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Kommentar zu Nancy Faeser
Wenn sie klug spielt, kann sie die Hessen-Wahl gewinnen

Die Chancen der Sozialdemokratin Nancy Faeser, Hessens erste Ministerpräsidentin zu werden, stehen nicht schlecht, kommentiert Ludger Fittkau. Doch vorher müsse die Bundesinnenministerin eine große Bewährungsprobe bestehen.

Ein Kommentar von Ludger Fittkau | 03.02.2023
Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat für ihre Kandidatur in Hessen auch die Rückendeckung von Bundeskanzler und Parteigenosse Olaf Scholz (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Nancy Faeser will die erste hessische Ministerpräsidentin werden. Und in der Tat: Ihre Chancen sind nicht schlecht. Zwar lag die hessische SPD bei der letzten Meinungsumfrage im vergangenen Oktober noch fünf Prozentpunkte hinter der CDU im Land. Doch seitdem ist die Bundesinnenministerin immer bekannter geworden.
Ihren hessischen Mitbewerbern von CDU und den Grünen, Boris Rhein und Tarek Al-Wazir, fehlt hingegen die große bundespolitische Bühne, die Faeser nahezu tagtäglich hat und nun auch bis zum Wahltag am 8. Oktober weiterhin haben wird.

Die Mammutaufgabe der Bundesinnenministerin

Nur: Nancy Faeser hat in den nächsten Monaten als Bundesinnenministerin eine Mammutaufgabe zu lösen, an der sie nicht scheitern darf. Es geht um die Unterbringung von Geflüchteten in den Kommunen und die Steuerung der Migration insgesamt, bei der Faeser eine zentrale Rolle einnehmen muss. Die Kommunen sind durch die Geflüchteten aus der Ukraine und der wieder steigenden Zahl von Migrantinnen und Migranten aus Krisenländern in Afrika und dem arabischen Raum längst wieder am Limit.
Wenn wie 2015 wieder Turnhallen und Bürgerhäuser belegt werden müssen, werden die zunehmend besorgten Blicke auch aus hessischen Rathäusern sich auf Nancy Faeser in Berlin richten. Von ihr wird eine Lösung erwartet. Wenn sie sie nicht liefert, werden ihre Chancen in Hessen schnell wieder sinken.
Wenn sie jedoch diese große Bewährungsprobe im Bundesinnenministerium besteht, stehen die Türen der Wiesbadener Staatskanzlei für sie weit offen. Denn Hessen war einst ein sozialdemokratisches Kernland. Die CDU ist mit Boris Rhein an der Spitze derzeit kaum in der Lage, die 30 Prozent-Hürde zu überspringen. Die SPD hingegen kann den Grünen, mit denen sie bei der letzten Meinungsumfrage gleichauf lag, mit einer auch in der Bundespolitik überzeugenden Kandidatin sicher einige Stimmen abjagen.

Faeser versteht sich mit Grünen und Liberalen

Tarek Al-Wazir, der grüne Spitzenmann in Hessen, ist zwar nicht zu unterschätzen. Aber die Aussicht auf die erste Frau an der Spitze des Landes könnte manches feministische Herz im rot-grünen hessischen Wähler- und Wählerinnen-Klientel erfreuen. Nancy Faeser könnte dies beim Wahlergebnis im Herbst die Führungsrolle links von der CDU einbringen. 
Eine Ampel-Koalition wie im Bund ist auch in Hessen denkbar. Faeser geht nicht nur regelmäßig mit dem grünen Landtagsfraktionsvorsitzenden Mathias Wagner wandern, sondern sie verstand sich im Wiesbadener Parlament auch immer gut mit den Liberalen. Boris Rhein, der amtierende hessische Ministerpräsident, hofft zwar, beim Thema der „Inneren Sicherheit“ gegen Nancy Faeser punkten zu können. Doch gerade in diesem Themenfeld hält der CDU-Politiker die Karten nicht wirklich in der Hand. Nancy Faeser ist zunächst weiterhin auf der großen Bundesbühne am Zug. Wenn sie klug spielt, kann sie gewinnen.
Porträt: Dr. Ludger Fittkau
Porträt: Dr. Ludger Fittkau
Ludger Fittkau, geboren 1959 in Essen, studierte Sozialpädagogik sowie Sozialwissenschaften an den Universitäten Duisburg/Essen und der Fernuniversität Hagen. Promotion dort im Fach Soziologie. Nach rund zehn Jahren offener Jugendarbeit sowie Medienpädagogik in Oberhausen und Essen Wechsel in den freien Journalismus. Tätig u.a. für den WDR (Hörfunk und Fernsehen), den DLF sowie für die Kölner TV-Produktionsfirma „probono“ von Friedrich Küppersbusch. Ab 2007 freier Redakteur und Autor in der Landeskulturredaktion von SWR 2 in Mainz. Seit 2009 Landeskorrespondent von Deutschlandradio – zunächst in Rheinland-Pfalz und aktuell in Hessen.