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Neues Weltnaturabkommen
Bundesumweltministerin: "Große Schwierigkeit, diese Ziele auch umzusetzen"

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wertet es als Erfolg, dass im neuen Biodiversitätsabkommen konkrete Zahlen festgelegt worden sind. Die Ziele in nationales Recht oder eine gemeinsame EU-Agrarpolitik umzuwandeln, werde aber schwierig, sagte sie im Dlf.

20.12.2022
Steffi Lemke beim Besuch Nationalpark Unteres Odertal am 12.12.2022
"Es bleibt eine riesengroße Herausforderung, all das, was wir in den letzten 100, 200 Jahren aufgebaut haben, jetzt in ein wirklich nachhaltiges System zu überführen", so Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) (IMAGO / Mike Schmidt)
Bei der UNO-Biodiversitätskonferenz im kanadischen Montreal haben sich die Teilnehmerländer auf ein neues Abkommen geeinigt. Das wichtigste Ziel ist, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Landflächen, Binnengewässer, Küsten- und Meeresgebiete unter Schutz zu stellen. Zerstörte Ökosysteme sollen renaturiert werden. Außerdem einigten sich die Teilnehmenden auf höhere finanzielle Hilfen der reicheren für ärmere Länder.
Konkret geht es um mindestens 20 Milliarden Dollar (18,9 Milliarden Euro) pro Jahr bis 2025 und mindestens 30 Milliarden Dollar (28,3 Milliarden Euro) pro Jahr bis 2030. Für Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ist das ein "starkes Abkommen mit klaren Zielen". Dass man sich auf konkrete Zahlen habe einigen können, sei für sie eines der wichtigsten Ziele gewesen, sagte Lemke im Dlf.

Umsetzung in EU-Politik "große Schwierigkeit"

Die Umsetzung der Ziele beginne jetzt - und sei die große Herausforderung. Zum einen werde es in vielen Ländern schwierig, das Abkommen in nationales Recht umzuwandeln, so Lemke. Auch Deutschland müsse nun nachbessern und beispielsweise das Schutzgebietmanagement verbessern.
Zum anderen werde es "eine große Schwierigkeit", die Biodiversitätsziele auch in einer gemeinsamen Agrarpolitik der EU umzusetzen. Hier geht es vor allem um das beschlossene Ziel, schädliche Auswirkungen von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Dafür müsse die Politik intensiv mit Landwirten diskutieren. "Aber: Wenn wir biologische Vielfalt gerade in den Böden nicht erhalten und schützen, dann bricht und am Ende des Tages die Grundlage für die Lebensmittel zusammen, weil wir fruchtbare Böden brauchen, um Ackerbau zu betreiben", sagte die Grünen-Politikerin.
Bei den umstrittenen Themen Konsum und ökologischer Fußabdruck hätten viele Länder abgeblockt. Hier habe man nicht alles erreicht, was man habe verhandeln wollen, räumte Lemke ein. "Es bleibt eine riesengroße Herausforderung, all das, was wir in den letzten 100, 200 Jahren aufgebaut haben, jetzt in ein wirklich nachhaltiges System zu überführen."

Das Interview zum Nachlesen

Thielko Grieß: Sie haben in Ihren ersten Reaktionen das Abkommen gelobt und von einem „Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen“ gesprochen. Sind Sie sicher, dass das massenhafte Aussterben von Tier- und Pflanzenarten enden wird?
Steffi Lemke: Wir haben jetzt erst mal ein starkes Abkommen auf internationaler Ebene mit sehr klaren Zielen. Das heißt, es sind Zahlen festgelegt worden. Das war für mich eines der wichtigsten Verhandlungsziele, dass das nicht im Nebulösen bleibt.
Aber Sie haben recht, dass die Umsetzung jetzt erst beginnt, dass die Umweltminister*innen alle Hausaufgaben mit nachhause genommen haben und das Abkommen in nationales Recht, in nationales Handeln umzusetzen natürlich sehr schwierig werden wird in vielen Ländern.

"Die Verbesserung von Schutzgebietsmanagement unterstützen"

Grieß: Wie gut ist eine Zahl von 30 Prozent geschützter Fläche, wenn es keine Erfolgskontrolle gibt?
Lemke: Es ist ja erst mal gut, dass dieses Ziel beschlossen wurde, 30 Prozent an Land und auf den Meeren unter Schutz zu stellen, weil damit klar ist, dass wir auf diesem Planeten nicht alleine leben und wir nicht alles für uns beanspruchen können, sondern dass es geschützte Gebiete braucht, dass es Rückzugsgebiete braucht, wo sich Natur regenerieren kann.
Für diese Schutzgebiete gibt es einerseits in Deutschland mit den Biosphären-Reservaten und Nationalparken Bereiche, die sehr streng geschützt sind, wo gar keine oder nur sehr eingeschränkte menschliche Nutzung erfolgen darf, und Bereiche, in denen nachhaltige Nutzung passieren muss. Ein solches System weltweit zu etablieren, das wäre natürlich sinnvoll.
Grieß: Deutschland kommt mit seinen Biosphären-Reservaten oder seinen Nationalparks auch nicht auf 30 Prozent der Fläche.
Lemke: Das ist richtig. Wir müssen auch die Landschaftsschutzgebiete in Deutschland dazu zählen, die aber keinen so starken Schutzstatus haben. Deshalb werden wir jetzt vor allem die Verbesserung von Schutzgebietsmanagement gemeinsam mit den Bundesländern – die sind ja dafür verantwortlich – als Bund unterstützen und auch die FFH-Gebiete oder beispielsweise Grünlandgebiete besser untersuchen, besser managen.
Ich habe mit dem Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz, in dem vier Milliarden Euro für die nächsten Jahre zur Verfügung gestellt werden, ein gutes Instrument an der Hand, um gemeinsam mit den Ländern unsere Schutzgebiete voranzubringen, aber vor allem auch Natur zu renaturieren, wiederherzustellen, alte Wälder zu schützen, Moore und Auen zu renaturieren.

Ziele "auch in der gemeinsamen EU-Agrarpolitik umsetzen"

Grieß: Einige der Flächentypen, die Sie angesprochen haben, haben die Eigenschaft, dass sie genutzt werden, zum Beispiel landwirtschaftlich genutzt werden, und dort gibt es nach wie vor verhältnismäßig wenige Auflagen, jedenfalls wenn man mit der Brille des Artenschutzes draufschaut. Kann das so bleiben?
Lemke: Wir haben deshalb ja eines der wichtigsten Ziele jetzt hier im Abkommen festgehalten, dass die Auswirkungen, die schädlichen Auswirkungen von Pestiziden bis 2030 halbiert sein müssen. Das ist eines der sehr umstrittenen Ziele gewesen, weil viele Länder Sorge haben, dass sie das nicht erreichen können.
Es wird sicherlich eine intensive Diskussion mit den Landwirten, mit dem Bauernverband erfordern, wie wir das machen können. Aber klar ist: Wenn wir biologische Vielfalt gerade in den Böden nicht erhalten und schützen, dann bricht uns am Ende des Tages die Grundlage für die Lebensmittelproduktion zusammen, weil fruchtbare Böden notwendig sind, wenn wir Ackerbau betreiben wollen.
Grieß: Nun ist, Frau Lemke, gerade, um nur ein Beispiel zu nennen, die Nutzung von Glyphosat – und das ist gewissermaßen ein Gegenteil von Artenschutz – noch einmal um ein Jahr verlängert worden in der ganzen Europäischen Union. Die Stimmung hier in der EU ist doch eine ganz andere als in Kanada. Wie wollen Sie das übereinanderbringen?
Lemke: Ich gehe davon aus, dass auch die Agrarminister, die hier in Kanada nicht vertreten waren, ein globales Abkommen für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen sehr ernstnehmen werden, und ich kämpfe mit meinem Kollegen Cem Özdemir dafür, dass wir dies auch in der Europäischen Union, in der gemeinsamen Agrarpolitik umsetzen, die sich im Übrigen das Ziel bereits auch schon selber gestellt hat, den Pestizideinsatz drastisch zurückzuführen, und das müssen wir jetzt in die Realität bringen und das wird die große, große Schwierigkeit.

"In schwierigen geopolitischen Zeiten zu einem Beschluss gekommen"

Grieß: Wir haben jetzt auf die Landflächen geschaut; schauen wir auch auf die Meeresflächen, Frau Lemke. 30 Prozent der Ozeane oder 30 Prozent der Wasserflächen der Weltmeere zu schützen, ist eine ziemlich schwierige Aufgabe, denn über die meisten dieser Gebiete gibt es überhaupt kein Hoheitsgebiet, keinen Staat, der dort Ansprechpartner wäre. Wie soll das gehen?
Lemke: Dafür wird gegenwärtig auch auf internationaler Ebene ein Abkommen verhandelt, um genau diesen Zustand zu ändern. Das nennt sich BBNJ, ist ein bisschen ein sperriger und sehr technischer Begriff und auch sehr technische Verhandlungen, die dort stattfinden. Ich hoffe aber, dass sie im Frühjahr abgeschlossen werden können und dann das erste Mal auch auf der Hohen See Schutzgebiete ausgewiesen werden können.
Grieß: Es war nicht möglich, zum Beispiel die Fischindustrie in diesem Abkommen, die hochindustrialisierte Fischindustrie in diesem Abkommen mit zu erwähnen und mit auch ein wenig an die Leine zu nehmen?
Lemke: Sie ist mit erwähnt. Das heißt, auch Fischerei ist als ein Problem für den Erhalt unserer Natur angesprochen worden. Aber auch hier sind wir ähnlich wie in der Landwirtschaft immer an der Frage, wie bringen wir es jetzt in die Realität, wie machen wir unsere Hausaufgaben zuhause, nachdem wir die klaren Zielvereinbarungen haben, die von fast 200 Staaten der Welt unterstützt werden.
Ich hatte ja fast nicht daran geglaubt, dass es möglich ist, in diesen schwierigen geopolitischen Zeiten die Staaten tatsächlich unter einem solchen Ziel zu vereinen, so einen gemeinsamen Beschluss zu bekommen und dann auch noch mit sehr ehrgeizigen Zahlen im Abkommen.
Grieß: Vielleicht ist die Bereitschaft deshalb da gewesen von Seiten all dieser Staaten, das zu unterschreiben, weil es ohnehin keine Sanktionen gibt.
Lemke: Es ist wie gesagt – ich betone das immer wieder – die große Schwierigkeit und unsere Hausaufgabe, jetzt in den Nationalstaaten diese Ziele auch umzusetzen, und das betrifft nicht nur Deutschland und die Europäische Union, sondern alle Länder.
Wir haben aber beispielsweise mit einem Land wie Costa Rica sehr gut gemanagte Schutzgebiete, nachhaltige Landwirtschaft, einen Vorreiter für den Schutz der biologischen Vielfalt, und wir haben auf internationaler Ebene eine Koalition derjenigen Länder, die engagiert im Schutz voranschreiten wollen, haben einen Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern organisiert, dafür eine Partnerschaft aufgesetzt auch hier auf der Konferenz.
Das heißt, es passiert noch viel mehr als nur dieses Abkommen und es gibt Tausende von Menschen, Hunderttausende von Menschen, die sich für den Naturschutz global einsetzen.

"Haben nicht alles erreicht, was wir verhandeln wollten"

Grieß: Warum war kein Platz in diesem Abkommen, Frau Lemke, um auch den Konsum und vor allem Konsummuster zu erwähnen, und zwar als negativ zu erwähnen, die dazu führen, dass die Ressourcen dieses Planeten sich immer schneller erschöpfen?
Lemke: Es war in der Diskussion mit dem ökologischen Fußabdruck und es ist eines der umstrittensten Themen gewesen, ob man den Konsum oder wie man ihn anspricht. Das heißt, viele Länder wollten eine solche Passage im Abkommen nicht haben. Wir haben nicht alles erreicht, was wir verhandeln wollten. Dennoch: Durch die konkreten Zahlen bei den Pestiziden und beim Abbau umweltschädlicher Subventionen ist ja auch mit klaren Zahlen natürlich das Thema Konsum angesprochen.
Auch hier wird es die Schwierigkeit sein, diesen Transformationsprozess auf die Schiene zu bringen. Wir reden über Nutzungskonflikte, über Wirtschaftsmodelle, die über Jahrzehnte, teilweise über Jahrhunderte gewachsen sind, und das jetzt zu ändern, ist die große Herausforderung.
Wenn ich aber darauf schaue, dass auch das Weltwirtschaftsforum in Davos sich mit dem Artenaussterben beschäftigt hatte und sehr klar gesagt hat, wenn wir das nicht stoppen, ist es ein Risiko für die globale Wirtschaft und für unsere Sicherheit, das ist zumindest das Anerkennen dessen, dass es hier nicht um einzelne Arten, um Vögel oder Insekten geht, sondern dass es um Hardware geht, darum geht, wie wir als Menschheit überleben.

"Klimakrise einer der größten Treiber des Artenaussterbens"

Grieß: Auch Deutschland aber, Frau Ministerin, verbraucht Ressourcen zum Beispiel auch für die Energiewende, Rohstoffe wie Lithium, Kobalt, Nickel, seltene Erden, anderes mehr, und wo dieser Abbau stattfindet, da ist die Artenvielfalt in aller Regel Vergangenheit. Irgendeinen Tod muss man sterben?
Lemke: Wir haben auf europäischer Ebene gegenwärtig eine Gesetzgebung für Batterien in Erarbeitung, die das erste Mal bei einer so großen Produktkette wie den Batterien von Anfang an, der Förderung von Rohstoffen bis hin zum Recycling oder der Entsorgung, Qualitätsstandards für diese Produkte festlegen will. Das heißt, wir nehmen in den Blick, wie wird Lithium als Beispiel gefördert und wie können wir das als nachhaltige Produktion und auch als nachhaltige Förderung für die Zukunft gestalten.
Grieß: Aber Abbaugebiete bleiben Abbaugebiete.
Lemke: Zugegebenermaßen ein extrem schwieriges Thema. Wir können dennoch nicht mit Verbrennungsmotoren so wie in den letzten 100 Jahren weitermachen, weil die Klimakrise einer der größten Treiber des Artenaussterbens ist und auch uns Menschen bedroht, die Ökosysteme aus dem Takt bringen, wir mit Stürmen, mit Überschwemmungen zu rechnen haben. Wir müssen den Transformationsprozess angehen und ich würde nie sagen, dass er leicht ist.
Grieß: Umweltschutz bleibt ein schmerzhafter Spagat?
Lemke: Es bleibt eine riesengroße Herausforderung, all das, was wir in den letzten 100, 200 Jahren aufgebaut haben, jetzt in ein wirklich nachhaltiges System zu überführen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.