Dienstag, 16. April 2024

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Landesärztekammer Sachsen zu Intensivstationen
„Triage-Situation ist akut“

In ganz Sachsen seien die Intensivstationen überlastet, sagte der Präsident der sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, im Dlf. In den nächsten Tagen sei damit zu rechnen, dass zwei Patienten um ein Bett konkurrieren müssten. Ungeimpfte hätten dabei die schlechteren Überlebenschancen.

Erik Bodendieck im Gespräch mit Dirk Müller | 22.11.2021
Ein leeres Intensivbett steht in einem zusätzlich für Covid-19-Patienten geschaffenen Bereichs der Intensivstation der Leipziger Uniklinik.
Zwei Patienten müssten bald möglicherweise um ein Intensivbett konkurrieren, befürchtet Erik Bodendieck, Präsident der sächsischen Landesärztekammer. (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas)
In Sachsen werden aufgrund hoher Inzidenzzahlen weite Teile des öffentlichen Lebens eingeschränkt. Alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Bars und Diskotheken müssen schließen. In Landkreisen mit einer Wocheninzidenz von über 1.000 gelten nächtliche Ausgangsbeschränkungen für Menschen, die sich keine Corona-Schutzimpfung haben geben lassen.
Diese Situation hätten ungeimpfte Menschen verursacht, sagte der Präsident der sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, im Deutschlandfunk-Interview. Der Freistaat hat die geringste Impfquote in ganz Deutschland.
Das Bild zeigt Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, an einem Rednerpult
Erik Bodendieck ist wegen der hohen Überlastung von Sachsens Intensivstationen besorgt (imago images / xcitepress)
In ganz Sachsen seien die Intensivstationen in der Überlastungsstufe, beklagte der Mediziner. Die Patienten könnten nicht in andere Krankenhäuser verlegt werden, weil die umliegenden Länder, so etwa Thüringen, ähnlich hart betroffen seien. Er rechne damit, dass die Ärzte in den nächsten Tagen vor eine Triage-Entscheidung gestellt würden. Zwei Patienten müssten dann möglicherweise „um ein Bett kämpfen müssen.“ Die Mediziner müssten dann abwägen: „Wer das bessere Überleben oder die bessere Aussicht auf Erfolg der Behandlung hat, der kommt dann an das Beatmungsgerät, und der andere wird dann nicht beatmet. Das heißt, der Ungeimpfte hat auf alle Fälle, wenn er an die extrakorporale Beatmung muss, die sogenannte ECMO, eine sehr schlechte Überlebenschance."
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Erik Bodendieck zeigte sich enttäuscht, dass sich so wenige Menschen in seinem Bundesland impfen ließen. Dies habe mehrere Gründe. Die Menschen seien schon immer sehr kritisch eingestellt. Und sie seien „aufgrund ihrer Kritikfähigkeit, aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Erlebnisse vor allen Dingen in den sehr konservativen Teilen Sachsens dann auch sehr leicht empfänglich für manche Falschmeldung, und das wieder herauszukriegen ist dann schwierig.“ Auch er als Hausarzt habe Probleme, seine Patienten von der Notwendigkeit einer Impfung zu überzeugen.

Das Interview im Wortlaut:
Dirk Müller: Am Telefon ist nun der Präsident der sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck. Herr Bodendieck ist Palliativmediziner, vor allem aber auch Hausarzt in Wurzen in der Nähe von Leipzig. Herr Bodendieck, sind Sie sauer auf Ihre Landsleute?
Erik Bodendieck: Ich bin schon ein Stück enttäuscht. Auf der anderen Seite muss man immer nach den Ursachen fragen, warum die Skepsis so groß ist, und ich glaube, da ist schon ein Stück weit vieles schiefgegangen in der Kommunikation. Jetzt sind wir in einer Situation, wo ich durchaus verstehen kann, dass sich der eine oder andere nur schwer von der gegenteiligen Meinung überzeugen lässt, weil es ja immer nicht schick ist in der heutigen Zeit, seine Meinung mal zu ändern.
Müller: Sie sagen, es ist schwierig gewesen mit der Kommunikation. Hatten Sie Probleme zu verstehen, warum Impfen wichtig ist?
Bodendieck: Nein, ich hatte keine Probleme damit, warum Impfen wichtig ist. Ich hatte nur das Problem, dass ich als medizinisches Personal zwar relativ frühzeitig zum Impfen hätte dran sein können. Ich selber war ja infiziert Ende letzten Jahres. Deswegen konnte ich mir ein kleines bisschen Zeit lassen.
Erkrankungs- und Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) in Sachsen seit März 2020 (Stand November 2021)
Erkrankungs- und Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) in Sachsen seit März 2020 (Stand November 2021) (Quelle: Robert Koch-Institut / statista 2021)
Aber wir haben frühzeitig auf der einen Seite versucht, die Hausärztinnen und Hausärzte in Sachsen einzubinden, weil wir viele Menschen hatten, die nicht erreichbar waren durch mobile Teams oder die selber Impfzentren nicht erreicht haben. Das ist uns leider nicht gelungen. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir dann erst eingebunden worden sind, als, ich sage jetzt mal, die Misere um AstraZeneca begann und dadurch die Skepsis noch viel größer wurde.

Viele sind „sehr leicht empfänglich für manche Falschmeldung“

Müller: Das meinen Sie als Grund? Das wollte ich noch mal nachfragen, weil Sie sagen, Schwierigkeiten in der Kommunikation.
Bodendieck: Die Kommunikation wurde hinterher weiter schwierig. Es war die Frage, wie können wir Menschen überzeugen, wie können wir Menschen aufklären. Wir haben in Sachsen noch die besondere Situation, dass wir eine eigene Impfkommission haben. Die ist in aller Regel etwas schneller als die ‚Ständige Impfkommission in Berlin. Die Ständige Impfkommission übernimmt sehr viele Ideen der sächsischen Impfkommission und auch der wissenschaftlichen Auswirkungen später, aber das führt auch manchmal zu Verwirrungen und da war wenig Klarheit drin.
Müller: Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, weil die Impfquote ist ja am geringsten in Sachsen? Das heißt, das hat in Teilen in Nordrhein-Westfalen oder auch in Rheinland-Pfalz funktioniert, weil die Menschen es dort verstanden haben? In Sachsen braucht man ein bisschen länger, um das zu verstehen?
Bodendieck: Nein, in Sachsen braucht man nicht länger, um das zu verstehen, sondern Sachsen hat seine Spezifitäten, was die Menschen in Sachsen anlangt. Die Menschen in Sachsen sind - und das will ich an dieser Stelle schon sagen - schon immer sehr kritisch in ihrer Einstellung bezüglich vieler allgemeiner Situationen und sie sind aufgrund ihrer Kritik und aufgrund ihrer Kritikfähigkeit, aufgrund ihrer Herkunft, aufgrund ihrer Erlebnisse vor allen Dingen in den sehr konservativen Teilen Sachsens dann auch sehr leicht empfänglich für manche Falschmeldung, und das wieder herauszukriegen ist dann schwierig.

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Müller: Das hat auch etwas mit dem Impfen zu tun?
Bodendieck: Das hat was mit dem Impfen zu tun, das hat mit sehr vielen Einstellungen zu allgemeinen auch politischen Gegebenheiten zu tun.
Müller: Ist das ein politisches Nichtimpfen?
Bodendieck: Das würde ich jetzt gar nicht mal so sagen, dass es ein politisches Nichtimpfen ist. Es ist eine schwierige Gemengelage. Hier überlagert sich leider die Skepsis im Allgemeinen mit der daraus folgenden mangelnden Einsicht in die Notwendigkeit, nur mit dem Impfen die Pandemie tatsächlich jetzt brechen zu können.

„Da wünschte ich mir schon mal ein schnelleres Aha-Erlebnis“

Müller: Sie sind ja auch Hausarzt, Herr Bodendieck, habe ich gesagt, nicht nur Präsident der sächsischen Landesärztekammer, sondern ein Mann aus der Praxis im wahrsten Sinne des Wortes. Wie viele kommen zu Ihnen denn in die Praxis, die nicht geimpft sind? Wie überzeugen Sie die?
Bodendieck: Ich denke, es ist ungefähr die Hälfte bis ein Drittel Menschen, die nicht geimpft sind, die hier in die Praxis kommen, und es ist in der Tat sehr schwer. Das hängt immer davon ab, welche Einstellung der Mensch hat. Auf der einen Seite sind Sachargumente möglich zur Überzeugung; auf der anderen Seite sind manchmal auch Beispiele von schwererkrankten Menschen der Schlüssel zum Erfolg. Manchmal ist es beides. Manchmal sind es gute Worte. Oftmals ist es aber so, dass man die Menschen in der Tat abholen muss. Man muss sie abholen von dort, wo sie stehen. Das fällt schwer, das sind oft lange Gespräche, die sehr viel Zeit binden und die in den Praxisalltag oftmals nicht hineinpassen. Da wünschte ich mir schon mal ein schnelleres Aha-Erlebnis, aber das ist so und wir sollten trotzdem nicht nachlassen, immer wieder zu versuchen, die Menschen abzuholen.
Müller: Finden Sie das gut, befürworten Sie das, dass Ungeimpfte in Teilen in Sachsen sich nicht mehr frei bewegen können, Auflagen erfüllen müssen, Teil-Lockdown für Ungeimpfte?
Bodendieck: Nun kann man das aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen. Auf der einen Seite ist es so, dass wir mal ganz klar sagen müssen, dass die jetzige Situation hauptsächlich dadurch verursacht ist, dass wir so viele ungeimpfte Menschen haben. Die überwiegende Zahl derjenigen, die auf den Intensivstationen – und das ist das Maßgebliche eigentlich dabei – liegen, sind Menschen, die nicht geimpft sind.
Wir wissen, dass die Impfung die Krankheit nicht verhindern kann. Wir wissen auch, dass Menschen, die ein etwas schwieriges Immunsystem haben, durchaus auch erkranken können und stationär behandlungsbedürftig sein können. Aber die Intensivstationen sind überwiegend mit denen belegt, die ungeimpft sind. Dort ist in der Tat das Problem und jetzt kann man sich entscheiden. Entweder man sagt, okay, man lässt es laufen. Das heißt aber, dass sehr viel mehr Menschen sterben werden. Ich sage an dieser Stelle, als Präsident der sächsischen Landesärztekammer werde ich am Donnerstag mit meinen ärztlichen Direktoren in Sachsen ins Gespräch gehen, noch mal die strafrechtlichen, berufsethischen, berufsrechtlichen Relevanzen von Triage-Situationen durchsprechen und ihnen das erklären. Wir haben dazu eine eindeutige Meinung.

„Der Ungeimpfte hat eine sehr schlechte Überlebenschance“

Müller: Triage ist auch Ihr Thema immer wieder. Ist das wirklich jetzt akut in vielen Fällen?
Bodendieck: Ja, es ist akut. Sachsen hat ja Überlastungsstufen festgelegt. In den Intensivstationen ist Sachsen gesamt für die Intensivstationen in der Überlastungsstufe. Der Bereich Ostsachsen ist schon lange in der Überlastungsstufe. Südwestsachsen, der Chemnitzer Bereich und der Leipziger Bereich haben noch das eine oder andere Bett, aber wir können ja auch nicht abverlegen, und das ist das Problem, zumindest nicht innerhalb Deutschlands, weil die umliegenden Länder auch ähnlich hart betroffen sind. Ich erinnere hier nur an Thüringen.
Ein Zimmer auf der Intensivstation der Uniklinik Leipzig mit vier Coronaviruspatienten.
Auch in den Nachbarländern Sachsens sind die Intensivstationen voll. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
Müller: Das heißt, es gibt schon schwere oder sehr schwere Krankheitsverläufe, die aber in der Triage-Abwägung Pech gehabt haben und erst einmal warten müssen? Ist das schon so in der Praxis?
Bodendieck: Nein! Im Moment haben wir es noch einigermaßen hingekriegt. Ich denke aber, dass bei den Prognosen, die wir haben, es durchaus, wenn wir wirklich einen ganz schlechten Verlauf haben und die Menschen nicht zur Ruhe kommen, in den nächsten Tagen in der Tat in die Überlastung so hineingehen, dass zwei Menschen möglicherweise „um ein Bett kämpfen müssen“, konkurrieren um ein Bett. Dort ist die Abwägung tatsächlich so, wer das bessere Überleben oder die bessere Aussicht auf Erfolg der Behandlung hat, der kommt dann an das Beatmungsgerät, und der andere muss dann sehen oder wird dann nicht beatmet. Das heißt, der Ungeimpfte hat auf alle Fälle, wenn er an die extrakorporale Beatmung muss, die sogenannte ECMO, eine sehr schlechte Überlebenschance.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.