
Das Bundesverfassungsgericht hat das bisherige Gesetz zur sogenannten Triage für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz, das regeln sollte, wie Patienten bei Engpässen in Krankenhäusern ausgewählt werden dürfen, ist nichtig, weil die Richterinnen und Richter finden, dass dafür nicht der Bundesgesetzgeber, sondern die Länder zuständig sind. Das ist juristisch nachvollziehbar – und dennoch problematisch.
Am Ende des Beschlusses gibt es einen kurzen Hinweis, und der lässt aufhorchen: Da wird mit einem Satz darauf hingewiesen, dass sich die acht Richterinnen und Richter des ersten Senats nicht einig waren. Zwei von ihnen waren anderer Meinung, hätten anders entschieden. Das heißt, es ging zur Sache bei den Beratungen. Wer welche Position vertreten hat, ist nicht bekannt. Aber feststeht: Die Fragen, um die es hier ging, waren umstritten.
Bei Triage geht es nicht nur um Pandemien
Dass es im Beratungszimmer Konflikte gab, ist nachvollziehbar. Bei der Auswahl zwischen kranken Menschen, bei der Entscheidung, wer zuerst eine Behandlung bekommt und wer nicht, geht es ums Ganze. Es soll doch unbedingt verhindert werden, dass Leben gegen Leben steht. Für Ärztinnen und Ärzte eine wirklich schwere Aufgabe. Und – da hat das Bundesverfassungsgericht recht: Die Situation kann nicht nur in Zeiten von Pandemien entstehen.
Es kann auch dazu kommen, wenn es auf der Intensivstation einfach zu wenig Betten gibt und eine Verlegung von Patienten nicht möglich ist. Allerdings wirkt es erstmal sehr formal, wenn die Karlsruher Richterinnen und Richter sagen: Es geht hier nicht um die Bekämpfung einer Pandemie, also ist der Bundesgesetzgeber nicht zuständig.
Natürlich wünschen wir uns das grundsätzlich von Juristinnen und Juristen: Dass sie sehr genau die Verfassung lesen. Beim zweiten Nachdenken kommen dann aber doch Zweifel. Ist es wirklich ausgeschlossen, dass der Bund diese Fragen regelt? Gibt es nicht doch einen Sachzusammenhang mit Aufgaben, um die sich der Bund kümmern muss? Oder dass es kraft Natur der Sache eine Aufgabe des Gesamtstaates ist?
Interessant ist, dass es in der Vorgängerentscheidung von 2021 keinerlei Hinweise gab auf eine problematische Zuständigkeit. Da hieß es immer nur, „der Gesetzgeber“ müsse tätig werden. Damals war der Senat teilweise noch mit anderen Personen besetzt, und der ehrenwerte Fokus der Richterinnen und Richter lag allein darauf, Menschen mit Behinderungen, also eine grundsätzlich schwächere Patientengruppe zu schützen. Gut möglich, dass sie damals die Frage, welcher Gesetzgeber tätig werden soll, übersehen haben. Gut möglich aber auch, dass die Sicht der jetzigen Senatsmehrheit so zwingend nicht ist.
Es braucht bundeseinheitliche Regeln
Die Folgen der neuen Entscheidung sind jedenfalls unerfreulich. Jetzt wird es vermutlich seine Zeit brauchen, bis sich die Länder auf gemeinsame Regeln für die Krankenhäuser einigen – wenn diese Einigung überhaupt zustande kommt. Im schlechtesten Fall gibt es dann in Schleswig-Holstein andere Regeln als in Bayern für die sehr ernste Situation, dass einfach nicht alle Patienten in einem Krankenhaus behandelt werden können. Ärzte müssen umlernen, wieder andere Vorgaben beachten, falls sie sich im Bundesgebiet bewegen.
Und sicher kommt es zu neuerlichen Klagen, falls ein Bundesland aus Sicht der Ärzte zu strenge Vorgaben macht. Die Frage, was nach dem Gesetz erlaubt ist, wie solche brenzligen Auswahlentscheidungen zu treffen sind, bleibt auf jeden Fall für längere Zeit offen.
Wie gesagt: Es braucht keine Pandemie. Zu solchen unangenehmen Priorisierungsentscheidungen kann es schon jetzt kommen, wenn die Betten knapp werden. Und da fragt sich, ob das Verfassungsgericht nicht doch mutiger hätte sein können. Bei aller korrekten Juristerei – nachvollziehbar ist, wenn die Menschen im Land nach diesem Beschluss ratlos zurückbleiben. Die Verfassungsrichterinnen und -richter betonen, dass hier in die Berufsfreiheit der Ärzte sehr wohl eingegriffen wird. Aber dann bleibt eine Leerstelle.
Vielleicht konnten sich die acht einfach insgesamt nicht über die Grundsatzfragen einigen. Vielleicht war es der kleinste gemeinsame Nenner, das Gesetz aus formellen Gründen zu kippen. Dabei hätten wir so dringend eine Orientierung gebraucht für die Frage, wie im Ernstfall Ärzte über das Leben entscheiden.


















