Sonntag, 14. April 2024

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Kommentar: Zehn Jahre AfD
Die themenflexible Dagegenpartei hat sich festgesetzt

Der AfD geht es nicht um Lösungen für politische Probleme, sondern um die Delegitimierung des demokratischen Systems, kommentiert Nadine Lindner. Die Ampelparteien sollten ihre Politik besser vermitteln, nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland.

Ein Kommentar von Nadine Lindner | 04.02.2023
Tino Chrupalla (vorne l), AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, und Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, nehmen hinter Bernd Baumann (M, AfD) an der Sitzung des Bundestags. Thema ist die 2./3. Lesung des Chancen-Aufenthaltsrechts und die Beschleunigung von Asylverfahren.
AfD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag: Tino Chrupalla (vorne l), AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, und Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, hinter Bernd Baumann (M, AfD) (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Die AfD wird zehn und ist mittlerweile fester Bestandteil des Parteiensystems. Oder anders ausgedrückt: Die AfD hat sich etabliert. Vorhersagen, wonach sie, wie viele andere Parteien rechts der Union in der Vergangenheit, nach kurzem Erfolg in die politische Bedeutungslosigkeit fallen würde, haben sich schlicht als falsch herausgestellt.
Im Gegenteil, sie hat eine Stammwählerschaft von etwa zehn Prozent bundesweit, im Osten deutlich mehr als im Westen, die sich weder von der Beobachtung durch den Verfassungsschutz, noch durch Parteispenden-Skandale oder innerparteiliche Schlammschlachten abschrecken lässt.

Statt Probleme zu lösen will die AfD die Gesellschaft spalten

Inhaltlich hat sie sich von einer Partei der Euro-Kritik zu einer themenflexiblen Dagegen-Partei mit fester rechter Schlagseite entwickelt. Bei allen Großkrisen dieser Tage, Corona, Inflation, Energiepreise, Ukrainekrieg setzt sie darauf, die Verunsicherung in der Bevölkerung in Wut und Ablehnung des demokratischen Systems und dessen Repräsentanten zu verwandeln. Die AfD folgt dabei einer klaren Strategie.
Götz Kubitschek, neurechter Publizist und nah dran an der Partei, hat es vor Jahren einmal so formuliert: Er spekuliere darauf, dass sich die Spaltung der Gesellschaft vertiefe, um Raum für die eigenen radikalen Ideen zu schaffen. Es geht also nicht darum, die Probleme in Teils provokantem Tonfall zu benennen, um sie zu lösen, sondern darum, das System zu delegitimieren.
Teile der AfD-Gründergeneration räumen mittlerweile ein, dass man damals nicht genau genug hingeschaut habe, wer da eigentlich in die Partei strebt und rechtsradikale Ansichten mitbringt. Diese Erkenntnis kommt zu spät. Kräfte wie Björn Höcke in Thüringen oder auch Hans-Thomas Tillschneider in Sachsen-Anhalt treiben längst ihren völkischen, dezidiert russlandfreundlichen Kurs voran.

AfD setzt auf die Übermüdung der demokratischen Parteien

Was ist in Zukunft von der AfD zu erwarten? Parteichefin Alice Weidel will eine Regierungsbeteiligung. 2024 in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg.
Auch hier geht es um Strategie: Die AfD versucht nach vielen Oppositionsjahren eine Machterringungsoption ins Schaufenster stellen, um Wähler bei der Stange zu halten. Hinzu kommt, dass die AfD mit diesen Überlegungen auch bei anderen Unruhe stiften kann, mit dem Hinweis, dass sich die CDU nicht ewig verweigern könne.
Die AfD spekuliert auf einen Ermüdungsbruch der demokratischen Kräfte. Ein solcher Bruch entsteht medizinisch, wenn es eine wiederkehrende Belastung gibt. Und auch in der Politik und Gesellschaft ist die Ermüdung mit Händen zu greifen. Drei Jahre Pandemie und ihre Politisierung wirken nach.
Die AfD formuliert es erstaunlich klar, sie setzt darauf, dass die CDU und ihre Brandmauer nach rechts irgendwann umfallen. Die Landesverbände der CDU in Erfurt und Dresden agieren hier zwiespältig. Zwar sagen ihre Parteichefs Mario Voigt und Michael Kretschmer, dass sie Koalitionen mit der AfD ablehnen. Auf der anderen Seite verhelfen sie der AfD zu Einfluss und Geltung, wenn sie wie in Thüringen diese Woche wieder gemeinsam mit der AfD abstimmen, bei einem Gesetz über Spielhallen. Oder wenn CDUler wie im Kreistag von Bautzen für einen AfD-Antrag stimmen.

Polarisierendes Denken der AfD mittlerweile tief verankert

Was ist jetzt zu tun? Es geht dringend darum, Gegenstandpunkte zu formulieren, der spalterischen Rhetorik etwas entgegen zu setzen. Parteien, Zivilgesellschaft müssen sowohl Problemlösungen als auch ein anderes Gesellschaftsbild aufzeigen. Denn das polarisierende Denken der AfD ist mittlerweile tief verankert. Ziel sollten dabei nicht die Hardliner sein, sondern die Verunsicherten und Zweifler.
Die Ampelregierung muss dringend größere Anstrengungen unternehmen, ihre Entscheidungen und die Konsequenzen daraus zu erklären. Allein bei den Themen Waffenlieferungen, Energiepreise, Kohleausstieg und Flüchtlingsunterbringung ist der Diskussionsbedarf groß, nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland.

Vertretung der Ampelparteien in ostdeutschen Ländern ist schwach

Dabei müssen sich die Ampelparteien auch vor Augen führen wie schwach ihre Vertretung teils in den ostdeutschen Ländern ist. Ein Blick auf die Zusammensetzung beispielsweise des Kreistags Görlitz zeigt, die AfD ist hier mit Abstand stärkste Kraft, Grüne, FDP und SPD sind marginalisiert. Die Ampel muss verhindern, dass hier ein kompletter Kommunikationsabriss stattfindet. Denn die AfD als gesellschaftliche und politische Herausforderung wird absehbar bleiben.
Nadine Lindner, Deutschlandradio Hauptstadtstudio, Juli 2019
Nadine Lindner, Deutschlandradio Hauptstadtstudio, Juli 2019
Nadine Lindner, Jahrgang 1980, studierte Politikwissenschaft, Afrikanistik und Journalistik in Leipzig und Lissabon. Nach Stationen beim Ausbildungssender der Universität Leipzig mephisto 97.6, der "FAZ" und dem MDR folgte ein Volontariat beim Deutschlandradio. Von 2013 bis 2015 war sie Landeskorrespondentin im Studio Sachsen. Heute arbeitet sie als freie Korrespondentin im Hauptstadtstudio und ist für die AfD sowie für die Verkehrspolitik zuständig.