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Coronavirus
Woidke (SPD): Nachfrage nach Impfungen ist aktuell größer als das Angebot

Es sei nicht die Zeit, über eine Impfpflicht zu diskutieren, denn es mangele an Impfstoff für die Impfwilligen, sagte der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke im Dlf. Sollten sich in den kommenden Monaten nicht genügend Menschen impfen lassen, müsse man aber über eine Pflicht nachdenken.

Dietmar Woidke im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 03.12.2021
Die Aufschrift "Hier wird geimpft" ist auf einem Aufsteller zu lesen, während mehrere Menschen in einer Schlange vor dem als Impfstation und Schnelltest-Center eingerichteten Container stehen.
Manchmal müssten zahlreiche Menschen ohne Impfung wieder gehen, sagte Dietmar Woidke im Interview. (picture alliance/dpa)
Am 2.12.2021 hat die Bund-Länder-Runde deutliche Verschärfungen der Corona-Maßnahmen angekündigt, um die vierte Welle der Pandemie besser zu kontrollieren. Weite Teile des gesellschaftlichen Lebens sollen unter 2G-Regeln fallen, Ungeimpfte sollen auch privat in Kontakten beschränkt werden, Clubs werden schließen und Großveranstaltungen eingeschränkt.
Solche Maßnahmen hätten bundesweit früher Sinn gemacht, sagte Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, im Deutschlandfunk. Allerdings hätten die einzelnen Länder auch die Möglichkeit gehabt, schon tätig zu werden. In Brandenburg sei der Maßnahmen-Katalog der Bund-Länder-Runde im Wesentlichen seit zwei Wochen in Kraft. Inzwischen schwäche sich die Dynamik der Inzidenz etwas ab, Entwarnung könne er aber nicht geben.

Im Überblick:

Dass Intensivmediziner noch schärfere Maßnahmen gefordert hatten, sei ihm bewusst. Andererseits müsse man auch das gesellschaftliche Leben aufrechterhalten – und auch für Akzeptanz der Maßnahmen sorgen, damit die Menschen sie auch befolgen. Nirgendwo gebe es genug Polizei, um jede Maßnahme einzeln zu kontrollieren.

Woidke: Debatte über Impfpflicht kommt zur falschen Zeit

Die Debatte über eine Impfpflicht hält Woidke für deplatziert: "Die Menschen stehen Schlange, manchmal 500, manchmal sogar fast 1.000, wenn irgendwo Impfungen angeboten werden." Es müsse jetzt darum gehen, diese Impfungen möglich zu machen. Und dazu fehle immer wieder Impfstoff, das sei das größte Hemmnis aktuell. Teilweise würden nur zehn Prozent der bestellten Menge geliefert. Statt geimpft zu werden, gingen dann Menschen frustriert nach Hause. Eine Absage an eine Impfpflicht machte Woidke aber nicht: Wenn in einigen Monaten nicht ausreichend Menschen geimpft seien, dann solle man darüber nachdenken.

Das Interview im Wortlaut:

Jörg Münchenberg: Herr Woidke, Olaf Scholz sprach gestern von einer großen nationalen Kraftanstrengung. Kommt die nicht reichlich spät?
Dietmar Woidke: Ja, klar. Ich glaube, dass einige Maßnahmen wirklich früher Sinn gemacht hätten. Wir haben bundesweit vielleicht relativ spät entschieden. Auf der anderen Seite hatten die Länder natürlich die Möglichkeiten, mit deutlich strengeren Maßnahmen vorher schon Entscheidungen zu treffen und diese umzusetzen. Wir Brandenburger haben im Wesentlichen den gestrigen Katalog, der gestern beschlossen worden ist, schon seit zwei Wochen in Kraft und merken jetzt auch langsam, dass sich zumindest die Dynamik der Inzidenz etwas abgeschwächt hat. Ich will noch nicht von mehr reden. Von Entwarnung sind auch wir in Brandenburg weit entfernt. Wir haben nach wie vor mit die höchsten Inzidenzen in Deutschland.
Aber insgesamt glaube ich, dass es gestern ein ganz wichtiges Signal war, dass wir in dieser Interimssituation, in der wir uns jetzt befinden – es gibt eine amtierende Regierung, noch nicht die neue; in wenigen Tagen gibt es dann die neue -, dass es trotzdem gelungen ist, hier gemeinsam eine Position zu erarbeiten und gemeinsam zu sagen, wir stehen alle zusammen, wenn es um die Bekämpfung der Pandemie geht. Das ist gestern das wichtigste Signal gewesen.

Woidke: Maßnahmen brauchen auch Akzeptanz

Münchenberg: Nun fallen, Herr Woidke, die Meinungen am Tag danach geteilt aus. Die Intensivmediziner sagen zum Beispiel, das alles reicht noch nicht aus, man brauche richtig drastische Kontaktbeschränkungen. Der Einzelhandel wirft der Politik wiederum, ich sage es mal salopp, Aktionismus vor. Wo stehen Sie da?
Woidke: Man steht immer irgendwo dazwischen. Dass auf der einen Seite die Wissenschaft sagt, macht doch bitte noch schärfere Maßnahmen, fahrt die Kontakte am besten auf null runter, dann gibt es auch keine weiteren Infektionen, das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass wir nicht nur das gesellschaftliche Leben weiter aufrechterhalten müssen, sondern dass wir vor allen Dingen auch dafür sorgen müssen, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, möglichst weitgehend akzeptiert werden. Akzeptiert meine ich in zwei Richtungen. Das eine ist, dass die Dinge, die wir auf der Landesebene beschließen und in Verordnungen gießen, von den Menschen befolgt werden, denn wir haben nirgendwo so viel Polizei, um jede Maßnahme einzeln kontrollieren zu können. Auf der anderen Seite geht es auch darum, dass die Menschen selber mit ihrem Sozialverhalten dazu beitragen, dass wir die Pandemie bekämpfen.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) steht an einem Hafen.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) (dpa-Zentralbild)
Auch dazu braucht es diese Akzeptanz und da haben wir nach wie vor das Problem, dass die Dramatik der Situation sich immer noch nicht ausreichend in der öffentlichen Meinung, auch in der Meinung der Bevölkerung abbildet. Ich kriege auch hier noch ganz viele Briefe, wo die Menschen sagen, Du hast die Weihnachtsmärkte schon verboten vor drei Wochen, was soll denn noch alles kommen, wir wollen normal wieder leben. Auf der anderen Seite gibt es auch viele Menschen, die sich zurecht Sorgen machen. Die Dramatik, die wir im Gesundheitssystem momentan erleben, auch in Teilen unseres Landes, die bildet sich in der öffentlichen Berichterstattung auch noch nicht ausreichend ab aus meiner Sicht.

Debatte über Impfpflicht kommt zur falschen Zeit

Münchenberg: Herr Woidke, Stichwort Akzeptanz. Ist da eine allgemeine Impfpflicht tatsächlich verhältnismäßig? Oder anders gefragt: Würde es nicht ausreichen, wenn man jetzt verstärkt auf 2G und 2G+ setzt, um den Druck auf die Nichtgeimpften zu erhöhen?
Woidke: Ich halte die Debatte jetzt für eine Debatte in der falschen Zeit. Wir haben momentan gerade eine Nachfrage nach Impfungen bei uns im Land, aber auch deutschlandweit, die so groß ist wie seit Beginn des Frühjahrs dieses Jahres nicht mehr, und die Menschen stehen Schlange, manchmal 500, manchmal sogar fast tausend, wenn irgendwo Impfungen angeboten werden.
Das heißt, erstens geht es darum, diese Impfungen möglich zu machen, und wir hatten hier wirklich in den letzten Tagen und Wochen massive Probleme, dass wir die Impflogistik, die wir ja auch auf Anraten des Bundes hochgefahren haben, mit Impfstoff bedienen müssen, um nicht wieder neue Enttäuschungen zu produzieren. Deswegen ist diese Impfstoffbeschaffung jetzt – und zwar sofort und sehr schnell – das wichtigste und das größte Problem momentan. Ich habe gestern Abend mit meinen Oberbürgermeistern und Landräten in einer Telefonschalte gesessen und da wurde mir das auch berichtet. Da wird mit viel Mühe, mit auch viel Personalaufwand werden Dinge hochgefahren und am Ende kommt von dem bestellten Impfstoff nur zehn Prozent oder 30 oder 40 Prozent und es müssen wieder Leute frustriert nachhause geschickt werden.
Gerade vor dem Hintergrund, dass wir die 2G-Maßnahmen, die wir in Brandenburg schon seit fast drei Wochen haben, jetzt bundesweit ausdehnen, hat sich vor diesem Hintergrund gezeigt, die Nachfrage nach Impfungen ist so groß wie nie zuvor und jetzt dieses erst mal zu bedienen. Dann, wenn wir es nicht schaffen sollten, eine ausreichende Anzahl von Menschen in Deutschland zu impfen, jetzt in den kommenden Wochen und Monaten, wo viele übrigens auch gemerkt haben, die Pandemie ist noch nicht vorbei, dann ist es die richtige Zeit, über eine Impfpflicht nachzudenken, wenn wir das nicht schaffen sollten.

Woidke: Regelverstöße nicht dulden

Münchenberg: Ich würde trotzdem, Herr Woidke, noch mal bei dem Thema Akzeptanz bleiben. Es gibt jetzt in mehreren ostdeutschen Ländern Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, sogenannte Spaziergänge. Das ist aber ein klarer Verstoß gegen Auflagen und Begrenzungen. Das Argument dahinter, was auch aus Sachsen zum Beispiel kommt, ist, wir haben gar nicht so viel Polizei, dass wir dagegen einschreiten können. Trotzdem ist die Frage: Ist es richtig, einen so offenen Regelbruch einfach passieren zu lassen?
Woidke: Nein! Und das muss auch unterbunden werden. Wir haben es auch in Brandenburg erlebt, sind aber im Großen und Ganzen immer da gut beraten gewesen, wo wir von Anfang an auch klar aufgetreten sind und klar dafür gesorgt haben, dass die Regeln, auch die Corona-Regeln eingehalten werden. Das hat am Ende auch dazu geführt, dass einige Veranstalter sich entweder ganz zurückgezogen haben, oder die Veranstaltungen regelgemäß gelaufen sind. Laufen lassen darf man so was nicht, weil die Falschen lernen daraus das Falsche.

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Münchenberg: Aber man hat trotzdem den Eindruck, dass das gerade passiert, auch mit dem Argument, man hat gar nicht so viele Polizeikräfte, die dagegen vorgehen können.
Woidke: Dieses Argument haben Sie aus Brandenburg sicher nicht gehört. Wir sind ganz gut aufgestellt auf der einen Seite. Auf der anderen Seite wird es immer wieder versucht, auch bei uns von Kräften, die einer Partei, einer rechtspopulistischen Partei, die im Deutschen Bundestag sitzt, nahestehen, hier Regeln zu unterlaufen, Regeln zu brechen und das Versagen des Staates anzuprangern. Aber selber dafür zu sorgen, dass das Gesundheitssystem an die Grenzen kommt, das ist die andere Wahrheit. Rigoroses Vorgehen hat da bisher immer geholfen. Klare Regeln, aber die Regeln müssen natürlich am Ende auch durchgesetzt werden.

Woidke: Politiker kriegen zahlreiche Drohmails

Münchenberg: Die Frage ist trotzdem: Wenn jetzt die Maßnahmen noch weiter verschärft werden, wie groß aus Ihrer Sicht ist die Gefahr, dass es nicht vielleicht auch zu einer weiteren Radikalisierung der Impfgegner und auch bei den Demonstranten kommen kann?
Woidke: Ob es da noch einer weiteren Radikalisierung bedarf, da bin ich mir nicht ganz sicher. Viele Kollegen, auch ich persönlich, kriegen heute schon Drohmails und Faxe und alle möglichen Geschichten. Da wird heute schon teilweise mit Mord gedroht. Das ist kein Geheimnis. Das geht nicht nur mir so. Ich will auch gar nicht jammern, aber das ist eine Szene, die muss man im Blick haben. Es ist eine Szene, die sich längst von den Grundwerten des Grundgesetzes entfernt hat. Das ist eine Szene, die zunehmend militant wird. Wir müssen da schon vorsichtig sein. Das hat auch mit Corona, glaube ich, erst mal nur mittelbar was zu tun. Sie haben damit ein Thema gefunden. Aber das ist eine Szene, die wahrscheinlich vorher auch schon in ähnlichen Wegen unterwegs war.
Münchenberg: Wie kann und wie muss Politik sich da positionieren?
Woidke: Politik muss die Entscheidungen treffen, die getroffen werden müssen. Das betrifft dann auch die Impfpflicht mit den Voraussetzungen, die ich vorhin genannt habe. Aber sie muss diese Entscheidungen auch immer gut erklären, und das ist gerade in einer Corona-Pandemie ein Problem gewesen, weil wir haben Bürgerdialoge geplant und immer wieder gemacht, sind rausgefahren, haben uns mit vielen Menschen getroffen. Das ist ein bisschen ein Stück weit auch unter die Corona-Räder gekommen, so würde ich es mal nennen. Da muss wieder mehr kommuniziert werden miteinander. Es muss mehr miteinander geredet werden auf allen möglichen Kanälen und Politik muss die Maßnahmen noch besser erklären. Das wird bei einigen helfen, aber ich weiß auch, dass es bei einigen nicht helfen wird, die längst in anderen Kreisen unterwegs sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.