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Influenza-Evolution unter Coronabedingungen
Im Winter könnten mehrere Viren zusammenkommen

Masken und Abstand schützen nicht nur vor Corona, sondern auch vor der Grippe. In den vergangenen beiden Wintern hat die Influenza keine Rolle gespielt. Im nächsten Winter ändert sich das möglicherweise: Intensivstationen könnten es mit mehreren Erregerwellen gleichzeitig zu tun bekommen.

Von Volkart Wildermuth | 04.04.2022
Eine Maske liegt in der Altstadt von Düsseldorf auf dem Boden.
Ohne Mundschutz steigt auch das Risiko einer Grippeinfektion (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
Maske, Abstand und Lockdown haben nicht nur die Verbreitung des Coronavirus ausgebremst, sondern auch mehrere andere Viren behindert. In den vergangenen zwei Wintern gab es praktisch keine Grippeepidemie und auch der RSV-Erreger (Respiratorisches Synzytial-Virus) konnte sich unter Kindern vergleichsweise wenig verbreiten. Was das bedeutet das, und wie geht es mit diesen altbekannten Krankheitserregern weiter?

Wie sehr haben die Corona-Schutzmaßnahmmen auch Grippeviren eingedämmt?

Masken helfen nicht nur gegen Corona, sondern gegen Atemwegserreger ganz allgemein. In Deutschland ist in den vergangenen beiden Wintern fast niemand an der Grippe gestorben, sonst waren es jährlich viele hundert bis einige tausend Menschen. Im globalen Influenza-Überwachungs- und Reaktionssystem der Weltgesundheitsorganisation werden nur ein paar Prozent der üblichen Meldungen registriert, ein dramatischer Einbruch. Das zeigt eine Analyse in "Nature Communications". Die Forschenden führen das vor allem auch auf die globalen Reisebeschränkungen zurück. Diese haben die Verbreitung der Grippeviren jeweils unterbrochen und die verschiedenen Subtypen jeweils auf kleine Regionen beschränkt. Aktuell zirkulieren auf niedrigem Niveau die Influenza-A-Viren vom Typ H3N2 vor allem in Süd- und Südostasien, H1N1 in Westafrika und Influenza-B-Viren Subtyp Victoria in China. Der B-Subtyp Yamagata scheint sogar ganz verschwunden zu sein.
Yamagata wurde in der Grippesaison 2017/18 ein Problem, weil er im Impfstoff nicht enthalten war. Inzwischen ist er enthalten. Der Subtyp fällt jetzt aber wohl sogar ganz weg. Deshalb wird es aber nicht zu weniger Grippeinfektionen kommen. Die unterschiedlichen Subtypen konkurrieren um die Wirte, also um die Menschen. Wenn Yamagata nicht auftritt, dann nutzen eben andere Subtypen ihre Chance.

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Was bedeutet der Wegfall von Corona-Beschränkungen mit Blick auf andere Atemwegserkrankungen?

Dänemark hat schon im Februar seine Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben. Obwohl die Influenzasaison eigentlich vorbei ist, läuft dort eine große Grippewelle an. Sie trifft jetzt auf eine Bevölkerung, die diese Viren zwei Jahre nicht gesehen hat und deshalb deutlich weniger gut geschützt ist. Normalerweise infizieren sich die meisten Menschen als Kinder mit der Influenza, verkraften das aber ganz gut. Dann gibt es immer wieder erneute Infektionen, die aber auch nicht so dramatisch werden müssen, weil eben ein bestimmter Immunschutz besteht. Bleibt man aber ein paar Jahre verschont, kann das Virus wieder gefährlich werden. Das beobachtet man schon lange, wenn es ein paar Jahre milde Grippesaisons gab - dann steigt das Risiko für eine schwerere Welle. Genau diese Situation ist jetzt im Grunde für die gesamte Bevölkerung eingetreten. Das heißt, wenn die Influenzaviren wiederkommen, werden sie wohl für viele schwere Infektionen sorgen.

Welche Rolle spielt die Grippeimpfung im Jahr 2022?

Die Impfung wird diesen Winter noch wichtiger sein als sonst. Aber es wird deutlich schwieriger werden, den richtigen Impfstoff zusammenzustellen. Normalerweise wertet man im Frühsommer aus, welche Grippeviren auf der Südhalbkugel zirkulieren, und packt die drei oder heute meist vier wichtigsten davon in den Impfstoff. Die Produktion dauert Monate, und weil sich die Influenzaviren weiter verändern, passt der Impfstoff mal besser und mal schlechter.
Dieses Jahr, in dem praktisch keine Influenza auf der Südhalbkugel unterwegs ist, wird eine Vorhersage deutlich schwieriger, mit welchen Erregertypen wir es im Winter zu tun haben werden. Das wird ein Problem.
Die Autorengruppe des Artikels in "Nature Communications" rät dazu, neue Impfstofftypen gegen die Influenza zu nutzen, etwa RNA-Impfstoffe. Ob das rechtzeitig für diesen Winter gelingt, ist aber eher zweifelhaft, die Hersteller sind mit der Produktion der Corona-Impfstoffe am Rande ihrer Kapazitäten. Der Intensivmediziner Christian Karagianidis ging Ende März davon aus, dass diesen Winter mehrere Viren parallel auftreten werden: Corona und die Influenza und auch RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus), ein Erreger, der vor allem für Kinder gefährlich ist. Das wird für die Krankenhäuser wohl eine Herausforderung.
Gegen alle diese Erreger hilft die Maske, daher rät Karagiannidis dazu, sie vor allem im Winter weiter in Innenräumen zu nutzen. Nach und nach baut sich dann in der Bevölkerung wieder eine Immunität gegen die Influenza auf, und wir werden wieder die 'normalen' Grippewellen haben. Sollte sich die Maske bei uns im Winter aber etablieren, dann dürften sowohl die Grippe wie auch die Coronawellen milder verlaufen.