Donnerstag, 18. April 2024

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Nord-Stream-Sabotage
Milliarden-Investitionen in kritische Infrastruktur nötig

Über die Drahtzieher der Nord-Stream-Sabotage ist noch vieles offen. Klar sei aber, dass Deutschland kritische Infrastruktur wie Pipelines oder Unterseekabel besser schützen müsse, kommentiert Gerwald Herter. Das dürfte teuer und aufwendig werden.

Ein Kommentar von Gerwald Herter | 11.03.2023
Auf einer Containerwand wurde eine Karte der Ostsee mit dem Verlauf der Pipeline Nordstream 2 aufgemalt.
Die Recherchen zur Nordstream-Sabotage lassen bisher nur einen sicheren Schluss zu: Es gilt, kritische Infrastrukturen besser zu schützen. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Jens Büttner)
Die Ostsee wird das große Geheimnis womöglich für sich behalten, auch wenn man sich anderes wünschen würde. Wer eine so aufwändige Sabotage-Aktion erfolgreich organisieren kann, dürfte wohl auch in der Lage sein, die Identität der Beteiligten wirksam zu verschleiern.
Es waren keine Hobby-Schnorchler, soviel steht wohl fest. Zwei Taucher, zwei Helfer, eine Ärztin, ein Kapitän – dieser Gruppe soll es gelungen sein, mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff auf eine Yacht zu bringen, dann durch die Ostsee bis in die Nähe der Insel Bornholm zu navigieren, den Sprengstoff kontrolliert abzusenken, in etwa 80 Meter Tiefe die Explosionen auszulösen und schließlich unerkannt zu verschwinden.

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Diese Masse von Sprengstoff erst einmal aufzutreiben und dann sicher bis zu einem deutschen Hafen zu bringen, ist wiederum eine Sache für sich. Was für ein Aufwand also und welch ein Risiko! Aus operativ-technischen, aber auch aus finanziellen Gründen spricht tatsächlich vieles dafür, dass staatliche Strukturen eher als Auftraggeber in Frage kommen, als nicht-staatliche Akteure.

Handeln statt abwägen

Trotzdem war der Aufwand für diese Sabotage-Aktion noch recht gering. Jedenfalls, wenn man ihn mit dem Aufwand vergleicht, der gerade auf westliche Staaten zukommt, um Infrastrukturen zu schützen, die sich auf dem Grund der Ostsee und der Weltmeere befinden.
Theoretisch war das auch schon vor dem Anschlag auf Nord-Stream klar. Jetzt aber ist das keine Frage von Abwägungen mehr, jetzt heißt es Handeln. Es geht dabei leider nicht allein um Pipelines, sondern auch um Datenübertragungskabel.
Mehr als 95 Prozent des Datenverkehrs weltweit läuft durch Unterseekabel, die zum Beispiel Europa und die USA verbinden. Es geht um viele Hundert-Tausend Kilometer Kabel, sie sollen in einer Tiefe von bis zu 6.000 Metern unter dem Meeresspiegel liegen. Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie schwierig sich Reparaturen nach Anschlägen gestalten könnten.

Zwischenfälle beim internationalen Datenverkehr

Obwohl die Betreiber mit solchen Informationen nicht pro-aktiv an die Öffentlichkeit gehen, sind in den letzten zwei Jahren Zwischenfälle bekannt geworden. So sollen vor der norwegischen Küste gleich vier Kilometer Daten-Übertragungskabel spurlos verschwunden sein. Eine simple Unterbrechung führte auf den Shetland-Inseln zu Übertragungsproblemen. Für die Ursache des Schadens sollen Fischer verantwortlich gewesen sein, die Netze über den Meeresgrund schleppten.
Anders vor der ägyptischen Mittelmeerküste, auch da wurde vor etwa 15 Jahren ein Kabel beschädigt. Bekannt ist hier nur, dass es im ägyptischen Datenverkehr zu massiven Ausfällen kam. Und da wäre noch die Sache mit dem britischen Geheimdienst GCHQ. Der hatte zwar keine Unterseekabel zerstört, aber an mehreren Sensoren installiert und so im Rahmen eines Lauschangriffs massenhaft Daten abgezogen.

Pipelines und Daten-Kabel dauerhaft schützen

Wenige Wochen nach dem Anschlag auf Nord-Stream, im November letzten Jahres, machte das britische Verteidigungsministerium Druck. Die bereits beschlossene Anschaffung von zwei Schiffen zur „Untersee-Überwachung“ bekam Priorität. Sie werden unter anderem mit unbemannten Tochter-Schiffen ausgestattet sein, wohl auch mit Unterwasserdrohnen. Auch die Bundeswehr versucht sich auf die neuen Gefahren einzustellen. Dort läuft angeblich ein Projekt mit dem schönen Namen „Gläserner Ozean“.
Es dürfte unmöglich sein, alle Untersee-Infrastrukturen - Pipelines vielleicht noch eher als Daten-Kabel - dauerhaft und wirksam vor Sabotage zu schützen. Ob Sensoren-Systeme, Satellitenüberwachung oder Unterwasser-Kameras - ein System allein wird kaum reichen. Zunächst muss es das Ziel sein, die Risiken und Kosten für Angreifer in die Höhe zu treiben. Schon dafür sind Investitionen in Milliardenhöhe nötig.
Der Anschlag auf Nord-Stream hat deutlich gemacht, dass sie nicht zu vermeiden sein werden.
Gerwald Herter
Gerwald Herter
Gerwald Herter studierte Geschichte und Internationale Beziehungen in München und Straßburg. Tätigkeit im Institut für Zeitgeschichte, freie Mitarbeit bei ARTE und beim ARD-Fernsehen. Volontariat beim Bayerischen Rundfunk. BR-Korrespondent zunächst in Bonn, dann in Brüssel, anschließend Leiter des ARD-Studios Südosteuropa, später ARD-Terrorismusexperte. Seit 2011 in der Abteilung Hintergrund des Deutschlandfunks, Schwerpunkt Europa- und Internationale Politik.