Kommentar zu Taurus-Lieferung
Eine klare Haltung des Kanzlers ist nötig

Das Argument von Olaf Scholz, Deutschland könnte durch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine in den Krieg hineingezogen werden, sei nur vorgeschoben, meint Frank Capellan. Der Kanzler müsse sich ehrlich machen.

Ein Kommentar von Frank Capellan | 05.10.2023
Handout eines Taurus KEPD 350 Waffensystems
Der Kanzler kann sich nicht dazu durchringen, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu überlassen. Dlf-Korrespondent Frank Capellan kommentiert, Olaf Scholz könne seine Haltung nicht überzeugend begründen. (picture alliance / abaca / ABACA)
Olaf Scholz zögert. Wieder einmal. Viel zu lang. Der Kanzler kann sich nicht dazu durchringen, der Ukraine die ersehnten Taurus-Marschflugkörper zu überlassen. Es ist ein Déjà-vu. Auch bei der Lieferung von Kampfpanzern hatte er lange gewartet und dann doch zugestimmt. Mit Blick auf westliche Kampfflugzeuge hatte er von einer roten Linie gesprochen, um dann mit ansehen zu müssen, wie andere NATO-Partner Zusagen machten. Jetzt aber scheint Scholz fest entschlossen, bei seinem Nein zu bleiben.

Kanzler Scholz: Kriegsgefahr für Deutschland durch Taurus-Lieferung

Dieses Mal folgt der deutsche Regierungschef nicht einmal den Amerikanern, wie es sonst seine Art ist. Die USA nämlich wollen zumindest eine kleine Zahl von Raketen bereitstellen, Briten und Franzosen haben sie längst geliefert. „Sie können etwas, was wir nicht dürfen!“ Mit diesem Satz hatte der Sozialdemokrat sein Nein in vertraulicher Runde begründet. Es ist eine fadenscheinige Begründung.
Damit meint er, dass beide Länder sogenannte Geo-Daten übermitteln, die die Marschflugkörper brauchen, um sich über unbekanntes Terrain hinweg ihren Weg ins Ziel bahnen zu können. Zudem werde deutsches Personal benötigt, um die Waffensysteme mit den entsprechenden Daten zu füttern. Dafür bedarf es eines Bundestagsbeschlusses, darin bestehe die Gefahr, Deutschland in den Krieg hineinzuziehen, argumentiert der Kanzler.

Olaf Scholz' Argumente sind nur vorgeschoben

Es sind vorgeschobene Argumente. Militärexperten nämlich bestätigen: Nach entsprechender Schulung wären auch ukrainische Soldaten in der Lage, Taurus zu bedienen, und geologische Daten und Zielkoordinaten liefert der Westen der Ukraine ohnehin schon lange. Der Kanzler also kann seine Zurückhaltung nicht überzeugend begründen, es bleibt der Verdacht, dass er dem ukrainischen Präsidenten nicht traut, der immer wieder versichert, die Marschflugkörper nicht für Angriffe auf russisches Territorium nutzen zu wollen.

Wie kriegsentscheidend sind Taurus-Waffensysteme?

Scholz fürchtet offensichtlich auch einen Beschuss der Krim-Brücke als wichtigen Nachschubweg der Russen. Putin könnte das als deutsche Kriegsbeteiligung werten, so sein Kalkül. Die Deutschen werden es ihm hoch anrechnen, wenn er vorsichtig bleibt, hofft der Kanzler, und: Er nimmt Rücksicht auf die vielen Skeptiker in der eigenen Partei. All das sagt er natürlich nicht, Scholz erklärt seine Haltung nicht, er spricht nicht über die wahren Gründe seiner Skepsis.
Man mag darüber streiten, ob deutsche Marschflugkörper kriegsentscheidend sind, aber ein Regierungschef muss sich in deutlichen Worten dazu verhalten. Scholz muss sich ehrlich machen. Zögern allein reicht nicht, schon gar nicht, da seine Koalitionspartner Grüne und FDP ganz anderer Ansicht sind und eine Taurus-Lieferung für richtig halten!
Frank Capellan, Hauptstadtstudio
Frank Capellan, geboren 1965 im Rheinland, studierte Publizistik, Neuere Geschichte und Politikwissenschaften, Promotion an der Universität Münster. Nach einer Ausbildung bei der Westdeutschen Zeitung folgte ein Volontariat beim Deutschlandfunk, dem er bis heute treu geblieben ist. Zunächst Moderator der Zeitfunk-Sendungen, unter anderem der Informationen am Morgen; seit vielen Jahren als Korrespondent im Hauptstadtstudio tätig, dort u. a. zuständig für die SPD und Familienpolitik.