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Kommentar zu Sport als Sinnbild
Deutschland ist nur noch Mittelmaß

Nicht nur im Fußball klaffen Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland mittlerweile weit auseinander, kommentiert Jonas Reese. Damit sich das wieder ändert, müssten alle Bedenkenträger und Schönfärber aufhören, in alten Zeiten zu schwelgen.

Ein Kommentar von Jonas Reese |
Symbolbild Fußball. Ein Spielball ist platt, ohne Luft. Fussballschuhe liegen auf einem schlechten Rasen mit Maulwurfshügeln
Die Ambitionen sind hoch, die Realität ist aber oft recht trist (imago / Sportfoto Zink / Wolfgang Zink)
Das Schöne am Sport ist: Er kann Geschichten schreiben. Heldengeschichten. Triumph oder Tragödie.
Wie das Ausscheiden der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft mal einzuordnen ist, bleibt abzuwarten. Klar ist aber: Als Titelkandidat ist das deutsche Team in das Turnier gegangen. Und nach nur einem Sieg bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander. Ein Phänomen, das mittlerweile das Prädikat „typisch deutsch“ verdient.
Nicht nur die deutschen Fußball-Nationalmannschaften sorgen regelmäßig für enttäuschte Erwartungen. Nein, enttäuschte Erwartungen prägen hierzulande mittlerweile das tägliche Leben.
Eine Bildungsrepublik wollte Deutschland sein. Alle Studien über die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler beweisen aber seit Jahren das Gegenteil. In der Kinderbetreuung sind Kita-Plätze Mangelware. Bei der Ganztagsbetreuung an Schulen ist es ähnlich. Der Stand der Digitalisierung ähnelt dem eines Entwicklungslandes. Die Wirtschaft steckt in der Rezession und schrumpft.
Auch der Titel „Export-Weltmeister“ ist abhandengekommen. Bei den Klimazielen hinken wir auch dieses Jahr wieder hinterher. Die Mobilitätswende ist eine einzige Riesenbaustelle. Und Wohnraum in Großstädten langsam nur noch was für Superreiche. Ein Einwanderungsland muss und will die Bundesrepublik werden, eine fremdenfeindliche Partei stürmt aber von Umfragehoch zu Umfragehoch.
Die Mängelliste ist also lang. Wunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander. Und dennoch treten nicht nur die Fußball-Nationalmannschaften oft so auf, als wäre Deutschland noch amtierender Weltmeister. Wir erklären anderen, wie sie ihre Klimaziele einhalten sollen und was sie alles können müssen, damit ihre Zeugnisse anerkannt werden und sie hier in ihrem Beruf arbeiten dürfen.
Der erste Schritt zu neuen Erfolgen ist die Einsicht: In vielen Bereichen ist Deutschland nur noch Mittelmaß und steht hinter den eigenen Erwartungen zurück. Da hilft es nicht, sich mit alten Titeln zu schmücken und mit dem Stolz eines ehemaligen Weltmeisters aufs Spielfeld zu gehen.
Der zweite Schritt ist, sich realistische Ziele zu setzen. Es ist ja nicht falsch, ambitioniert zu sein. Im Fußball wie im echten Leben. Natürlich soll eine Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft antreten, um den Titel zu holen. Aber vielleicht ist es ja auch etwas überzogen, daran festzuhalten, wenn man, wie geschehen, im Vorfeld des Turniers gegen Sambia verliert. Vielleicht blockiert und verunsichert so eine Anspruchshaltung dann auch, wenn es mal nicht läuft, wie im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea.

Für neue Erfolge muss Deutschland ehrgeiziger sein

Zu hohe Erwartungen und zu viel Druck können lähmen. Nicht nur im Fußball. Das Abschneiden der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft kann als Metapher gelten: Für neue gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische Erfolge muss Deutschland ehrgeiziger sein, härter trainieren und braucht Unterstützung von außen.
Wenn unser Lebensstandard und Wohlstand erhalten bleiben sollen, dann müssen alle Bedenkenträger, Rückwärtsgewandten und Schönfärber aufhören, in alten Zeiten zu schwelgen. Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, heißt das: In der Vorrunde ausscheiden.