Kommentar zu Jane Goodall
Ihre Forschung wirkt nach

Jane Goodall stellte Konventionen infrage und ihr unkonventioneller Blick auf Schimpansen verschob Grenzen zwischen Tier und Mensch. Trotz Kritik prägte sie die Wissenschaft und wurde Vorbild: als Forscherin, Aktivistin und Stimme für die Natur.

Ein Kommentar von Lennart Pyritz |
Die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall steht neben einem Bild eines Schimpansens und hält einen Vortrag
Schimpansenforscherin Jane Goodall begrüßte ihre Zuschauer auch schonmal mit einem Schimpansen-Ruf (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
Jane Goodall hatte eine spezielle Art, Vorträge zu beginnen. Wenn sie ans Rednerpult trat, äußerte sie oft erstmal einen „pant hoot“ – einen Ruf, den Schimpansen nutzen, um sich gegenseitig zu begrüßen. Die Reaktion der menschlichen Zuhörer: Manche antworteten ihr auf dieselbe Weise. Manche waren irritiert.
Diese kleine Eigenart spiegelt viel vom Wirken der berühmten britischen Verhaltensforscherin wider: Sie verschob die Grenze zwischen Schimpansen und Menschen auf unkonventionelle Weise. Das störte manche – und begeisterte viele. So oder so – ihre Arbeit prägt die Wissenschaft bis heute.

Pionierin der Verhaltensforschung

Fangen wir mit der Irritation an: Jane Goodall hat kein Studium absolviert. Sie kam nach einer Ausbildung als Sekretärin nach Afrika, um Schimpansen zu beobachten. Dabei entwickelte sie eine große Nähe zu den Tieren, gab ihnen Namen statt wie üblich Nummern. 
Kollegen warfen ihr die fehlende akademische Ausbildung vor – und dass sie die Tiere vermenschliche. Und in der Tat: Eine zu enge, auch emotionale Verwicklung mit dem eigenen Forschungsobjekt galt damals – und gilt auch heute – nicht als gute wissenschaftliche Praxis.
Auf der anderen Seite war Jane Goodall eine Pionierin der Verhaltensforschung, die Neuland betreten hat und deswegen neue Wege beschreiten musste. Sie hat zum ersten Mal Schimpansen in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet, über Jahre im Gombe-Nationalpark in Tansania.

Goodall gelangen bahnbrechende Entdeckungen

Und sie hat mit ihrem ungewöhnlichen Forschungsansatz bahnbrechende Entdeckungen gemacht. Sie beschrieb, dass Schimpansen – wie Menschen – individuelle Persönlichkeiten haben; dass die Tiere kriegerische Auseinandersetzungen miteinander führen; und sie zeigte: Schimpansen nutzen Werkzeuge, zum Beispiel Zweige, um nach Termiten zu angeln.
Werkzeuggebrauch galt bis dahin als ein typisch menschliches Merkmal. Der Paläoanthropologe Louis Leakey soll damals, nach der Entdeckung Anfang der 1960 Jahre, gesagt haben: „Jetzt müssen wir ‚Werkzeug‘ und ‚Mensch‘ neu definieren. Oder wir müssen Schimpansen als Menschen anerkennen.“
So hat Jane Goodall mit ihren Erkenntnissen das Verhältnis von Mensch und Tier neu ausgeleuchtet. Und ihre bahnbrechenden Beobachtungen wirken bis heute nach. Kultur, Persönlichkeit, strategische Konflikte im Tierreich – all diese Forschungszweige wachsen weiter.

Erst Forscherin, dann Aktivistin

Bleibt noch die Begeisterungsfähigkeit: Ab 1986 wandelte sich Jane Goodall von der Forscherin zur Aktivistin, gründete Organisationen für Tier- und Umweltschutz, tourte als Vortragende rastlos um die Welt – und motivierte damit unzählige Menschen für den Naturschutz.
Ein Teil der Motivation: Schimpansen und ihre komplexe Lebensweise vor dem Aussterben zu bewahren – und damit auch ein Fenster in unsere eigene, menschliche Evolution zu erhalten. 
Mensch und Schimpanse als eng verwandte und eng verbundene Arten betrachten, die zusammengehören – wohl niemand hat so konsequent und mit so sanfter Unnachgiebigkeit in diesem Sinne gehandelt wie Jane Goodall.