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Coronavirus
Bioinformatiker: Omikron führt zu hoher Inzidenz unter 20- bis 30-Jährigen

In Großbritannien sei zu sehen, dass die Omikron-Variante sich insbesondere unter jungen Leuten ausbreite, sagte der Bioinformatiker Moritz Gerstung im Dlf. Omikron werde auch in Deutschland bald dominant werden, man müsse daher über verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nachdenken.

Moritz Gerstung im Gespräch mit Lennart Pyritz | 17.12.2021
Kiezbesucher strömen über die Friedrich- und die Gerhardstrasse, die auf St.Pauli am Hans-Albers-Platz das Hans-Albers-Eck mit der gleichnamigen Kult-Kneipe bilden.
Junge Menschen hätten mehr Kontakte, gegen Delta hätten sie guten Schutz gehabt doch Omikron führe nun zu verstärkten Infektionen, sagte Moritz Gerstung im Interview (picture alliance/dpa/picture alliance)
Mehr als 78.000 Neuinfektionen an einem Tag: So viele wie noch nie im Verlauf der Pandemie wurden am 15.12.2021 in Großbritannien gemeldet. Die Omikron-Variante breitet sich dort rasant aus. Etwa alle zwei Tage verdoppeln sich die Fälle. Der Chefberater der britischen Regierung warnte, in den kommenden Tagen würden noch viele Rekorde gebrochen werden. Auch in Deutschland warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor der neuen Variante.
Der starke Anstieg des Anteils von Omikron an den Infektionen werde sich in Grobritannien fortsetzen, sagte der Bioinformatiker Moritz Gerstung im Deutschlandfunk. Gerstung hat am Wellcome Genome Campus in Großbritannien gearbeitet und dort auch die Evolution und Ausbreitung unterschiedlicher Sars-CoV-2-Varianten im Lauf der Pandemie erforscht. Während die Delta-Variante etwa drei Monate gebraucht habe, um zur dominanten Variante zu werden, sei bei Omikron nur mit einem Monat zu rechnen, sagte Gerstung. Es sei zudem zu erwarten, dass die Ausbreitung auch in Deutschland ähnlich verlaufen werde.

Gerstung: Über Intensivierung der Maßnahmen nachdenken.

Auffallend an der Ausbreitung von Omikron sei, dass insbesondere unter den 20- bis 30-Jährigen eine sehr hohe Inzidenz herrsche. "Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass diese Gruppen die höchsten sozialen Kontakte haben, aber bislang auch sehr gut durch ihre Impfung gegen die Delta-Variante geschützt waren." Man habe dort zuvor weniger Fälle als bei anderen Altersgruppen gesehen, und das scheine sich jetzt umzukehren.
Gegen Omikron müsse man die gleichen Maßnahmen ergreifen wie gegen die Delta-Variante, sagte Gerstung. Bereits geimpfte Personen sollten ihren Schutz zudem rechtzeitig auffrischen. Zum einen weil der Schutz im Zeitverlauf nachlasse, zum andere weil bei Omikron ein noch höherer Immunschutz erforderlich sei, um Ansteckungen zu verhindern. Neben der Impfung komme es weiter darauf an, Kontakte zu reduzieren oder bei Treffen durch Masken oder Lüften das Risiko eine Infektion zu senken. Da Omikron ansteckender sei als Delta müsse man über eine Intensivierung dieser Maßnahmen nachdenken.

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Das Interview im Wortlaut:

Lennart Pyritz: Wann wird Omikron in Großbritannien dominieren?
Moritz Gerstung: Die Datenmodellierungen sagen, dass bereits jetzt circa 50 Prozent der Fälle auf die Omikron-Variante zurückgehen und dass sich der starke Anstieg auch noch weiter fortsetzen wird, sodass man wirklich mit einer Mehrzahl der Fälle noch in wenigen Wochen rechnen muss.
Pyritz: Was kennzeichnet denn die aktuelle Ausbreitung der Omikron-Variante in Großbritannien, auch im Vergleich zur Ausbreitung der Delta-Variante, die Sie ja mit Forschungskolleginnen und -kollegen genau nachgezeichnet haben?
Gerstung: Was bei Omikron wirklich noch nie dagewesen ist, ist die rasante Ausbreitung. Sie ist circa drei- bis viermal schneller, als wir das bei Delta beobachtet haben. Bei Delta sahen wir eine Zunahme von ungefähr 10 Prozent am Tag, das ist nahezu 40 Prozent bei Omikron, und dadurch erwarten wir auch, dass sich Omikron wahrscheinlich innerhalb eines Monats zur dominanten Variante seit der ersten Detektierung ausbreiten wird. Bei Delta hat das Ganze ungefähr drei Monate gedauert.

Gerstung: Auffallend hohe Inzidenz unter den 20- bis 30-Jährigen bei Omikron

Pyritz: Welche Bevölkerungsgruppen sind denn derzeit besonders von Omikron-Infektionen betroffen, wie genau sind da die Daten aufgeschlüsselt in Großbritannien?
Gerstung: Wir sehen Omikron eigentlich in allen Bevölkerungsgruppen, was aber auffällt, ist, dass insbesondere unter den 20- bis 30-Jährigen eine sehr hohe Inzidenz herrscht. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass diese Gruppen die höchsten sozialen Kontakte haben, aber bislang auch sehr gut durch ihre Impfung gegen die Delta-Variante geschützt waren. Dort hat man tendenziell weniger Fälle als bei anderen Altersgruppen gesehen, und das scheint sich jetzt umzukehren.
Pyritz: Wird denn die Omikron-Welle die ja noch andauernde Delta-Welle eine Weile überlagern, wird es diese Wellen parallel geben oder erwarten Modellrechnungen, dass Omikron Delta dann doch relativ abrupt und schnell ablöst?
Gerstung: Das ist noch nicht ganz sicher. Aufgrund der starken Zunahme ist schon zu erwarten, dass die Omikron-Variante die absolute Mehrzahl der Fälle darstellen wird. Inwieweit das zu einem totalen Verschwinden der Delta-Variante führen wird, wissen wir noch nicht, das hängt so ein bisschen von der Kreuzimmunität ab. Allerdings wurden jetzt natürlich auch schon Maßnahmen getroffen wie das verschnellerte Boostern, aber natürlich auch Kontaktbeschränkungen, die auferlegt sind oder die die Leute dann auch selbst wahrnehmen, die dazu führen, dass die Delta-Variante wahrscheinlich zurückgehen wird.

Gerstung: Ähnliche Entwicklung für Deutschland zu erwarten

Pyritz: In Dänemark zeichnet sich ja ein ähnliches Bild ab bezüglich der Ausbreitung von Omikron, in Deutschland sind noch weniger Fälle bekannt. Was ist Ihre Erwartung als Bioinformatiker, wird sich diese Omikron-Entwicklung auch in anderen Ländern Europas, auch in Deutschland in naher Zukunft so abzeichnen wie in Großbritannien?
Gerstung: Ich denke, das ist zu erwarten. Was wir bei anderen Varianten gesehen haben, ist, dass die relative Ausbreitung eigentlich nach einem universellen Muster geschieht, also die Zunahme von Alpha gegenüber den damals vorherrschenden Varianten geschah in fast allen Ländern zeitversetzt, aber mit ähnlicher Rate. So ähnlich war es auch bei Delta. Von daher würden wir erwarten, dass jetzt auch die Omikron-Variante sich in anderen Ländern mit ähnlicher Geschwindigkeit, aber eben etwas zeitversetzt ausbreiten wird.
Pyritz: Wir haben jetzt viel über Erwartungen gesprochen – wie zuverlässig sind denn eigentlich Prognosen und Modellrechnungen zur Ausbreitung von Omikron bei der aktuellen Datenlage? Wie groß ist da noch die Unsicherheit?
Gerstung: Was sehr schwer und fast unmöglich vorherzusagen ist, ist, wie sich die absoluten Fallzahlen entwickeln, zumindest wenn man über einen Horizont von mehreren Monaten denkt. Was man aber sehr gut vorhersagen kann, ist der relative Anteil von Varianten, weil der letztlich nur von dem Virus selbst abhängt. Die Gesamtfallzahl hängt von vielen anderen Faktoren ab – von der Immunität, vom Verhalten der Leute, aber auch natürlich von Maßnahmen, die getroffen werden, um die Ausbreitung einzudämmen, weswegen da Prognosen schwierig sind. Aber vorherzusagen, wie hoch der Anteil an der Variante ist, das ist in der Vergangenheit bei allen besorgniserregenden Varianten eigentlich immer mit sehr guter Genauigkeit gelungen.
Pyritz: Um nachzuvollziehen, welchen Anteil eine Variante hat, da ist ja das engmaschige Sequenzieren von Virusproben, Erbgutproben ganz entscheidend. Welche Unterschiede gibt es da zwischen Großbritannien und Deutschland? Sie haben ja in Großbritannien auf dem Campus gearbeitet, wo auch ein Hauptteil der Sequenzierungen in Großbritannien durchgeführt wird.
Gerstung: In Großbritannien werden circa 15 bis 20 Prozent aller positiven Coronavirus-Fälle von meinen Kollegen am Wellcome Sanger Institute sequenziert, und diese Daten haben wir dann auch für unsere Forschungszwecke zeitnah ausgewertet. In Deutschland wird auch sequenziert, aber der Unterschied ist, dass das wesentlich zentraler in Großbritannien vonstatten geht, und diese Sequenzdaten, die dann sozusagen aus einer Hand und einem Guss kommen, werden dann mit einer Umlaufzeit von ungefähr sechs Tagen sequenziert und analysiert und dann auch den Gesundheitsbehörden und kurz danach dann auch in internationale Datenbanken eingespeichert.
In Deutschland ist das wesentlich dezentraler nach meiner Kenntnis. Dort findet das meiste Testen in privaten Laboren statt, die auch viel sequenzieren, aber deswegen ist ja das schwieriger zu sagen, mit welcher Geschwindigkeit das tatsächlich passiert. Aber es gibt dann natürlich auch Fragen, was die einzelne Datenqualität und auch die Annotation, also Herkunft der Proben angeht, was die Analyse etwas erschwert.

"Die Maßnahmen gegen Omikron sind im Wesentlichen die gleichen wie auch gegen vorherige Varianten"

Pyritz: Sie haben die Gegenmaßnahmen eben schon kurz erwähnt. Boris Johnson setzt in Großbritannien jetzt stark auf das Boostern, um die Omikron-Welle einzudämmen, welche anderen Maßnahmen sind aus Ihrer Perspektive als Bioinformatiker entscheidend in Großbritannien, aber dann vielleicht auch mit etwas mehr Blick in die Zukunft auch in Deutschland, um die Omikron-Welle zumindest zu verlangsamen und abzuschwächen?
Gerstung: Die Maßnahmen gegen Omikron sind im Wesentlichen die gleichen wie auch gegen vorherige Varianten. Man muss Ansteckung verhindern, und das geschieht am besten durch Impfung. Hier wird dann aufgrund einerseits des zeitlichen Verlaufs das Boostern natürlich enorm wichtig, weil bei denjenigen, die im Sommer ihre Erst- und Zweitimpfung hatten, hat wahrscheinlich jetzt der Impfschutz schon nachgelassen. Zusätzlich kommt noch dazu, dass aufgrund des veränderten genetischen Profils Omikron auch den Immunschutz zumindest teilweise umgehen kann, weswegen ein noch höherer Immunschutz erforderlich ist, um Ansteckungen zu verhindern.
Dazu kommt dann natürlich noch die Maßnahme der Kontaktreduzierung, dass man einfach nicht mit so vielen Menschen in Kontakt kommt, die möglicherweise ansteckend sind. Das können entweder weniger sein oder aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen geändert sein, dass man sich zum Beispiel draußen anstatt drinnen trifft, Masken trägt oder lüftet. Und ich denke, dort muss man dann natürlich noch über eine Intensivierung dieser Maßnahmen nachdenken angesichts dieser ansteckenderen Variante.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.