Montag, 06. Mai 2024

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Neue Studie zum Klimawandel
Etwa die Hälfte der Gletscher wird verschwinden - mindestens

Der Klimawandel setzt auch den Gletschern in den Gebirgen zu. Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass selbst beim Erreichen des 1,5 Grad Ziels etwa die Hälfte der Gletscher verschwinden. Das hat auch Auswirkungen auf den Meeresspiegel.

Von Dagmar Röhrlich | 06.01.2023
Zeichen des Klimawandels: Ein sich zurückziehender Gletscher
Zeichen des Klimawandels: Ein sich zurückziehender Gletscher (Jordan Sanchez / unsplash.com)
Weltweit gibt es in den Hochgebirgen mehr als 215.000 Gletscher – jedenfalls derzeit. Aber sie schwinden mehr und mehr dahin: Schon heute sind viele nur noch das, was man bei Menschen als „Schatten seiner selbst sein“ bezeichnen würde. Bislang war aber nur schwer abzuschätzen, wie es Ende des Jahrhunderts um die Gebirgsgletscher bestellt sein wird. Das erklärt David Rounce, Umweltingenieur und Gletscherforscher an der Carnegie-Mellon-University in Pittsburgh: „In den vergangenen fünf Jahren gab es eine Revolution bei den Daten, die wir brauchen, um Veränderungen zu beobachten. So konnte jetzt aufgrund von Satellitendaten für jeden einzelnen Gletscher weltweit die Veränderung in der Masse berechnet werden. Anders als früher, als wir das noch mit regionalen Daten und weniger Vor-Ort-Messungen hochrechnen mussten, können wir nun jeden einzelnen Gletscher modellieren.“

Welcher Temperaturanstieg hat welche Folgen?

Auch die Physik hinter der Gletscherdynamik wird in der neuen Modellierung besser erfasst. Unter anderem, wie steigende Temperaturen das Fließen eines Gletschers beeinflussen oder wie sich die Bedeckung mit Schutt auf die Schmelzraten auswirkt, und, ob die Schicht dick genug ist, um zu isolieren, oder ob sie im Gegenteil das Abschmelzen noch verstärkt.
Besucher fotografieren am 09.04.2015 die von der untergehenden Sonne angeleuchteten Spitzen der "Tre Kroner" am Kongsfjord-Gletscher in Ny-Ålesund auf Spitzbergen (Norwegen).
Noch ist der Blick auf viele Gletscher spektakulär - hier der Kongsfjord-Gletscher in Norwegen. (dpa / picture-alliance/Jens Büttner)
David Rounce: „Unser Modell konzentriert sich auf die Vorhersage der Gletscherentwicklung für verschiedene Szenarien des Klimawandels, vor allem auf verschiedene Temperaturanstiege im Vergleich zu vorindustriellen Werten.“ Das wohl wichtigste Ergebnis der komplexen Simulationen: Ein massiver Eisverlust bei den Gebirgsgletschern lässt sich nicht mehr verhindern – und doch lässt sich das Ausmaß sehr wohl beeinflussen.

Massiver Schwund selbst bei Einhalten der Paris-Ziele

„Wenn wir das Ziel des Pariser Abkommens von anderthalb Grad erreichen, werden die Gletscher schätzungsweise 26 Prozent ihrer Masse verlieren. Bei vier Grad wären es etwa 40 Prozent.“ Die Zahlen, die Rounce hier nennt, sind die Änderungen in der Masse. Bei der Anzahl der Gletscher zeigt sich der Einfluss unseres Verhaltens noch deutlicher: Etwa die Hälfte der Gletscher könnte verschwinden, wenn die Temperatur um anderthalb Grad steigt, bei vier Grad wären es mehr als 80 Prozent.
Noch einmal US-Umweltingenieur Rounce: „Der Grund für diesen Unterschied ist, dass die meisten Gletscher, die verloren gehen, kleiner sind. Von den 215.000 Gletschern sind die meisten kleiner als ein Quadratkilometer. Sie sind einfach zu klein, um in diesen zukünftigen Klimazonen zu überleben.“

Schmelzwasser lässt Meeresspiegel steigen

Das wird in vielen Gebieten Folgen für die Wasserversorgung haben. Das Schmelzwasser vieler Gletscher ist im Spätsommer und in Dürreperioden wichtig für die Versorgung von vielen Millionen Menschen. Außerdem trägt das Abschmelzen der Eismassen in den Hochgebirgen zum Meeresspiegelanstieg bei - ebenso wie das des Inlandeises in Grönland und der Antarktis, das nicht Teil der Betrachtungen war.
„Auf Basis der Zusagen der UN-Klimakonferenz in Glasgow schätzen wir, dass die Hochgebirgsgletscher einen Beitrag von etwa 115 Millimetern leisten werden.“ Und bei vier Grad könnten es sogar 154 Millimeter sein. Die neuen Simulationen legen für alle Szenarien nahe, dass die Masseverluste – und damit auch der dadurch verursachte Meeresspiegelanstieg – größer sein dürften als es bisherige Berechnungen voraussagen. In einzelnen Regionen wie den südlichen Anden oder Alaska beträgt die Differenz sogar bis zu 23 Prozent.