Mittwoch, 24. April 2024

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Kommentar zu EU-Klimapolitik
Die Temperatur steigt, die Nervosität nimmt zu

Das EU-Parlament hat für strengere Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden gestimmt. Jetzt gehe es bei der EU-Klimapolitik an die Substanz, kommentiert Peter Kapern. Dabei bremse ausgerechnet Deutschland - und gefährde das Gesamtprojekt.

Ein Kommentar von Peter Kapern | 14.03.2023
Vor einem eingerüsteten älteren Mehrfamilienhaus stehen neue Fenster und Bauelemente für eine Wärmedämmung aufgereiht.
Die energetische Sanierung soll Teil der EU-Klimastrategie werden (picture alliance / Jochen Tack / Jochen Tack)
In der EU macht sich Endspielstimmung breit. Die Temperatur steigt, die Nervosität nimmt zu. Der Moment der Entscheidung naht. Es geht um das größte Transformationsprojekt, das jemals von einer Staatengemeinschaft auf die Schiene gesetzt wurde. Es geht darum, ob Europa bis 2050 klimaneutral wird. 2022 hat die EU "Fit for 55" auf den Weg gebracht, das größte Paket an Klimaschutzgesetzen aller Zeiten. Dutzende Einzelgesetze, die alle ein Ziel verfolgen: Bis 2030 sollen mindestens 55 Prozent aller CO2-Emissionen eingespart werden, als Zwischenziel auf der langen Strecke bis zur Klimaneutralität 2050.

Jetzt geht es beim Klimaschutz an die Substanz

Bei all den Einzelgesetzen, die da in Arbeit sind oder waren, kann man schon mal den Überblick verlieren. Bei einigen Regeln ging es darum, Geld zu mobilisieren, um soziale Härten im Kampf gegen den Klimawandel abzufedern. Bei anderen ging es darum, den Emissionshandel auszuweiten oder die europäischen Unternehmen vor schmutziger Konkurrenz zu schützen. Das alles geschah erstaunlich geräuschlos.
Richtlinien mit grotesken Namen wie LULUCF interessierten eben nur einen kleinen Teil der europäischen Öffentlichkeit, obwohl sie wichtig und weitreichend sind. Jetzt aber, ein Jahr vor Ende der laufenden Legislaturperiode, jetzt geht es an die Substanz. Meine Wohnung. Mein Haus. Mein Auto. Und plötzlich steht das Gesamtprojekt auf des Messers Schneide.
Es regt sich Widerstand gegen das Aus für den Verbrennungsmotor. Obwohl die Entscheidung längst getroffen war. Und ob der Gebäudebestand in der EU jemals klimaneutral umgebaut wird, wie es die Europaabgeordneten heute mehrheitlich entschieden haben, das steht in den Sternen. Beide Sektoren aber, der Verkehr und die Gebäude, sind von zentraler Bedeutung. In keinem anderen Sektor wird mehr CO2 produziert, in keinem anderen Sektor waren die bisherigen Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel so gering wie hier.

FDP und Union als destruktive Bremser europäischer Klimapolitik

Ob das Projekt "Fit for 55" zum Erfolg wird, das hängt vor allem von Deutschland ab. Viele andere Mitgliedstaaten orientieren sich an der stärksten europäischen Volkswirtschaft. Der Umfaller der FDP beim Verbrennungsmotor wirkte deshalb wie ein Dammbruch. Mittlerweile meldet ein Drittel der Mitgliedstaaten Änderungsbedarf an. Ausgang offen. Und beim Ziel, die Wohngebäude klimaneutral zu machen, deutet sich schon Ähnliches an.
FDP-Europaabgeordnete zogen heute in Straßburg vom Leder - gegen Regelungen, wie sie die Bundesregierung vor Monaten bereits ganz ähnlich für richtig befunden hat. Die Bundesregierung, an der die FDP beteiligt ist. Eine ums politische Überleben kämpfende FDP paralysiert die europäische Klimapolitik. Und was machen CDU und CSU? Ihre Europaabgeordneten werfen in Klimaschutzfragen der aus der eigenen Partei stammenden Kommissionspräsidentin jeden Knüppel zwischen die Beine, den sie greifen können. Deutsche Politik war schon mal konstruktiver auf europäischem Parkett. Erst recht so kurz vor so einem wichtigen Endspiel.
Porträt: Peter Kapern
Porträt: Peter Kapern
Peter Kapern, geboren 1962 in Hamm, Westfalen. Studium der Politikwissenschaften, der Philosophie und der Soziologie in Münster. Volontariat beim Deutschlandfunk. Moderator der Informationssendungen des Dlf, 2007 bis 2010 Leiter der Redaktion Innenpolitik, Korrespondent in Düsseldorf, Tel Aviv und Brüssel.