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Kommentar zum Koalitionsstreit
"Giftbriefe" im Ampel-Kabinett

Die Fortschrittskoalition, so nannte sich die Ampel zu Beginn ihrer Regierungszeit. Nun kommuniziert sie über den Postweg. Habeck und Lindner liegen im Clinch und schreiben sich böse Briefe. Das Klima in der Koalition scheint zunehmend vergiftet.

Von Frank Capellan |
Im Februar 2023 saßen Robert Habeck und Christian Lindner gemeinsam im Bundestag.
Beste Freunde werden die beiden wohl nicht mehr werden: Christian Lindner und Robert Habeck. (picture alliance / Fotostand / Fotostand / Reuhl)
Echte Brieffreunde werden die beiden wohl nicht mehr werden. Warum auch? Vizekanzler und Vizevizekanzler sehen sich schließlich regelmäßig im Kabinett. Dass sich ein Grüner und ein Liberaler nun schriftlich ihre gegenseitigen Erwartungen mitteilen, klingt nach Kindergarten – und dokumentiert zugleich anschaulich, wie schlecht es mittlerweile um das Klima in der Koalition bestellt ist.
Mit schnell an die Öffentlichkeit weitergeleiteten Briefen wird Kante gezeigt. Die Selfie-Euphorie des Ampel-Starts ist endgültig verflogen. Die Fortschrittskoalition demonstriert damit einen kommunikativen Rückschritt erster Klasse.

Lindners harter Kurs nach FDP-Wahlniederlage

Zwei Punkte sind dafür ausschlaggebend: Zum einen bewahrheitet sich nach der verlorenen Wahl in Berlin nun, dass der FDP-Vorsitzende einen noch härteren Kurs in der Finanzpolitik fahren wird.
Dass sich der Robert mal gehackt legen kann, dass es neue Stromleitungen ohne neue Straßen nicht geben wird, wie es FDP-Vize Wolfgang Kubicki angedroht hat, nimmt sich eben dieser Robert nun zu Herzen und verlangt seinerseits, dass grüne Projekte nicht am Geld scheitern dürfen.
Denn zum zweiten rührt der Briefwechsel auch daher, dass im Zeichen des Krieges die Verteidigungsausgaben deutlich weiter steigen werden. Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Zielvorgabe reichen nicht mehr.
Boris Pistorius, der neue Minister, will 2024 schon mal zehn Milliarden Euro mehr haben. Mit Kanzler Scholz und SPD-Chef Klingbeil sei er sich da einig. Fragt sich nur, wo Finanzminister Lindner das Geld dann an anderer Stelle einzusparen gedenkt.

Spardruck in Kriegszeiten

Die Kindergrundsicherung – Projekt der grünen Familienministerin Paus, aber auch sozialdemokratische Herzensangelegenheit – versucht er gerade auszubremsen. Auch der Klimaschutz droht weiter unter die Räder zu kommen.
Völlig zu Recht fordert Habeck daher nun mehr Ideenreichtum vom FDP-Chef. Eine Abschaffung des Dienstwagenprivilegs, das über die Steuer die eher wohlhabenderen Nutzer meist schwerer, umweltschädlicher Fahrzeuge bevorteilt, ist eine überfällige Maßnahme.
Und Lindners Festhalten an der coronabegründeten, in Pandemiezeiten eingeführten Mehrwertsteuerermäßigung in der Gastronomie erinnert arg an die harte Linie der Liberalen bei der „Mövenpick-Steuer“ mit den Vergünstigungen für Hoteliers.
Mit derlei Klientelpolitik aber kommen wir in Zeiten von Krieg und Klimawandel nicht weiter. Olaf Scholz muss es nun richten. Hoffentlich macht er es besser als beim Atomstreit zwischen Grünen und FDP, als Scholz zum letzten Mittel griff und ebenfalls einen Giftbrief schreiben musste – den zur Durchsetzung seiner Richtlinienkompetenz!