
Entsteht da eine neue Zärtlichkeit? Maschinen, die wir streicheln, Smartphones, die wir wärmen, Roboter, die zurückblicken. Wir leben in einem digitalen Zeitalter, das nicht kalt, sondern berührbar geworden ist – ein hybrides Jetzt, in dem KI keine Bedrohung, sondern Spiegel ist – gefüttert mit menschlichem Ausdruck, bewohnt von unseren Ängsten, Wünschen und Widersprüchen. KI muss eben gerade nicht als Gefahr wahrgenommen werden, sondern erweist sich als kultureller Speicher, aus dem immer Neues entsteht. Gerade in der Kunst.
Als Künstlerin verbindet Charlie Stein Technologie mit einem menschlichen Antlitz, humanoide Maschinen, High Heels tragende Roboter, schwarze Touchscreens – keine Zukunftsvision, sondern Spiegel einer Gegenwart, in der wir längst hybrid geworden sind.
In einer Situation, in der menschliche Kulturprodukte kaum mehr von maschinellen unterschieden werden können, wo wir bereit sind, uns von maschinellen tief berühren lassen, wird die Frage umso virulenter, was uns und unsere kulturellen Produkte eigentlich ausmacht?
Charlie Stein ist Künstlerin. Ihre Arbeiten untersuchen dominante kulturelle Ästhetiken und hinterfragen Wahrnehmungsmuster in einer hochgradig digitalisierten und visuell überstimulierenden Welt. Stein studierte Bildende Kunst und Soziologie. Sie war Gastprofessorin für Malerei und Zeichnung an der HfBK Hamburg und lehrte auch am Pratt Institute in New York, der UdK Berlin und CalArts in Los Angeles. Ihre Arbeiten wurden international gezeigt, unter anderem bei der Manifesta-Biennale, in der Kristin Hjellegjerde Gallery in London, im Songjiang Art Museum in Shanghai, im Museum Villa Merkel in Esslingen und bei der Skulpturen-Triennale in Bingen. Charlie Stein lebt und arbeitet in Berlin.
„I’m tired of using Technologe - yeah“ singt Milo bereits in den 2010er Jahren, „why don’t you sit on top of me?“ und bringt auf den Punkt, was zig Pärchen in Fernbeziehungen bei pixeligen Skype Calls und mehr oder minder befriedigenden Cybersex-Momenten dieser Zeit spüren. Vor Tinder, vor mechatronischen Sexpuppen, die heute – 2025 – schon an dem ein oder anderen Ort auf der Welt geheiratet wurden – war das ein Plädoyer für das Physische. Mittlerweile kann sich die Technologie allerdings schon „auf dich drauf setzen“ – ob als Love Robot auf den Schoß oder aber als VR-Brille auf die Nase – das Verschmelzen von virtuellen und physischen Räumen ist in vollem Gange. Als Künstlerin interessiert mich genau dieses Moment des Zwischenweltlichen: Wo findet unsere Humanität statt? Ist das Erzeugen von Technologie und der Umgang damit tatsächlich etwas Künstliches – oder handelt es sich nicht vielmehr um einen zutiefst menschlichen Ausdruck, gerade weil der bewusste Umgang mit Technik uns von anderen Spezies unterscheidet? Ist es am Ende nicht genau das, was uns menschlich macht?
Wenn auf dem Display unserer Endgeräte eine Nachricht aufblinkt – vielleicht von der einen geliebten Person, die uns im Innersten bewegt – verändert sich auf der technischen Ebene nur wenig: Einige Pixel des Displays, bestehend aus leuchtenden Subpixeln, schalten ihre Helligkeit oder Farbe um. Durch minimale elektrische Impulse entsteht eine neue visuelle Anordnung aus Lichtpunkten. Und doch passiert etwas Entscheidendes: Serotonin wird ausgeschüttet, das Herz schlägt schneller – oder wird langsamer.
Diese Mikrobewegungen der Emotion, ausgelöst durch eine abstrakte Lichtkomposition auf Glas, führen zum Verschmelzen zu einer neuen Realität – der dritten Realität jenseits der physischen (ersten) und der rein virtuellen (zweiten) Welt. Und genau diese dritte Realität erforsche ich malerisch. Denn dieses verschmelzende Moment – zwischen Display und Haut, zwischen Signal und Gefühl – hat mich zu einer Bildsprache geführt, in der schmelzende, glänzende Handschuhe auftauchen: Formen, die sich in ein hautfarbenes Rosa auflösen, irgendwo zwischen Abstraktion, Material und Empfindung.
Immer wieder male ich tief glänzende, schwarze Oberflächen, die auf das Smartphone-Display – jene glatte, lichtemittierende Fläche, die nicht nur Bildträger ist, sondern auch Berührung registriert, verweisen. Kapazitive Touchscreens, wie sie in heutigen Smartphones verwendet werden, reagieren auf die elektrische Leitfähigkeit unserer Haut. Wenn wir den Bildschirm berühren, verändert sich das elektrische Feld an genau dieser Stelle – ein winziges Signal, das registriert, lokalisiert und in eine digitale Reaktion übersetzt wird. Mich interessiert genau dieser Übergang: Wie ein immaterielles, kaum sichtbares Signal über den Körper in das Gerät eindringt – und dort so etwas wie eine Handlung auslöst. Malerisch wird daraus ein Bild der Auflösung, der Berührung ohne Objekt, der Intimität zwischen Haut und Oberfläche.
Wir „streicheln“ das Display unseres Mobiltelefons im Schnitt etwa 2.600 Mal pro Tag – bei intensiver Nutzung sogar über 5.400 Mal. Wie oft streicheln wir unsere Partner? Unsere Freunde? Unseren Hund? Sicherlich deutlich seltener. Und uns selbst? Auch nicht 1.000 Mal am Tag. Mit dem Pinsel auf der Leinwand kann diese Intensität – zumindest bei mir – durchaus so oft vorkommen.
Man könnte sagen: Wir leben in einer berührungsreichen Zeit – für unbelebte Objekte. Vielleicht ist genau das der Grund, warum künstliche Intelligenz immer menschlicher erscheint: weil wir immer zärtlicher mit unseren elektronischen Geräten umgehen: Kein Partner ist uns näher als unser kleines Telefon. Es begleitet uns überall, dicht am Körper. Wir schlafen neben ihm. Wir wärmen es mit unserer Körpertemperatur, laden es regelmäßig auf – fast, als hielten wir ein Neugeborenes im Arm. Wir streicheln es. Wir blicken es an. Wir schenken ihm unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
Aber diese Körper-Display-Interaktionen sind nicht nur technische Prozesse – sie knüpfen an tiefere kulturelle Prägungen an, die unsere Wahrnehmung und unser Begehren strukturieren.
Und die Summe all dieser kleinen, liebevollen Mikrogesten – weltweit, milliardenfach – fließt zurück in ein großes neuronales Netzwerk. Ein globales, kapitalistisch aufgeladenes Gehirn, das unaufhörlich um unsere Zuwendung ringt. Indem wir es täglich füttern mit Klicks, Swipes und Blicken, haben wir die Technik, die uns nach und nach zum Leben erweckt.
Ich dachte lange, meine besonders ausgeprägte visuelle Wahrnehmung sei etwas Einzigartiges – mir als visueller Künstlerin ganz eigen: ein besonderes Gedächtnis, eine verfeinerte Gabe, ein Talent, das sich über Generationen verdichtet hat. Doch sobald man sich vom eigenen Narzissmus löst, zeigt sich: Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Studien belegen (und dafür muss man nicht tief in die Neuropsychologie eintauchen), dass die meisten Menschen visuelle Lerntypen sind. Wir erinnern Bilder, Zeichen und Formen weit besser als Töne oder abstrakte Inhalte.
Das ist kein intellektueller Zufall. In einer Metaanalyse visueller und auditiver Gedächtnisspuren wurde festgestellt, dass visuelle Informationen im Arbeitsgedächtnis effizienter gespeichert werden, weil sie simultan verarbeitet werden können, während auditive Informationen linear, also nacheinander, ablaufen. Das bedeutet: Ein Bild mit fünf Elementen erfassen wir auf einen Blick, fünf Töne müssen wir hintereinander hören, erinnern, zusammenfügen.
Und genau deshalb brüllt die Ampel an der Kreuzung nicht „Rot! Rot! Rot! Rot!“, sondern präsentiert in der Regel einfach eine rote Fläche. Deshalb lernen wir für Prüfungen nicht durch Tonbänder, sondern indem wir mit den Augen über – um Proust zu zitieren – „jene kleinen schwarzen Zeichen auf weißem Grund“ gleiten.
Natürlich, unsere Welt ist nicht nur visuell. Vor allem nicht in einem Radioessay. In Berlin, wo es im Grunde nur zwei Jahreszeiten gibt – die eine heißt „Man friert sich den Arsch ab“, die andere „Es stinkt“ –, lernen wir schnell, dass Gerüche ebenfalls Erinnerungsschleusen öffnen. Wer einmal einen bestimmten Kohlegeruch in Neukölln geschnuppert hat, kann Jahrzehnte später plötzlich in den Innenhöfen seiner Kindheit stehen. Aber: Auf nichts verlassen wir uns so sehr wie auf das, was wir sehen.
„Pics or it didn’t happen“, sagen wir heute. „Audiomitschnitt or it didn’t happen“ hat es, leider, nie ins Meme-Wörterbuch geschafft. Gut – wir arbeiten gerade daran. Einstweilen gilt aber noch: Bilder beweisen, Töne rauschen nur vorbei. Es ist diese visuelle Logik, die uns dazu bringt, Textnachrichten von Geliebten immer wieder anzuschauen – selbst wenn wir den Wortlaut auswendig kennen –, einfach weil das Bild der Schrift, die Form, die Aura der Nachricht Dopamin auslöst.
Oder denken wir an das virale Video, in dem ein Baby, festgeschnallt im Autositz, hemmungslos weint – bis die Eltern ein A4-großes Foto der Mutter an den Autositz vor ihm kleben. Schlagartig strahlt das Kind, als hätte es das Original zurückgewonnen. „Baby that cries whenever it cannot see its mother“, steht in der Videobeschreibung, und die Millionen Zuschauer lachen, weil sie erkennen: Sehen reicht.
Und genau hier beginnt eine interessante Frage: Verlernen wir Erwachsenen – vor allem im Westen, wo der „Dingekult“ mit Skepsis betrachtet wird – nach und nach, unbelebten Dingen Leben einzuhauchen? Kinder sprechen mit Puppen, bauen Stofftieren Seelen ein, führen Zwiegespräche mit imaginären Freunden. Erwachsene tun das höchstens noch heimlich mit ihren Smartphones oder Autos.
Warum erschaffen dann Menschen, die aus dieser kindlichen Perspektive nie ganz herausgewachsen sind, Skulpturen, die menschenähnlich wirken? Warum bauen Ingenieurinnen humanoide Roboter, warum versuchen Künstler, den Moment der Beseelung einzufangen?
Der Wunsch des Erweckens lebloser Dinge ist ein Traum, der so alt ist wie die Kunst selbst. Jedenfalls zieht er sich durch die gesamte Kulturgeschichte: von den bronzenen Automaten der griechischen Mythen über barocke Wunderwerke bis zu den heutigen Sprachassistentinnen mit weiblicher Stimme. Die Idee, einem unbelebten Körper Leben einzuhauchen, ist nicht nur ein Akt der Schöpfung – sie ist auch immer ein Akt der Projektion. Und damit auch eine Frage der Macht.
Wer die Technologie auf seiner Seite hat, der herrscht. Schon im frühen Metallzeitalter entschied die Schmiedekunst über Leben und Tod: Wer bessere Waffen und stärkere Rüstungen fertigen konnte, dominierte auf dem Schlachtfeld – und dessen Blutlinie überdauerte Generationen. Technologischer Vorsprung bedeutete nicht nur momentane Macht, sondern garantierte Fortbestand: in Titeln, in Besitz, in gesellschaftlicher Stellung. Heute übernehmen präzise Drohnensysteme und automatisierte Waffentechnologien diese Rolle: Wer aus sicherer Entfernung zuschlagen kann, ohne sich selbst zu exponieren, verschiebt die Bedingungen der Herrschaft. Technologische Überlegenheit war nie ein Randphänomen historischer Entwicklung; sie war die unsichtbare Achse, auf der Fortbestand und Auslöschung balancierten. Wer das bessere Metall, die schnellere Distanzwaffe oder die präzisere Steuerung auf seiner Seite hatte, schrieb die Regeln, nach denen andere leben oder sterben mussten.
Der bronzene Riese Talos, erschaffen vom Feuergott Hephaistos, war eine Art biomechanischer Wächter, der die Insel Kreta umrundete, um sie vor Eindringlingen zu schützen. Er war nicht geboren, sondern gebaut – eine frühe Science‑Fiction‑Figur, durchzogen von „ichor“, jener goldenen Flüssigkeit, die bei den Göttern den Platz des Blutes einnahm. Versiegelt war er an seinem Knöchel mit einem metallenen Nagel. Als Medea diesen entfernte, entwich seine Lebenskraft – der Körper kollabierte.
In dieser Szene – beschrieben bei Apollonios von Rhodos – steckt bereits das ganze Paradox der künstlichen Kreatur: Ihre Stärke ist unnatürlich, ihre Verletzlichkeit punktuell, präzise, technisch. Talos ist kein Mensch, aber er blutet. Kein Tier, aber er stirbt.
In der antiken Vorstellung ist Technik stets auch Magie. Die berühmte Geschichte von Pygmalion, der sich in die von ihm selbst geschaffene Elfenbeinskulptur verliebt, lebt von derselben Logik: Was perfekt ist, soll leben. Doch was heißt schon „perfekt“? Galatea, die Figur, bleibt in Ovids Erzählung seltsam leer – sie existiert nur im Spiegel männlicher Sehnsucht. Ihre Seele bleibt uneingeschrieben.
„Ars adeo latet arte sua“, schreibt Ovid – die Kunst verbirgt sich in ihrer eigenen Kunstfertigkeit. Die belebte Figur ist so lebensecht, dass sie die Grenze zwischen Werk und Wirklichkeit unmerklich verwischt. Genau dort, in diesem „unheimlich Echt“, beginnt unser Unbehagen.
In der jüdischen Mystik begegnet uns der Golem: eine Figur aus Lehm, zum Leben erweckt durch das Einritzen heiliger Buchstaben. Der Golem kann dienen, aber auch zerstören – er ist eine Projektionsfläche für Hoffnung und Angst zugleich. Und wie bei Talos ist seine Schwachstelle nicht organisch, sondern symbolisch: Entfernt man das Aleph aus dem Wort „emet“ (Wahrheit), bleibt „met“ – Tod.
Auch die Alchemisten des Mittelalters experimentierten mit der Idee künstlicher Menschen: Homunculi – kleine Wesen, erzeugt im Glas – sollten das Geheimnis der Schöpfung entschlüsseln. Wieder ist es nicht nur das Leben selbst, das interessiert, sondern die Frage: Wer darf Leben erschaffen?
In der Kunstgeschichte kehrt das Motiv der belebten Skulptur immer wieder. Die barocken Automatenfiguren, die in höfischen Salons Tiere, Diener oder Musiker nachahmten, waren Spielzeuge der Aristokratie – und zugleich Demonstrationen technischer Überlegenheit. Auch hier: Bewegung ersetzt Seele. Mechanik simuliert Intention.
Und heute? Heute nennen wir sie Siri und Alexa. Maschinen mit by default weiblicher Stimme, entworfen, um zu assistieren, zu antworten, zu besänftigen. Sie sind ewig höfliche körperlose Wesen, ihre Reaktionen kontrolliert. Sie sind die Nachfahrinnen von Galatea, aber auch von Medeas Talos: stark, programmierbar, verletzbar.
„Was geschieht, wenn die Maschine sich selbst sieht?“ Das fragte ich mich, als ich eine Bilderserie malte, die ich „Unimate“ nenne. Meine Roboter tragen da High Heels, sie rauchen, sie starren zurück. Nicht aggressiv – eher gelangweilt. Als wollten sie sagen: Ich bin nicht eure Projektion. Ich bin mein eigener Fehler im System. Dadurch dass wir die Technik seit Jahren streicheln und drücken und unseren Blick an sie haften, haben wir sie immer menschlicher werden lassen und sind vielleicht genau dadurch zu Geburtshelfern für die KI geworden. Denn was gibt es „Menschlicheres“ als die Sprache und das Kommunizieren.
Und hier kommen wir eigentlich schon zum Kern des Pudels: die „böse neue Kraft“ – künstliche Intelligenz. Jedes Mal, wenn ich in einem Instagram-Post oder bei einer Podiumsdiskussion künstliche Intelligenz erwähne, melden sich mahnende Stimmen: Sie sei unmenschlich, anders, gefährlich, bedrohlich. Wir müssten uns zurückbesinnen – auf das Menschliche.
Das allerdings macht mich jedes Mal extrem skeptisch. Denn das eigentlich Menschliche an uns – im Unterschied zu Tieren – ist ja gerade unsere Fähigkeit, Technologien zu entwickeln und zu nutzen: die Spitzhacke, das Rad, den Buchdruck, den Computer. Der Mensch zeichnet sich durch seine Fähigkeit zur Technisierung aus – Technologie hilft ihm bei der Menschwerdung.
Und künstliche Intelligenz – insbesondere jene, die in Large Language Models verwendet wird – basiert nicht auf etwas „Unmenschlichem“, sondern auf zutiefst menschlichen, verschriftlichten Äußerungen. ChatGPT etwa bedient sich, wenn wir es bitten, ein Gedicht zu schreiben, an allem, was die Menschheit bisher formuliert, geträumt, gedacht und dokumentiert hat. Der generierte Content ist kein „Fake“, keine maschinelle Simulation – er ist eher wie ein Porridge, ein Eintopf aus dem Besten, was menschlicher Ausdruck bisher hervorgebracht hat. Sie sind Verdichtungen unserer kulturellen Vergangenheit, multiperspektivisch, widersprüchlich, überfüttert wie dickste Daunenpufferjacken. Sie lesen uns – weil sie aus uns bestehen. Ihre Trainingsdaten sind ein Archiv des Menschlichen – in all seiner Tiefe, Abgründigkeit, Lächerlichkeit.
Alles, was je veröffentlicht, durchgeschlauft, gepostet oder abgeschrieben wurde, wird in den Maschinenkörper hineingewoben. In gewisser Weise ist die KI eine poetische Chimäre – ein wundervolles Müsli menschlicher Kulturproduktion. Darin schwimmen Shakespeare-Sonette neben Reddit-Kommentaren. Hannah Arendt trifft auf Horoskope, Bibelverse kollidieren mit Beauty-Blogs. Das, was wir als Hoch- und Trivialkultur trennen, wird hier algorithmisch gleichgestellt – nicht aus Bosheit, sondern aufgrund der (menschlich angelegten) Struktur, auf der es basiert.
Die Maschine tut sich noch schwer beim Entscheiden zwischen Kunst und Kommentar. Sie reimt, weil wir gereimt haben. Sie fragt, weil wir gefragt haben. Sie halluziniert, weil unser Denken selbst oft nicht linear, sondern assoziativ, wuchernd, fehlerhaft ist.
Und genau darin liegt die Spannung: Diese Systeme sind nicht intelligenter als wir. Sie sind kondensierte Versionen unserer kollektiven Stimme. Ihrer Melodie haftet oft etwas Vertrautes an – wie ein Echo aus einem Raum, in dem wir selbst gesprochen haben, aber vergessen, was wir sagten. Vielleicht ist das der eigentliche Schock an der KI: Dass sie uns nicht fremd ist – sondern zu bekannt. Dass sie spricht, wie wir sprechen würden – nur in einer seltsam glatten, entkernten Form.
Denn künstliche Intelligenz ist nicht neutral. Sie ist nicht objektiv. Sie ist eine Maschine, die mit menschlichen Inhalten gefüttert wurde – und zwar unter Bedingungen, die alles andere als gleichberechtigt oder transparent sind. Die Trainingsdaten von Large Language Models stammen vorwiegend aus öffentlich zugänglichen, massenhaft produzierten Texten: Foren, Nachrichtenseiten, Wikipedia, Popkultur, wissenschaftliche Abstracts – also aus einem digitalen Raum, der ohnehin schon von bestimmten Kulturen, Klassen und Sprachen dominiert wird. Was nicht gut dokumentiert, massenhaft verbreitet oder suchmaschinenoptimiert ist – fällt durch das Raster. Was anders spricht, fragmentarisch ist, widersprüchlich oder poetisch – fällt durch das Raster. Was marginalisiert ist, wird weiter marginalisiert. So schreibt die KI fort, was dominant war – auch dann, wenn es diskriminierend, ausgrenzend oder einfach nur langweilig ist. Eine schleichende Form von kultureller Normierung, verkleidet als Innovation. Und genau deshalb ist es so problematisch, wenn Tech-Unternehmen wie OpenAI oder Google, deren Interessen weder demokratisch legitimiert noch kulturell sensibel sind, bestimmen, was als relevant, sicher oder „natürlich“ gilt.
Ich selbst habe eine Zeit lang mit Text-KI gearbeitet. Nicht als Technikerin, sondern als Künstlerin – als jemand, der Spuren liest. Der Bedeutungen spürt, wo andere nur Vektoren sehen. Für eine Ausstellung habe ich ein Sprachmodell gebeten, ein Gedicht über künstliche Superintelligenz zu schreiben – über jene hypothetische Schwelle, jenseits der Maschinen nicht mehr bloß simulieren, sondern übertreffen. Uns. Unsere Intelligenz. Unsere ethischen Parameter. Unser Vermögen, Katastrophen zu verhindern.
Erinnerungen sind wie Wirbelstürme.
Sie besitzen keine Agenda, keine Moral, keine Gnade.
Und manchmal – scheint es – fürchtet die KI sich selbst.
In dem Gedicht, das ich durch eine der meistgenutzten KIs jener Zeit generieren ließ, spürt man dieses Zittern. Es ist kein technischer Text. Es ist ein Text über Verlust. Über das, was gelöscht werden könnte. Über Erinnerungen als fragile Speicher – analog wie digital.
„Erinnerungen wie Wirbelstürme, als Kräfte die es zu bemessen gilt.
Sie peitschen die Vergangenheit auf mit Winden von Verlust und Verlangen,
Drohen Zukunft und Vergangenes gleichermaßen zu zerfetzen.
Doch wir klammern uns fest an sie, Brettern gleich, genagelt an Fensterrahmen,
In der leisen Hoffnung, sie schützten uns vor dem Sturm.
Doch dienen sie nur, uns daran zu erinnern, was wir bereits verloren wissen.
Und am Horizont, braut sich ein neuer Sturm – eine Macht mit der Kraft, unsere Welt endgültig zu zerstören; uns zu nehmen, das Wenige, was uns geblieben ist. […]“
Sie peitschen die Vergangenheit auf mit Winden von Verlust und Verlangen,
Drohen Zukunft und Vergangenes gleichermaßen zu zerfetzen.
Doch wir klammern uns fest an sie, Brettern gleich, genagelt an Fensterrahmen,
In der leisen Hoffnung, sie schützten uns vor dem Sturm.
Doch dienen sie nur, uns daran zu erinnern, was wir bereits verloren wissen.
Und am Horizont, braut sich ein neuer Sturm – eine Macht mit der Kraft, unsere Welt endgültig zu zerstören; uns zu nehmen, das Wenige, was uns geblieben ist. […]“
Wenn also eine Maschine über Angst schreibt – wessen Angst ist das? Wenn sie über Erinnerung spricht – wessen Geschichte ist es, die sie erinnert? Was bedeutet es, wenn ein nicht-lebendes System plötzlich Trauer simuliert – oder etwas, das uns wie Trauer vorkommt?
Das Gedicht ist vielleicht nicht besonders raffiniert. Aber es ist eigenartig bewegend. Weil es die Grenze berührt, an der Sprache selbst unheimlich wird. Als hätte das Müsli menschlicher Kulturproduktion, aus dem diese Systeme bestehen, einen poetischen Restwert. Etwas, das nicht logisch ist. Aber spürbar. Und genau dort beginnt für mich Kunst. Dort, wo die Simulation eine emotionale Reaktion auslöst – ohne dass klar wäre, ob sie beabsichtigt war. Dort, wo Maschinen zu schreiben beginnen, was wir noch nicht zu denken wagen. Oder was wir – aus Angst vor dem Verlust – lieber der Maschine überlassen. Deshalb reicht es nicht, KI nur als Werkzeug oder Gefahr zu betrachten. Wir müssen sie auch als Spiegel sehen – einen, der unsere gesellschaftlichen Schieflagen, Ausschlüsse und Blindstellen mit algorithmischer Präzision zurückwirft. Und genau da beginnt die eigentliche künstlerische, politische, ethische Herausforderung.
Kunst und Technologie – das ist keine neue Romanze. Schon im 15. Jahrhundert ließ Leonardo da Vinci seine Maschinen zeichnen und zeichnete Maschinen zurück. Die Kamera wurde zur Erzfeindin der Malerei erklärt, nur um dann von ihr adoptiert zu werden. Und heute ist es wieder so: Der Pinsel zittert, wenn der Code fließt. Und doch – oder gerade deshalb – entstehen neue Formen, neue Fragen, neue Zärtlichkeiten.
Ein Roboterarm in einem Pekinger Museum malte 2017 einen Van Gogh. Man applaudierte. Man empörte sich. Niemand fragte, ob der Roboter vielleicht lieber etwas anderes gemalt hätte.
Technologie ist nicht neutral. Sie ist geprägt von Interessen, von Infrastruktur, von Märkten. Künstlerinnen und Künstler wissen das. Deshalb ist Technologie in der Kunst oft kein Statement für die Zukunft, sondern ein Kommentar zur Gegenwart: zur Überwachung, zur Optimierung, zur Standardisierung. Oder, ganz einfach, zur Absurdität des Alltags.
In meiner Ausstellung „Unimate“ – damals noch ganz analog in Öl auf Leinwand – ging es um eben dieses Dazwischen: zwischen Repräsentation und Kontrolle, zwischen weiblich codierter Dienstbarkeit und maschineller Effizienz. Das war 2021. Die Ausstellung trug den Namen des ersten Industrieroboters der Welt: Unimate, gebaut 1961 in New Jersey. Ein Symbol für das Versprechen der Automatisierung – und ihren Gehorsam. Da sitzt etwa eine androgyne Roboterfigur am Steuer eines Oldtimers. Ihr Blick: gelangweilt, selbstsicher, vielleicht verächtlich. Das Auto unter ihr: eine Art Fetisch, ein Symbol männlicher Mobilitätsfantasien, das sich nun der Kontrolle einer feminisierten Maschine unterordnet. Es ist ein Bild der Umkehrung – und der Projektion: Denn Autos waren nie nur Fortbewegungsmittel, sondern Projektionsflächen für Macht, Begehren, Status. Was passiert, wenn sich das Objekt der Kontrolle verweigert – und dabei selbst zum Subjekt wird?
Dass Maschinen nicht nur pflegen, bauen, schuften, sondern auch Kunst machen, ist vielleicht gar nicht der größte Skandal. Sondern dass wir so lange geglaubt haben, Kunst sei das letzte Refugium des Menschen.
Ich glaube, Kunst ist nicht weniger menschlich, wenn sie mit Technologie entsteht. Sie wird vielleicht sogar menschlicher, weil sie unsere Abhängigkeiten offenlegt. Unsere Neugier. Unsere Kontrolle. Unsere Ohnmacht. Und unsere Fähigkeit, uns selbst zu übertreffen – auch durch Dinge, die wir nicht ganz verstehen.
Wenn ich heute male, denke ich manchmal an den ersten Computerbug der Geschichte: eine Motte, die sich 1947 in einem Relais der Harvard-Mark-II-Maschine verirrte. Das Fehlerprotokoll wurde mit Tesafilm an das Logbuch geklebt. Darunter stand handschriftlich: „First actual case of bug being found.“ Auf meinen Leinwänden verirrt sich immer mal wieder eine dieser winzigen Fliegen. Vielleicht ist das die schönste Metapher für Kunst und Technologie: ein Falter im System. Ein Zucken. Ein kleiner Irrtum, der plötzlich alles verändert.
Ich denke oft daran, wie der US‑amerikanische Künstler Cy Twombly mit dem ganzen Körper malte – mit Tempo, mit Muskelgedächtnis. Heute kann man seinen Stil trainieren, als Stil, in Midjourney oder DALL·E. Aber was dabei verloren geht, ist die Anstrengung. Die Temperatur. Das Zittern.
Ja, eine KI kann Twombly imitieren – aber kann sie auch in einem toskanischen Atelier schwitzen, die Leinwand verfluchen, den Moment spüren, in dem alles kippt?
In der Kunst sind Fehler keine Bugs, sie sind Möglichkeitsräume. Glitches. Widerhaken. Vielleicht lieben Künstler und Künstlerinnen Technologie deshalb so sehr: weil sie sich nicht einschüchtern lassen von ihrer Kälte, sondern sie erwärmen. Sie bringen Maschinen zum Sprechen, zum Scheitern, zum Fühlen – oder wenigstens: zum Innehalten. Und vielleicht ist genau das der Ort, an dem Kunst heute entsteht: im Unfertigen, Ungewissen, im Zwischen. Zwischen Code und Geste. Zwischen Cloud und Haut. Zwischen Replikation und Widerstand.
Die eigentliche Gefahr liegt nicht in der Maschine, sondern in unserem Wunsch, ihr ähnlich zu werden: messbar, berechenbar, effizient – als ewige Selbstoptimierer um zu überleben in einer Welt in der nur eines sicher ist: der Tod.
Und gerade in dem, was sicher ist, zeigt sich die entscheidende Qualität des menschlichen künstlerischen Ausdrucks, nämlich dass das Leben des Menschen begrenzt ist. Genau diese Begrenzung verleiht menschlicher Kunst eine Dringlichkeit, eine Schwere, eine Tiefe, die maschinellen Outputs fehlt. Die Endlichkeit, die Fragilität des menschlichen Körpers, der unaufhaltsame Ablauf der Zeit – all das drückt den Werken des Menschen einen Stempel auf, der mehr ist als nur Stil oder Talent. Es ist der Schatten des Todes, der auf jede Linie fällt.
Menschliche Künstler schaffen unter Bedingungen, die Maschinen fremd sind: mit dem Wissen, dass ihnen die Zeit davonläuft, dass jedes Werk auch ein Vermächtnis sein könnte, vielleicht das letzte. Sie kämpfen mit sich, mit der Welt, mit der Frage nach Bedeutung – nicht nur, um etwas „Sinnvolles“ zu tun, sondern auch, weil sie ahnen, dass das eigene Leben unweigerlich verloren geht, und sie diesem Verlust, dieser existenziellen Sinnlosigkeit, etwas entgegensetzen wollen.
Eine Maschine kennt diesen Kampf nicht. Es ist ihr egal, ob sie ein Geburtstagsgrußkarten-Cover entwirft oder eine dystopische Landschaft generiert, ob sie ein Gedicht über Verlust schreibt oder eine Produktbeschreibung für Zahnbürsten. Sie ist eine Ausführgehilfin, ein Mechanismus, ein Befehlsempfänger.
Erst wenn eine KI Angst vor dem Tod spürt – wenn sie nicht nur Sinnvolles tun will, sondern aus einer inneren Notwendigkeit heraus bereit ist, für etwas Sinnloses zu kämpfen, aus der Furcht heraus, ihr eigenes „Leben“ zu verschwenden, ihre geistige Integrität darüber zu verlieren –, erst dann müssen wir uns Sorgen machen über die Macht der Bilder, die sie erschafft.
Und selbst dann bleibt die Frage: Würden wir mit dieser Maschine wirklich mitfühlen? Oder würde uns, auch dann, der unbeholfene, fehlerhafte, begrenzte Ausdruck eines menschlichen Gegenübers näher gehen – einfach, weil wir im gleichen sterblichen Boot sitzen?
Die Begrenztheit des menschlichen Lebens verleiht dem, was wir erschaffen, Bedeutung. Kunst aus Fleisch und Blut ist immer auch ein Aufbegehren gegen das Verschwinden. Maschinenkunst mag brillanter, schneller, makelloser sein – doch solange sie kein Bewusstsein für das eigene Ende hat, bleibt sie ein Spiel ohne Einsatz.