläufe unwahrscheinlicher machen.
Das ist die Theorie. Abzuwarten ist, wie aggressiv die neuen Varianten am Ende sind. Klar ist aber, dass die angepassten Impfstoffe die Immunantwort breiter aufstellen können, deshalb werden sie von der Ständigen Impfkommission für Risikopersonen empfohlen.

Ist es absehbar, welche Variante sich durchsetzen wird?

In Laborversuchen Antikörpern auszuweichen ist das eine, in der Realität Ansteckungsketten auszulösen, ist etwas ganz anderes. In Indien stellt BA.2.75. ein Drittel der Infektionen. In Großbritannien ist BQ.1.1 auf dem Vormarsch. Aber ob sich diese Varianten auch global durchsetzen, bleibt offen.
Es gab die große Sorgen, dass die Beta-Variante bei uns zum Problem werden könnte, aber die ist vor allem auf Südafrika beschränkt geblieben, genauso die Variante Mu auf Südamerika. Prognosen bleiben unsicher, aber die meisten Experten rechnen mit weiteren Infektionswellen, bei denen sich wieder viele Menschen anstecken.

Wann gehen SARS-CoV-2 die Mutationsmöglichkeiten aus?

Anfangs schien das Coronavirus wenig Spielraum zu besitzen. Über mehr als ein Jahr blieb das Wuhan-Virus praktisch unverändert. Aber dann kamen in rascher Folge Alpha, Delta und schließlich die vielen Omikron-Varianten. Theoretisch sind Mutationen für das Virus ein Balanceakt.
Um dem Immunsystem auszuweichen, muss es Spike ständig abwandeln. Gleichzeitig braucht es aber genau dieses Protein, um Zellen zu infizieren. Es muss also funktionstüchtig bleiben. Eine Studie im Wissenschaftsmagazin "Cell" zeigt: BA.2.75 gelingt es, beides hervorragend zu vereinbaren, sogar noch besser als früheren Omikron-Varianten. Also, ein Ende der Corona-Evolution ist nicht in Sicht. Außerdem zeigen die Grippeviren, dass das Versteckspiel mit dem Immunsystem immer weiter gehen kann.