Freitag, 29. März 2024

Ostermärsche und Ukraine-Krieg
Den Schwachen beistehen

Auf den Friedensdemos werden oft Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland verlangt. Dabei wäre die wichtige Osterbotschaft: Menschen vor der Unterjochung bewahren, statt von den Angegriffenen Unterwerfung zu verlangen, meint Journalist Thomas Franke.

Ein Kommentar von Thomas Franke | 09.04.2023
Eine Frau während der Segnung mit ihrem Osterkorb in einer Kirche der ukrainischen Stadt Lwiw.
Segnung der Osterkörbe in der ukrainischen Stadt Lwiw. Es ist die Pflicht, den Schwachen beizustehen, findet Journalist Thomas Franke - und formuliert so seine persönliche Osterbotschaft anlässlich des Kriegs in der Ukraine. (picture alliance / AA / Omar Marques)
Ausgerechnet die Märsche für den Frieden sorgen für hitzige Diskussionen. Bereits im vergangenen Jahr, da war der Vernichtungsfeldzug Russlands gegen die Ukraine gerade mal ein paar Wochen alt, hatte es vor Ostern eine ziemlich konfrontative Auseinandersetzung über die Ostermärsche gegeben und darüber, wie man "Frieden schafft".
Die Eindrücke von den Massakern von Butscha und Irpin waren noch frisch, der schnelle Vormarsch der russischen Armee auf die ukrainische Hauptstadt hatte viele Menschen aus der Bahn geworfen. Die erklärte Absicht Russlands, alles Ukrainische – die Sprache, die Kultur und die Menschen – zu vernichten, wollen viele bis heute nicht wahrhaben, so scheint es zumindest.
Das Bekenntnis der Ostermarschierer lautet: "Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit". Weiter heißt es: "Ich bin deshalb entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten“. Die aktuelle Kriegsursache ist die russische Regierung und mit ihr eine Gesellschaft, die deren Handeln in ihrem allergrößten Teil schweigend oder gar lauthals unterstützt.

Pervertierte Osterbotschaft in Russland

Auch in Russland begrüßen sich Christen zu Ostern mit dem Gruß: "Christus ist auferstanden". Und die Antwort lautet: "Er ist wahrhaftig auferstanden". Es folgt der Friedenskuss. Diese Osterbotschaft ist in den letzten Jahren zum Schlachtruf gegen alles pervertiert worden, was nicht ins enge und rassistische Bild der christlich-orthodoxen Staatsdoktrin passt. Ich war mehrfach Zeuge, wie der Ostergruß erklang, wenn Homosexuelle unter den Augen der Polizei in aller Öffentlichkeit verprügelt und dann von der Polizei festgenommen wurden, und auch Jugendbewegungen der russischen Regierung berufen sich auf Ostern als etwas, was ihrer Ansicht nach "das Russische" ausmacht.
Gleichermaßen führen sie dann noch "Sieg", "Heimat", "Putin", "Volk" und "Staat" als angeblich besondere Merkmale der Russen auf. Sie missbrauchen den Geist des Osterfests mit seiner Friedensbotschaft für den Sieg Russlands als Nation mit dem angeblich wahren Glauben über die angeblich Ungläubigen.

Nicht um des Friedens willen unterjochen lassen

Russlands Bevölkerung ist stolz auf seine Kolonialkriege. Die wenigsten Russen ahnen zurzeit, worum es eigentlich in den Nachbarländern geht. Anders als die russische Gesellschaft haben sich diese Länder vor gut 30 Jahren befreit. Keines dieser Länder hatte sich freiwillig der Sowjetunion unterworfen. In Russland gilt das Auseinanderfallen der Sowjetunion hingegen als Niederlage. Neuerdings heißt es sogar, das Auseinanderfallen sei vom Westen gelenkt worden. Wie selbstverständlich erklärte die russische und sowjetische Führung diese Länder zu ihrem Machtbereich, unterjochte sie, zettelte Kriege an.
Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und alles Ukrainische zeigt, dass sich an diesem Denken nichts verändert hat. Georgier, Moldauer, die Balten können ein leidgeplagtes Lied davon singen. Sie leben in ständiger Angst um ihre Grenzen und ihre Freiheit. Nach mehr als 30 Jahren Unabhängigkeit, nach mehr oder weniger gescheiterten Demokratieversuchen, nach kleineren Bürgerkriegen und von Moskau angeheizter Separation, nach 30 Jahren Freiheit, haben weder Georgier noch Ukrainer, Balten oder andere vor, sich um des Friedens willen erneut unter die Kontrolle der Mächtigen in Moskau zu begeben.

Menschen vor der Unterwerfung bewahren

Wie steht es also um die Selbstverpflichtung der Ostermarschierer, "keine Art von Krieg weder direkt noch indirekt zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten“? Die Grundlage für diesen Krieg ist die Unfähigkeit der russischen Gesellschaft, die eigene Geschichte kritisch zu hinterfragen. Kriegsursache ist die Unfähigkeit zum Schuldeingeständnis. Kriegsursache ist das Beharren Russlands auf der eigenen Opferrolle bei gleichzeitiger Aggression gegen die Nachbarn mit mittlerweile Zigtausenden Toten.
Ostern 2023 muss es um die Beseitigung eines Gefahrenherdes gehen, der Menschen, Staaten, Kulturen in ihrer Existenz bedroht und der auch vor genozidaler Vernichtung nicht zurückschreckt. Beseitigung aller Kriegsursachen hieße: sofortige Entwaffnung Russlands und ein umfassendes Aufklärungsprogramm, um der russischen Bevölkerung die eigene Verantwortung für die Situation vor Augen zu führen. Aber das ist eine Jahrhundertaufgabe.
Egal, wie man zum österlichen Heilsversprechen nach dem Tod steht: Es ist die Pflicht jedes Menschen mit Gewissen, den Schwachen zu Lebzeiten beizustehen. Die Osterbotschaft muss lauten, Menschen vor der Unterwerfung zu bewahren, statt von den Angegriffenen Unterwerfung um des vermeintlichen Friedens willen zu fordern.