Donnerstag, 18. April 2024

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Erhalten statt abreißen
Kommunale Baupolitik muss umdenken

Durch den Abriss von Gebäuden entstehen in Deutschland 230 Millionen Tonnen Schutt pro Jahr. Trotzdem wird auf Sanierungen oft verzichtet. Zu Unrecht, meint der Journalist Peter Pauls. Letztlich nachhaltig sei nur, bauen zu vermeiden.

Ein Kommentar von Peter Pauls | 04.03.2023
Das Operngebäude in Köln am Offenbachplatz. Container stehen während der Sanierungsphase vor dem Haupteingang, 2021.
In Köln befinden sich zahlreiche Objekte im Spannungsfeld von Abriss und Sanierung - bei der Instandsetzung der Oper sind die Kosten explodiert. (picture alliance / Geisler Fotopress / Christoph Hardt )
Deutschland hat ein Müllproblem. Und allein die Hälfte des Abfalls stammt aus dem Baubereich. Denn Gebäude werden eher abgerissen als erhalten. Die 230 Millionen Tonnen Schutt pro Jahr entsprechen, um es bildhaft zu sagen, etwa 45 Millionen Elefanten. Eine unvorstellbar hohe Zahl.
Sie steht für ein weiteres Umweltproblem. Der Bausektor trägt mit acht Prozent zu den deutschen Treibhausgas-Emissionen bei. Insbesondere die öffentliche Hand beschränke Instandhaltung auf wenige repräsentative Baudenkmäler, kritisiert der Bund deutscher Architekten. Der restliche Bestand bleibt unberührt – und verfällt. Wen wundert es, dass das Gremium einen vorläufigen Abriss-Stopp fordert.

Kölner Klimanotstand bleibt ohne Konsequenzen

Insbesondere in Köln, der viertgrößten Stadt Deutschlands, befinden sich zahlreiche Objekte im Spannungsfeld von Abriss und Sanierung. Augenfällig ist das Justizgebäude, gerade erst vor 42 Jahren eingeweiht und 23 Stockwerke hoch. Das Land NRW will es niederreißen lassen.
Die Stadt Köln hat zwar den Klimanotstand ausgerufen, zieht aber keine Konsequenzen daraus und begrüßt den Abriss. Der geplante Neubau passe besser in die Landschaft. Da kümmern die Treibhausgas-Emissionen weniger. Wenigstens klagen Naturschützer nun gegen den Schritt.
Köln steht aber auch für ein Dilemma. Die Kosten für Sanierung können ins Unermessliche steigen, wie der Fall von Oper und Kölner Schauspielhaus zeigt. Er hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Unter Heranziehung aller Bereiche wird die Euro-Milliardengrenze überschritten.
In den Planspielen zu einer Sanierung des renommierten Museums Ludwig und der Kölner Philharmonie bewegen sich die Zahlen laut Kölner Presse schon jetzt in der Milliarden-Dimension. Auch über der 1979 eingeweihten Stadtbibliothek schwebt die Existenzfrage. Auch hier wollen Politiker abreißen, als handele es sich um einen Wegwerfartikel.

Öffentliche Gebäude werden vernächlässigt

Rheinischer Schlendrian? Eine große Prise ist sicher dabei. Doch handelt es sich eher um ein System, das auch anderswo zu beobachten ist. „Im öffentlichen Sektor werden Gebäude solange nicht gepflegt, bis ein Abriss die einzig wirtschaftliche Lösung ist“, sagt die Kölner Architektin und Kommunalpolitikerin Stefanie Ruffen. Über Jahrzehnte habe diese Praxis funktioniert. Doch nun sei das Umweltbewusstsein durch den Klimawandel gewachsen und die Sanierungskosten seien unkalkulierbar geworden, erklärt die FDP-Ratsfrau.
Wie lose die Sitten sind, erkennt man an dem Ratsantrag, den ihre Fraktion einbringen wird. Darin soll die Verwaltung per Ratsbeschluss zu einer Selbstverständlichkeit verpflichtet werden. Sie soll Rücklagen zur Instandhaltung für die Immobilien in städtischer Hand bilden.

Abriss-Stopp als Beitrag gegen Wohnungsmangel

Und es geht nicht nur um Verwaltungsgebäude, Museen oder Theater. Es geht auch um Wohnraum: Darauf verweist der Bund der Architekten. Ein vorläufiger Abriss-Stopp leiste einen Beitrag zum Bau der jährlich 400.000 Wohnungen, den die Bundesregierung sich vorgenommen habe. Er beuge der Gentrifizierung vor, der Verdrängung einkommensschwacher Schichten. Und vor allem sei er ökologisch wichtig, da er nachhaltig sei. Er bewahre die im Material gespeicherte graue Energie – das ist die gesamte Energie, die zur Herstellung eines Hauses aufgewendet wird.
Wer einmal vor dem Kölner Justizgebäude und seiner 105 Meter hohen Fassade stand, der fragt sich in der Tat: Sind diejenigen noch bei Trost, die ein solches Bauwerk abreißen wollen? Wie erklären sie das Bürgern, die ihre eigenen vier Wände pflegen, wie dem Steuerzahler? Das Haus ist verlottert. Aufzüge funktionieren nicht, Leitungen sind verstopft, Fassadenteile locker. Aber warum muss Sanierung Unsummen kosten und Bauherren dadurch den Abriss gleichsam aufzwingen?

Deutschland hoffnungslos überreguliert

Architekten monieren zu Recht: Deutschland ist hoffnungslos überreguliert. Stadt, Land und Bund – jede Ebene hat ein eigenes Baurecht. Bereits das ist ein unübersichtlicher Irrgarten. Doch Überperfektionierung führt nicht etwa zu Vollkommenheit. Sie bringt Stillstand. Der lähmt Initiative, ist unökologisch und führt Kommunen an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten. Oder er zwingt ihnen Abrisse förmlich auf.
Letztlich nachhaltig ist nur, bauen zu vermeiden. Das erreicht man auch mit Instandhaltung des Vorhandenen. Bereits das ist eine Mammut-Aufgabe.

Peter Pauls ist Vorstandsvorsitzender des Kölner Presseclub. Der Journalist war langjähriger Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers und dort bis Ende 2018 als Chefautor aktiv.