
Die Verbindung von Geld und Macht ist ein uralter Zusammenhang. Von Beginn an war demokratische Politik nach dem Abstreifen feudaler Abhängigkeiten und aristokratischer Privilegien von der Idee geprägt, politische Mitwirkung sei an privates Eigentum und Besitz gekoppelt. Das galt für die antiken Volksversammlungen, die wichtige politische Ämter den Vermögenden sicherten, das galt auch für diverse Varianten des Zensuswahlrechts in den liberalen Demokratien Europas im 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Doch Demokratien haben immer mehr Menschen als politisch Beteiligte integriert. Es scheint, als hätte sich diese Expansion erschöpft und als seien die Demokratisierungswellen des 20. Jahrhunderts an ein Ende gekommen. Seit der Jahrtausendwende breiten sich Autokratien aus, die sich oftmals demokratische Mehrheiten sichern und damit legitimieren.
Vor diesem historischen und demokratietheoretischen Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob die Weltgesellschaft in einen neuen, postdemokratischen Aggregatzustand eingetreten ist, der auf scheinbar überholte Herrschaftsformen wie Oligarchie (die Herrschaft der Wenigen), eine Plutokratie der Vermögenden, eine Ochlokratie des Pöbels oder auch eine Epistokratie, eine Herrschaft der Wissenden setzt.
Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Professor für Politikwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik. Von 2007 bis 2017 war er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.
Was hat es zu bedeuten, dass gerade immer mehr Filme, meistens Komödien, über Superreiche ins Kino kommen? In dem österreichischen Streifen „Veni, vidi, vici“ von 2024 setzt ein Unternehmer beim Jagen Donald Trumps Fantasie in die Tat um, er könne auf der Fifth Avenue jemanden erschießen und straflos davonkommen. 2022 war in „Triangle of Sadness“ zu sehen, wie eine Kreuzfahrt ebensolcher Ekelpakete im totalen Inferno endet. Kritik und Publikum reagierten gespalten. Das „Neue Deutschland“ sah in der Reichenschelte eine Ermunterung zum Klassenkampf, andere wandten sich mit Grausen von derlei Agitprop ab. Grotesk überzeichnete Figuren bringen jedenfalls eher unterhaltsame Schadenfreude als sozial-dokumentarische Aufklärung über die Distanz dieser exklusiven Kaste zum Alltag der gewöhnlichen Sterblichen.
Auch Spielfilme bebildern indes die statistische Evidenz einer immer ungleicher und ungerechter werdenden Weltgesellschaft: Ein Prozent, besagen neue Berechnungen der Entwicklungsorganisation Oxfam, besitzt heute die Hälfte, die oberen zehn Prozent vier Fünftel des globalen Vermögens. Und es geht nicht allein um Aktienpakete, Immobilienbesitz und Luxuskonsum, diese materiellen Güter begünstigen über alle möglichen Privilegien und Netzwerke auch Erben und Nachnachkommen der Superreichen exponentiell.
Eine Umfrage des renommierten Pew Research Center unter 45.000 Befragten in 36 Ländern zeigt, dass die Mehrheit der Menschen an dieser wachsenden Kluft Anstoß nimmt und mehr inner- und zwischen-gesellschaftliche Gleichheit reklamiert. Periodische Anhebungen der Mindestlöhne und ein paar Aufbesserungen der Lieferketten können da nur wenig ausrichten. Ungleichheit ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist von einer sozialen Oberschicht gewollt und wird von zugeneigten politischen Eliten hergestellt. Das klingt nach einer Verschwörung, die im links- wie rechtsextremen Spektrum in der Tat ominösen Akteuren wie „Wall Street“, „George Soros“ und so weiter angelastet wird, bisweilen mit erkennbar antisemitischem Unterton, den NS-Filme wie „Der ewige Jude“ und „Die Rothschilds“ über 1945 hinaus am Leben gehalten haben. Dass zur Vorsicht vor Stereotypen gesagt, ist die weltweite Einflussnahme superreicher Menschen aller Herkünfte und Konfessionen über informelle Netzwerke und Lobbies empirisch nachweisbar; mit Großspenden werden vor allem solche Personen und Parteien bedacht, die an einer politischen Korrektur des Status quo divitiae am wenigsten Interesse zeigen oder Ungleichheit gar zur Triebfeder wirtschaftlichen Wachstums adeln. Die mit dem schwammigen Etikett Neoliberalismus gekennzeichnete Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte weist in diese Richtung; seit Maggie Thatcher und Ronald Reagan wird der moderate Konservatismus ausgehöhlt und ehedem Sozialliberale mutieren in regelrechte Staats- und Demokratieverächter mit der Kettensäge.
Organisierte Einflussnahme ging stets von Verbänden und Lobbyisten der Unternehmen aus, die gesetzliche, vor allem steuerpolitische Maßnahmen der Umverteilung von oben nach unten verhindern oder sie auch in die entgegengesetzte Richtung lenken. Sie halten Schlupflöcher offen, die beispielsweise die Cum‑Ex‑Affäre aufgedeckt hat, und sie bahnen die Flucht von Geldern in Regionen, die unverblümt als Steuerparadiese angepriesen werden. Donald Trump lässt sich dafür bewundern, dass er aus seinem Milliardenvermögen lange Zeit nicht einen Cent entrichtet habe; im Fall seines Gönners und Großspenders Elon Musk ist berechnet worden, er sei von 2014 bis 2018, als sein Vermögen um 13,9 Milliarden Dollar angewachsen ist, einem faktischen Einkommenssteuersatz von lediglich 3,3 Prozent unterworfen gewesen. Mehr Netto vom Brutto? Brave Steuerpflichtige mögen ihren Steuersatz damit abgleichen.
Der Einfluss von Big Money ist Gift für Demokratien, die auf politischer Gleichheit beruhen – das heißt: ein Mensch = eine Stimme, und Stimmen werden gezählt, nicht gewogen – und die ein bestimmtes Maß auch an sozialer Gleichheit verlangen. Neuerdings zählt aber nicht nur der asymmetrische Einfluss von Verbands- und Lobbymacht und eine Spendenmaschinerie, die im Citizens United-Urteil des U.S.‑Supreme Court von 2010 als vermeintlicher Ausdruck von Meinungsfreiheit aller Fesseln entledigt wurde. Bedeutender wird nunmehr die unmittelbare, die Gewaltenteilung umgehende Selbstherrschaft von Milliardären. Heutige Autokraten sind oft selbst Superreiche, die ihre Macht weniger auf militärische Stärke denn auf immensen Reichtum stützen. Das jüngste Beispiel ist der erwähnte Elon Musk, dessen Pläne und Handlungen im Endeffekt auf die Missachtung sämtlicher demokratischer Regularien und Spielregeln hinausläuft. Sein Ziel ist nicht der „schlanke Staat“, sondern dessen disruptive Zerstörung.
Dass Geld die Welt regiert, galt zunächst auch für demokratische Politik, die, um feudale Abhängigkeiten und Vorrechte aristokratischer Grundbesitzer abzustreifen, bürgerliche Mitwirkung an privates Eigentum und Besitz koppelte. Das galt für die antiken Volksversammlungen, die wichtige politische Ämter den Vermögenden reservierten, und galt weiter für diverse Varianten des Zensuswahlrechts in den liberalen Demokratien Europas im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Darunter war das preußische Dreiklassenwahlrecht, während im Reichstag ab 1871 schon das gleiche Wahlrecht für alle Männer über 25 Jahren galt. Erst damit beruht Demokratie auf zahlenmäßiger Gleichheit ungeachtet des jeweiligen Besitzes oder wirtschaftlicher Ressourcen. Die so verankerte Inklusionsdynamik von Demokratien, die immer mehr Menschen (heute ab dem Jugendalter) als politisch Beteiligungsberechtigte anerkennt, sollte am Ende sämtliche Gesellschaften und politische Ordnungen einschließen.
Demokratisierungswellen haben das 20. Jahrhundert begleitet und totalitäre Regime überwunden, doch seit der Jahrtausendwende stagniert die Inklusion und macht sie aktuell Autokraten Platz, die sich – das unterscheidet sie von Diktatoren – oftmals Wählermehrheiten sichern. Man ist fast erinnert an Polybios‘ oder Aristoteles antike Vorstellung eines Verfassungskreislaufs, wonach die Demokratie nicht die endgültig‑gute Form der Herrschaft ist. Vielmehr scheint die Welt zyklisch in einen neuen, nun postdemokratischen Aggregatzustand eingetreten zu sein – und sie fällt zurück auf nur scheinbar überholte Herrschaftsformen wie Oligarchie (die Herrschaft der Wenigen), Plutokratie (die Herrschaft der Vermögenden), Ochlokratie (die Herrschaft des Pöbels), oder auch eine Epistokratie (die Herrschaft der Wissenden). Womit sie den Gleichheitsgrundsatz verabschieden: Oligarchen und Reiche dank ihrer Ressourcen, zu denen zunehmend die Verfügung über Massenmedien und mediale Prominenz gehört; der Pöbel auf Grundlage seiner latenten Gewaltdrohung; die Wissenden dank ihres angeblich überlegenen Verstandes. Und vergessen wir nicht die Hierokratie der Kleriker, die behaupten, einen privilegierten Zugang zu Gott zu haben und dessen Herrschaft stellvertretend auszuüben. Nicht zufällig führt Donald Trump im Weißen Haus bizarre Segnungsprozeduren durch rechte Evangelikale auf, die seine angebliche Vorsehung bestätigen.
Versuchen wir diesen Wandel nun etwas theoretisch einzuordnen. Den genannten Herrschaftsansprüchen ist ein Zug gemeinsam, den man mit Max Weber Patrimonialismus nennen kann. Der Soziologe unterschied drei legitime Typen von Herrschaft: traditionale, charismatische und bürokratisch-legale. Letztere, in Gestalt eines demokratisch legitimierten Staats mit einer ordentlichen Verwaltung sollte das Standardmuster werden. Offenbar weicht es gerade einem Patrimonialismus neuen Typs. Ich zitiere Weber: „Ihrem Wesen nach ruht (er) nicht auf der Dienstpflicht für einen sachlichen, unpersönlichen ‚Zweck‘, und der Obödienz gegenüber abstrakten Normen, sondern gerade umgekehrt auf streng persönlichen Pietätsbeziehungen.“ So altrömisch und altmodisch es klingt, passt es doch auf postmoderne Politikmuster. Denn als hätte Weber Trump bei der Arbeit an seinen Dekreten zugeschaut, führte er aus, ich zitiere: „Bei der bürokratischen Herrschaft ist es die gesatzte Norm, welche die Legitimation des konkreten Gewalthabers zum Erlass eines konkreten Befehls schafft. Bei der patriarchalen Herrschaft ist es die persönliche Unterwerfung unter den Herrn, welche die von diesem gesetzten Regeln als legitim garantiert…“ Also: persönliche Unterwerfung statt gesatzte Norm, auch des Völkerrechts – die Lektion bekam Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus erteilt. Webers Schluss: „Statt der bürokratischen ‚Sachlichkeit‘ und des auf der abstrakten Geltung gleichen objektiven Rechtes ruhenden Ideals der Verwaltung, ohne Ansehen der Person‘ gilt das gerade entgegengesetzte Prinzip. Schlechthin alles ruht ganz ausgesprochenermaßen auf ‚Ansehen der Person‘, d. h. auf der Stellungnahme zu dem konkreten Antragsteller und seinem konkreten Anliegen und auf rein persönlichen Beziehungen, Gnadenerweisungen, Versprechungen, Privilegien.“ Genau so regieren Trump, Putin und Konsorten. Bei ihnen erreicht das eine geradezu neronische Flatterhaftigkeit, Seilschaften bilden sich und werden abgesägt, Verurteilte begnadigt und Schranzen befördert, dynastische Nachfolger erkoren. Der heutige Neo-Patrimonialismus, für den in Europa am ehesten der selbstherrliche Viktor Orbán steht, appelliert zwar an „traditionelle Werte“ wie Arbeit und Familie, Vaterland und Abendland, doch dabei werden alle überkommenen Verfassungsgrundsätze abgeräumt und alle Bindungen an Recht und Sittlichkeit aufgekündigt. Auch die dem Patriarchen eigene Sorge für seine Untergebenen fehlt vollständig. Der unflätige Ton gehört ebenso dazu wie die Verhöhnung alles Spirituellen, ja: selbst die Leugnung der sozialen Wirklichkeit. Es ist eine Karikatur des Patrimoniums, die gerade um sich greift.
Das wahrhaft gespenstische Duo Donald Trump und Elon Musk ist die Kombination medialer Dauerpräsenz und Medienbesitz, die bei dem Präsidenten auf seiner TV‑Vergangenheit, bei seinem Sonderminister auf der Plattform X beruht.
Ihr Auftritt erinnert an die Fernsehsatire „Kir Royal“, in der ein Generaldirektor namens Heinrich Haffenloher, genial gegeben von Mario Adorf, den zunächst abgeneigten „Baby“ Schimmerlos mit den kölschen Klüngel-Worten einkauft: „Ich scheiß‘ dich so was von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast!“ Nur: Ging es da bei der Korruption klassischen Typs um den Einsatz von Geld zur Beschaffung von Aufträgen, Grundstücken, Anteilen und dergleichen unter Umgehung der bürokratisch-legal gebotenen Pfade, wird Geld nunmehr zur Erringung der ganzen Macht, fast Allmacht eingesetzt, auch jenseits der nationalen Grenzen. Der Celebrity-Status steigert sich bei Musk in die Wahnidee, er gehöre einer auserwählten, von Natur aus überlegenen Spezies technologischer Supermenschen an, die sich nach dem Skript der Fantasy-Literatur alles herausnehmen darf. Das erinnert genau wie Trumps Überzeugung, von der Vorsehung beschützt zu sein, an Über- und Herrenmenschen-Erzählungen.
Es mangelt nicht an Pseudo-Intellektuellen wie Curtis Yarvin und Patrick Deneen, die solche Narrative via soziale Medien oder vornehme Denkfabriken verbreiten, was an die neurechten Vorläufer der Konservativen Revolution der Weimarer Republik erinnert.
Der dreiste Auftritt der Plutokraten wäre aber nichts ohne die Begeisterung, die sie von Millionen Menschen erfahren, die sich als Follower bezeichnen – was man auch mit Vasallen übersetzen kann, von denen einige im Fall des Falles als Milizionäre putschbereit sind. Unter den klassischen Demokratien gilt das Präsidialsystem der Vereinigten Staaten als besonders anfällig für plutokratische Tendenzen. Der Gründervater Thomas Jefferson sah sie kommen, viele politische Theoretiker folgten ihm und kritisierten, wie Kevin Phillips, ein Konservativer aus den Reihen Richard Nixons, den engen Konnex von Reichtum und Demokratie in den USA, der sich bei den robber barons der vorigen Jahrhundertwende in wahre Orgien der Korruption und des demonstrativen Luxus gesteigert hatte. Das wurde durch Rezession, Krieg und wohlfahrtsstaatliche Gegenbewegungen gebremst – um dann in den 1970er Jahren neu aufzuflammen und nach der Weltfinanzkrise noch stärker zu werden.
Die eingangs erwähnten Filme, denen viele seit Orson Welles „Citizen Kane“ und den Dallas- und Denver-Serien, dem „Großen Gatsby“, „Wolf of Wall Street“ und „Parasite“ vorausgegangen sind, deuten darauf hin, dass der legendäre Geiz und die performative Zurückhaltung des alten Geldadels passé ist und die schamlose Ausstellung des Mammons nicht länger gescheut wird. Der Soziologe Thorstein Veblen hat 1899 die Zunahme „demonstrativen Müßiggangs“ und „auffälligen Konsums“ in seiner Studie „Theorie der feinen Leute“ analysiert.
Zum Über-Reichtum gehörte die Philanthropie der Carnegies, Vanderbilts und Rockefellers, die Universitäten, Museen und soziale Einrichtungen ruhmfördernd „zuschütteten“ und ungeliebte Steuerlasten minderten. Zum Reichtum gehört das Matthäus-Prinzip – wer hat, dem wird gegeben –, also seine Vererbung und damit seine dynastische Fortschreibung im inneren Kreis der Familie, unterstützt durch den Erwerb von Bildungsabschlüssen an Exzellenzuniversitäten. Selten ist der Fall, dass Milliardäre von sich aus umverteilen oder sozialen Innovationen zugute kommen lassen, wie die österreichische Industriellenerbin Marlene Engelhorn, die 25 Millionen Euro an einen Bürgerrat verschenkte, der die Summe dann an 77 Organisationen aus den Bereichen Klima und Umwelt, Gesundheit, Soziales sowie Integration und Bildung weiterreichte. Sie wurde dafür von vielen Besitzindividualisten für verrückt erklärt, die ein Familienerbe als hart erarbeitetes Anrecht betrachten, auch wenn sie dafür keinen Finger gekrümmt haben. Die Umsetzung der liberal-konservativen Steuerversprechen im letzten Wahlkampf würden die Schere noch weiter öffnen.
Während Kinder- und Altersarmut recht gut (wenn auch meist folgenlos) erforscht wurden, bleibt Reichtum eine große Unbekannte. Oft erschöpft sich dessen Analyse in einer Aufzählung oberflächlicher Zuschreibungen und Übertreibungen, die nur den Vorwurf des Sozialneids einbringen. Im Halbdunkel des Reichenmilieus kann sich das Obere Quintil der Bevöl-kerung der transparenten Debatte um Steuergerechtigkeit entziehen, die man durch die Anhebung der Vermögenssteuern, eine progressive Einkommensbesteuerung und Finanztransaktionssteuern erreichen könnte. Entsprechende Initiativen, wie sie hierzulande gerade mit einigem Aufsehen von der Partei der Linken propagiert werden, weisen Parteien der rechten Mitte als sozialistischen Dirigismus zurück. Zwar sind solche Steuerpläne theoretisch mehrheitsfähig, aber vor allem Angehörige der Mittelschicht haben Angst, es ginge damit auch ihnen ans Portemonnaie. Und der Populismus, dessen bevorzugtes Angriffsziel einmal die „feinen Leute“ waren, richtet sich heute eher gegen Migranten, Minderheiten und die politischen und kulturellen Eliten „da oben“. Die „ganz oben“ bleiben politisch verschont. Auffallen müsste den Wählerinnen und Wählern der AfD, deren Vordenker gerne eine Art „nationalen Sozialismus“ propagieren, dass dementgegen ihre Steuerpläne die stärkste Entlastung des obersten Zehntels der Bevölkerung bringen würde.
Als der Musiker Herbert Grönemeyer in Zeiten von Corona, als Kulturschaffende Pleite zu gehen drohten, einen „groben Gedanken in eigener Sache, nämlich eine Solidaritätssonderzahlung der Vermögenden“ ins Spiel brachte, geißelte ihn die FAZ, es sei dreist und billig, „mal wieder die Reichen zur Kasse zu bitten“. Angeregt hatte der Sänger lediglich eine zweimalige und letztlich freiwillige Sonderzahlung von Beträgen zwischen 50.000 und 150.000 Euro von damals 1,8 Millionen Vermögensmillionären in Deutschland. Verhielten sich alle ‚solidarisch‘ und zweigten von ihrer Habe einen mittleren Betrag ab, überschlug er, kämen ad hoc circa 200 Milliarden Euro jährlich zusammen. Solche Einnahmen wären auch das beste Mittel gegen strukturelle Kinderarmut im reichen Deutschland.
Generell und jenseits akuter Notlagen würde schon eine Erhöhung der Erbschaftssteuer um wenige Prozent Milliarden in die unterfinanzierten Haushalte spülen und Sparmaßnahmen auf Kosten der Bedürftigsten verhindern. Ein solcher Transfer von oben nach unten würde nichts anderes tun, als die umgekehrte Umverteilung der letzten Jahre und Jahrzehnte abmildern und korrigieren. Deutschland benötigt bekanntlich jede Menge Geld: für die Reparatur der demolierten Infrastruktur, für die Bereitstellung guter Bildung und Ausbildung und die Sicherung der Alten gegen Armut, und natürlich für die Verteidigung des Landes gegen einen barbarischen Kriegsherrn Wladimir Putin. Und nicht zuletzt für eine sozial ausgewogene Eindämmung gefährlichen Klimawandels und für nachhaltige Investitionen, die einen veralteten Industriestandort zukunftsfest machen können.
Dafür gibt es konkret umsetzbare Vorschläge. Kritiker haben Recht, dass Steuererhöhungen per se kein Allheilmittel sind. Die Superreichen zu schröpfen, hilft den Ärmsten erst einmal nicht. Und was brächte es, wenn davon nur Zinsschulden abgetragen oder weitere Autobahnen gebaut werden? Belastungen der oberen Zehntausend wären der Gesellschaft und wohl auch den Betroffenen besser vermittelbar, wenn sie echte Zukunftsinvestitionen ermöglichen und statt privaten Reichtum an ohnehin gut ausgestattete Erben durchzureichen, aus Erbschaftsabgaben und Einnahmen aus dem Emissionshandel einen Investitionsfonds zu bilden und nachhaltige Entwicklung zu finanzieren. Ist das gerecht? Und ob! Denn so würden ja auch Klimaschulden aus früheren Zeiten von Menschen beglichen, deren ökologischer Fußabdruck stets größer war als der normaler Sterblicher. Ein solches Vorhaben müsste allen politischen Lagern außer den Rechtsradikalen einleuchten: Konservative könnten ihren Slogan „Bewahrung der Schöpfung!“ mit Substanz füllen, Grüne dem Vorwurf begegnen, sie würden den kleinen Leuten in die Tasche greifen, Sozialdemokraten und Linke könnten antiquierte Umverteilungsideen fallen lassen und Liberale ihre Mittelschichtbasis beruhigen.
Und damit noch einmal zu den demokratiepolitischen Implikationen. Gegenwärtig droht eine Plutokratie, in der skrupellose Milliardäre unzufriedene Anhänger gegen Minderheiten und sozial Schwache aufbringen, die letztlich zu den Hauptverlierern eines solchen Regimewechsels zählen würden. Gefahr droht von der Etablierung einer Oligarchie, verbunden mit einem „technologisch-industriellen Komplex“, die der aus dem Amt scheidende US-Präsident Joe Biden bei seinem Abschied ausmalte. Die Inauguration von Bidens Nachfolger belegte die Präpotenz der Tech-Milliardäre; angeführt durch Elon Musk setzen sie auf „Disruption“, das heißt: auf die Zerschlagung des Staatsapparates, der ihnen stärkere Regulierung und womöglich ein Kartellverfahren aufgezwungen hätte, und auf Freifahrtscheine auf den virtuellen Kommunikationsplattformen, die nach Aufhebung obligatorischer Faktenchecks noch ungehinderter Lügen und Halbwahrheiten verbreiten können.
Für diesen Personenkreis, der noch einmal das oberste Zehntel des einen Prozents Superreiche ausmacht, hat man einen neuen Begriff erfunden: Sie heißen Broligarchen, ein Kofferwort für die Bruderschaften der Technologiebranche, die ihre Ablehnung der Demokratie so offen bekunden wie Peter Thiel, der Mitbegründer des Zahlungsdienstleisters PayPal und des Software-Unternehmens Palantir, Mentor des aktuellen Vizepräsidenten und von ihm erwünschten Trump-Nachfolgers JD Vance. Während sich Thiel in der Öffentlichkeit zurückhält und lieber auf die von ihm erworbenen Inseln konzentriert, auf denen ein libertärer Freistaat entstehen soll, ist Musk innen- und außenpolitisch hyperaktiv. Mit seinem aus der Pharmaindustrie rekrutierten Kompagnon Vivek Ramaswamy und dem christlichen Nationalisten Russell Vought im Haushaltsbüro des White House, macht Musk mit dem neugeschaffenen „Department of Government Efficiency“ (DOGE) tabula rasa, mit durchweg verfassungswidrigen Massenentlassungen, Einschüchterungen und Mittelkürzungen, die nun selbst Trump zuviel geworden sind. Draußen in der Welt knüpft Musk ein Netzwerk von Gleichgesinnten wie Javier Milei, dem Mann mit der schon sprichwörtlich gewordenen Kettensäge oder dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dessen türkischem Amtskollegen Recep Erdoğan. Wer sich Trumps und Musks Einfällen nicht fügt, wird denunziert, erpresst und sanktioniert.
Da hier von „Außenpolitik“ die Rede ist: Es zeichnet sich nicht nur ein Stilwechsel ab, in dem Trump als freihändiger Deal-Maker auftritt, der Territorien von Grönland bis Gaza und Ukraine zu besetzen und zu besitzen droht. Anders als der supernationalistische MAGA-Wahn betreibt Musk eine radikale Infragestellung des Staatensystems selbst, durch eine Privatisierung, die bei ihm bis in den Weltraum zielt. Zu den ersten Dekreten Trumps zählte die Lockerung des Auslandsbestechungsgesetzes: Wenn Korruption im Ausland üblich sei, dann soll sie auch von US- und multinationalen Unternehmen praktiziert werden, angeblich wieder zum Schutz amerikanischer Familien und Arbeiter. Auch die im Broligarchen-Milieu beliebten Kryptowährungen entziehen sich den Regularien des etablierten Weltfinanzsystems, wodurch die Geldmenge außer Kontrolle gerät. Staaten (und was von deren verfemten Bürokratien übrigbleibt) werden durch Voodoo-Ökonomen systematisch entmachtet, es geht allein um die ungehinderte Platzierung von Investitionen, mit Unterstützung einer riesigen Schar von Konsumenten, die den Influencern in sozialen Netzwerken ergeben folgen. Man könnte ihnen übrigens auch nicht folgen. Siehe Tesla. – Und was ist mit X?
Besonders irritierend ist, dass diese Entwicklung des globalen Kapitalismus mit einer pseudo-protestantischen Ethik unterlegt wird. Ein prominentes Beispiel ist Paula White-Cains „Glaubensbüro“ im Weißen Haus. Sie predigt ein Wohlstandsevangelium, in dem Geldvermögen als sichtbarster Beweis für Gottes Gunst, während Arbeitslosigkeit, Armut und Krankheit als Ausweise mangelnder Gottesfürchtigkeit gelten. Auch dahinter steckt übrigens die blanke Gier: Wer White‑Cains Kirche spende, werde auf Erden mit Reichtum, Gesundheit und Macht belohnt.
Wenn Trump seine traurige Familie auf die Bühne holt, zeichnet sich eine regelrechte Dynastie samt Hofstaat ab, womit Oligarchien in postmoderne Monarchien regredieren würden.
Zum einen wird die Frage sein, ob die Gewaltenteilung in den USA gänzlich außer Kraft zu setzen sein wird und die Opposition in ihrer Schockstarre verharrt; zum anderen trifft die unter solchen Prämissen verfolgte Außenpolitik die US-Hegemonie ins Mark, deren einstige Soft Power und kulturelle Vormachtstellung schon länger angeschlagen sind. Das stärkt den Aufstieg des sogenannten Globalen Südens, vor allem Chinas mit Russland im Schlepptau. Sie werden von vollendeten Diktatoren regiert, mit denen sich die Trump-Administration offenbar zu arrangieren bereit ist. Damit droht das Abrutschen einer ohnehin durch das „Große Geld“ beschädigten liberalen Demokratie in eine ausdrückliche Plutokratie, die sich auf wohlwollende Gerichte, gleichgeschaltete Medien und konspirationistische Netzwerke stützen kann. Informationen über Regierungsakte laufen jetzt ohnehin nur noch über Trump‑freundliche Plattformen, Podcasterinnen und Influencer leiten präsidiale Einlassungen direkt aus dem Weißen Haus ans Volk. Die meisten Regierungswebseiten sind offline, Sachinformationen zu Verbraucher- und Naturschutz wurden gelöscht, ebenso kompetente Gesundheitsaufklärung. Das amerikanische Volk, dessen Mehrheit die Plutokratie gewählt hat, bekommt die Quittung, vom gefügigen Kongress und dem Obersten Gerichtshof kam bisher kaum Widerstand.
Keine schönen Aussichten. Aber nichts davon ist ausgemacht.
Fazit: Um eine analoge Entwicklung in Europa zu stoppen (die Berlusconis und Babiš standen und stehen bereit), bedarf es einer Steuer- und Wirtschaftspolitik, die nicht nur Löcher am unteren Rand der Gesellschaft stopft, sondern Ressourcen am obersten Rand für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Transformation abschöpft. Es gibt auch Möglichkeiten, US-Oligarchen zu boykottieren oder zu besteuern. Superreiche werden damit weder dämonisiert noch geschröpft, sie werden einzig in krisenhaften Zeiten an ihre soziale und politische Verantwortung erinnert. Konservative und Liberale müssen im Kampf um die Demokratie eine Korrektur ihrer steuer- und haushaltspolitischen Dogmatik vornehmen, Linke müssen in dem gleichen Kampf begreifen, dass er nicht nur sozialpolitisch geführt werden muss, sondern auch sicherheitspolitisch gegen die russische (sowie neuerdings chinesische und womöglich amerikanische) Autokratie. Wenn Sie noch einer Quelle namens Karl Marx trauen wollen: Er rief die Arbeiter vor 150 Jahren zum doppelten Widerstand auf: gegen den Bonapartismus im Westen (das war damals das Frankreich Napoléons III.) und den Zarismus im Osten (damals unter Alexander II). Und Marx setzte sich übrigens auch schon für die Freiheit der Ukraine ein.