Kommentar
Trotz Krieg in Nahost: Ukraine braucht mehr Unterstützung

Die Konsequenz aus dem Krieg in Nahost sollte nicht sein, dass die Ukraine weniger, sondern dass sie mehr Unterstützung bekommt, meint unser Autor. Sie sollte endlich in die Lage versetzt werden, Putins Armee aus ihrem Land zu vertreiben.

Ein Kommentar von Florian Kellermann |
Der ukrainische Präsident Selenskyj
Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert weitere Unterstützung der NATO. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Yves Herman)
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat es nun selbst eingeräumt: Ja, es bestehe die Gefahr, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine nachlasse. Aber er glaube den Partnern, dass sie ihre Versprechen einhalten und sein Land nicht fallenlassen.

Ukraine ringt um Unterstützung

Das klang bei Selenskyj nach einem Wunsch, nicht nach einer Überzeugung. Die ukrainische Staatsführung dürfte die Lage noch weit ernster einschätzen, als sie dies nach außen kommuniziert. Schließlich will sie die eigene Bevölkerung nicht verunsichern und die Kampfmoral hochhalten.
Klar ist: Die Ukraine muss immer heftiger nicht nur gegen die russische Armee kämpfen, sondern auch um Unterstützung ringen. Der erste herbe Schlag war, dass der US-Kongress zunächst einmal keine weiteren Gelder für die Ukraine beschlossen hat. Nun der Krieg im Nahen Osten, der die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft von der Ukraine ablenkt.
Deshalb beschwichtigte etwa der Vertreter des Präsidenten im ukrainischen Parlament Fedor Wenislawskyj: Die US-Hilfen an Israel würden doch nach einem anderen Mechanismus vergeben, wegen der vertraglichen Verpflichtung Washingtons. Über die Hilfe für die Ukraine entscheide die USA unabhängig davon.
Dass die Aufmerksamkeit für die Ukraine abnimmt, ist das eine. Das andere, dass der Krieg im Nahen Osten plötzlich Russland aufwerten könnte. Wenn es überall auf der Welt Kriegsschauplätze gibt, dann – so meinen manche – komme man eben an einer weltweiten Verständigung der militärischen Schwergewichte nicht vorbei. Und zu denen gehört nun mal Russland.

Putin wittert Morgenluft

Der Kreml bringt sich dreist sogar als Vermittler im Nahen Osten ins Spiel und verweist auf seine guten Kontakte zur Hamas. Es war seit Langem der Plan und die Hoffnung des Kreml, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine nachlässt. Nur so kann Wladimir Putin noch darauf hoffen, sein Kriegsziel zu erreichen – das Nachbarland zu zerstören. Nun wittert er Morgenluft.
Dieser fatalen Entwicklung sollten sich alle, denen es um echten Frieden geht, mit aller Macht entgegenstellen. Die Konsequenz aus dem Krieg in Nahost sollte nicht sein, dass die Ukraine weniger, sondern dass sie mehr Unterstützung bekommt.
Sie sollte endlich in die Lage versetzt werden, die russische Armee aus ihrem Land zu vertreiben. Denn der anhaltende brutale Krieg Russlands ist einer der Hauptgründe für die Instabilität, die weltweit um sich greift. Deshalb wäre es ein Fehlschluss zu meinen, man könne ihn angesichts der immer neuen Krisen und Kriege nicht mehr so ernst nehmen.
Porträt: Florian Kellermann
Porträt: Florian Kellermann
Florian Kellermann, geboren 1973 in Nürnberg, hat an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Krakau Philosophie und Slawistik studiert. Seit vielen Jahren berichtet er aus den Ländern Mittel- und Osteuropas. Von 2015 bis 2021 war er Osteuropa-Korrespondent von Deutschlandradio mit Sitz in Warschau. Seit Mai 2021 ist er Russland-Korrespondent. Sein Berichtsgebiet umfasst auch Belarus und die Staaten der Kaukasusregion.