Zwei Jahre russische Invasion
Vor diesen Problemen steht das ukrainische Militär

Seit zwei Jahren verteidigt sich die Ukraine gegen den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands. Der Konflikt ist festgefahren und fordert zehntausende Opfer. Wie gehen die Ukraine und Russland ins dritte Jahr dieses Krieges?

Soldaten der Ukraine machen eine Pause in der Region Saporischschja. Sie lehnen bewaffnet und im Tarnanzug an zwei ausgebrannten Fahrzeugwracks.
Krieg in der Ukraine: ukrainische Soldaten in der Region Saporischschja (IMAGO / Ukrinform / IMAGO / Dmytro Smolienko)
„An einigen Abschnitten der Front ist die Lage extrem schwierig“, beschreibt Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, die Situation im Osten des Landes im Februar 2024. Zum zweiten Jahrestag des Überfalls sind die Verteidiger in die Enge geraten. Selenskyjs Regierung und die militärische Führung des Landes müssen zahlreiche Probleme bewältigen und sind weiter auf Unterstützung aus dem Westen angewiesen.
Begonnen hat die russische Invasion am 24. Februar 2022. Aus dem Norden, Osten und Süden rückte die russische Armee in die Ukraine ein. Der Plan, innerhalb weniger Tage die Hauptstadt Kiew einzunehmen, scheiterte jedoch. Ukrainischen Einheiten gelang es, die Russen zurückzudrängen. Später konnten die Verteidiger auch im Osten erfolgreich Gebiete zurückerobern.
Seit Anfang 2023 brachten Offensiven beider Armeen wenig Veränderungen im Frontverlauf. Russland gelang es lediglich einzelne Städte wie Bachmut und zuletzt Awdijiwka einzunehmen, allerdings unter hohen Verlusten.

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Wie ist die Lage zwei Jahre nach der Invasion?

Für die Ukraine ist der Fall von Awdijiwka, einer Stadt im Osten des Landes mit ehemals 30.000 Einwohnern, eine Niederlage. Der Rückzug kam zudem spät, und ist nach Augenzeugenberichten auch teilweise chaotisch verlaufen. Russische Truppen rücken nun weiter Richtung Westen vor und nehmen die nächsten Städte ins Visier.
In russischen Medien wird die Einnahme von Awdijiwka als strategisch wichtiger Sieg gefeiert. Daran zweifeln unabhängige russische Experten, wie Ruslan Lewijew, er ist militärischer Beobachter des „Conflict Intelligence Team“, einer in Russland entstandenen Recherche-Gruppe.
Der Frontverlauf zeige, dass es für die russische Armee kaum leichter geworden sei, die viel wichtigeren Städte unter ukrainischer Kontrolle im Donezbecken – Kramatorsk und Slowjansk – einzunehmen, meint Lewijew. Russlands Ex-Präsident Dimitri Medwedew rief zum Jahrestag erneut die südukrainische Hafenstadt Odessa und Kiew als Kriegsziele aus.

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An den übrigen Frontabschnitten im Südosten und Süden der Ukraine wird auch gekämpft. Der ukrainische Brückenkopf bei Kynky steht unter Druck, die Armee dementiert aber bisher einen Rückzug. Kynky liegt am südlichen Ufer des Dnepr-Flusses.
Die Region in Richtung der Krim, von der aus die russischen Truppen im Süden ihren Nachschub erhalten, ist strategisch das wichtigste Ziel der Ukrainer, meint Wilfried Jilge, Experte für die Ukraine und Russland bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik DGAP: „Nur, wenn sie es schafft, im Süden eine bessere Position zu erreichen, die für Russland zu einer ernsthaften Bedrohung der Krim wird, kommt die Ukraine in eine bessere Verhandlungsposition." Mit einer Offensive der Ukraine sei 2024 jedoch nicht zu rechnen.

Fast 200.000 tote Soldaten

Wie hoch die Opferzahlen nach zwei Jahren Krieg sind, lässt sich kaum sagen. Zu Gefallenen und Verwundeten machen beide Kriegsparteien keine verlässlichen Angaben. Nach einer Schätzung von US-Regierungsbeamten, über die die New York Times im vergangenen Jahr berichtete, sind bis August 2023 deutlich über 100.000 russische Soldaten gefallen. Auf Seiten der Ukraine sollen es zum damaligen Zeitpunkt etwa 70.000 Tote gewesen sein.
Angesichts der Schwierigkeiten der Ukraine haben die westlichen Unterstützer des Landes zuletzt weitere Hilfen zugesagt. Mit Deutschland und Frankreich schloss Präsident Selenskyj im Februar bilaterale Sicherheitsabkommen. Auch US-Präsident Joe Biden sicherte dem Land weitere Hilfen zu.
Nach Ansicht des Verteidigungsexperten Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sei das auch dringend nötig, um die Lage im Krieg zu stabilisieren. Der Zeitraum „der kommenden sechs Monate“ werde darüber entscheiden, ob die Ukraine den Kriegsverlauf zum Positiven wenden kann, meint Mölling.

Wo liegen die Hauptprobleme der Ukraine?

Die Ukraine braucht mehr Waffen und mehr Soldaten. Zwar bemüht sich das Land, die eigene Produktion von Waffen und Munition hochzufahren, ist in dieser Hinsicht aber auf absehbare Zeit auf die Hilfe anderer Länder angewiesen. Was von dort geliefert wurde, konnte den Bedarf zuletzt nicht decken. Dementsprechend hartnäckig wirbt Präsident Selenskyj bei den Partnern um mehr Unterstützung - auch für den Fall, dass Hilfen aus den USA ausbleiben, weil sich die Republikaner im US-Kongress oder Donald Trump nach seiner möglichen Wiederwahl im November quer stellen.
Auf Europa komme es an, das notfalls zu kompensieren, sagt Bartlomiej Kot, Experte für Außenpolitik bei der überparteilichen Pulaski-Stiftung in Warschau: „Finanziell wäre man dazu in der Lage. Die Frage ist, ob man politisch dazu bereit ist, zu 100 Prozent die Verantwortung für die Ukraine-Hilfen zu übernehmen. Mein Eindruck ist aber, dass diese Verantwortung wächst.“

Ukrainische Mobilisierung kommt nicht voran

Den schwerwiegendsten Engpass zu beheben, liegt dagegen in der eigenen Hand der ukrainischen Regierung: der Mangel an Soldaten. Nach Angaben des ukrainischen Militärs benötigt die Armee etwa 500.000 zusätzliche Kräfte. Ein neues Gesetz zur Mobilisierung kommt bislang aber nicht zustande.
DGAP-Experte Wilfried Jilge sieht Kiew in einer schwierigen Situation. Viele Soldaten sind gefallen oder verwundet. Bedingt werden die Verluste, wie Jilge beobachtet, auch durch einen Mangel bei der Ausrüstung. Im Osten verfüge die Ukraine „nicht mehr über das tägliche Minimum an Munition, um sich effektiv zu verteidigen. Und mittelfristig, wenn das so bleiben würde, drohen der Ukraine dann auch Verluste von Gebieten, die sie wiedererobert hat.“
„Jeder weiß – man braucht eine effektivere, gerechte und transparente Mobilisierung“, erklärt Jilge, das Thema sei jedoch politisch heikel. Die Regierung versuche diese Aufgabe der militärischen Führung zuzuschieben und die wiederum betone, das sei Sache der Politik.
Wegen wachsender Differenzen tauschte Präsident Selenskyj Anfang Februar die Spitze der Armee aus: Der Oberkommandierende Valerii Saluschnyj wurde durch Oleksandr Syrskyj, den bisherigen Kommandeur der Bodenstreitkräfte, ersetzt. Der Wechsel an der Armeespitze hatte sich zuvor angedeutet. Selenskyj und Saluschnyj hatten sich laut Beobachtern unter anderem über das militärische Vorgehen zerstritten. Der Präsident habe im Armeechef außerdem einen potenziellen politischen Konkurrenten gesehen.

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Die Abberufung des überaus populären Saluschnyj sorgt allerdings für viel Kritik an Selenskyj, der dadurch an Zuspruch einbüßt. Der Präsident erklärte den Schritt nicht zuletzt auch mit einer wachsenden Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung: „Das Gefühl der Stagnation im Süden und die Schwierigkeiten in der Region Donezk haben die öffentliche Meinung beeinflusst. Die Menschen sprechen seltener vom Sieg. Gleichwohl ist der ukrainische Kampfgeist nicht erloschen.“

Was sind die Hauptprobleme Russlands?

Der große Bedarf an Waffen und Soldaten ist in diesem Krieg auch für Moskau eine Herausforderung. Um sie zu vergrößern hat die EU zum zweiten Jahrestag das inzwischen schon 13. Sanktionspaket gegen die russische Wirtschaft verhängt. Russlands Kampfkraft ist dadurch jedoch nicht wesentlich eingeschränkt. Mithilfe von Iran und Nordkorea konnte Moskau Lücken bei Munition und militärischem Gerät füllen. Russlands Industrie ist auf Kriegswirtschaft umgestellt und produziert so viel Nachschub wie möglich.
Das größte Problem seien die hohen Verluste, die die russische Armee in Kauf nehme, um weiter vorzurücken, meint Militärexperte Ruslan Lewijew. Seit der Zwangsmobilisierung von 300.000 Mann vor rund anderthalb Jahren wirbt die Armee nur noch auf freiwilliger Basis an. Trotz des für russische Verhältnisse üppigen Solds von umgerechnet 2.000 Euro monatlich meldeten sich nicht genug Freiwillige, um die Verluste zu ersetzen. Bisher schrecke Präsident Putin vor einer neuen Mobilmachung zurück, damit die Stimmung im Land nicht kippe, meint Lewijew.
Umfragen deuten an, dass der Krieg in der Bevölkerung insgesamt unpopulärer wird. Eine Telegram-Gruppe von russischen Soldatenfrauen, die dem Krieg kritisch gegenüberstehen, ist auf 70.000 Teilnehmende angewachsen. Proteste gegen den Krieg werden von den russischen Behörden hart verfolgt, ebenso wie Trauerbekundungen für den verstorbenen Kremlkritiker Alexander Nawalny, der den Angriff auf die Ukraine ablehnte. Eine weitere prominente Stimme gegen den Krieg wurde politisch kaltgestellt: der Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin darf nicht bei der Präsidentschaftswahl im März gegen Wladimir Putin antreten.