Donnerstag, 16. Mai 2024

Gewalt im Fußball der Frauen
Spielerinnen und Verbände im Clinch: Was sind die Ursachen?

Missbrauchsvorwürfe gegenüber Amtsträgern und -trägerinnen werden vor und während der Fußball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland laut. Einige Verbände und Spielerinnen liegen im Clinch. Die Konfliktursachen haben mit Machtstrukturen zu tun.

Jonas Baer-Hoffmann im Gespräch mit Maximilian Rieger | 22.07.2023
Die Spielerinnen aus Sambia zeigen sich nach der Niederlage im WM-Gruppenspiel gegen Japan enttäuscht.
Die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen aus Sambia war bereits vor der WM in Australien und Neuseeland in den Schlagzeilen. Es gibt schwere Missbrauchsvorwürfe gegen Trainer Bruce Mwape. (IMAGO / IMAGO int. / One Hundert Pro / IMAGO / Aaron Gillions / Photosport)
Die Fußballwelt ist zuletzt nach schweren Missbrauchsvorwürfen gegen den Präsidenten des Fußball-Verbandes von Haiti regelrecht aufgewühlt worden. Yves Jean-Bart wurde von der FIFA lebenslang gesperrt, er soll zum Teil minderjährige Spielerinnen sexuell belästigt und missbraucht haben. Der internationale Sportgerichtshof (CAS) hob das Urteil gegen ihn zwar auf, die FIFA legte jedoch Einspruch ein.
Derlei Vorwürfe sind bei dieser Frauen-WM in Australien und Neuseeland kein Einzelfall. So wird dem Trainer Sambias vorgeworfen, Spielerinnen zum Sex gezwungen zu haben – Konsequenzen für Bruce Mwape gab es bisher keine, der Fall liegt seit September 2022 bei der FIFA.

Verschiedene Konfrontationen in verschiedenen Verbänden

Außerdem soll die Trainerin Irlands, Vera Pauw, laut Anschuldigungen von Ex-Spielerinnen ihres ehemaligen Klubs Houston Dash ihre Macht missbraucht und exzessive Gewichtskontrollen durchgeführt haben. Pauw bestreitet die Vorwürfe.
Und dann wären da noch die Teams von Jamaika, Nigeria, Kanada und Südafrika, die sich öffentlich darüber beschwerten, dass ihre Verbände ihnen Bonuszahlungen vorenthalten, es schlechte Trainingsbedingungen gibt und die Reisen chaotisch geplant sind. Manche Teams drohten offen mit Streik.

FIFPRO-Generalsekretär kritisiert "Machtstrukturen"

Jonas Baer-Hoffmann, Generalsekretär der internationalen Spielergewerkschaft FIFPRO, erklärt sich die Häufung dieser vielschichtigen Konflikte im Dlf-Interview so: "Die Spielerinnen treiben den Sport einfach in einem viel schnelleren Tempo voran, als die Strukturen in vielen Ländern ihnen folgen." In der Vergangenheit hätten meistens "aktivistische Spielerinnen" Fortschritte voran- und die Verbände vor sich hergetrieben.
Es gehe "ganz klar um Machtstrukturen, die immer noch den Frauenfußball zurückhalten und teilweise das neue Interesse auch ausnutzen für Dinge, die den Spielerinnen sehr schaden". Oftmals sei der Fußball der Frauen in den Verbänden eher "dritt- und viertrangig".

Männlich geprägte und konservative Verbände

Die Funktionärsebene ist nach wie vor oft stark männlich geprägt. Laut Baer-Hoffmann treffe man häufig auf "engstirnige, konservative" Perspektiven. Viele progressivere Themen kämen so überhaupt nicht erst auf den Tisch und würden erst nachher unter dem Druck der Öffentlichkeit irgendwie zu lösen versucht.
Hilfe für Betroffene von Gewalt im Sport:
Ansprechstelle "Safe Sport":
https://www.ansprechstelle-safe-sport.de
Initiative "Anlauf gegen Gewalt" von Athleten Deutschland e.V.:
https://www.anlauf-gegen-gewalt.org
Ein Problem sieht der FIFPRO-Generalsekretär auch in den "Finanzströmen, die in vielen Ländern enorm viel Macht in die Fußballverbände hineinspülen". Was diese Macht mit sich bringt, werde "sehr wenig überprüft", erklärt Baer-Hoffmann.
Bei der Frauen-WM zahlt die FIFA Prämien in Rekordhöhe. Das Geld soll aber nicht direkt an die Spielerinnen fließen, sondern zunächst an die Verbände, die dann mit der Weiterleitung betraut sind.

Gegenseitige Ermutigungen der Spielerinnen

Baer-Hoffmann begrüßte jedenfalls, dass sich immer mehr Spielerinnen gegenseitig offenbar ermutigen, ihr Schweigen über Missstände und Missbrauch zu brechen: "Es wird viel gesprochen. Es gibt eine enorme Verknüpfung, die sehr positiv ist, weil einfach Erfahrungen, teilweise Strategien ausgetauscht werden."
Es gebe derzeit ein "Momentum im Frauenfußball, wie es das vielleicht in keinem anderen Sport auf der Welt gibt".