Sonntag, 12. Mai 2024

Kommentar zu PISA
Bildungsföderalismus ist auch ein Gewinn

Warum hat Deutschland in der PISA-Studie so schlecht abgeschnitten? Nur den Föderalismus für die Misere verantwortlich zu machen, sei zu einfach, meint Stephanie Gebert. Dass Bildung in der Verantwortung der Bundesländer liegt, sei auch eine Stärke.

Ein Kommentar von Stephanie Gebert | 09.12.2023
Eine Lehrerin schreibt an eine Schultafel im Mathematikunterricht.
Eine Chance des Föderalismus: Wenn etwa ein neues Konzept im Matheunterricht, hier in einer 8. Klasse in Hannover, in Niedersachsen gut funktioniert, können die anderen Bundesländer davon lernen. (picture alliance / Julian Stratenschulte / dpa / Julian Stratenschulte)
Man möchte ihnen zurufen: Länder, ihr habt die Macht, jetzt nutzt sie auch!
Es stimmt: Die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie der OECD sind niederschmetternd. Deutsche Schülerinnen und Schüler schneiden in Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften so schlecht ab wie noch nie. Deutschland ist damit im internationalen Vergleich nur Mittelmaß. Aber es ist zu einfach, den Bildungsföderalismus allein für die Misere verantwortlich zu machen und einzustimmen in das Klagelied über Kleinstaaterei oder den wilden Flickenteppich – wie es jetzt viel zu hören und lesen ist.
Natürlich tragen die Bundesländer die Hauptverantwortung. Es ist den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten schließlich auch immer wieder wichtig zu betonen: Bildung ist Ländersache!
Dass Bildung in Deutschland in der Verantwortung der 16 einzelnen Bundesländer liegt, hat ja auch gute Gründe. Um zwei soll es hier gehen – neben der historischen Dimension. Denn klar, die föderale Vielfalt schützt unsere Demokratie durch Wettbewerb und Freiheit vor einseitiger Machtausübung. Wie wir sie aus der Nazizeit kennen.

Zentralistische Bildungssysteme sind nicht besser

Der erste Grund: Wichtig für die Bildungspolitik ist die Nähe der verantwortlichen Landespolitikerinnen und Politiker zu den Schulen und denen, die dort unterrichten und unterrichtet werden. Ihre Aufgabe ist es zu klären, was Lehrkräfte und Schüler konkret vor Ort benötigen und entsprechende Lösungen zu liefern. Denn es gibt je nach Region unterschiedliche Voraussetzungen: Ein bevölkerungsreiches Bundesland wie Nordrhein-Westfalen mit vielen Großstädten benötigt andere Ausstattung als ein Flächenland wie Niedersachsen.
Es ist ein Irrglaube, dass der Bund diese Aufgabe besser erledigen könnte. Oder glaubt irgendjemand ernsthaft, die aktuelle Bundesbildungsministerin, Bettina Stark-Watzinger, wüsste, was die Zugspitz-Realschule in Garmisch-Patenkirchen benötigt? Die Bundesverwaltung müsste allein 33.000 allgemeinbildende Schulen in ganz Deutschland mit rund neun Millionen Schülerinnen und Schülern im Blick behalten. Und zentralistisch gesteuerte Bildungssysteme haben nicht erkennbar besser abgeschnitten im PISA-Ranking. Frankreich zum Beispiel liegt zwei Positionen hinter Deutschland.

Die Bundesländer können voneinander lernen

Das zweite Argument ist der föderale Wettbewerb. Heißt: Die Bundesländer erkennen bildungspolitisch sinnvolle Lösungen und lernen voneinander. Ja, hier muss das System schneller werden. Aber es gibt vielversprechende Beispiele. Vorbild: Hamburg. Hier werden die Sprachkompetenzen von Kindern getestet. Ist deren Sprachentwicklung verzögert, müssen Sie in die Vorschule und werden dort entsprechend gefördert. Bremen hat bereits ein ähnliches verpflichtendes Jahr eingeführt, Berlin steht kurz davor.
Der schulscharfe Sozialindex ist ein weiteres Beispiel. Nach den Stadtstaaten ist er auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt worden und bedeutet: Schulen, die besondere Herausforderungen haben – wie etwa viele Kinder aus armutsgefährdeten Familien – bekommen mehr Ressourcen. Das heißt vor allem: Mehr Geld für pädagogische Fachkräfte und zum Beispiel ein Schulfrühstück. Es wird gezielt da gestärkt, wo es nötig ist. Auch hier gibt es inzwischen Nachahmer.
Vielfalt kann also ein Gewinn sein. Und genau das ist die Stärke von Bildungsföderalismus. Die PISA-Ergebnisse müssen der Weckruf für die Bundesländer sein: Ihr habt die Macht, jetzt nutzt sie auch!