
Rechtslibertäre Science Fiction-Visionen hatten lange nicht die Strahlkraft progressiver Utopien – doch heute dienen sie Tech-Milliardären wie Elon Musk und Peter Thiel als Blaupause für die Zukunft. Warum ist es offenbar leichter, sich das Ende der Erde und die Flucht ins Weltall vorzustellen als das Ende des Kapitalismus?
Isaac Asimovs Roman Foundation beschreibt eine Welt, in der eine kleine Elite, gestützt auf mathematische Berechnungen, die Menschheit durch eine Phase des Zusammenbruchs führen soll. Die Idee: Eine neue Ordnung kann nicht durch demokratische Prozesse entstehen, sondern durch kluge Steuerung im Hintergrund. Musk hat mehrfach betont, dass er sich als eine Art Hari Seldon sieht – jemand, der die kommenden Krisen erkennt und rechtzeitig die Weichen stellt. Seine Marskolonie ist für ihn kein Abenteuerprojekt, sondern ein Rettungsplan für die Menschheit.
Doch Foundation ist nicht die einzige Science Fiction-Erzählung, die heutige Tech‑Milliardäre prägt. Viele ihrer Visionen stammen aus einer bestimmten Art von Science Fiction: libertären oder techno-oligarchischen Zukunftsentwürfen, die lange Zeit in der Popkultur nicht die Strahlkraft hatten, die sie heute besitzen. Während Science Fiction oft mit progressiven Utopien assoziiert wurde – mit Zukunftsentwürfen, in denen Gleichheit, Kooperation oder der ökologische Umbau der Erde im Mittelpunkt standen – setzen sich in der Gegenwart immer stärker rechte, marktlibertäre Zukunftsvisionen durch.
Die Erde wird nicht mehr als Ort gedacht, den es zu erhalten gilt, sondern als ein durch menschliches Fehlverhalten bereits verloren geglaubter Planet. Die Zukunft, die Musk, Thiel oder Bezos imaginieren, ist nicht eine postkapitalistische Gesellschaft – sondern eine Zukunft, in der jene, die es sich leisten können, sich dem Kollaps einfach entziehen.
Jennifer Stange ist Journalistin und Feature-Autorin. In ihren Beiträgen setzt sie sich mit der Arbeitswelt, Fragen sozialer Gerechtigkeit und politischer Verantwortung von Unternehmen auseinander. Schon immer interessiert sie sich für Science Fiction und Zukunftsthemen, die an der Schnittstelle von Technologie, Ethik und Gesellschaft liegen. Studiert hat sie Philosophie und Geschichte. Sie schreibt unter anderem für die „Blätter für deutsche und internationale Politik" und arbeitet für verschiedene Rundfunkanstalten.
Irgendwo zwischen Erde und Mars zieht ein Gebrauchtwagen seine Kreise um die Sonne. Es ist Elon Musks kirschroter Tesla Roadster. Mit der ersten erfolgreich gestarteten Schwerlastrakete von SpaceX wurde das Auto 2018 ins Weltall gebracht. Ein technologischer Durchbruch für Musks Unternehmen und Symbol für eine Zukunft, in der Privatunternehmen eine führende Rolle in der Raumfahrt spielen.
Der Sichtkontakt ist längst abgebrochen, die letzten Fotos entstanden kurz nachdem der Roadster seine Umlaufbahn erreicht hat: Verdeck offen, eine Puppe im Raumanzug am Steuer, Ellenbogen raus, Hand am Außenblech. Auf dem Display der Mittelkonsole steht: „Don’t panic!“
Keine Panik - das ist natürlich ein Witz. Denn da draußen ist es ist sehr kalt, es ist dunkel, es fehlt die Luft zum Atmen und die Strahlung ist auf Dauer ganz sicher tödlich. Das trifft aber noch nicht ganz den „geekigen“ Humor von Elon Musk. „Don’t panic!” Er hat sich wohl gedacht, dass nicht alle das gleich verstehen würden und sicherheitshalber im Handschuhfach des Roadsters eine Ausgabe von Douglas Adams‘ Per Anhalter durch die Galaxis hinterlegt. Und natürlich: ein Handtuch.
Das Essential für Weltraumreisende. Sie sollten es immer bei sich haben. So steht es im intergalaktischen Reiseführer, um den es in Per Anhalter durch die Galaxis, der Sci‑Fi-Satire von Douglas Adams, geht. Auf dessen Umschlag nämlich steht ganz groß „Don’t panic!“. Wozu aber das Handtuch? Das erklärt der britische Science‑Fiction‑Autor an keiner Stelle. Unklar bleibt, was Musk uns damit über seine Weltraumambitionen sagen will.
Die nostalgische Kompilation seiner Teenagerträume im Handschuhfach des Roadsters umfasst sowohl Adams‘ ironische Fortschrittskritik als auch Isaac Asimovs Foundation‑Trilogie mit ihrem Fortschrittsglauben und technologischen Größenwahn. Das große Epos des amerikanischen Science-Fiction-Autors, entstanden in den 1950er Jahren, beschreibt eine Welt, in der eine kleine Elite, gestützt auf mathematische Berechnungen, die Menschheit durch den Zusammenbruch führen soll ohne demokratische Prozesse, nur mit kluger autokratischer Steuerung im Hintergrund.
Musk beschreibt sich selbst oft als eine Art Hari Seldon. So wie der Held bei Asimov, der die kommenden Krisen erkennt und rechtzeitig die Weichen stellt. Musks Marskolonie ist für ihn also nicht bloß irgendein Abenteuerprojekt, sondern ein Rettungsplan für die Menschheit. Immer wenn Musk den schicksalhaften Rang seiner Weltraumpläne betont, zitiert er Asimov. Wie Hari Seldon, der Held in Asimovs Geschichte, will Elon Musk die Menschheit aus der Dunkelheit führen. „There will be another dark ages”, Elon Musk hängt tief in einem Cocktailsessel, als er das 2015 bei einer Veranstaltung des Guardian in London prophezeite. Seine braune Fliegerjacke mit Fellkragen hat er gar nicht erst ausgezogen, als er über seine Marspläne sprach.
Ein dritter Weltkrieg, eine mörderische KI, der Klimakollaps - was auch immer uns bedroht, Musk verspricht, seine Weltraumaktivitäten werden uns retten - zumindest jene, die es sich leisten können, minus denen, die nicht überleben werden.
Wie der Held Hari Seldon in Asimovs Foundation ist Musk überzeugt, dass nur ein Einzelner das Schicksal der gesamten menschlichen Zivilisation lenken kann und dass diese Person dabei riskante und ethisch heikle Entscheidungen für alle treffen darf, sogar muss, sofern es dem Fortbestand der Menschheit dient. Und genau wie Seldon glaubt der Raumfahrtunternehmer Elon Musk, die Zukunftstechnologien in den Händen zu halten, die seinen Führungsanspruch rechtfertigen. Der Held als Autokrat.
Noch nie war es so populär, sich als Unternehmer zum Schicksalsverwalter der Menschheit zu erklären. Die Rolle des charismatischen Unternehmers, der mit seiner Zukunftstechnologie die Menschheit retten will, natürlich nicht ganz selbstlos, wird mit wachsendem Eifer auch von anderen beansprucht.
Auch Musks größter Konkurrent im All, Jeff Bezos, gefällt sich sehr in dieser Rolle. Er ist ebenfalls reich genug, um sich ein eigenes Raumfahrtprogramm leisten zu können. 2020 gründete er das Raumfahrtunternehmen Blue Origin. Wie Musk ist Bezos erklärter Science-Fiction-Fan - und jemand, der solche Zukunftsvisionen auch wie Baupläne oder Handlungsanweisungen, nicht wie reine Fiktionen liest.
„Die Träumer kommen zuerst”, sagt Amazon-Gründer Bezos. „Es sind immer die Science-Fiction-Leute: Sie denken sich alles zuerst aus - und dann kommen die Macher und setzen es um.“
Zu Bezos Sci-Fi-Favoriten zählt die Culture-Reihe des schottischen Autors Iain M. Banks. Mehrere Science-Fiction-Romane, die zwischen 1987 und 2012 entstanden sind und immer dieselbe Vision liefern: eine utopische sogenannte Post‑Scarcity‑Gesellschaft. Eine Zivilisation also, in der jeglicher Mangel überwunden ist und alle materiellen Bedürfnisse befriedigt sind. Dank der richtigen Technologie und einer KI, die alles verwaltet: Produktion, Verteilung von Gütern und Dienstleistungen. Künstliche Intelligenzen managen alle wirtschaftlichen Prozesse, aber auch das gesellschaftliche Zusammenleben, kümmern sich um Gerechtigkeit und das Wohl der Gemeinschaft.
Probleme hat diese gelebte Utopie nur mit der Realität von weniger entwickelten, ergo problematischen Zivilisationen. Was macht man mit denen? Bei Iain M. Banks und auch bei der Star Trek‑Saga führt sie in ein Dilemma. Darf eine utopische Gesellschaft in andere eingreifen - im Namen von Fortschritt, Freiheit oder Menschlichkeit? Oder macht sie sich dadurch zum technokratischen Imperium, das unter dem Vorwand moralischer Überlegenheit koloniale Praktiken wiederholt? Bei Star Trek verbietet die „Oberste Direktive“ jegliche Einmischung - eine Anweisung, die aber ständig gebrochen wird, weil moralische Verantwortung eben nicht immer mit Nichteinmischung vereinbar sei. Bei Iain M. Banks übernimmt die Spezialeinheit „Special Circumstances“ verdeckte Operationen, um Entwicklungen in anderen Gesellschaften zu steuern oder „Unheil abzuwenden“.
In solchen Fiktionen zeigt sich die Aversion der Tech-Milliardäre gegenüber dem, was wir steuerfinanzierte demokratische Rechtsstaaten nennen. Staaten, so die Botschaft, können die existentiellen Probleme ihrer Bürger nicht lösen.
Der Weltraum ist analog zur vorherrschenden Meinung der Weltraumunternehmer wieder das, was einst fremde Kontinente für europäische Eroberer und amerikanische Siedler waren: leeres Terrain. Das Weltall ist in diesen Vorstellungen ein Ort jenseits irdischer Gesetzgebung, frei von Regulierung, offen für private Aneignung. Es geht um materielle, aber eben auch um zutiefst politische Fragen nach Zugriffsrechten, Eigentum und Kontrolle über Ressourcen.
Als Jeff Bezos 2021 den Schauspieler William Shatner, alias Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise, mit einer Raumkapsel in einer Blue Origin-Rakete mit dem sprechenden Namen „New Shepard“ - neuer Hirte - ins All schickte, verschmolzen unternehmerische Zukunftsverheißung und Sci-Fi-Nostalgie zum perfekten Spektakel. Auch wenn die Kapsel nur kurz die Erdatmosphäre verließ, war William Shatner mit 90 Jahren der älteste Mensch im All.
Die Inszenierung solcher Spektakel folgt einem vertrauten Muster: ein adoleszentes Branding, das Tech-Fantasien mit Pathos auflädt. Eine Inszenierung, die von den Bildern und Erzählungen lebt, die Science-Fiction seit Jahrzehnten liefert. Ein Genre, dass uns eigentlich den Weltraum näherbringt, Bilder von Zukünften erschafft, die vertraut und gleichzeitig faszinierend fremd sind, nach Abenteuer riechen und die Vorstellung nähren, dass die Erkundung des Alls eine natürliche Fortsetzung der Menschheitsgeschichte ist.
Und viele der Visionen, die die Tech-Milliardäre antreiben, stammen aus einer bestimmten Art von Science-Fiction: libertären oder techno-oligarchischen Zukunftsentwürfen, die lange Zeit in der Popkultur nicht die Strahlkraft hatten, die sie heute besitzen. Heute, in einer Zeit, in der sich das Ende der Welt und die Flucht ins Weltall offenbar leichter vorstellen lässt als das Ende des Kapitalismus.
Während Science-Fiction lange Zeit oft mit progressiven Utopien assoziiert wurde - mit Zukunftsentwürfen, in denen Gleichheit, Kooperation oder der ökologische Umbau der Erde im Mittelpunkt standen, setzen sich in der Gegenwart immer stärker marktlibertäre Zukunftsvisionen durch. Denn die Erde wird nicht mehr als Ort gedacht, den es zu erhalten gilt, sondern als ein durch menschliches Fehlverhalten bereits verlorener Planet. Die Zukunft, die Elon Musk, Peter Thiel oder Jeff Bezos imaginieren, ist nicht eine postkapitalistische Gesellschaft - sondern eine Zukunft, in der jene, die es sich leisten können, sich dem Kollaps entziehen.
Die Tech-Milliardäre inszenieren sich dabei selbst gerne als Erben einer langen Linie von Visionären - als rational planende Pioniere, die das nächste Kapitel Menschheitsgeschichte aufschlagen. Dieses Narrativ knüpft nicht nur unmittelbar an Science-Fiction-Ideen an, sondern auch an die frühen Verflechtungen zwischen realer Raumfahrt und populärer Kultur.
Denn bereits die ersten Schritte in Richtung All waren von fiktionalen Bildern inspiriert. Einer der ersten, der das professionell nutzte, war Wernher von Braun. Die erste echte Rakete, die der Berliner Maschinenbaustudent und spätere SS-Sturmbannführer und Chef des Raketenprogramms der Nationalsozialisten baute, war eine Requisite, und zwar für Fritz Langs Verfilmung von Thea von Harbous Buch Frau im Mond. Das ist der erste Film, in dem ein Mensch überhaupt einen Fuß auf den Mond setzt, und nach „Metropolis“ der zweite bedeutende Weltraum-Entdeckerfilm der Zwanziger Jahre.
Hier seine Finger im Spiel gehabt zu haben, machte es Wernher von Braun später leicht zu behaupten, ihm sei es letztlich immer nur um Raumfahrt gegangen. Er sei unpolitisch, ein Ingenieur, gewesen, beauftragt einen Krieg zu gewinnen. Seine Behauptung, von den Tausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die nach seinen Bauplänen im Akkord die V2-Rakete für das Deutsche Reich zusammenbauen mussten, nichts gewusst zu haben, konnte später widerlegt werden. Pauschal in den USA amnestiert stieg Wernher von Braun auf zur Lichtgestalt der amerikanischen Raumfahrt. Als Leiter der NASA- Raketenprogramme hatte er maßgebenden Anteil an der ersten echten Mondlandung.
„Helfen Sie uns Technikern der Raumfahrt“, so schrieb Wernher von Braun Anfang der 1950er Jahre in einem Brief an den frisch gegründeten Science Fiction Club Deutschland, „die populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Zukunft, Weltraumfahrt von offensichtlichem Unsinn zu reinigen. Wenn Ihnen dieses gelingt, können Sie einen wertvollen Beitrag für die Verwirklichung des Fluges zu anderen Himmelskörpern leisten. Mit bestem Gruß, Ihr Wernher von Braun.“ Ein Aufruf zur ideologischen Zusammenarbeit mit klar verteilten Rollen: Die Autoren und Fans als Vorarbeiter der Zukunft, die Ingenieure als ihre Vollstrecker.
Bezos und andere Raumfahrtadvokaten der Gegenwart verehren Wernher von Braun. Inklusive der Tatsache, dass dessen technischer Tunnelblick ihn unempfindlich gemacht hat für ethische Maßstäbe und die Folgen der Technologie. „Er wäre ziemlich enttäuscht, dass wir noch nicht weiter im All sind“, behauptete Jeff Bezos bei einem NASA-Event vor einigen Jahren als getreuer Wernher von Braun-Fanboy. Bezos und Musk sind ausschließlich auf die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit ihrer Projekte fokussiert.
So absurd es scheinbar klingt, aber mit diesem Mindset beginnen die superreichen Tech-Milliardäre unsere Vorstellungen von Zukunft zu prägen. Es sind ihre Entwürfe, und - wichtiger noch - ihre Umsetzungs- und Verwirklichungsstrategien, die bereits in unserer Gegenwart aus Visionen Pläne werden lassen und so zentrale und existentielle Fragen dominieren, die jahrzehntelang ausschließlich (und glücklicherweise) im Zentrum eines literarischen Genres standen.
Jeff Bezos setzte sich einen Cowboyhut auf, als er 2021 nach dem ersten suborbitalen Flug aus seinem eigenen kleinen Raumschiff stieg, vor die Kameras trat und sagte: „Das ist der Weg. Wir bauen eine Straße ins All, damit künftige Generationen dort ihre Zukunft bauen können.“
Währenddessen stößt die Zivilisation auf der Erde an ihre Grenzen. Die Ressourcen unseres Planeten gehen zuneige. „Worauf warten wir also noch?“, scheint uns Bezos zu fragen. Ohne technologische und räumliche Expansion, davon ist der Tech-Milliardär überzeugt, könne die menschliche Zivilisation nicht mehr voranschreiten, wirtschaftliches Wachstum und technologische Innovation würden zum Stillstand kommen und das sei der Anfang vom Ende menschlicher Entwicklung. Der Weltraum hingegen biete unendlich viel Platz und unbegrenzt Ressourcen. Und Freiheit. Unendliche Freiheit.
Bezos Plan ist: Ein paar Millionen Erdbewohnerinnen und -bewohner sollen ins Weltall übersiedeln und dort in erdnahen rotierenden Raumstationen wohnen. Noch in diesem Jahrzehnt soll mit Orbital Reef die erste kommerzielle Raumstation, ein „Gewerbepark mit gemischter Nutzung“ im Erdorbit platziert werden. Nach und nach könne dann die gesamte Schwerindustrie und schmutzige Energiegewinnung ins All verlagert werden. Genau das, sagt Bezos, werde er tun, um diesen Planeten vor dem Schlimmsten zu bewahren.
Die Erde könne dann zu einer Art Nationalpark umgewidmet werden, sich zum reinen Ort der Erholung entwickeln. Schon 1982 entwarf Bezos dieses Szenario in einer Rede als Abschlussbester seiner High School. Damals wurde er ausgelacht. Doch es war ihm ernst und heute hat er sein gesamtes Unternehmen Blue Origin um diese Zukunftsvisionen gebaut.
Eine der wesentlichen Inspirationsquellen für Bezos ist dabei Gerald O’Neills 1976 veröffentlichtes Buch The High Frontier: Human Colonies in Space. Hier finden sich erste detaillierten Berechnungen für zylindrischen Habitate, die Millionen von Menschen beherbergen sollen. Und hier geht es um Science, nicht um Fiction.
Immerhin war O‘Neill Professor an der amerikanische Elite-Universität Princeton. Seine Berechnungen galten seinerzeit als „plausibel, aber nicht wahrscheinlich“, doch sowohl seine Kühnheit als auch die spekulative Natur seiner Ideen verblüffte und begeisterte seine Leserinnen und Leser. Während O’Neill Physik lehrte, machte Bezos dort seinen Bachelor in Informatik und Elektrotechnik. Die Begegnung der beiden Männer war also eher informell, doch Bezos bezeichnet sich heute selbst gerne als eines von „Gerry's Kids“ - eine halb ironische, halb stolze Selbstbezeichnung der Anhänger O'Neills, für die es keine größere Frage gibt als diese: Wie verlagern wir die Zivilisation ins All und erhalten die Erde als ein Feriendomizil?
Auch für Elon Musk ist das Ende des Blauen Planeten wie wir ihn kennen in Sichtweite. Er plant für den „Doomsday“ - den Tag, an dem uns die Erde auf die ein oder andere Art um die Ohren fliegt. Über seine detaillierten Pläne für eine Marskolonie berichtete 2024 die New York Times. Auch darüber, dass Musk sich bereits Sperma abgezapft und eingefroren hatte - als „Geschenk“ für die zukünftige Marsbevölkerung. Es sei wichtig, eine zweite Quelle menschlicher Zivilisation an einem anderen Ort zu sichern - idealerweise auf dem Mars, einem Planeten, der ausreichend weit von der Erde entfernt ist, um eine autarke menschliche Population zu ermöglichen, nicht in erdnahen Raumkapseln, sondern weit davon entfernt.
Musk lässt sich dabei von Robert Zubrin inspirieren, einem Raumfahrtingenieur und Gründer der „Mars Society“, der - ähnlich wie O’Neill - im Grenzbereich von Forschung und Science-Fiction operiert. In seinem 1996 erschienenen Buch The Case for Mars kombinierte Zubrin detaillierte technische Überlegungen zur Bewohnbarkeit des Mars mit seinen Vorstellungen einer guten Gesellschaft.
Sehr wichtig für Zubrin: Eine solche soll ganz ohne politische Regulierungen und Einschränkungen florieren. Der Rote Planet soll schließlich der Ort sein, an dem die Menschheit, und mit ihr unternehmerische Freiheit und Erfindungskraft endlich vom bürokratischen Korsett der Erde befreit werden. Das sei keine Utopie, sondern eine Herausforderung, sagt Zubrin. Die Marsbewohner müssten wahrscheinlich zunächst unterirdisch autark leben von örtlichen Rohstoffen und selbst produzierten Nahrungsmitteln und Sauerstoff.
Doch bevor es losgeht, muss der Mars eben „terraformt“ werden, also die Atmosphäre und Umwelt des Planenten müssen so umgestaltet werden, dass Leben, wie wir es kennen, dort vielleicht möglich wird. Musk bringt dafür immer wieder eine Idee ins Spiel: Er schlägt vor, ein paar Atombomben auf den Mars abzufeuern, um so CO₂ aus den Polkappen freizusetzen. Der dadurch ausgelöste Treibhauseffekt würde den Planeten aufwärmen. Elon Musk hat die Bombardierung des Mars mit Atomwaffen in den Techno‑Slogan „Nuke Mars“ gegossen und hat sogar T-Shirts damit bedrucken lassen, die im SpaceX-Shop zu kaufen waren. Die Idee stammt übrigens von keinem anderen als von Robert Zubrin.
Ob damit wirklich eine lebenswerte Atmosphäre entstehen würde oder wie man - selbst wenn sie entsteht - mit der starken Strahlung zurecht kommen kann, solche Fragen werden nur noch als grundsätzlich lösbare technische Probleme behandelt. Und die Hybris dieses rechtslibertären Mindsets verlangt es, dass gerade unter Krisen- und Extrembedingungen Wettbewerb, Privateigentum und individuelle Leistungsfähigkeit den Ausschlag geben. Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Teilhabe sind demgegenüber sekundär.
In der Science-Fiction-Literatur warnten die düstersten Erzählungen des Cyberpunks genau vor solchen Verhältnissen. Etwa William Gibson in seinem Roman Neuromancer Anfang der 1980 Jahre. „High Tech, Low Life“ - so lautet nämlich das Credo der Cyberpunks. Die Technologie schreitet rasant voran, Armut, soziale Ungleichheit und Entfremdung bleiben aber bestehen - oder verschärfen sich sogar. Die Cyberpunks zeigen: In dieser dystopischen Welt profitieren die Reichen und Mächtigen von Technologie, während große Teile der Gesellschaft entweder ausgebeutet oder überflüssig werden. Technologische Entwicklung bedeutet hier eben nicht Befreiung, sondern Überwachung und Kontrolle. Es herrschen Korruption, Machtmissbrauch und soziale Entfremdung. Statt Helden stehen in diesem Genre Außenseiter im Zentrum - Hacker, Rebellen, Überlebenskünstler. Doch diese Warnungen haben Science‑Fiction‑begeisterte Tech-Milliardäre nicht von ihren libertär-autokratischem Mindsets entfernt, nicht einmal dann, wenn sie die Autoren kennen und schätzen gelernt haben. Im Gegenteil.
Neal Stephenson ist so ein Autor. In seinem Roman Snow Crash griff er 1992 noch die zentralen Themen des Cyberpunks auf, verlagerte sie jedoch nicht in den Weltraum, sondern auf die Erde. Nationalstaaten spielen in der Zukunft keine Rolle mehr - Konzerne, Tech-Start-ups und mafiöse Franchise-Systeme haben die Macht übernommen. Es ist die Blaupause für die Entwicklung, die den Tech-Milliardären vorschwebt. Die USA werden zu einem Flickenteppich aus Gated Communities, religiösen Enklaven und privatisierten Stadtstaaten. Eine Zukunft, in der nicht der Mensch das Maß der Dinge ist, sondern die grenzenlose Expansion und Verwertung von Ressourcen durch Technologie und Kapital. Nur gibt es in Snow Crash noch den klassischen Antihelden Hiro, ein Hacker und Schwertkämpfer, der dieses System bekämpft.
Interessant ist, dass Stephenson seine durch diesen Helden erkennbare kritische Grundhaltung später aufgibt. Warum wohl? Ende der Neunziger trifft er Amazon‑Gründer Jeff Bezos auf einer Dinner Party. Die beiden langweilen die anderen Gäste mit Gesprächen über Raketen und werden später gute Freude. Stephenson soll einer der ersten gewesen sein, dem Bezos seinen Traum vom Raumfahrtunternehmen anvertraut hat - und Stephenson wird bald darauf erster und einziger offizieller Mitarbeiter von Blue Operations, dem Vorläufer von Blue Origin, damals eher Think Tank, heute ist die Firma Raketenproduzent und Raumschiffentwickler.
Stephenson schreibt hauptberuflich weiter dystopische Romane und arbeitet doch an der Verwirklichung dieser Welt, während sich Jeff Bezos über Blue Origin als Retter der Menschheit inszeniert. Eine Figur, die in Stephensons Roman Snow Crash noch Teil des Problems gewesen wäre, wird in seinem 2021 erschienenen Buch Termination Shock nun zum Teil der Lösung erklärt. Als Leserin reibt man sich die Augen: Das Ausgangsszenario bleibt vergleichbar: technologischer Fortschritt begleitet von sozialer Ungleichheit. Doch in Termination Shock gibt es wieder „echte“ Helden. So wie der Milliardär T.R. Schmidt, der plant, mit seiner Firma die globale Erwärmung aufzuhalten, indem er per Raketen Schwefeldioxidpartikel in die Stratosphäre schießen lässt. Was einerseits wie ein Abziehbild unserer Realität und schwer nach seinem neuen Kumpel und Arbeitgeber Bezos klingt, liest sich andererseits aber auch als Reflexion auf die Frage, ob derlei Technologien die Erde retten können oder unvorhergesehene, möglicherweise gefährliche Folgen mit sich bringen würden.
Wenn es dann tatsächlich um die Verwirklichung seiner Fantasien geht, scheint Stephenson bereit zu sein, seine Skepsis gegenüber der Macht von großen Technologieunternehmen aufzugeben. Zurück bleibt dann der blanke Fortschrittsglaube, der nun Hand in Hand geht mit dem Kapital. Ein Denken, dass sehr gut zu seinem Freund Jeff Bezos passt, der sich natürlich als Unternehmer und nicht als Warner sieht: als realistischen Visionär im Dienst der Menschheit.
Die Vorstellung, mit irdischen Ressourcen besser und nachhaltiger umzugehen, hält Bezos für Quatsch „Wir werden die Erde nicht retten, indem wir aufhören, Energie zu nutzen“, sagte er 2019 bei einem Blue Origin Talk und wollte uns davon überzeugen, dass die Zukunft der Menschheit nicht im Verzicht, sondern in grenzenloser Expansion bestehe.
Mehr noch, Bezos kritisierte ziemlich scharf alle Ansätze, die Einsparungen oder Restriktionen zugunsten der Umwelt oder des Klimaschutzes fordern. Für ihn sind die Folgen der Klimaschutzmaßnahmen gleichbedeutend mit wirtschaftlicher und technologischer Stagnation.
Wer diesen Weg mitgeht, investiert nicht in die Rettung der Erde, sondern in ein Geschäftsmodell: Je häufiger wir klimatische und ökologische Kipppunkte überschreiten, desto öfter werden uns diese Unternehmer ihre dystopischen Zukunftsversprechen und utopischen Lösungen präsentieren.
Und dann stehen sie einträchtig hinter Donald Trump, der ebenfalls glaubt, dass das Schicksal der Vereinigten Staaten in den Sternen liege. Er weitet damit die Ideologie des „Manifest Destiny“ aus, eine Ideologie aus dem 19. Jahrhundert, wonach die amerikanische Nation das Gott gewollte Schicksal habe, sich über den gesamten nordamerikanischen Kontinent auszudehnen, nicht nur auf Grönland, Kanada, Panama, sondern nun gleich in den ganzen Weltraum. Ende seiner ersten Amtszeit feiert Trump sich für die Gründung der US Space Force, der ersten offiziellen militärischen Weltraumtruppe der Welt, als Maßnahme, um die USA in der neuen „Kriegsdomäne“ Weltall zu verteidigen.
Was klingt wie eine Szene aus dem Science-Fiction-Film Starship Troopers kommt der Grundidee des Autors Robert Heinlein, der 1959 das dem Film zugrundeliegende Buch schrieb, tatsächlich ziemlich nahe. Heinlein, ein Vordenker der libertären Science‑Fiction-Literatur, imaginierte eine Zukunft, in der Bürgerrechte durch militärische oder gesellschaftliche Leistungen erworben werden und allein die persönliche Verantwortung zählt. Diese Vision von Verantwortung, Egoismus und unternehmerischer Freiheit, gepaart mit einer fast technokratischen Gesellschaftsordnung, hat ihn zu einer Schlüsselfigur für viele Tech-Unternehmer gemacht, die heute die Raumfahrtindustrie prägen. Nach ihm ist der Heinlein Prize for Advances in Space Commercialisation benannt, mit dem Musk und Bezos bereits für ihre Visionen und Geschäftstüchtigkeit geehrt wurden. Die Auszeichnung wird mit einer Replik eines Schwertes überreicht - ein Symbol, das an Heinleins Roman Glory Road erinnert und, wenn auch nur symbolisch, das passende Besteck für den intergalaktischen Wettbewerb darstellt.
Und dieser Wettbewerb scheint schon in vollem Gange. Auch wenn kein Business-Plan, kein TED Talk, kein Image-Film der Tech-Milliardäre und Start-up-Gründer Antworten auf die ganz einfachen, für uns aber existenziellen Fragen gibt: Wie viele irdische Ressourcen sollten wir denn noch für Raketenstarts, Infrastruktur oder die Entwicklungen von Weltraumtechnologien verbrauchen, um am Ende einer völlig abgewirtschafteten Erde und gewissermaßen uns selbst zu entkommen?
Auf diese letztlich politischen Fragen gibt es von den Hauptakteuren keine Antworten. Vielleicht sollten wir sie stattdessen geben. Die Philosophin Hannah Arendt jedenfalls bemerkte 1958 in einem Brief an einen Freund anlässlich bevorstehender Expeditionen ins All lapidar: „Der Mond wird sich wohl belästigt fühlen“. Sie spielte damit wohl auf die menschliche Hybris an - die Vorstellung, wir könnten uns das Universum nach Belieben aneignen und es nach eigenen Vorstellungen gestalten. Der Mensch würde dann aber nicht nur den „Raum“ verlieren, der ihm die Maßstäbe seiner Existenz setzt, glaubt Arendt, sondern auch den Raum, der die menschliche Identität und moralische Verantwortung prägt. Der Verzicht auf diesen physischen und ethischen Raum würde zu einer Entfremdung führen, da wir Menschen ohne die Verbindung zur Erde und ihrer Geschichte die Grundlage unserer Handlungen und Verantwortung verlieren würden