Freitag, 29. März 2024

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Bayerns Gesundheitsminister Holetschek (CSU)
„Ich bin als Ultima Ratio für die allgemeine Impfpflicht“

Eine allgemeine Impfpflicht würde zwar kurzfristig nicht helfen, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek im Dlf. „Aber die wird uns möglicherweise aus der Pandemie insgesamt rausbringen.“ Holetschek sprach sich für eine schnelle bundesweite Umsetzung aus.

Klaus Holetschek im Gespräch mit Dirk Müller | 22.11.2021
Ein Schild mit der Aufschrift "Zutritt nach 1G-Regel"
In Deutschland finden sich immer mehr Befürworter für eine allgemeine Impfpflicht (picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer)
In Bayern liegt die Impfquote deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. In Teilen Bayerns sind Tausender-Inzidenzen inzwischen keine Seltenheit. Dementsprechend überlastet sind die Intensivstationen der Krankenhäuser. In Bayern gelten jetzt in weiten Teilen 3G- oder 2G-Regelungen. Alle Weihnachtsmärkte wurden geschlossen.
Um die Impfquote zu steigern, sprach sich Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) für eine allgemeine Impfpflicht aus – und zwar zügig und bundesweit.
„Wir sind mitten in dieser Pandemie“, sagte der CSU-Politiker. „Ich glaube, dass wir aus dieser Endlosschleife tatsächlich nur rauskommen, wenn diese Impfpflicht kommt. Die wird uns jetzt nicht heute und morgen helfen, aber die wird uns möglicherweise aus der Pandemie insgesamt rausbringen.“
Klaus Holetschek (l, CSU), Staatsminister für Gesundheit und Pflege, steht vor dem provisorischen Impfzentrum in der Frauenkirche im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt neben einem Schild mit der Aufschrift "Heute Impfung ohne Termin".
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat seine Meinung bezüglich einer allgemeinen Impfpflicht geändert (picture alliance/dpa | Peter Kneffel)

Debatte um Moderna und Biontech

Holetschek kritisierte im Interview außerdem die Debatte um das Deckeln des Impfstoffes Biontech. Hintergrund ist die Ankündigung des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, den Biontech-Nachschub zu begrenzen, damit auch Moderna verimpft wird. Zudem seien die Lagerbestände des Biontech-Pfizer-Vakzins aufgrund hoher Nachfrage sehr zurückgegangen.
Diese Ankündigung und die Art der Kommunikation wirke wie eine Handbremse für das Impftempo, gab Holetschek zu bedenken. „Wir sind ja gerade wieder in einem neuen Aufbruch, dass alle mithelfen wollen bei Auffrischungsimpfungen, auch bei Erstimpfungen. Wir wollen das ja nicht stoppen. Die Ärzte haben geplant, Patienten einbestellt, sich darauf eingestellt auf diese ganzen Dinge. Da brauchen wir jetzt keine schwierige Kommunikation, sondern klare Aussagen.“
Er hoffe sehr, dass Biontech zusätzlichen Impfstoff zur Verfügung stellen könne, was derzeit aber noch unklar wäre.  

Das Interview im Wortlaut

Dirk Müller: Klaus Holetschek ist nun bei uns zu Gast hier im Deutschlandfunk, Gesundheitsminister von Bayern (CSU). Herr Holetschek, sind Sie schon geboostert?
Klaus Holetschek: Ja, ich bin tatsächlich geboostert, und zwar mit Moderna.
Müller: Nicht mit Biontech?
Holetschek: Nein, ich bin mit Moderna geboostert und kann nur sagen, wir haben zwei sehr gute Impfstoffe, Biontech und Moderna, die eine hohe Wirksamkeit haben, und das belegen ja auch die Studien.
Müller: Dann haben Sie mit Jens Spahn gesprochen, dass der Gesundheitsminister sagt, Moderna ist genauso gut, wir deckeln Biontech?
Holetschek: Nein! Das ist ein ganz anderes Thema. Man darf ja nicht vergessen, die Praxen haben sich jetzt darauf eingestellt. Dort sind 85 Prozent der Menschen mit Biontech geimpft. Wir haben Zweitimpfungen, die noch anstehen. Das ist tatsächlich keine gute Geschichte, die wir da jetzt haben, sondern wir müssen versuchen, das zu lösen. Ich habe mich selber auch noch mal mit Biontech in Verbindung gesetzt, ob wirklich Zusatzlieferungen oder vorgezogene Lieferungen für Deutschland möglich wären. Ich gehe davon aus, dass Jens Spahn das auch gemacht hat. Wir hoffen, dass wir heute auf der Gesundheitsministerkonferenz am Nachmittag ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

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Müller: Was ist jetzt nicht gut? Was meinen Sie genau, Herr Holetschek, dass Jens Spahn das jetzt gesagt hat?
Holetschek: Das ist das Thema deckeln jetzt. Er erweckt einen Eindruck im Moment und bringt eine Handbremse, wenn Sie das so sagen wollen, in das Impftempo. Wir sind ja gerade wieder in einem neuen Aufbruch, dass alle mithelfen wollen bei Auffrischungsimpfungen, auch bei Erstimpfungen. In Bayern gab es letzte Woche so viele Erstimpfungen wie nirgends in einem anderen Bundesland. Wir wollen das ja nicht stoppen. Die Ąrzte haben geplant, Patienten einbestellt, sich darauf eingestellt auf diese ganzen Dinge. Da brauchen wir jetzt keine schwierige Kommunikation, sondern klare Aussagen.
Müller: Jens Spahn, wenn ich das jetzt so formulieren darf und sie richtig verstanden habe, hat in der Sache recht, aber er hätte sich anders ausdrücken müssen?
Holetschek: Wenn, dann hätte man längere Vorplanungen haben müssen auch für die Praxen, dass die sich darauf einstellen können. Dass Moderna und Biontech zwei gute Impfstoffe sind, das ist unbestritten, aber Biontech ist nun mal der Impfstoff, dem im Moment viele Menschen vertrauen, der in Deutschland hergestellt wird und wo es auch in den Praxen sehr viele Impfungen gab. Deswegen tut uns das jetzt nicht gut an dieser Stelle.
Müller: Was tut nicht gut, dass Biontech tatsächlich zu wenig zur Verfügung stellen kann in den kommenden Wochen?
Holetschek: Dass wir jetzt sagen, wir haben zu wenig zur Verfügung und können den Arztpraxen nicht unbegrenzt die Lieferungen zukommen lassen.
Müller: Ist das denn so? Sie haben ja mit Biontech telefoniert, Herr Holetschek. Ist das denn so? Kann Biontech nicht genug liefern?
Holetschek: Im Moment geht es ja nicht darum, was Biontech liefern kann, sondern es geht darum, was in den Lagern des Bundes noch zur Verfügung steht. Jens Spahn hat ja gestern noch mal klargemacht, dass die Lager aufgrund der großen Bestellungen auslaufen, und ich hoffe, dass Biontech jetzt noch mal helfen kann und zusätzlichen Impfstoff zur Verfügung stellen kann. Das wissen wir alle noch nicht. Da werden wir sehen, was heute vielleicht oder morgen an neuen Meldungen kommt.
Leere Glasfläschchen, in denen Impfstoff von Biontech/Pfizer war, stehen auf einem Tisch.
Die Nachfrage nach dem Biontech/Pfizer-Impfstoff ist groß - die Lagerbestände schrumpfen (picture alliance / dpa / Marcus Brandt)
Müller: Bei der gemeinsamen Konferenz der Gesundheitsminister heute Nachmittag. – Unser nächstes Thema: Sie haben gesagt, die Quote bei der Erstimpfung in Bayern hat zugenommen. Wir haben die Zahlen auch gelesen. Andere sagen, wir haben trotzdem, bundesweit gesehen, große logistische Probleme beim Impftempo, weil beispielsweise alle Impfzentren, die größten jedenfalls geschlossen worden sind. Die Hausärzte kommen nicht nach. Wie ist die Situation in Bayern?
Holetschek: Wir haben Gott sei Dank eine sehr enge Impfallianz mit der Ärzteschaft in Bayern. Die pflegen wir schon sehr lange. Jeden Mittwoch sind wir in einer Steuerungsgruppe zusammen und das funktioniert sehr gut. Dafür bin ich den Ärzten auch sehr, sehr dankbar. Wir haben die Impfzentren ja nie ganz geschlossen. Wir haben sie im Standby-Betrieb, 81 Impfzentren, über 230 mobile Teams, die jetzt wieder hochfahren. Zum Beispiel in Deggendorf wird ab heute noch mal maximale Kapazität hochgefahren. Es wird auch zwischen 18 und 22 Uhr zusätzlich geimpft. Ich höre von vielen, die jetzt wirklich alles möglich machen, damit alle Menschen, die jetzt eine Impfung wollen, die auch kriegen können. Das muss unser Ziel sein.
Coronavirus - Köln
In vielen Städten bilden sich Menschenschlangen vor den Impfstellen (picture alliance/dpa)
Müller: Wie lang sind die Schlangen bei Ihnen in Bayern?
Holetschek: Natürlich gibt es auch Schlangen in Bayern. Das ist ja klar, wenn wir das Thema Auffrischungsimpfungen nehmen. Die Menschen sind jetzt sensibilisiert. Auf der einen Seite haben wir hohe Neuinfektionen, die Krankenhäuser sind voll. Da ist der Wunsch jetzt stärker geworden, möglichst schnell eine Impfung zu kriegen. Das müssen wir jetzt wirklich schnell auch wieder austarieren, so dass jeder über Terminvereinbarung wieder sehr schnell Termine bekommt.
Müller: Kontrollen, unser nächster Stichpunkt, wird immer mehr gefordert. Zu lasch gehandhabt, sagen viele Kritiker, die das beobachten. Auch Stimmen aus der Polizei und von den Ordnungsämtern, von den Ordnungsbehörden müssen das einräumen bei Nachfragen in Interviews, Kontrollen in Bussen, Bahnen, Zügen, Einkaufsstraßen, Restaurants und so weiter. Wie können Sie sicherstellen, dass die verschärften Maßnahmen tatsächlich auch eingehalten werden?
Holetschek: Über sehr starke und stringente Kontrollen. Wir haben ja das System über die Ordnungsbehörden, die Kreisverwaltungsbehörden, aber auch eine enge Abstimmung mit der Polizei. Ich kann nur sagen, die Kontrollen haben wirklich Fahrt aufgenommen. Es wird sehr stringent inzwischen kontrolliert, und das ist auch richtig und wichtig. Keine Maßnahme nutzt was, wenn wir nicht wirklich kontrollieren.
Müller: Haben Sie auch Berichte bekommen, wonach in bestimmten Sektionen, in Bereichen, in Clubs, in Restaurants so gut wie gar nicht kontrolliert wird?
Holetschek: Das hört man immer wieder und das ist auch tatsächlich ein Anlass gewesen, um noch mal verstärkt diesen Kontrolldruck zu erhöhen. Jeder muss wissen, wenn er hier irgendwie gefälschte Impfzertifikate oder irgendetwas anderes mit sich führt, oder gar nichts, dass er dann auch mit den Sanktionen rechnen muss. Das darf in dieser Situation nicht sein, wo Intensivstationen voll sind, Pflegekräfte um das Leben anderer kämpfen, dass dann mit so einem Schmarren draußen irgendwo herumhantiert wird und damit andere Leute gefährdet werden.
Müller: Wenn Sie sagen, es wird kontrolliert, sind Sie sicher, dass Sie genügend Personal dafür haben?
Holetschek: Ich kann nur sagen, die bayerische Polizei ist da ein guter Partner und die Polizei in Bayern funktioniert.
Müller: Aber auch die Polizei in Bayern beklagt Personalmangel.
Holetschek: Wir können überall immer noch mehr Personal brauchen, aber ich kann Ihnen sagen, wir haben in Bayern da immer wieder nachgelegt, was Polizei angeht, und ich glaube, jeder weiß, dass in Bayern die Polizei wirklich hervorragend aufgestellt ist, dank auch eines ausgezeichneten Innenministers.
Müller: Dort, Herr Holetschek, wo die Inzidenzen über tausend liegen, haben die Kontrollen auch funktioniert?
Holetschek: Dort, wo die Inzidenzen über tausend liegen, haben wir oft eine niedrige Impfquote. Das muss man auch zur Kenntnis nehmen. Deswegen müssen wir dort Kontakte beschränken. Wir sind da jetzt mit sehr stringenten Maßnahmen auch noch mal reingegangen in eine Hotspot-Strategie, wo ja dann wirklich viel geschlossen wird. Das Entscheidende ist, auch Kontakte zu unterbrechen, und man muss jetzt wirklich noch mal an alle appellieren, auch freiwillig ein Stück weit noch mal zurückzustecken und Kontakte zu vermeiden, damit wir gegen diese Welle gemeinsam ankämpfen.
Müller: Andere große Diskussion in diesem Zusammenhang Impfquote: Wenn das alles nicht ausreicht, was jetzt an Maßnahmen beschlossen worden ist, Impfpflicht für alle Ungeimpften. In Österreich soll das im Februar umgesetzt werden. Was halten Sie davon?
Holetschek: Ich war immer ein Gegner einer Impfpflicht, muss ich ehrlicherweise sagen, weil ich der Meinung war, wir müssen mit Argumenten überzeugen, die Menschen mitnehmen. Ich glaube aber inzwischen, auch nach den Empfehlungen der Leopoldina, der Wissenschaftsakademie, des Ethikrats, die ja zumindest partielle Impfpflichten ausgesprochen haben, dass wir relativ schnell über dieses Thema sprechen müssen. Ich persönlich bin inzwischen als Ultima Ratio tatsächlich für diese allgemeine Impfpflicht.

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Müller: Und die wird kommen? Wann soll die kommen?
Holetschek: Das ist ein Thema, das jetzt in Berlin sehr schnell beraten werden muss und auch umgesetzt werden muss. So was macht ja nur Sinn, wenn wir es bundesweit auf den Weg bringen. Deswegen sollten diese Diskussionen jetzt nicht verzögert oder verschoben werden, sondern unmittelbar aufgenommen werden. Wir sind mitten in dieser Pandemie. Ich glaube, dass wir aus dieser Endlosschleife tatsächlich nur rauskommen, wenn diese Impfpflicht kommt. Die wird uns jetzt nicht heute und morgen helfen, aber die wird uns möglicherweise aus der Pandemie insgesamt rausbringen.
Müller: Schleswig-Holstein hat offenbar heute Morgen, wenn wir das richtig gehört haben, signalisiert, wir können da mitmachen. Haben Sie schon genügend Verbündete?
Holetschek: Sie merken ja, dass diese Diskussion in der Gesellschaft auch Fahrt aufnimmt. Ich glaube, es ist wichtig, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen in so einen Prozess. Das Gefühl ist schon da, dass viele jetzt sagen, Mensch, wir müssen doch jetzt schauen, dass wir mehr Menschen noch impfen. Impfen ist tatsächlich die Lösung, aus der Pandemie rauszukommen. Schauen Sie auf die Intensivstationen. Da sind immer noch die meisten Menschen ungeimpft und das ist ein Thema, das wir jetzt aufnehmen müssen und auch diskutieren, aber dann auch entscheiden.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//