Montag, 20. Mai 2024

EU-Stabilitätspakt
Das Ende der Sanktionsguillotine

Ein Brüsseler Kompromiss im besten Sinne reformiert den Stabilitätspakt für die EU-Staaten. Die D-Mark-Nostalgiker müssen endlich verstehen, dass der Pakt kein Instrument zur Bestrafung von Regierungen ist. Ein Kommentar von Peter Kapern.

Ein Kommentar von Peter Kapern | 21.12.2023
Silberne und kupferfarbene Euro-Münzen liegen auf- und nebeneinander.
Für EU-Staaten mit (zu) hoher Verschuldung entspannt sich die Kassenlage, weil der Stabilitätspakt reformiert wird. (picture alliance / Zoonar / stockfotos-mg)
Das war ein starkes Stück politischer Arbeit. Zwei Jahre hat es gedauert, die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hinzubekommen. Und das, obwohl von Anfang an Einigkeit darüber herrschte, dass der Pakt in seiner bisherigen Form völlig untauglich war.
Allein die Zahl der Verstöße gegen die zentralen Kriterien dieses Regelwerkes – drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts beim jährlichen Defizit, 60 Prozent bei der Gesamtverschuldung – zeigt schon, dass der bisherige Pakt versagt hat. Und nein, das lag nicht nur am angeblichen Unwillen der EU-Kommission, hart genug durchzugreifen, und auch nicht nur an der Unverfrorenheit der großen Mitgliedstaaten, sich über die Regeln nonchalant hinwegzusetzen.
Der Stabilitätspakt hat Konstruktionsfehler, er wirkt krisenverstärkend und bürdet bei strikter Auslegung hochverschuldeten Staaten ein so hohes Konsolidierungstempo auf, dass sie unweigerlich im ökonomischen Chaos landen würden. Das wollte natürlich kein Mitgliedstaat, kein EU-Kommissar riskieren, weshalb die Regeln des Paktes im stillen Einvernehmen aller immer wieder überdehnt wurden. Kurzum: Der bisherige Stabilitätspakt war genau so, wie ihn Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire immer wieder bezeichnet hat: obsolet.

Mehr Zeit, um Schuldenberge abzutragen

Jetzt also ein Neustart. Die verabredete Reform gibt den hochverschuldeten Ländern mehr Zeit, ihren Schuldenberg abzutragen, mehr Zeit, ihre Defizite zurückzuführen. Darauf hatten die südlichen EU-Länder bestanden. Gleichzeitig sind aber – nicht zuletzt auf Drängen Deutschlands – für beide Bereiche, Defizit und Gesamtverschuldung, verbindliche Mindestnormen für deren Reduktion vereinbart worden. So soll durch kontinuierlich abschmelzende Schuldenberge das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro gewahrt bleiben.
Ein typischer Brüsseler Kompromiss im allerbesten Sinne, weil er es schafft, weit auseinanderliegende Pole zusammenzubringen. Er schafft die Voraussetzungen, dass der Stabilitätspakt in den nächsten Jahren tatsächlich angewendet und eingehalten werden kann.

Was D-Mark-Nostalgiker nicht begreifen

Eines aber wird auch diese Reform nicht hinbekommen: Sie wird die Diskussion darüber, welche Stabilitätsregeln die richtigen sind, nicht ein für alle Mal beenden. Bei vielen D-Mark-Nostalgikern herrscht noch immer die Überzeugung vor, der Stabilitätspakt solle ein unantastbares technokratisches Instrument sein, ausgestattet mit einer automatisch auslösenden Sanktionsguillotine, die jede abtrünnige Regierung abstraft.
Eine erstaunlich unpolitische Vorstellung. Denn das Verhältnis von finanziellen Spielräumen der Mitgliedstaaten einerseits und gemeinsamen Stabilitätskriterien andererseits wird immer wieder neu diskutiert werden, wenn besondere Zeiten besondere Herausforderungen mit sich bringen. Jedenfalls so lange, bis die EU selbst über ein ausreichendes Budget verfügt, um Europa sicher durch unbekannte Gewässer steuern zu können.