Freitag, 03. Mai 2024

Kommentar zur EKD
Weg frei gemacht für konsequente Aufarbeitung

Ein Fall sexualisierter Gewalt führte zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus. Das sei der richtige Schritt, auch wenn Kurschus‘ Wirken der evangelischen Kirche zuletzt gutgetan habe, kommentiert Anne Françoise Weber.

Von Anne Françoise Weber | 20.11.2023
    EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus spricht bei einer persönlichen Erklärung zum Vorwurf von sexuell übergriffigem Verhalten eines früheren Kirchenmitarbeiters.
    Was hat Annette Kurschus gewusst? Ein Fall von sexuell übergriffigem Verhalten in ihrem ehemaligen Kirchenkreis Siegen ging dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden voraus. (picture alliance / dpa / Christoph Reichwein)
    Wir müssen es den Ermittlungsbehörden überlassen, herauszufinden, wie viel Annette Kurschus hätte wissen müssen. Sexualisierte Gewalt in mehreren Fällen wird einem mittlerweile verrenteten kirchlichen Mitarbeiter in ihrem früheren Kirchenkreis Siegen vorgeworfen.

    Informationen nur scheibchenweise

    Zwei Männer haben in eidesstattlichen Aussagen beteuert, die damalige Pfarrerin in den 90er-Jahren mündlich darüber informiert zu haben. Kurschus will dagegen bis zu einer anonymen Anzeige im Frühjahr nur von homosexuellen Neigungen und ehelicher Untreue des Mannes gewusst haben. Damals sollen noch weitere Personen an diesem Gespräch mit ihr teilgenommen haben. Bleibt zu hoffen, dass da noch mehr Informationen ans Licht kommen.
    Was wir heute beurteilen können, ist die öffentliche Kommunikation der EKD-Ratsvorsitzenden bis zu ihrem Rücktritt. Nur scheibchenweise hatte sie bei der Tagung der EKD-Synode in Ulm zugegeben, mit dem mutmaßlichen Täter näher bekannt zu sein – zur Begründung verwies sie auf die noch laufenden Ermittlungen.
    Bei ihrer Rücktrittserklärung nannte sie noch einen anderen Grund: der Schutz von Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten und seiner Familie. Mit der war sie lange befreundet.

    Rücktritt ist richtige Konsequenz

    Doch diesen Schutz, der durch die weitere Geheimhaltung von Namen und Funktion des Beschuldigten ja durchaus gewahrt bleibt, hatte Kurschus höher gestellt als die Transparenz, der eine EKD-Ratsvorsitzende verpflichtet ist. Gerade beim Thema sexualisierte Gewalt, das sie bei ihrem Amtsantritt zur Chefinnensache erklärt hatte. Und gerade jetzt, wo sich die evangelische Kirche dieses Themas endlich mit sichtbarem Fortschritt annimmt. Deswegen war der Rücktritt die richtige Konsequenz – zumal Betroffene gewarnt hatten, ihr Verbleib im Amt könnte das bisher Erreichte beschädigen.
    Bedauerlich ist der Rücktritt, weil Kurschus der evangelischen Kirche aktuell gutgetan hatte. Ihr Auftritt bei der Großveranstaltung gegen Antisemitismus am Brandenburger Tor hatte Gewicht, ihre Stellungnahmen zum Nahostkonflikt und zur Aufnahme von Geflüchteten waren bei der Synode auf überwiegend positives Echo gestoßen. Aber natürlich sehen das nicht alle in der bunten evangelischen Welt so – manchen war Kurschus als EKD-Ratsvorsitzende zu politisch und zu liberal, anderen zu profillos.

    Beide Kirchen sind nicht weit auseinander

    Erstaunlich wenig Rückhalt aus den vordersten Reihen der EKD erhielt Kurschus, als die Affäre hochkochte. Man versteckte sich eher hinter der Kritik der Betroffenen aus dem Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt. Sollten Kurschus‘ Gegner und Gegnerinnen diesen Fall genutzt haben, um ihren Rücktritt voranzutreiben, wäre das überaus schäbig – denn einmal mehr eine Instrumentalisierung von Betroffenen.
    Davon gab es schon viel zu viel, auf evangelischer wie auf katholischer Seite. Neue Studien zeigen, dass die beiden großen Kirchen beim Thema sexualisierte Gewalt nicht so weit auseinanderliegen wie lange gedacht. Gut, dass Kurschus mit ihrem Rücktritt den Weg frei macht für eine konsequentere Aufarbeitung.