Sonntag, 12. Mai 2024

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Kommentar zu Globalisierung
Politik muss der wachsenden sozialen Ungleichheit etwas entgegensetzen

Pandemie und Ukraine-Krieg hätten die Schwachstellen der Globalisierung unübersehbar gemacht, kommentiert Ariane Bemmer vom "Tagesspiegel". Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Ungleichheit liefen der Globalisierung die Anhänger davon.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer, "Tagesspiegel" | 21.01.2023
Kristalina Georgieva (Internationaler Währungsfonds - IWF), Kuroda Haruhiko (Gouverneur der Bank von Japan), EZB-Präsidentin Christine Lagarde, der französische Finanzminister Bruno Le Maire, Professor Lawrence H. Summers von der Charles W. Eliot-Universität und Moderator Geoff Cutmore von  CNBC sprechen auf dem Weltwirtschaftsforum 2023 in Davos-Klosters
Kristalina Georgieva (Internationaler Währungsfonds - IWF), Kuroda Haruhiko (Gouverneur der Bank von Japan), EZB-Präsidentin Christine Lagarde, der französische Finanzminister Bruno Le Maire, Professor Lawrence H. Summers von der Charles W. Eliot-Universität und Moderator Geoff Cutmore von CNBC sprechen auf dem Weltwirtschaftsforum 2023 in Davos-Klosters (picture alliance / Photoshot / Avalon)
Das Erstaunlichste an den Zahlen ist, dass man sie hinnimmt, als seien sie Naturgesetzmäßigkeiten, an denen nichts zu ändern ist. Gemeint sind die Zahlen, nach denen die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Aktuell besitzen die reichsten 85 Menschen der Welt, so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. So hat es jedenfalls die Hilfsorganisation Oxfam berechnet und rechtzeitig zum Weltwirtschaftsforum in Davos veröffentlicht.

Unterschied zwischen Arm und Reich ist größer geworden

Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist mit der Globalisierung immer größer geworden, auch wenn deren Anfangsversprechen das Gegenteil war, nämlich, dass die grenzenlose Wirtschaft von Vorteil für alle sein würde. „Wir müssen erkennen, dass die Globalisierung die Schere (…) eher noch weiter öffnet“, hieß es bereits 2014 in einschlägigen Studien. Und seitdem hat sich wenig im Gesamtgefüge geändert, eher hat die Globalisierung noch zugenommen, haben die global agierenden Konzerne immer mehr Bodenhaftung verloren und sich irdischen Kontrollen entziehen können.

Der Globalisierung laufen die Anhänger davon

Es ist eine große Ernüchterung eingetreten – der Globalisierung laufen die Anhänger davon. Dass das beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum unter dem Motto „Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt“ heiß diskutiert wurde, lag weniger an den Oxfam-Zahlen als daran, dass Pandemie und Ukraine-Krieg die Schwachstellen des globalisierten Systems unübersehbar gemacht haben. Sei es, weil Corona eine soziale Schlagseite offenbarte, denn die Seuche traf ärmere Menschen härter. Sei es, weil der Krieg die internationalen Abhängigkeiten deutlich machte, in die viele Industrieländer sich begeben hatten: in Form der gefährdeten Gaszufuhr aus Russland oder in Form gerissener Lieferketten aus Fernost, allen voran China. Diese vielen Krisen machten einer verunsicherten Öffentlichkeit schlagartig bewusst, dass die positiven Effekte der Globalisierung zunehmend hinter negativen Effekten verblassten.
Denn die Konsequenzen zeigten sich nicht nur in den Bilanzen von Unternehmen, sondern auch in den Supermarktregalen, die mitunter leer blieben und an Zapfsäulen, die immer höhere Preise anzeigten. Die Schwachstellen des globalisierten Systems trafen damit die Mehrheit der Bevölkerung. Und es wäre sicher glatt gelogen zu behaupten, dass die das, was sie da sah, begrüßt hätte.

Globalisierung braucht die Zustimmung der Menschen

So ist auch in Davos diese Erkenntnis angekommen: dass die Globalisierung neben unternehmerischen und politischen Aspekten auch einen sozialen Aspekt hat. Globalisierung brauche die Zustimmung der Menschen, formulierte etwa eine Wirtschaftsprofessorin, und eben die komme ihr rasant abhanden.
Gründe für die sinkende Akzeptanz der Globalisierung sind das wachsende Bewusstsein für die Umweltprobleme, die weltweite Produktionsketten und Warenwege nach sich ziehen und die wachsende Ungleichheit, die sie auslöst. Dieser Aspekt, die Ungleichheit, stört die Menschen in den Industriestaaten dabei mehr als im globalen Süden. Vielleicht, weil die Bevölkerung in ohnehin ärmeren Ländern noch weniger mit ihrer Armut hadert?
Auch in Deutschland gibt es diese wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Und man wünschte sich, dass die Zeiten, in denen das - wie auch die Zahlen von Oxfam - einfach hingenommen wird, zu Ende gehen.

Mehrheit für Reichensteuer

In dieser Gemengelage wirkt die Klage, die derzeit vor dem Bundesfinanzhof verhandelt wird, fast wie ein ironischer Kommentar: Es geht dort um die Frage, ob es zulässig ist, dass Deutschlands Vielverdiener weiterhin die Solidaritätsabgabe zahlen sollen, die den anderen seit 2021 nicht mehr abgezogen wird.
Im Volksmund gilt der Soli seit der Änderung als Reichensteuer – und genau so eine Steuer hält die überwiegende Mehrheit für richtig und wünschenswert.
Dennoch ist fraglich, ob der Gesetzgeber die jemals schaffen wird. Aber zumindest sollte ihm klar sein: Der wachsenden sozialen Ungleichheit muss dringend etwas entgegengesetzt werden.