Dienstag, 14. Mai 2024

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Attraktivität und Soziologie
Wie gutes Aussehen und Selbstoptimierung die Kluft zwischen den Schichten verstärkt

Als attraktiv geltende Menschen bekommen häufiger bessere Jobs. Und investieren dann oft noch weiter in ihr Äußeres - mit Sport, Körperpflege oder sogar Schönheits-OPs. Eine mögliche Folge: Untere Einkommensschichten können bei der "Optimierung" nicht mithalten - und fallen weiter zurück.

Von Annegret Faber | 25.08.2022
Dagobert Duck steht mit einem Bündel Geldscheine in seinem Geldspeicher.
Über die Attraktivität von Enten, erst recht von Comic-Enten, kann man streiten. Fest steht - zu Dagobert Ducks Glanzzeiten gab es noch keinen Schönheits-Optimierungsdruck. (Imago / United Archives)
Dagobert Duck, die reichste Ente der Welt, zählt ihr Geld regelmäßig und badet auch gerne darin. Besonders attraktiv ist sie allerdings nicht. Psychologin Ada Borkenhagen denkt darüber: „Dagobert Duck gehört in die Welt der 60er-, 70er-, 80er-Jahre, wo sie auf ihrem Schatz noch sitzen konnten und dann mussten sie selbst auch nicht schön sein. Heutzutage investieren Sie das in ihren Körper.“
Attraktivität ist heute nicht mehr nur ein Vorteil, um mehr Geld als andere zu verdienen, es ist ein Muss, sagt die Professorin an der medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg und Spezialistin für körperoptimierende Verfahren. „Sie finden keinen Topmanager mehr mit schweren Augenringen, mit Hängebauch, finden Sie nicht!“
Doch was genau bedeutet Attraktivität? Ada Borkenhagen verweist, wie andere auch, auf Forschungsergebnisse, wonach wir symmetrische Gesichter als attraktiv empfinden. Frauen sollen große Augen haben, hohe Wangenknochen, ein schmales Kinn. Männer das Gegenteil: Kantige Gesichter.
Elon Musk im schwarzen Anzug mit weißer Fliege schaut nach links über die Schulter.
Elon Musk ist der reichste Mann der Welt. Der attraktivste aber vermutlich nicht. (IMAGO/UPI Photo)

Attraktive Menschen verdienen mehr Geld

Hinzu kommen beeinflussbare Faktoren wie gute Kleidung, gepflegte Haut und Haare; und zu alt dürfe man auch nicht aussehen: „Es gibt einen gesellschaftlichen Druck, vor allen auch die Alterserscheinungen möglichst weit nach hinten zu schieben, möglichst nicht alt und verlebt auszusehen. Und das bedeutet, dass sie dafür Zeit und auch Geld investieren müssen - und das müssen sie erstmal haben, sonst fallen sie auch im gesellschaftlichen Status zurück.“
Uwe Kanning ist Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück und sagt: Ganz klar werden attraktive Menschen bevorteilt, egal ob sie so geboren sind oder nachgeholfen wird - und das schlägt sich auch in deren Geldbeutel nieder. Er kennt Studien, die sich schon in den 70er-Jahren mit dieser Thematik befassen und jetzt zitiert er eine aus dem Jahr 2009: „Da hat man die Absolventen einer Universität genommen, hat deren Attraktivität gemessen und schaut dann einfach, wie viel verdienen die, wenn man zehn Jahre später noch mal nachschaut und die haben das gleiche Studium absolviert und dann vergleicht man die miteinander und sieht, es gibt einen solchen Effekt.“
Und der Effekt sieht so aus, dass die attraktiven Studenten und Studentinnen später bis zu vier Prozent mehr Einkommen haben. Das scheint erst einmal nicht sehr viel. Aber diese Menschen stehen erst am Anfang ihrer Karriere, wendet Kanning ein. Doch wie entsteht das? Wie wird es möglich, dass attraktive Menschen mehr Geld verdienen als andere?

„Systematische Fehlentscheidungen“ bei Einstellungen?

„Das hat etwas zu tun mit den Menschen, die die Entscheidungen fällen. Wer wird eingestellt, wer wird befördert, wer wird in eine hohe Position gelotst?“
Personalentscheidungen würden vor allem aus dem Bauch heraus getroffen, erkennt Uwe Kanning bei seinen Forschungsarbeiten. Und dass die meisten Entscheider von Psychologie oder Diagnostik keine Ahnung haben. Studien zeigen: Attraktiven wird mehr zugetraut, als sie leisten können. Das spiegelt sich dann auch auf dem Konto wider: „Obwohl die Forschung eindeutig zeigt, die Attraktivität hat nichts mit der Intelligenz eines Menschen zu tun.“
Systematische Fehlentscheidungen nennt der Wirtschaftspsychologe das. Das Wissen und die Methoden, geeignete Leute unabhängig von ihrem Aussehen und Ausstrahlung in hohe Positionen zu hieven, mit entsprechendem Gehalt, sei zwar da, wird aber selten genutzt, sagt Uwe Kanning. „Es gibt auch eine Studie dazu, die zeigt, dass, selbst wenn in der Personalabteilung Leute sitzen, die gut ausgebildet sind - ich kenne das von ehemaligen StudentInnen, die kommen dann in irgendein Großunternehmen - die wissen das, aber die haben nicht die Macht das umzusetzen. Dann sitzt dort Ihnen gegenüber jemand, der sagt: ‚Machen wir nicht, haben wir nie gemacht.‘"
„Macht ausüben“ spiele bei der Personalentscheidung auch eine wichtige Rolle und wer gibt schon gerne zu, dass er mit eigentlich falschen Methoden Mitarbeiter auswählt.

Gibt es eine „Schönheitsprämie“ für die Attraktiven?

Attraktivität und Reichtum scheinen also etwas miteinander zu tun zu haben. Doch was sagen Menschen mit mehr Geld – wie sind sie dazu gekommen? Bei Dagobert Duck ist das klar: „Ich habe mein Vermögen gemacht, weil ich schlauer als die Schlausten war und härter als die Härtesten!“
Befragt man Vermögensmillionäre und Millionärinnen, scheint es bei denen auch so zu sein. Judith Niehues forscht am Institut der deutschen Wirtschaft zu Armut, Einkommen und Vermögen. Sie zitiert eine Studie aus dem Jahr 2019, die sich auf Selbstauskunft der Reichen bezieht. Damals gaben 60 Prozent der Befragten an, ihr Geld durch eigene und harte Arbeit erworben zu haben.
Entsprächen diese Zahlen tatsächlich der Realität, sind viele der Reichen in Deutschland durch beruflichen Erfolg zu ihrem Geld gekommen - und auf diesem Weg ist Attraktivität, wie wir gelernt haben, von Vorteil: "Also zumindest was die Datenlage und auch Studien zeigen, gibt es einen Zusammenhang, dass Menschen, die von anderen Menschen eher als attraktiv, oder schön eingeschätzt werden, dass die im Durchschnitt über ein höheres Einkommen verfügen, oder bei ähnlichen Fähigkeiten, beispielsweise auch mehr verdienen in ihrem Job, als weniger attraktive Menschen. Diesen Zusammenhang, das wird auch Schönheitsprämie genannt.“
Porträt von "Influencerin" Bibi neben ihrem eigenen Pappaufsteller.
Zumindest in den "Sozialen Medien" können auch attraktive Menschen aus zuvor "unteren Einkommensschichten" rasant aufsteigen (picture alliance / dpa Zentralbild / Jens Kalaene)

Identität wird durch körperliche Erscheinung definiert

„Schönheitsprämie“ - doch was bedeutet das, wenn Attraktivität anscheinend mehr wiegt als Wissen und Erfahrung, und Angestellte auch finanziell bevorteilt? Die Psychologin Ada Borkenhagen sieht eine Teilung der Gesellschaft. Die ärmeren Schichten werden, salopp gesagt, immer dicker, die reicheren optimieren ihre Körper auf unterschiedlichen Wegen, tun also alles dafür, noch attraktiver zu werden.
„Das hat damit zu tun, dass andere Formen der gesellschaftlichen Unterscheidung weniger wichtig geworden sind. Also ich definiere heute meine Identität nicht so sehr darüber, ob ich Arbeiter oder Angestellter bin, als noch im Anfang des 20. Jahrhunderts oder durch meine Rolle als Hausfrau, sondern heutzutage wird Identität sehr viel stärker auch über die körperliche Erscheinung definiert.“
Und diese Körper-Optimierungsarbeit verlange neben Geld eben auch viel Wissen über gesunde Ernährung, Bewegung oder Schlaf - und durch dieses Wissen und auch bessere Chancen, es umzusetzen, unterscheiden sich obere von den unteren Schichten.

Attraktivität auch wichtig für Netzwerk-Zugehörigkeit?

Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning nennt einen weiteren Aspekt, der dieses Auseinanderdriften der Einkommensschichten beschleunigt. „Es gibt ja auch so Studien, die zeigen, dass Netzwerke total wichtig sind, um dann in die ganz hohen Positionen zu kommen und das drückt ja auch nicht unbedingt Eignung aus, sondern Zugehörigkeit zu Entscheidungsgruppen.“
Wo sich dann wieder fragen ließe – wie kommt man in solche Netzwerke, spielt Attraktivität nicht auch da eine Rolle? Mehr Wissen über eine solche Chancenungleichheit und bei Bewerbungsgesprächen weniger Bauchgefühl, das sei wichtig und wissenschaftlich fundierte Methoden bei Einstellungsgesprächen. „Da ist noch viel Potenzial drin für die einzelnen Unternehmen und für die Gesellschaft insgesamt, einfach besser zu werden, dadurch, dass man dafür sorgt, dass die wirklich Geeigneten in solche Positionen kommen, unabhängig vom Aussehen.“