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Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Dringend nötig, aber vielleicht zu spät

Die Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland sind in Deutschland hoch. Dass die Ampel-Koalition hier neue Anreize schaffen will, sei richtig, kommentiert Dirk-Oliver Heckmann. Doch ob es gelinge, ein Willkommensklima zu schaffen, sei fraglich.

Ein Kommentar von Dirk-Oliver Heckmann |
Ein Bauarbeiter steht mit einem Gasbrenner beim Bau eines Mehrfamilienhauses in einem Neubaugebiet als am Horizont die Sonne aufgeht.
In zahlreichen Branchen herrscht in Deutschland Fachkräftemangel. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Seit mehr als 20 Jahren diskutiert Deutschland darüber, wie mehr ausländische Fachkräfte nach Deutschland gelockt werden könnten. Seither wird auch darüber debattiert, ob Deutschland dafür nicht ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild braucht, das dort Ende der 60er-Jahre eingeführt wurde. Mit Erfolg: Kanada rekrutiert Jahr für Jahr Abertausende gut ausgebildete Menschen, lockt sie mit einer ausgeprägten Willkommenskultur – und der Zusage, sich nach drei Jahren einbürgern lassen zu können.

Deutschland hat hohe Hürden für Fachkräfte

Auch in Deutschland war der demografische Wandel bereits vor 20 Jahren absehbar. Geschehen ist nicht viel. Zwar hat die Große Koalition aus Union und SPD im Jahr 2019 ein Fachkräftezuwanderungsgesetz erlassen, das auf Akademiker und Menschen mit beruflicher Ausbildung zielte. Doch die Hürden, die darin enthalten sind, sind bis heute hoch. Abschlüsse, die im Ausland erworben wurden, müssen vor Einreise von deutschen Behörden anerkannt werden. Ein Familiennachzug ist nicht garantiert. Auch für den deutschen Pass kann man sich erst nach acht Jahren bewerben. Hinzu kommt die deutsche Sprache, die nicht gerade zu den Weltsprachen gehört. Und eine Willkommenskultur, die – sagen wir – unterentwickelt ist.
Das will die Ampel-Koalition jetzt ändern. Sie schafft – nach eigenem Anspruch – eines der modernsten Einwanderungsgesetze Europas. Und dafür ist es höchste Zeit. Laut Arbeitsmarktforschern fehlen im Jahr 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte – mit entsprechenden Folgen für Wirtschaft und Sozialsysteme. Das ist ohne Einwanderung aus dem Ausland nicht zu schaffen. Die Frage ist: Gelingt es Deutschland, die richtigen Menschen hierher zu locken? Oder hat das Land wie bisher das Nachsehen, weil sich die meisten lieber für ein anderes Land entscheiden?

Die deutschen Arbeitslosen können das Problem nicht lösen

Die Union argumentiert: Was ist denn mit den vielen Arbeitslosen? Sollte man nicht zunächst an die denken? Was ist, wenn die Eingewanderten ihren Job verlieren und dann den Sozialsystemen auf der Tasche liegen?
Diese Haltung ist von gestern. Die Arbeitslosen in Deutschland sind nicht alle in den Arbeitsmarkt vermittelbar. Parallel zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz bringt Arbeitsminister Heil ein Aus- und Weiterbildungsgesetz auf den Weg, das jungen Leuten einen Ausbildungsplatz garantiert. Mit dem neuen Bürgergeld können Arbeitslose eine Aus- oder Weiterbildung machen, statt wie bisher jeden Billig-Job annehmen zu müssen.
Die Frage ist nicht, ob Deutschland in Zukunft zu viel Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften hat. Die Frage ist, ob Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht schon viel zu spät ist. Und ob tatsächlich ein Klima entstehen kann, in dem Zuwanderer wirklich willkommen geheißen werden. Hier ist noch viel Luft nach oben. Ob Deutschland einen folgenreichen Fachkräftemangel abwenden kann, darüber stimmen am Ende die Menschen ab – und zwar mit ihren Füßen.