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Verräterische Formen
Wie Forschende Alzheimer im Blut erkennen wollen

Alzheimer erkennen, schon lange bevor Symptomen ausbrechen - einfache Bluttests sollen das ermöglichen. Besonders das Eiweiß Amyloid gilt als vielversprechender Marker. Doch nicht seine Konzentration im Blut dürfte entscheidend sein. Aussagekräftig ist wohl eher die Form der Moleküle.

Von Lukas Kohlenbach | 25.07.2022
Illustration: Nervenzellen bei Alzheimer mit den Amyloid-Ablagerungen
Die für die Alzheimer-Krankheit typischen Amyloid-Ablagerungen hinterlassen typische Spuren im Blut (imago/Science Photo Library/Sebastian Kaulitzki)
Die Entwicklung blutbasierter Diagnoseverfahren für Alzheimer hat zuletzt große Fortschritte gemacht. Besonders nach Spuren, die das Eiweiß Amyloid-ß im Blut der Patienten hinterlässt, haben Wissenschaftler gesucht. Denn dieses Eiweiß lagert sich bei Alzheimer-Patienten im Gehirn zu größeren Plaques zusammen. Viele Forschende sehen darin eine Ursache für die Gedächtnisstörungen.

André Fischer forscht am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Göttingen an Früherkennungsmethoden für die Alzheimer-Erkrankung." In das Nervenwasser gelangen eigentlich auch bei gesunden Menschen immer ein paar Bruchstücke des Amyloid-Eiweißes", erklärt er.
Wenn das Eiweiß sich jedoch bei Alzheimer-Patienten zu Plaques zusammenlagert, schwimmt nicht mehr so viel davon im sogenannten Liquor: „Das heißt, die Konzentration nimmt da ab. Und nun ist das so, dass das Gehirn und dieses Nervenwasser, was da halt vorliegt, auch über bestimmte Systeme letztendlich mit dem Blutkreislauf verbunden ist und dass man die halt auch im Blut findet, diese Amyloid-Peptide.“

Ziel: Alzheimer erkennen lange vor Beginn der Symptome

Ein Test, der die abnehmende Konzentration des Amyloid-ß-Proteins im Blut – und damit eine beginnende Alzheimer-Erkrankung - nachweisen soll, ist inzwischen in den USA für rund 500 Dollar erhältlich. Er kann bei Menschen, die bereits erste Anzeichen für Gedächtnisstörungen zeigen, mit recht hoher Genauigkeit sagen, ob es sich wirklich um eine Alzheimer-Demenz handelt. In der EU wird dieser Test bislang nur in Studien eingesetzt.

Doch Forschende möchten die Krankheit noch viel früher erkennen. Denn inzwischen sind sich Wissenschaftler einig: Die Krankheitsprozesse, die zu dem Gedächtnisverlust führen, beginnen schon lange vor den ersten sichtbaren Symptomen – und lange, bevor die Amyloid-Konzentration im Blut messbar abnimmt. Mindestens zehn bis 20 Jahre, wenn nicht noch früher.

Zerknüllte Eiweißmoleküle als Alarmsignal

Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität-Bochum arbeitet deshalb an einem Bluttest, der es möglich machen soll, nicht nur die Konzentration des Amyloid-ß-Proteins zu messen, sondern seine Struktur zu erkennen. Denn die ist für den Krankheitsverlauf von Alzheimer-Patienten entscheidend.
André Fischer erklärt das Prinzip seiner Kollegen: "Stellen Sie sich vor ein Blatt Papier zum Beispiel, wenn ich mir ein Blatt Papier anschaue und ich möchte das in einer Kiste stapeln und das ist ganz glatt, dann passt da viel mehr rein in mein Kästchen, das ich herumtrage, als wenn ich jetzt das Papier zerknülle."

Die Amyloid-Eiweiße werden bei dem Bochumer Bluttest herausgefischt und dann mithilfe eines Infrarot-Strahls auf ihre Struktur hin untersucht. Liegen mehr Eiweiße in einer sozusagen "zerknüllten Form" vor, ist das ein Hinweis darauf, dass die Fehlfaltung begonnen hat. Und der Patient in wenigen Jahren die Alzheimer-Demenz entwickeln wird.

In ersten Studien konnte der Bluttest bis zu 17 Jahre vor Ausbruch von Symptomen Alzheimer-Patienten recht sicher identifizieren. Ärzte hatten die Menschen, von denen die Blutproben für die Studien stammten, lange Zeit beobachtet und notiert, ob sie später an Alzheimer erkrankten oder nicht.

Vom Forschungslabor in die Klinik

Klaus Gerwert leitet das Forschungsteam, das das Testverfahren entwickelt hat. Für ihn ist die experimentelle Phase im eigenen Labor langsam abgeschlossen: „Unser Hauptziel besteht jetzt darin, dass wir versuchen wollen, diesen Test für die Allgemeinheit zugänglich zu machen.“

Dafür hat das Team ein Start-Up gegründet, das die Entwicklung eines einfach zu handhabenden Messgerätes vorantreibt. Im Laufe des nächsten Jahres könnte das Unternehmen die ersten Geräte an Forschungslabore ausliefern. Forschende können sie dann im Rahmen von Studien einsetzen. Die Marktzulassung für die allgemeine Patientenversorgung erwartet Klaus Gerwert in circa drei Jahren.

Ob sich der Bochumer Bluttest in der breiteren Anwendung bewährt, muss sich dann noch zeigen. Noch einmal der Göttinger Alzheimer-Forscher André Fischer: "Wir haben immer das Problem, dass diese Verlaufsstudien über lange Jahre, dass das halt immer sehr kleine Fallzahlen sind, denn der Teufel steckt im Detail und wir haben oft gesehen, gerade bei dieser Art der Forschung, dass man dann zunächst einmal positive Ergebnisse sieht. Wenn man das in einer größeren Kohorte hat, wenn man auf einmal nicht nur 100 oder 20, sondern 1000 hat, dann ist der Effekt mitunter vielleicht nicht mehr da. Aber es ist sehr vielversprechend. Und es wird sich jetzt sicherlich in den größeren Studien, die jetzt folgen, zeigen, ob das ein zielführender Ansatz ist.“

Kombination verschiedener Tests

Auch André Fischer arbeitet mit seinem Team an Früherkennungsmethoden für die Alzheimer-Erkrankung. Sie setzen bei ihrer Forschung auf Moleküle, die die Herstellung bestimmter Eiweiße regulieren, die bei Alzheimer zunehmen, sogenannte microRNAs. Ganz so weit wie die Bochumer Kollegen sind die Göttinger Wissenschaftler mit ihrem Testverfahren noch nicht. Doch der Forscher ist überzeugt, dass es ganz verschiedene Alzheimer-Früherkennungstests braucht: Möglicherweise bestehe die Alzheimer-Erkrankung auch aus verschiedenen Subtypen. Für eine personalisierte Medizin könnte es eines Tages wichtig sein, mithilfe unterschiedlicher Testverfahren diese Subtypen auseinanderhalten zu können.

André Fischer: „Das ist komplementär. Das heißt, wir versuchen einfach andere Aspekte des Alzheimer-Risikos abzudecken. Und sicherlich ist es am zielführendsten, später eine Kombination aus diesen Essays anzubieten.“