
Das Wasser, sollte man meinen, ist wie die Luft ein Lebensmittel, das allen gehört und das niemandem genommen werden kann. Allerdings: Auseinandersetzungen um das Wasser und um das Recht daran hat es wohl schon immer gegeben, als Quelle, als Tränke, als Lebensraum, als Transportweg, als Grenze.
Die gerechte und solidarische Verteilung von Wasser, einschließlich der gemeinsamen Verpflichtung zu seinem Schutz und dem Verbot willkürlicher Verschwendung, ist die Voraussetzung für jedes gedeihliche Zusammenleben, innerhalb einer Gesellschaft ebenso wie zwischen verschiedenen Ländern. Man tat also wohl gut daran, das Wasser zum Allgemeingut zu erklären und Regierungen und Behörden als zuständig für die technische Erschließung und die Verteilung.
Doch was schon zuvor im Kolonialismus und in der Hegemonie von Interessen sich abzeichnete, nämlich die Fähigkeit, Wasser künstlich zu verknappen und sich damit ein Machtwerkzeug zu garantieren, ist im Zug der allgemeinen „Privatisierungen“ zu einem sozialen Problem geworden. Gemeinde und Städte, denen die Verwaltung des Trink- und Abwassers zu teuer wird, übertragen die Aufgaben und Rechte an private Unternehmen. Mit verheerenden Folgen, wie die Privatisierungen in Chile oder London zeigen. Doch das abschreckende Beispiel von Wasserversorgungen, die nur am Profit interessiert sind und sich weder um soziale Gerechtigkeit noch um ökologische Folgen kümmern, hat den Privatisierungstrend nicht wirklich gestoppt.
Es gibt auch andere Beispiele: Das Land Berlin etwa kaufte die privatisierten Anteile der Berliner Wasserbetriebe wieder zurück.
Markus Metz, geboren 1958, studierte Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft, er lebt als Hörfunkjournalist und Autor in München. Zuletzt erschien von ihm „Wir Kleinbürger 4.0. Die neue Koalition und ihre Gesellschaft“ (Edition Tiamat, Berlin) und „Apokalypse & Karneval. Neoliberalismus: Next Level“ (Bertz & Fischer, Berlin), beide gemeinsam mit Georg Seeßlen.
Georg Seeßlen, geboren 1948, hat in München Malerei, Kunstgeschichte und Semiologie studiert. Er war Dozent an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und schreibt heute als freier Autor unter anderem für Die Zeit, Frankfurter Rundschau, taz und epd‑Film. Außerdem hat er rund 20 Filmbücher verfasst und Dokumentarfilme fürs Fernsehen gedreht.
Wasser! Ein toller Stoff! Man kann es trinken, man kann sich darin erfrischen, man kann damit waschen und putzen. Mit Wasser kann man Feuer löschen, Motoren kühlen, Rasen sprengen und es auch einfach mal laufen lassen. Wir haben es ja. Oder?
Der Planet Erde ist zwar reichlich mit Wasser versorgt. 71 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Wasser ist mit 1.384.100.000 Kubikkilometern der häufigste Naturstoff an der Oberfläche unseres Planeten. Allerdings handelt es sich beim allergrößten Teil davon, nämlich 97,5 Prozent um Salzwasser in den Meeren. Das Wasser, das wir für Alltag und Wirtschaft verbrauchen, gemeinhin Süßwasser genannt, ist ein durchaus prekärer Stoff. Weniger als die Hälfte des Süßwassers ist zugänglich – für Bodenfeuchte, Grundwasser, Seen und Flüsse, Natur und Lebewesen! Und das, was wir als sauberes Trinkwasser neben der Luft zum Atmen als wichtigsten Bestandteil des Stoffwechsels benötigen, ist davon wieder ein Bruchteil. Dieses Trinkwasser ist kaum noch natürlich vorhanden, es muss als Grundwasser aus immer größeren Tiefen hervorgepumpt werden, es muss technisch wiedergewonnen werden, indem Wasser physikalisch und chemisch gereinigt und aufbereitet wird. Macht über Geld erzeugt Macht über Wasser, und Macht über Wasser erzeugt noch mehr Geld. Das ist der andere Wasser-Kreislauf.
„Stefan C. Crommschröder verdient 1,17 Millionen Euro im Jahr als Fixum. Dieser Betrag wird sich um 50 Prozent erhöhen, wenn der Geschäftsbereich Wasserwirtschaft das Investment für die London Waters und die Berliner Wassergesellschaft wieder hereingewirtschaftet hat. Diese Ziele waren Teil seines Vertrages. Sie umfassten kaum mehr als eine halbe DIN-A-4-Seite, und sie waren zu schaffen. Über allem aber steht: 15 Prozent Kapitalrendite. ‚Das ist jetzt Ihr Alpha und Ihr Omega’, sagt Landmann, und ein neuer Hauch fauliger Pestilenz trifft Stefan wie ein Keulenschlag, zwingt ihn, durch den Mund zu atmen. Um die 15 Prozent Kapitalrendite zu realisieren, sind folgende Einzelziele zu verwirklichen:
Ziel 1: Die VED stellt ihre Fähigkeit als international operierendes Unternehmen der Wasserbranche unter Beweis, indem sie ein oder mehrere Wasserwerke in der Dritten Welt erwirbt und profitabel betreibt.
Ziel 2: Die VED wird Marktführer in Deutschland. Dazu erwirbt sie die Wasserwerke zweier Millionenstädte.
Ziel 3: Ausarbeitung und Implementierung einer Strategie, die die lokalen, kommunalen Wasserwerke dem Wettbewerb durch die VED aussetzt mit dem Ziel ihrer weitgehenden Übernahme durch die VED. Das ist der schwierigste Punkt auf der Liste. Er kostete Crommschröder schon viel Mühe, Geld und Kraft. In Deutschland gibt es 8000 kommunale Wasserwerke, und die meisten arbeiten gut und liefern bestes Trinkwasser, in der Regel zu Preisen, die deutlich unter denen der privatisierten Unternehmen liegen. Es würde schwierig werden, die Öffentlichkeit zu einer Duldung der Verkäufe dieser kommunalen Unternehmen zu bewegen.“
(Wolfgang Schorlau: Fremde Wasser. Denglers dritter Fall. 2006)
(Wolfgang Schorlau: Fremde Wasser. Denglers dritter Fall. 2006)
Da es sich bei Fremde Wasser um einen Kriminalroman handelt, müssen ein paar Leichen den Weg zur Kapitalrendite durch Wasser pflastern. Allerdings betont Autor Wolfgang Schorlau im Vorwort:
„Die Figuren in diesem Buch sind ausgedacht. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist es nicht. In diesem Krimi ist verdammt wenig erfunden.“
Im Anhang des Krimis findet sich ein Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 05.11.2005:
„ESSEN (dpa). Mit dem geplanten Ausstieg aus seinem Wassergeschäft in den USA und Großbritannien hat der Essener RWE-Konzern die Weichen für eine stärkere Konzentration auf die renditestarken Strom- und Gasmärkte gestellt. ‚RWE geht diesen Schritt, um seine Kernkompetenzen zukünftig gebündelt auf die zusammenwachsenden Strom- und Gasmärkte in Europa konzentrieren zu können’ […] Für die Aktionäre kündigte das Unternehmen eine vorübergehende Erhöhung der Ausschüttungsquote für die Geschäftsjahre 2006 und 2007 an.“
Unter der Regie der neoliberalen britischen Regierungschefin Margaret Thatcher entstand aus der staatlichen Wasserbehörde Thames Water Authority 1989 die private Thames Water Utilities Limited. Zur Sanierung des verfallenden Londoner Wasser- und Abwassersystems sollte privates Kapital mobilisiert werden. Ab 2001 war Thames Water ein Tochterunternehmen des deutschen Energiekonzerns RWE, seit 2006 befindet es sich im Besitz von Kemble Water, einem Konsortium unter Leitung eines australischen Investmentfonds.
In den 2020er Jahren geriet Thames Water wegen hoher Schulden zunehmend in eine Finanzkrise. Diese verschärften hohe Geldstrafen, 2024 etwa in Höhe von 104 Millionen Pfund, weil das Unternehmen ungeklärte Abwässer in Flüsse und das Meer geleitet hatte. Im Frühjahr 2024 erklärte die Holdinggesellschaft Kemble Water Finance ihre Zahlungsunfähigkeit. Im Zuge der Krise wurde auch darüber diskutiert, Thames Water unter Zwangsverwaltung zu stellen oder zu verstaatlichen.
Nach der konservativen schreckt auch die Labour-Regierung vor der Verstaatlichung zurück; das Spiel mit dem Wasser-Kreislauf geht weiter. So heißt es im Klamm‑Report vom 7. März 2025:
„Das Unternehmen versorgt fast ein Viertel der britischen Bevölkerung, doch 36 Jahre nach der Privatisierung ist die Infrastruktur marode. Ofwat, die britische Regulierungsbehörde, fordert dringend notwendige Investitionen, während Thames Water mit steigenden Kosten und schwindendem Vertrauen der Kapitalmärkte kämpft.“
Auch der andere Konzern aus Wolfgang Schorlaus Wasser-Krimi, American Water Works, ist real und zeigt eine ähnliche Entwicklung: Hohe Kosten für die Verbraucher, Raubbau an der Ressource und irreparable Umweltschäden. Das Unternehmen verfügt unter anderem über 1000 Grundwasserbrunnen, 175 Wiederaufbereitungsanlagen, 73 Staudämme und rund 86.000 Kilometer Wasserleitungen und versorgt 14 Millionen Menschen in 14 amerikanischen Staaten sowie 18 größere Militäreinrichtungen.
Lange Zeit stand American Water Works unter Kontrolle der 1970 gegründeten amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA, die Qualität des Wassers wurde wissenschaftlich beobachtet. Damit war Schluss, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Im Zuge der Kämpfe der Trump-Regierung gegen ökologische Instanzen verlor die Environmental Protection Agency EPA ihre Befugnisse. Die Folge: Schlechteres Wasser, weniger Umweltauflagen und – mehr Profit. Zur Freude der Anleger. So erfahren wir im März 2025 im Finanzportal Börse Express:
„Gegenwärtig spiegelt die Marktstimmung gegenüber American Water Works eine Mischung aus Vertrauen und Vorsicht wider. Mit einem Kurs von 131,85 € liegt die Aktie nur 4,32 Prozent unter ihrem 52-Wochen-Hoch und hat sich bereits 23,05 Prozent vom 52‑Wochen-Tief erholt. Im Wettbewerb hat das Unternehmen einen Vorteil gegenüber kleineren Konkurrenten, denen das Kapital fehlt, um mit seinen Infrastrukturausgaben mitzuhalten. Seine Größe und regulatorische Expertise schaffen Eintrittsbarrieren und festigen seine Marktposition. Diese Dynamik positioniert American Water Works als Gradmesser für das Segment der Wasserversorger.“
Man kann es wohl nicht anders sagen: Börsenanleger profitieren davon, dass ein Monopolist in den USA unter einem Präsidenten, der Klimawandel und Umweltschäden ignoriert, rücksichtsloser mit der Ressource Wasser umgehen kann denn je. Es sind solche Lehrstücke zur Vorherrschaft von Ökonomie über Ökologie, die zeigen, wie sehr das Wasser in privater Hand zum Desaster für Umwelt und Verbraucher werden kann.
„Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss…“
So heißt es im Vorwort zur „Europäischen Wasserrahmenrichtlinie“ aus dem Jahr 2000, die die Wasserpolitik der EU vereinheitlichen und stärker auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Wassernutzung ausrichten soll.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen erkannte 2010 das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser als Menschenrecht an. Wasser soll gesundheitlich unbedenklich und für alle Menschen zugänglich sein. Der Beschluss ist allerdings nicht bindend und auch nicht einklagbar. Ein Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung wird auch aus den Artikeln 11 und 12 des Sozialpakts der Vereinten Nationen abgeleitet, der 1976 in Kraft trat.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. 2025 haben mehr als eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und es werden nicht weniger, es werden mehr. Es ist keineswegs nur die Natur, die bewirkt, dass manche Menschen Wasser im Überfluss haben und manche Mangel leiden. Denn Wasser kann man verschwenden, verkaufen, verwehren, stehlen und verschmutzen. Die Frage ist nicht nur: Was tun, wenn es an Wasser mangelt? Die Frage ist immer auch: Wem gehört das Wasser?
„Sitzt der französische Ort Vittel bald auf dem Trockenen? Der Konzern Nestlé pumpt dort sein bekanntes Mineralwasser ab. Eine Million Kubikmeter jährlich haben die Behörden erlaubt. Umweltschützer und Einheimische schlagen Alarm. Der Grundwasserspiegel kann sich nicht regenerieren und sinkt jährlich um 30 Zentimeter. Einst lag er zehn Meter höher als heute. Den Dorfbewohnern geht das Trinkwasser aus. Am öffentlichen Brunnen dürfen sie ‚höchstens 6 Flaschen pro Tag‘ abfüllen, im Sommer wird das Wasser sogar per Tanklaster in den Ort gebracht. Jetzt ist eine zwölf Kilometer lange Pipeline geplant – für bis zu 50 Millionen Euro Steuergeld.“
So rief die NGO Rettet den Regenwald e.V. 2018 zur Petition „Nestlé, stoppt den Flaschen-Irrsinn!“ auf, die 224.000 Menschen unterschrieben.
Die Privatisierung von Wasser, das Abfüllen und Verkaufen des „ererbten Gutes“ in Flaschen zu Profitzwecken, bringt weitere ökologische Probleme mit sich, nicht nur sinkende Grundwasserspiegel, sondern auch Plastikmüll und CO2-Ausstoß durch den Transport. Nestlé, einer der weltweit größten Wasserkonzerne, ist da kein Einzelfall, immerhin gibt es da und dort sogar Ansätze einer Wende zu mehr Nachhaltigkeit. Doch das ändert nichts am Prinzip: Wasser wird verschwendet für Konsum und Profit, für Autowäsche oder Schneekanonen, für Superrasen oder Swimming-Pools als Statussymbol.
So wird Wasser auch zum Maßstab für die Ungleichheit in der Welt. In den armen Ländern ist sauberes Wasser viel zu teuer; in den reichen Ländern ist sauberes Wasser viel zu billig. Und mit einem solchen ökonomischen Missverhältnis sind immer auch politische Begehrlichkeiten verbunden. Einen der meistzitierten Sätze unserer Zeit prägte 1985 der ägyptische Diplomat und spätere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali:
„Die Kriege der Zukunft finden ums Wasser statt.“
Bislang werden Kriege noch nicht vorrangig um Wasser, sondern um Territorien und um andere Reichtümer geführt. Wohl aber spielt der Verteilungskampf in vielen lokalen, regionalen und internationalen Auseinandersetzungen eine wachsende Rolle.
„Droht ein Krieg zwischen Äthiopien und Ägypten?“
Betitelt die Deutsche Welle am 19.09.2024 einen Bericht.
„Parallel zum Wasserspiegel am ‚Grand Ethiopian Renaissance Dam‘ im Nordwesten Äthiopiens steigen in diesen Tagen auch die Spannungen mit dem flussabwärts gelegenen Ägypten. Mit einer Staumauer höher als die Pyramiden von Gizeh staut Äthiopien das Wasser des Blauen Nil; der Stausee wird in diesem Jahr wohl seinen vollständigen Füllstand erreichen. Ägypten fürchtet, das flussaufwärts gelegene Land könnte die Durchleitung als Druckmittel in Trockenzeiten einsetzen. Bisher ist es Ägypten nicht gelungen, Äthiopien zu irgendeiner verbindlichen Regelung zu bewegen, die Ägypten Garantien für seine Wasserressourcen einräumt, die ein nationales Sicherheitsinteresse sind.“
Wasser beziehungsweise der Mangel daran wird schnell zum Mittel von Erpressung und Unterdrückung. Wasser ist eine der Ursachen für erzwungene Migrationsbewegungen. In Bürgerkriegen und Grenzkonflikten nutzen die Gegner die Abhängigkeit von Wasser, sei es durch Blockade von Wasserquellen, sei es durch die Zerstörung der Versorgung. Der Zugang zu Wasser ist ein entscheidendes Kriterium für den menschlichen Fortschritt – und Grund für Zerstörung, Leid und Ausbeutung.
Der Aufstieg von Kulturen hat seit der Frühzeit stets damit begonnen, dass Wege gefunden wurden, sich technisch und organisatorisch mit dem Wasser zu arrangieren. Erst Systeme der Bewässerung machten Ackerbau möglich, erst Brunnen urbane Ansiedlungen, Dämme die Regulierung von Flüssen, Häfen den Schiffsverkehr. Und im Kleinen mussten Tröge und Flaschen, Kalebassen und Kessel entworfen werden, um das kostbare Nass aufbewahren zu können. Wer Macht über Wasser hat, der hat auch Macht über Menschen. Um diesen Stoff gebührend zu respektieren, bemühten Religionen und Mythen stets gute und böse Geister. Alles Gute kommt aus dem Wasser. Manches Schlechte aber auch.
Menschen haben sich den Kreisläufen des Wassers angepasst, von der Verdunstung zu Nebel und Wolken, zu Regen oder Schnee, zum Bach, zum See, zum Fluss und zum Meer – und dann alles wieder von Neuem. Menschen haben gelernt, sich das Wasser zu Nutzen zu machen und sich gegen seine Gefahren zu schützen. Dabei haben sie aber auch den größten und gefährlichsten Feind des Wassers erzeugt, den Menschen selbst. Der Mensch gefährdet die globalen Wasserkreisläufe, indem er die Ressource gleichgültig verschwendet und indem er sie verschmutzt und verseucht. Obwohl man heute mehr denn je weiß, wie wichtig es ist, nachhaltig mit Wasser umzugehen, hat die Gefährdung mit wachsender Weltbevölkerung längst globale Ausmaße angenommen.
Zu den apokalyptischen Reitern Verschwendung, Privatisierung und Kommerzialisierung, Verschmutzung sowie Wasser als Waffe in kriegerischen Auseinandersetzungen hat sich noch ein weiterer gesellt, vielleicht der am allerschwersten zu bekämpfende: Die Klimaerwärmung bringt den Wasserhaushalt der Erde aus dem Gleichgewicht. Höhere Durchschnittstemperaturen führen zu mehr Dürre auf der einen Seite, zu mehr Starkregen und Überschwemmungen auf der anderen. Je knapper die Ressource Wasser wird, desto höher steigt ihr kommerzieller Wert und desto tödlicher wird ihre Wirkung als Waffe in Krieg und Bürgerkrieg.
Die verschiedenen Gefährdungen für das symbiotische Verhältnis von Mensch und Wasser verschärfen sich wechselseitig. Der Mangel an sauberem Wasser führt zu ökonomischen Begehrlichkeiten, die wiederum Machtkämpfe und Kriege verursachen, wodurch weitere Wasserressourcen verloren gehen, während die Klimaerwärmung durch zu wenig oder zu viel Wasser Menschen in die Flucht treibt und die Konfliktpotentiale weiter zunehmen. Ein menschengemachter Teufelskreis.
Ein dramatisches Beispiel für die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserkreisläufe ist die weltweite Erwärmung von Gewässern. Wärmere Meere führen dazu, dass der Meeresspiegel steigt, wärmeres Meerwasser verlangsamt die Durchmischung der Ozeane, die Meere speichern weniger CO2 und nehmen weniger Wärme auf. Wärmeres Meerwasser verdunstet zu mehr Wolken, die sich in Starkregen und Unwetter entladen. Wärmeres Wasser in Meeren, Seen und Flüssen hat Sauerstoffverlust und Versauerung zur Folge und damit weniger Leben im Wasser. Die höhere Wassertemperatur wird bestimmten Tier- und Pflanzenarten zum Verhängnis, während andere, zum Beispiel Algen im Übermaß gedeihen.
Bei Flüssen und Seen trägt auch die Abwärme von Kraftwerken und Industrie dazu bei; entweder wird mittels Durchlauf gekühlt – das Kühlwasser kommt schlicht wärmer heraus, als es hineinfließt – oder in Kühltürmen, die Verdunstungskälte nutzen und das Wasser zum Teil als Wasserdampf in die Umwelt abgeben. Die in die Luft entweichende Wassermenge fehlt dann dem Fließgewässer, was wiederum zu dessen Erwärmung beiträgt.
„Der Wärmeeintrag in ein Gewässer ist auf das notwendige Maß zu beschränken, damit die im Gewässer vorkommenden Lebensgemeinschaften (Biozönosen) so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Deshalb wurden von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) schon vor vielen Jahren Grundsätze und Vorgaben für Wärmeeinleitungen in Gewässer erarbeitet. In der Oberflächengewässerverordnung (OGewV) wurden weitergehende und konkrete Anforderungen an die Gewässerqualität festgelegt.“
So das Bayerische Landesamt für Umwelt zur Kühlwassernutzung. Was der Wärmeeintrag in Gewässern anrichten kann, schildern im Artikel „Die Wärmeverunreinigung der Flüsse: Auswirkungen und Grenzen“ die akademischen technischen Vereine der Schweiz. Ökologischer Panikmache sind die ansonsten eher unverdächtig.
„Erwärmung beschleunigt alle chemischen und biologischen Prozesse. So werden Lebensvorgänge bei einer Erhöhung von 0 auf 10°C um rund das Zehnfache beschleunigt, und zwischen 10 und 30°C Ausgangstemperatur um das 2,5- bis 3,5fache. Über 30°C Ausgangstemperatur sinkt dieser Wert unter 1, hier wirkt die Erwärmung hemmend, d. h. giftig. Erwärmung steigert die Empfindlichkeit der Organismen auf Gifte: In Flüssen mit beträchtlichen Mengen industrieller toxischer Abgänge, zum Beispiel mit Schwermetallen oder mit Stoffwechselprodukten aus den Selbstreinigungsvorgängen, welche wie Ammonium zum Teil ebenfalls noch fischgiftig sein können, steigt in der warmen Jahreszeit die Gefahr von Organismenvergiftungen. So birgt für die Flüsse nicht die Periode des Niederstwassers im Spätwinter, wenn die Verdünnung der Abwässer am geringsten ist, die grössten Gefahren, sondern der Hochsommer mit seinen mittleren bis niederen Wasserständen, aber extrem hohen Temperaturen: Dann ist der Sauerstoffgehalt minimal, Giftwirkungen sind latent, und tatsächlich häufen sich in jener Zeit alljährlich die Fischvergiftungen.“
Folge des menschlichen Einwirkens auf den Wasserkreislauf ist das, was man mittlerweile als „Wasserkrise“ bezeichnet: eine Wasserknappheit, die auf verschiedene Ursachen und ihre Kombinationen zurückzuführen ist und die verheerende Folgen für die Menschen und ihr Zusammenleben hat. Allein durch verschmutztes und verseuchtes Wasser sterben derzeit noch jährlich fünf Millionen Menschen, nicht zuletzt in Flüchtlingslagern, in Megacities und in schlecht versorgten Regionen. Auf 800 Millionen wird die Zahl der Menschen geschätzt, die akut von Trinkwassermangel bedroht sind, und 3,2 Milliarden Menschen sind es, deren Abwasser so ungenügend entsorgt wird, dass sich Krankheiten ausbreiten.
Es gibt im Wesentlichen zwei Konzepte, wie Menschen Wasser verwenden und verteilen. Nach dem einen ist das Wasser ein Gemeingut, auf das alle Menschen gleiches Recht haben. Nach dem zweiten ist Wasser Besitz und Handelsgut wie jedes andere auch. Wer an der Quelle sitzt, kann damit machen, was er will, je nach Marktlage kann man Wasser verkaufen und kaufen. Im Wettstreit der beiden Konzepte – allgemeines und gleiches Grundrecht der Menschen auf Wasser gegen kapitalistische Vermarktung und politische Nutzung – sind die Machtverhältnisse leider sehr ungleich, wie die kanadische Publizistin und Privatisierungskritikerin Maude Barlow in ihrem Buch Blaue Zukunft. Das Recht auf Wasser und wie wir es schützen können schreibt:
„Auf der einen Seite steht eine mächtige Lobby von Machern, Politikern, internationalen Handels- und Finanzinstituten, Wirtschaftsberatern und internationalen Konzernen, für die Wasser eine Ware ist, die man wie jedes x‑beliebige andere Gut auf dem freien Markt kauft und verkauft. Ihr gegenüber steht eine weltweite Basisbewegung, in der sich einzelne Gemeinden, Mittellose, Slumbewohner, Frauen, Ureinwohner und Kleinbauern engagieren, unterstützt von Umweltschützern, Menschenrechtsaktivisten, fortschrittlichen Wasserbehörden und -experten auf der Nord- und Südhalbkugel. Für sie ist Wasser ein Menschheitserbe und Gemeinschaftsgut, das zum Wohle aller bewahrt und verwaltet werden muss.“
Vielleicht nicht die Lösung aller Wasserprobleme, wohl aber die einzige Basis, von der aus an einer hinreichenden und gerechten Verteilung gearbeitet werden kann, ist das Konzept Gemeingut: Wasser muss als Allgemeingut gelten, auf das kein Unternehmer, kein Landbesitzer, keine Region und keine Regierung ein Exklusivrecht anwenden kann. Von Menschen verursachte Wasserkrisen lassen sich nur überwinden, wenn Wasser als gemeinsames Gut verstanden wird, zu dem jeder Mensch einen freien Zugang erhält, für das aber auch jeder Mensch mit verantwortlich ist. Als Organisationsmodell dafür wurden verschiedene Varianten des Commoning vorgeschlagen. Darunter versteht man allgemein laut Wikipedia...
„... selbstorganisiertes und bedürfnisorientiertes gemeinsames Produzieren, Verwalten, Pflegen und/oder Nutzen. Dabei bringen die Beteiligten ihre Fähigkeiten ein und bestimmen miteinander über Art und Umfang des Umgangs mit den Ressourcen und Produkten. Commoning benennt somit jene sozialen Praktiken, die sich als ‚ebenbürtiges Miteinander im gemeinsamen Tun‘“ beschreiben lassen.“
Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom hat Grundbedingungen formuliert, damit Commoning funktionieren kann.
„1. Klar definierte Grenzen“
Für ein Commoning-Modell im Umgang mit Wasser heißt das, die Entscheidungen über die Gewinnung, Pflege und Verteilung von Wasser müssen von genau bestimmten Menschengruppen in genau bestimmten Strukturen ausgehen. Die großen zentralen Wasserversorgungen, wie man sie im Westen aufbaute und schließlich zum Objekt von Finanzmärkten und politischen Interessen machte, müssen zugunsten lokaler und regionaler Institutionen aufgegeben werden.
„2. Kongruenz zwischen Aneignungs- und Bereitstellungsregeln und lokalen Bedingungen“
Das heißt, die Frage, wer wieviel Wasser wofür verbrauchen darf, soll keine abstrakte Regelung beantworten, sondern diese muss an die jeweiligen Lebensumstände und Arbeitsbedingungen angepasst und wenn nötig auch veränderbar sein.
„3. Arrangements für kollektive Entscheidungen“
Beim Umgang mit Wasser sollen demokratische Gemeinschaftsorganisationen dafür sorgen, dass die Menschen neben dem freien Zugang immer auch die soziale und ökologische Verantwortung mitberücksichtigen. Menschen, die Wasser als Gemeineigentum verstehen, sollen weder von einer Regierung noch vom Markt abhängig sein.
„4. Überwachung“
Es muss Vereinbarungen geben, die Aneignung, Missbrauch oder Fahrlässigkeit möglichst ausschließen.
„5. Abgestufte Sanktionen“
Wenn es einer Commoning-Kultur klar ist, dass mit dem freien und gerechten Zugang zum Wasser auch eine Verantwortung für kommende Generationen verbunden ist, wird man wohl von klein auf dazu angehalten sein, allgemeine und spezifische Regeln im Umgang mit dem Wasser zu beachten. Wer die Regeln bricht, muss mit Sanktionen rechnen.
„6. Konfliktlösungsmechanismen“
Noch das beste und angemessenste Regelwerk ist nicht in der Lage, jeden möglichen Konflikt auszuschließen. Hätte ich meinen Rosenstock verdursten lassen sollen, weil das Tomatenfeld des Nachbarn für die Allgemeinheit wichtiger war? Bin ich für das Kind verantwortlich, das im Spiel das Wasser verschwendete? Es muss für das Commoning von Wasser also so etwas wie Schiedsgerichte oder Mediationen geben.
„7. Minimale Anerkennung des Organisationsrechts“
Das meint, dass es nur im äußersten Fall Autoritäten und Instanzen geben soll, die sich in die Organisation des Commoning einmischen. Das Prinzip der Selbstorganisation soll immer vorrangig bleiben.
„8. Eingebettete Unternehmen“
So selbstorganisiert und klar definiert eine Commoning-Gemeinschaft auch sein mag, so wird es doch immer auch Beziehungen zu anderen Interessen und Institutionen geben, sowohl bei der Frage, wo das Wasser eigentlich zunächst herkommt als auch bei der Frage, wo es weiter hinfließt – oder nicht. Das bedeutet, dass eine Commoning-Gemeinschaft bei der Bewirtschaftung des Wassers zwar selbst organisiert ist, aber nicht selbstsüchtig sein darf. Deshalb muss es Podien und Instanzen für die Zusammenarbeit und, einmal mehr, auch für den Umgang mit Konflikten geben. Doch im Gegensatz zur zentralen Wasserversorgung prägen das Commoning Entscheidungswege von unten nach oben.
Mag sein: Es ist ein weiter Weg und eine Menge Arbeit, bis das Wasser wieder als allgemeiner Besitz von Menschen gelten kann. Ganz zu schweigen davon, dass diejenigen, die mit Wasser lukrative Geschäfte betreiben, und diejenigen, die mit Wasser Machtpolitik betreiben wollen, sich wohl nicht widerstandslos von ihren Vorteilen trennen werden. Andererseits scheint es nur allzu klar: Wenn das Wasser nicht zu retten ist, dann ist auch unsere Zivilisation nicht zu retten. Den Umgang mit Wasser von ökonomischen und politischen Aneignungen zu befreien, ist ganz einfach eine Überlebensfrage. Vieles ist denkbar, wie der Mensch der Zukunft mit dem Wasser umgeht. Nur eines nicht: Ein gleichgültiges Weitermachen wie bisher.