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Impfstoffe und Testpflicht
Präsident der Bundesärztekammer entsetzt über Impfstoffmangel

Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt hat kein Verständnis für den angekündigten Impfstoffmangel im ersten Quartal 2022 . Im Deutschlandfunk nannte er die Situation "fatal". Den Wegfall der Testpflicht für, Menschen mit einer Booster-Impfung hält Reinhardt für eine "Fehlentscheidung".

Klaus Reinhardt im Gespräch mit Dirk Müller | 15.12.2021
125. Deutscher Ãrztetag
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (picture alliance/dpa)
Die Testpflicht soll für Menschen, die bereits eine Auffrischungsimpfung gegen das Coronvirus haben, in Zukunft wegfallen. Das haben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern gemeinsam beschlossen. Das heißt, dass Menschen mit einer Booster-Impfung bei einer "2G-plus"-Regelung - etwa bei Veranstaltungen oder in Restaurants - keinen Test mehr vorweisen müssen.
Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt hält das für eine Fehlentscheidung, da es gerade bei der Omikron-Variante auch zu symptomfreien Infektionen bei Geimpften kommen könne und auch Geimpfte das Virus dann unbemerkt weitertragen könnten. Seine Empfehlung: Weiter an der Testpflicht - auch für geboosterte Personen - festzuhalten.

Kritik am Wegfallen der Testpflicht auch von Dabrock

Auch der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Dabrock, sieht den Beschluss der Gesundheitsminister von Bund und Ländern kritisch, die Testpflicht für Personen mit Auffrischungsimpfung wegfallen zu lassen. Der Theologe sagte im Deutschlandfunk, er habe „etwas Bauchschmerzen“, wenn man sage, man teste die Geboosterten nicht mehr. Das Motto „Boostern ist das neue 2G“ habe eine kurze Halbwertszeit.

Impfstoffmangel macht Reinhardt sprachlos

Entsetzt zeigte sich der Präsident der Bundesärztekammer über den Impfstoffmangel im ersten Quartal 2022, den Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) angekündigt hatte. Für ihn sei es, "völlig unvorstellbar, dass die Logistik in einem Land wie Deutschland nicht so funktioniert." Er sei etwas sprachlos, angesichts der Nachricht", sagte Reinhardt.

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"Es ist ja nicht so schwer, zu errechnen"


Müller: Weil es doch Zahlen gibt, weil es Lieferungen gibt, weil das ständig kontrolliert wird und dann es eigentlich keine Unklarheit darüber geben kann, wie groß die Bestände sind?

Reinhardt: Ich sage mal, es ist ja nicht so schwer, jetzt zu errechnen, wie viele Menschen sind geimpft worden, wie viele Menschen müssen geboostert werden und in welchem Zeitraum sollte das geschehen. Natürlich haben wir die Abstände, nach denen wir Menschen Boostern wollen, die schon zweifach geimpft sind, immer weiter verkürzt, zuletzt in Nordrhein-Westfalen seit gestern schon vier Wochen nach der Zweitimpfung besteht die Möglichkeit, nach dem ersten Monat schon, sich Boostern zu lassen. Das ist unter dem Aspekt der Komplettierung des Impfschutzes eine richtige Maßnahme. Und dass man durch Veränderungen der Fristen, Verkürzungen der Fristen, wann man jemanden Boostern will und sich jemand Boostern lassen kann, unter Umständen natürlich auch mehr Impfstoff zur Verfügung stellen muss, weil diese Fristen, wenn sie kürzer werden, dazu führen, dass die Zahl derjenigen, die auf einmal kommen, größer wird, ist logisch und stimmt.
Aber das kann eigentlich nicht dazu führen, dass man so viele Monate nach der Pandemie jetzt nicht in der Lage war, ausreichend Impfstoff auf Halde zu legen. Ich bin nicht derjenige, der weiß, wie im Detail der Impfstoff gelagert ist, wo er lagert und wie die Distribution ist, aber wir haben jetzt ja immerhin einen Krisenstab eingerichtet und der sollte sich auch um die Logistik des Impfstoffs kündigen. Da kann ich jetzt nur raten, dringend dafür zu sorgen, dass man mit den Herstellern spricht, dass man unter Umständen die Produktionsmengen erhöht und so weiter und so fort, alles das tut, um mit der Boosterung so fortzufahren, wie wir es in den letzten Wochen tun.

Müller:
Wenn das alles stimmt, ein höchst unprofessionelles Management der Regierung?

Reinhardt: Das müsste man dann so feststellen, ja.

Müller: Sie haben ein anderes Stichwort schon gebracht, was ich mir auch auf den Zettel geschrieben habe: Booster in NRW nach vier Wochen möglich, Zweitimpfung nach sechs Wochen, hatten Sie gerade auch schon gesagt. Jetzt werden sich viele fragen: Moment! Wir haben monatelang über diese Monatsabstände geredet. Wir haben über sechs Monate geredet, wir haben über fünf Monate geredet. Dann wird das als politisch opportun und medizinisch opportun in irgendeiner Form skandiert zu sagen, wir müssen so schnell wie möglich Boostern, und dann fallen auf einmal alle Bezahlschranken und in zehn Wochen kann man jetzt schon alle drei Impfungen bekommen. Das unterstützen Sie?

Reinhardt: Das würde ich unterstützen, ja, weil wir doch sagen müssen, dass diese Impfung offensichtlich erst nach drei Impfungen in gewisser Hinsicht komplett ist. Ob es sich bei der Booster-Impfung um eine Auffrischimpfung handelt oder ob es sich nicht um die dritte Impfung einer zunächst mal zu komplettierenden Grundimpfung handelt, das ist nicht völlig klar. Wahrscheinlich gilt Letzteres und insofern, glaube ich, ist es richtig, die Möglichkeit für diejenigen zu schaffen, die zwei Impfungen gehabt haben, die dritte Impfung relativ schnell hinterherzunehmen, weil wir feststellen können, dass nach der Drittimpfung auch die Gefahr gegenüber einer Infektion durch Omikron, eines Impfdurchbruchs, deutlich reduziert ist. Das ist ja das, was wir im Moment unbedingt erzielen müssen, damit uns nicht das blüht, was wir aktuell in England beobachten können, nämlich ein sich doch erheblich dynamisch ausbreitendes Virus Omikron.
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Im ersten Quartal 2022 gibt es nach Informationen des Gesundheitsministers zuwenig Impfstoff für die Booster-Impfungen (Lm Otero/AP/dpa)


Drittimpfung, Omikron und neue Erkenntnisse


Müller: Aber bedeutet das auch, Herr Reinhardt, dass die Zahlen, die Abstandsregeln, die wir in der Regel haben, die Abstandsregelung dahingehend, wie groß die Zeitkorridore sind, was die Impfungen anbetrifft, dass das alles relativ ist und dass sich das jede Woche irgendwie auch ändern kann?

Reinhardt:
Ich glaube, dass wir aktuell damit leben müssen, dass die Beobachtungen, die wir dazu machen, sich wandeln, angesichts der Erkenntnisse, die wir gewinnen. Und ich sage mal, Omikron ist uns wenige Wochen bekannt, und natürlich beobachten wir in Israel, in Südafrika, in England überall neue Dinge, und die Erfahrungen, die gewonnen werden aus den Beobachtungen, die dort gemacht werden, verändern unter Umständen natürlich unsere Position. Das ist für Laien, die das beobachten, manchmal ein bisschen verwirrend. So ist das in der Medizin. Die sagen dann heute hüh oder morgen hott, erst so, dann ist es so. Das ist in dieser Phase, glaube ich, der Pandemie tatsächlich nicht anders möglich, und da nehme ich diejenigen in Schutz, die unter Umständen in relativ kurzen Abständen sich ja nicht völlig widersprechende, aber in Varianten etwas abweichende Empfehlungen aussprechen.


Aussetzen der Testpflicht "eine Fehlentscheidung"


Müller: Schauen wir, Herr Reinhardt, noch einmal auf die Situation der Geboosterten. Da haben wir gestern erfahren oder es ist beschlossen worden, die Gesundheitsminister haben das jedenfalls bekanntgegeben, dass die Geboosterten dementsprechend von der Testpflicht befreit werden sollen. Wir hören dazu mal die Münchener Virologin Ulrike Protzer:

O-Ton Ulrike Protzer: "Das soll sicherlich ein Anreiz sein, sich Boostern zu lassen. Man darf aber nicht vergessen, es spart auch Kosten und es nimmt den Druck von den Testzentren weg für diejenigen, die noch nicht geimpft oder nicht geboostert sind und die die Tests im Moment einfach dringender brauchen."

Müller: Sagt die Virologin Ulrike Protzer, verteidigt das. Jetzt haben wir gerade über Omikron gesprochen. Das macht Ihnen große Sorge, haben Sie immer wieder gesagt, auch in den Interviews – nicht nur Ihnen. Ist das sinnvoll, jetzt auf diese Tests zu verzichten?

Reinhardt: Ich glaube, dass die ursprüngliche Überlegung oder eine der Überlegungen, die auch von der Kollegin zum Ausdruck gebracht wird, dass man diejenigen, die sich Boostern lassen sollten, motivieren möchte, ehrenwert ist und nachvollziehbar ist. Aber ich glaube, wir brauchen diejenigen, die sich bisher haben zweimal impfen lassen, nicht groß zu motivieren. Das sind Menschen, die sich dem Thema Impfen gegenüber rational verhalten und eine Drittimpfung jetzt auch in Anspruch nehmen, ohne weitere große Motivation.
Impfpass nach dritter erfolgter Booster-Impfung mit BioNTec gegen Covid-19, Sars-CoV-2, Corona-Krise, Stuttgart, Baden-W
Menschen, die die dritte Impfung gegen das Coronavirus erhalten haben, müssen sich aktuell nicht mehr testen lassen. (imago images/Michael Weber)
Dass man vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden Virus-Variante Omikron, bei der wir ja diejenigen haben, die jetzt einen Impfdurchbruch haben, sich mit Omikron infizieren trotz Impfung - die gibt es auch, in deutlich reduzierter Form, aber es gibt sie auch bei Drittgeimpften. Das sind dann häufig Fälle, bei denen Menschen gar nichts spüren, völlig ohne jede Form von Symptomen Infektionsträger sind. Das sind Zufälligkeiten, dass man das feststellt. Das finde ich eigentlich gut und richtig, wenn man möchte, dass man Infektionsketten unterbricht und ein Mensch, der trotz Impfung infiziert ist, sich isolieren kann. Vor dem Hintergrund hielte ich es eigentlich nicht für eine gute Idee, das zu tun, und ich kann auch nicht erkennen, dass die Testkapazitäten aktuell so strapaziert wären, dass man das zum jetzigen Zeitpunkt tun sollte.

Müller: Ist das eine Fehlentscheidung?

Reinhardt: Ich halte das für eine Fehlentscheidung und würde eigentlich empfehlen, zunächst das Testen auch für die aufrechtzuhalten, die schon drittgeimpft sind.

Müller: Wie machen Sie das bei Ihnen in der Praxis?

Reinhardt: Wenn jemand von sich aus getestet werden möchte, dann tun wir das selbstverständlich. Es ist ja so, dass wir das Testen in der Praxis nur bei den Menschen machen, die symptomatisch sind, die irgendwie erkrankt sind. Die Tests bei den Menschen, die asymptomatisch sind, die sich testen lassen wollen, weil sie unter bestimmten Regeln 2G plus miteinander umgehen wollen, diese Menschen gehen ja in den allermeisten Fällen in ein Testzentrum. Ich kann nur beobachten, dass die Testzentren, die ich in Bielefeld, wo ich zuhause bin, sehe, da sind die Schlangen, die sich davor bilden, in überschaubarer Länge und das läuft relativ schnell und geschmeidig.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.